OGH 3Ob680/54

OGH3Ob680/542.3.1955

SZ 28/64

Normen

ABGB §1500
ABGB §1500

 

Spruch:

Nicht jedes Vertrauen auf das öffentliche Buch führt den Anspruch auf den Schutz des § 1500 ABGB. herbei.

Entscheidung vom 2. März 1955, 3 Ob 680/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Reutte; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Nach dem Klagsvorbringen hat der Kläger mit Übergabs- und Abnährungsvertrag vom 5. Februar 1922 den zweiten materiellen Anteil des Hauses B. Nr. 9 sowie die Gartenfläche Parzelle 488 Katastralgemeinde B. von Wilhelm S. erworben, worauf sein Eigentumsrecht mit Beschluß des Bezirksgerichtes Reutte vom 20. Februar 1932, GZ. 326/32, bücherlich einverleibt worden sei. In den vergangenen Jahren hätten sich nun die Beklagten, die Miteigentümer des Hauses B. Nr. 10 sind, eigenmächtig in den Besitz der Parzelle 488 gesetzt, wobei sie diese mit einem Zaune gegen Süden umfaßt und zu ihrer Gartenfläche (Parzellen 486 und 487) dazugeschlagen hätten. Eine Vermessung durch, den amtlichen Geometer im Sommer 1953 habe bestätigt, daß die Parzelle 488 tatsächlich vom Zaune der Beklagten umfaßt werde und nördlich desselben liege. Der Kläger begehrt daher von den Beklagten die Räumung der Parzelle 488 Katastralgemeinde B.

Die Beklagten wendeten dagegen ein, daß der Kläger nur formell bücherlicher Eigentümer der Parzelle 488 sei, sie aber tatsächlich im Eigentum der Beklagten stehe, da deren väterlicher Vorbesitzer Matthias St. und dessen Erben, die Beklagten, seit dem Erwerb des Hauses Nr. 10 durch den Vorbesitzer mit Kaufvertrag vom 7. August 1901 die strittige Gartenfläche ununterbrochen und ausschließlich genutzt hätten, wobei schon Matthias St. diese Parzelle seinerzeit mitgekauft habe. Die ganze Lage der Grundparzelle 488 sei so, daß diese nur zum Hause Nr. 10 gehören könne. Die Parzelle sei überdies mit einer Stützmauer gegen die Parzelle 489 hin abgegrenzt, und es gehöre diese Stützmauer gleichfalls den Beklagten, die sie auch immer erhalten hätten. Der Kläger habe die Parzelle 488 niemals in seinem Besitz gehabt. Er hätte auch zu dieser Parzelle von seinem Haus Nr. 9 gar keine Zugangsmöglichkeiten. Die Beklagten machen daher ihr Eigentum an der Parzelle 488 aus dem Titel der Ersitzung geltend, da die Beklagten und ihr Vorbesitzer diese Gartenfläche seit nunmehr 52 Jahren im ungestörten Besitz und Genuß hätten, der auch vom Kläger und seinem Vorbesitzer dauernd anerkannt worden sei.

Das Erstgericht wies das Räumungsbegehren ab, wobei es von der Feststellung ausging, daß die Parzelle 488 durch einen offensichtlich schon sehr alten und zum Teil bereits morschen Zaun zu den beiden im Eigentum der Beklagten stehenden Grundparzellen 486 und 487 eingezäunt ist und alle drei Grundparzellen von den Beklagten als einheitlicher Garten genutzt werden, daß weiters die Grundparzelle 488 schon seit dem Jahre 1901 durch den Vorbesitzer Matthias St. und nach ihm durch die Beklagten genutzt wurde, während der Kläger diese Grundparzelle niemals genutzt habe. Daraus ergebe sich aber, daß die Beklagten unter Anrechnung der Ersitzungszeit des Vorbesitzers seit 1901 durch fortwährende Bearbeitung und Nutzung das Eigentum an der Parzelle 488 ersessen hätten. Der Kläger könne sich nicht auf den im § 1500 ABGB. verankerten Vertrauensschutz berufen, und zwar schon deswegen nicht, weil er in seiner Parteienaussage seine Behauptung, daß er vor der Erwerbung der Liegenschaft des Wilhelm S. in das Grundbuch Einsicht genommen habe, nicht aufrechterhalten konnte, sondern lediglich angab, daß er mit dem Übergeber S. beim Bürgermeister gewesen sei, wobei die dem Übergeber gehörigen Grundparzellen nach den in der Gemeindekanzlei aufliegenden Daten aufgeschrieben und auch in die dort erliegende Mappe Einsicht genommen wurde. Nun könnten aber die in der Gemeindekanzlei über den Grundbesitz der Gemeindeangehörigen aufliegenden Daten und die dort erliegende Mappe keinesfalls dem Grundbuch gleichgehalten werden. Dem Kläger käme aber, abgesehen davon, der Vertrauensschutz des § 1500 ABGB. schon deswegen nicht zugute, weil es ihm doch an Hand der Grundbuchsmappe leicht möglich gewesen wäre, die Lage der Grundparzelle und damit die wirklichen Besitzverhältnisse festzustellen. Tatsächlich habe sich aber der Kläger durch mehr als zehn (richtig 20) Jahre, nämlich bis zur Vermessung im Jahre 1953, um die Grundparzelle überhaupt nicht gekümmert. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte er daher von der Eigentumsersitzung durch die Beklagten längst Kenntnis erlangt. Da er sich sohin nicht auf das Vertrauen ins Grundbuch berufen könnte, sei das Klagebegehren abzuweisen.

Der dagegen seitens des Klägers erhobenen Berufung wurde Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Stattgebung des Räumungsbegehrens abgeändert. Das Berufungsgericht führte hiezu in rechtlicher Hinsicht aus, selbst eine vollendete Ersitzungszeit der Beklagten durch Einrechnung der Ersitzungszeit ihres Rechtsvorgängers könne dem Kläger nach der Vorschrift des § 1500 ABGB. zu keinem Nachteil gereichen, sei also für ihn rechtlich bedeutungslos, sofern er die Liegenschaft im Vertrauen auf das öffentliche Buch an sich gebracht habe. Es sei dazu nicht erforderlich, daß er wirklich die Eintragung im Grundbuch gelesen habe. Was im Grundbuch eingetragen ist, gelte vielmehr als allgemein bekannt und wirke gegenüber jedem, der nicht den abweichenden Sachverhalt kennt oder kennen muß. Daß der Beklagte im Zeitpunkt des Erwerbes der Liegenschaft davon Kenntnis hatte, daß die Beklagten das Eigentum an der strittigen Parzelle ersessen haben, sei nicht festgestellt, und hätten die Beklagten die Unredlichkeit des Klägers zu erweisen (§ 328 ABGB.). Der Umstand, daß der Kläger irrtümlich ein anderes Grundstück für die Parzelle 488 gehalten und benützt habe, während er die Parzelle 488 zunächst durch etwa 20 Jahre nicht genutzt hätte, schließe seinen guten Glauben beim Erwerb nicht aus; es konnte ihm im Gegenteil gar nicht auffallen, daß das richtige, ihm gehörige Grundstück von den Beklagten genutzt wurde, da er ja ein anderes Grundstück für das seinige hielt. Diesem Irrtum sei es zuzuschreiben, daß er sich die Benützung seines Grundstückes durch die Beklagten durch 20 Jahre gefallen ließ. Diese Zeit reiche aber für die Beklagten nicht aus, um das Eigentum zu ersitzen, denn die Ersitzungszeit gegenüber dem früheren Eigentümer sei in die für die Beklagten laufende Ersitzungszeit nicht einzurechnen. Wenn nach § 1500 ABGB. nicht einmal eine vollendete Ersitzung gegenüber dem bücherlichen Nachfolger wirksam sei, so könne dies umso weniger bei einer erst begonnenen, aber noch nicht vollendeten Ersitzung der Fall sein. Die Regel, daß der Erwerber nicht im guten Glauben sei, wenn das Recht offenkundig ist, gelte für Dienstbarkeiten und ähnliche, eine Sache belastende Rechte, nicht aber für das Eigentumsrecht selbst. Die Beklagten könnten sich also weder auf eine vor dem Erwerb des Grundstückes durch den Kläger unter Einrechnung der Ersitzungszeit des Vormannes bereits vollendete noch auf eine erst gegen den Kläger vollendete Ersitzung des Eigentumsrechtes berufen. Der Herausgabeanspruch des Klägers sei daher berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung GlUNF. 305 ausgeführt hat, kann nicht jedes Vertrauen auf das öffentliche Buch den Anspruch auf den Schutz des § 1500 ABGB. herbeiführen. "Sind Umstände vorhanden, welche dieses Vertrauen als ein nicht gerechtfertigtes oder auch nur mit dem Mangel entsprechender Sorgfalt in eigener Sache zusammenhängendes darstellen, dann kann die Berufung auf den gutgläubigen Erwerb nicht genügen"; ähnlich GlUNF. 3607 und 7720 und OG. Brünn Slg. 10142. In Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof in einem dem vorliegenden Fall ganz analogen Falle die Klage der Erwerber eines Grundstückes auf Herausgabe von Parzellen, die im Grundbuch dem verkauften Grundbuchskörper zugeschrieben waren, aber seit Jahren von einem Dritten benützt wurden, der sich auf Verjährung berief, abgewiesen (GlUNF. 4274). Auch in diesem Fall haben die Erwerber erst anläßlich einer nachträglichen Vermessung davon Kenntnis erlangt, daß bestimmte Parzellen grundbücherlich ihnen gehörten, aber vom Beklagten benützt wurden; auch damals beriefen sich die Kläger darauf, daß sie das Gut im Vertrauen auf das öffentliche Buch erworben hätten und daher im Sinne des § 1500 ABGB. in ihrem bücherlich erworbenen Rechte zu erhalten seien. Das Berufungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Kläger könnten sich nicht mit Erfolg auf die Wohltat des § 1500 ABGB. berufen, da der Erstkläger selbst zugebe, daß er an Ort und Stelle bei den streitigen Grundstücken mit dem Grundbesitzbogen und der Gemeindemappe vor dem Kauf gewesen sei, aber doch übersehen habe, daß zwei ganze Parzellen, noch dazu Hutweiden, in diesem oder jenem Felde verschwunden waren. Wenn er also mit den Grenzen, welche er gesehen habe, sich zufrieden gestellt habe, ohne weiter nachzuforschen, wie es mit den Hutweiden stehe, so könne er sich jetzt auf seine unverschuldete Unkenntnis dessen, daß der wirkliche Stand und der rechtliche Stand nicht übereinstimmen, nicht stützen, vielmehr falle ihm zur Last, daß er in dieser Hinsicht nicht die nötige Achtsamkeit, welche namentlich die besondere Gestaltung der Grenze an dieser Stelle erfordert, aufgewendet habe. Es hätten sich daher die Kläger selbst der Möglichkeit benommen, zur Zeit des Erwerbes der streitigen Grundflächen den wahren Sachverhalt zu erkennen;, das Vertrauen auf die öffentlichen Bücher könne sie deswegen nicht schützen; weil sie selbst daran schuld seien, wenn sie in diesem Vertrauen getäuscht worden seien. Der Oberste Gerichtshof bestätigte unter Hinweis auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichtes und namentlich aus der Erwägung, daß die Kläger sich nicht auf das Vertrauen auf das öffentliche Buch berufen könnten, weil diese die nötige Vorsicht, sich vor dem Kauf der Wirtschaft von dem wirklichen Sachverhalt zu überzeugen, nicht beobachtet hätten; ähnlich auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes GlUNF. 3624.

Ein weiterer gleichartiger Fall wurde auch vom Brünner Obersten Gericht in dem gleichen Sinne entschieden (OG. Brünn Slg. 6425). Auch hier handelte es sich um eine im Grundbuch dem Veräußerer und nunmehr dem Erwerber zugeschriebene Parzelle, die aber tatsächlich seit mehr als 30 Jahren vom Beklagten benützt wurde. Es genüge nicht, führte das tschechoslowakische Oberste Gericht aus, daß der Kläger vom außerbücherlichen Erwerb des Eigentums an der strittigen Parzelle durch den Beklagten keine Kenntnis hatte, weil ihm der Schutz des guten Glaubens auf das Grundbuch nur dann zugute komme, wenn er nicht nur nicht wußte, daß der Grundbuchsstand mit dem tatsächlichen Stand nicht übereinstimmt, sondern das auch nicht wissen mußte. Der Schutz stehe ihm aber nicht zu, wenn er bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen mußte, daß sich der Grundbuchsstand mit dem tatsächlichen Stand nicht deckt. Dabei sei dasjenige Ausmaß der Sorgfalt erforderlich, das die besonderen Umstände des Falles erfordern. Man könne freilich nicht in jedem Falle verlangen, daß der bücherliche Erwerber umfangreiche Erhebungen und Untersuchungen vornimmt, um festzustellen, ob ein erworbenes bücherliches Recht nicht etwa in der Zwischenzeit untergegangen oder beschränkt worden ist. Wohl aber sei diese Sorgfalt erforderlich, wenn die Umstände des konkreten Falles dazu Anlaß geben (sodann wird ausgeführt, warum sie damals tatsächlich vorlagen). Diese festgestellten Umstände hätten den Kläger veranlassen müssen, die tatsächlichen Verhältnisse rücksichtlich der strittigen Parzelle zu untersuchen und sich vor dem Kauf näher zu informieren. Es liege daher die erforderliche Sorgfalt nicht vor, weil der Kläger weder mit dem bisherigen Eigentümer noch mit einem anderen darüber gesprochen noch selbst den Rain angesehen habe.

Wenn er sich sorgfältig verhalten hätte, so hätte er den richtigen Stand erfahren müssen.

Ähnlich liegen die Verhältnisse im klagsgegenständlichen Falle. Als der Kläger die Wirtschaft erwarb, erfuhr er durch die Übergeber, daß zu der Wirtschaft noch eine Gartenparzelle gehöre; er wußte aber nicht, wo sie gelegen ist, obwohl er ortsansässig war. Er hätte daher entweder die Veräußerer, den Bürgermeister, der ihm die Parzellennummer mitteilte, oder einen Nachbarn fragen müssen, wo denn diese Parzelle gelegen sei, und durfte sich nicht mit dem Versprechen des Veräußerers begnügen, er werde ihn schon einmal hinführen. Wenn er das nicht getan hat, so hat er fahrlässig gehandelt und muß es sich selbst zur Schuld anrechnen lassen, daß er nicht in Erfahrung gebracht hat, daß die fragliche Parzelle tatsächlich von den Beklagten benützt werde. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte er daher bereits vor Vertragsabschluß den Widerspruch zwischen grundbücherlichem und tatsächlichem Stand feststellen können. Da auch die Beklagten nach den Feststellungen des Erstgerichtes schon über 30 Jahre im Besitz der Parzelle waren, so hätte der Kläger bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit niemals das Eigentum an der Parzelle durch die grundbücherliche Eintragung erwerben können.

Es ist gewiß richtig, daß sich jedermann in der Regel auf die grundbücherlichen Eintragungen verlassen kann; wenn aber die Auskunft aus dem Grundbuch (der bei der Gemeinde geführten Mappe) so unklar ist, daß der Erwerber keine Klarheit über die Lage einzelner Parzellen gewinnen kann, so darf er sich mit der Unklarheit nicht begnügen und eine beliebige Parzelle in Besitz nehmen, sondern er muß versuchen, auf geeignete Weise Klarheit zu gewinnen. Andernfalls käme man zu dem der Judikatur des Obersten Gerichtshofes widersprechenden Ergebnis, daß derjenige, der sich mit der Unklarheit abfindet und auf die gesetzlichen Bestimmungen über den gutgläubigen Erwerb vertraut, besser fährt als derjenige, der Aufklärungen zu gewinnen sucht.

Der Kläger kann daher nicht als gutgläubiger Erwerber der strittigen Parzelle angesehen werden. Es mußte daher, wenn auch aus anderen Erwägungen, das erstrichterliche Urteil wiederhergestellt werden.

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