Spruch:
Kraft der Normwirkung sind kollektivvertraglich festgelegte Kündigungsfristen "gesetzliche" im Sinne § 25 Abs. 1 KO
OGH 9. November 1976, 4 Ob 106/76 (LG Linz 12 Cg 7/76; ArbG Linz 1 Cr 314/75)
Text
Der Kläger war bei der Firma K, Installationsunternehmen in Linz, vom 4. September 1961 bis 30. Mai 1975 als Vorarbeiter mit einem Stundenlohn von zuletzt 53.16 S zuzüglich einer 10%igen Zulage beschäftigt gewesen. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe anzuwenden, welcher die Kündigungsfristen je nach der Beschäftigungsdauer staffelt; im konkreten Fall betrug die Kündigungsfrist sechs Wochen. Das Dienstverhältnis des Klägers wurde von der Dienstgeberin am 16. Mai 1975 zum 28. Juni 1975 gekundigt. Über das Vermögen der Firma K wurde im Dezember 1974 das Ausgleichsverfahren und sodann mit Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 26. Mai 1975, S 24/75, der Anschlußkonkurs eröffnet. Der zum Masseverwalter bestellte Beklagte erhielt den Auftrag, alle Dienstverhältnisse zum nächstmöglichen Termin aufzulösen. Der Kläger hat am 4. Juni 1975 durch Überreichung eines mit 30. Mai 1975 datierten Schreibens seinen Austritt gemäß § 25 KO erklärt.
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten die Zahlung folgender (Brutto-)Beträge:
1. Kündigungsentschädigung für die Zeit vom 2. Juni bis 28. Juni
1975 ..................................... 9 355.20 S 2.
Urlaubsabfindung 1973/74 .............................. 3 827.52 S
3. Urlaubsabfindung 1974/75 .............................. 8 505.60
S 4. aliquoter Urlaubszuschuß 26/52 ........................ 5
063.50 S 5. aliouote Weihnachtsremuneration 26/52..................
5 063.50 S zusammen... 31 815.32 S samt Anhang
Der Beklagte hat die Berechnung dieser Beträge als rechnerisch richtig anerkannt, dennoch aber die Abweisung des Klagebegehrens beantragt: Da die gesetzliche Kündigungsfrist bei Arbeitern 14 Tage betrage, könne der Kläger eine Kündigungsentschädigung nur in diesem Ausmaß als Masseforderung verlangen. Der Anspruch auf Urlaubsabfindung sei deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Kläger dann, wenn das Konkursverfahren nicht eröffnet worden wäre, seinen Urlaub während der Kündigungsfrist hätte verbrauchen können. Der Dienstnehmer könne durch die Konkurseröffnung nicht besser gestellt werden als bei einer Liquidation des Unternehmens ohne Konkurs.
Außer Streit steht, daß sich die Ansprüche des Klägers bei Annahme einer nur 14tägigen Kündigungsfrist wie folgt errechnen würden:
1. Kündigungsentschädigung ............................... 4 677.60
S 2. Urlaubsabfindung 1973/74 .............................. 3
827.52 S 3. Urlaubsabfindung 1974/75 ..............................
8 109.80 S 4. aliquoter Urlaubszuschuß
.............................. 4 674.00 S 5. aliquoter
Weihnachtsremuneration ...................... 4 674.00 S
zusammen... 25 962.92 S brutto.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren ohne weitere Beweisaufnahme statt. Das ursprünglich auf unbestimmte Zeit eingegangene
Dienstverhältnis des Klägers sei durch die Aufkündigung der Dienstgeberin in ein Dienstverhältnis auf bestimmte Zeit umgewandelt worden, welches dann, wenn der Kläger nicht ausgetreten wäre, bis zum 28. Juni 1975 gedauert hätte; bis zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger somit Anspruch auf Kündigungsentschädigung und sonstige Zahlungen. § 25 KO, wonach der Masseverwalter das Dienstverhältnis "unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist" aufkundigen könne, vermöge an diesem Ergebnis nichts zu ändern: Da die sechswöchige Kündigungsfrist zwingender Bestandteil des vorliegenden Dienstvertrages sei und ihre Einhaltung durch das Kollektivvertragsgesetz geboten werde, könne der Kläger auch nach der Konkurseröffnung nur unter Einhaltung dieser längeren First gekundigt werden; in den Begriff der "gesetzlichen" Kündigungsfrist seien daher zwangsläufig auch die kollektivvertraglichen Bestimmungen miteinzubeziehen.
Grundlage für den Anspruch auf Urlaubsabfindung seien bei einem Arbeiterdienstverhältnis die Bestimmungen der §§ 8, 9 ArbUrlG. Da der Kläger von der ihm durch § 25 KO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und das Dienstverhältnis aus einem wichtigen Grund gelöst habe, könne er vom Beklagten - unabhängig von seinem Anspruch auf Kündigungsentschädigung auch die Zahlung einer Urlaubsabfindung verlangen.
Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG von neuem durch und kam dabei zu folgender rechtlicher Beurteilung des außer Streit stehenden Sachverhalts: Was unter der "gesetzlichen" Kündigungsfrist im Sinne des § 25 Abs. 1 KO zu verstehen ist, brauche hier nicht erörtert zu werden, weil das Dienstverhältnis des Klägers schon durch die Kündigung der Gemeinschuldnerin in ein Dienstverhältnis auf bestimmte Zeit umgewandelt worden sei; eine Kündigung durch den Masseverwalter unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist sei im vorliegenden Fall gar nicht ausgesprochen worden. Da der Kläger gemäß § 25 Abs. 1 KO zum vorzeitigen Austritt berechtigt gewesen sei, gebühre ihm gemäß § 1162b ABGB das vertragsmäßige Entgelt bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit, hier also bis zum 28. Juni 1975. Für diesen Zeitraum erweise sich somit der ziffernmäßig nicht bekämpfte - Anspruch des Klägers auf Kündigungsentschädigung, anteiligen Urlaubszuschuß und anteilige Weihnachtsremuneration als gerechtfertigt. Das gleiche gelte für das Verlangen des Klägers nach Zahlung einer Urlaubsabfindung: Da er nicht ohne wichtigen Grund ausgetreten sei, habe er diesen Anspruch nicht verloren. Der von einem Teil der Rechtsprechung zum Angestelltengesetz vertretene Grundsatz, daß die Urlaubsentschädigung auf die Kündigungsentschädigung anzurechnen sei, könne auf die Urlaubsabfindung nach dem Arbeiterurlaubsgesetz nicht übertragen werden; weder die Urlaubsabfindung für 1974/75 noch die Urlaubsentschädigung für 1973/74 seien demnach auf die Kündigungsentschädigung anzurechnen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Recht wendet sich der Masseverwalter allerdings gegen die
Auffassung des Berufungsgerichtes, daß dem Kläger die
Kündigungsentschädigung einschließlich der anteiligen
Sonderzahlungen schon deshalb bis zum 28. Juni 1975 zustehe, weil
das Dienstverhältnis durch die Kündigung der Gemeinschuldnerin erst
mit diesem Zeitpunkt beendet worden wäre: Es trifft zwar zu, daß
durch diese Kündigung das bis dahin auf unbestimmte Zeit
eingegangene Dienstverhältnis vorerst in ein Dienstverhältnis auf
bestimmte Dauer bis zum Ende der Kündigungsfrist umgewandelt worden
war (Arb 7082; EvBl. 1974/185 mit weiteren Hinweisen; ebenso
Martinek - Schwarz, AngG[3], 330 § 20 Anm. 1); auch die - vom
Beklagten im übrigen gar nicht bestrittene - Auffassung des
angefochtenen Urteils, daß der Kläger auf Grund seines durch einen
wichtigen Grund im Sinne des § 25 Abs. 1 KO gerechtfertigten
vorzeitigen Austrittes Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 1162b ABGB
hat, ist richtig (vgl. dazu Kocevar, Die Stellung des Dienstnehmers
im Konkurs seines Dienstgebers, RdA 1960, 72 (75 f.; Wachter, Der
Einfluß des Konkurses auf den Bestand des Arbeitsvertrages, ZAS
1972, 83 (89 bei und in FN 59)). Das Berufungsgericht hat jedoch
übersehen, daß der Dienstnehmer nach der zuletzt erwähnten
Bestimmung seine vertragsgemäßen Ansprüche auf das Entgelt für den
Zeitraum behält, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses
"durch Ablauf der Vertragszeit oder durch ordnungsmäßige Kündigung"
hätte verstreichen müssen. Die Möglichkeit einer solchen
"ordnungsmäßigen Kündigung" war aber im konkreten Fall gegeben, weil
dem Masseverwalter nach der Konkurseröffnung vom 26. Mai 1975 gemäß
§ 25 Abs. 1 KO das Recht zustand, das - an sich bereits im
Auflösungsstadium befindliche und mit 28. Juni 1975 befristete -
Dienstverhältnis des Klägers innerhalb eines Monates "unter
Einhaltung der gesetzlichen oder der vereinbarten kürzeren
Kündigungsfrist" aufzulösen. Konnte nun das Dienstverhältnis im
Zeitpunkt der Austrittserklärung des Klägers durch Kündigung des
Masseverwalters noch zu einem vor dem 28. Juni 1975 liegenden
Zeitpunkt beendet werden - was bei Zugrundelegung der 14-tägigen
Kündigungsfrist des § 77 Satz 1 GewO 1859 zuträfe dann wäre der dem
Kläger gemäß § 1162b ABGB zustehende Anspruch auf
Kündigungsentschädigung mit diesem (fiktiven) Kündigungstermin
begrenzt; war der Masseverwalter hingegen, wie der Kläger behauptet,
an die im Kollektivvertrag vorgesehene sechswöchige Kündigungsfrist
gebunden und daher nicht in der Lage, das Dienstverhältnis noch vor
dem 28. Juni 1975 aufzulösen, dann bestimmt dieser vertragliche
Endzeitpunkt das Ausmaß der Schadenersatzansprüche des Klägers.
Entgegen der Meinung des angefochtenen Urteils kommt es also sehr
wohl darauf an, was unter der "gesetzlichen" Kündigungsfrist im Sinne des § 25 Abs. 1 KO zu verstehen ist.
Diesbezüglich kann der OGH jedoch der Auffassung des Beklagten, die
kollektivvertragliche Frist sei eine "vertragliche Frist, an die der Masseverwalter nicht gebunden ist", aus nachstehenden Erwägungen nicht folgen: Gemäß § 11 Abs. 1 ArbVG sind die Bestimmungen des Kollektivvertrages, soweit sie nicht die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien regeln, innerhalb seines fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereichs "unmittelbar anwendbar". Der sogenannte "normative Teil" des Kollektivvertrages, zu welchem gemäß § 2 Abs. 2 Z. 2 ArbVG insbesondere auch die Bestimmungen über die "gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer" gehören, hat daher die Wirkungen eines Gesetzes im materiellen Sinn; die betreffenden Bestimmungen wirken als objektives Recht gestaltend - und zugunsten des Arbeitnehmers einseitig zwingend (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ArbVG) - auf den Inhalt des Einzelarbeitsverhältnisses ein (Strasser in Floretta - Strasser, Kommentar zum ArbVG, 92 § 11 Anm. 1.3. 1, 1.3.2). Grundlage einer im Kollektivvertrag festgelegten Kündigungsfrist ist also nicht eine Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer, sondern der - hinsichtlich der ihm unterworfenen (§ 8 ArbVG) Einzelarbeitsverhältnisse gemäß § 11 Abs. 1 ArbVG mit Normwirkungausgestattete - Kollektivvertrag selbst. Hält man sich nun vor Augen, daß der Zweck des § 25 Abs. 1 KO offenbar darin besteht, den Masseverwalter bei Ausübung seines Kündigungsrechtes von der Einhaltung solcher Kündigungsfristen zu befreien, deren individuell vereinbarte Dauer das jeweils durch generelle Normen bestimmte Ausmaß übersteigt, dann kann es nach Ansicht des OGH nicht zweifelhaft sein, daß zu den "gesetzlichen" Kündigungsfristen im Sinne des § 25 Abs. 1 KO auch die in Kollektivverträgen festgelegten Kündigungsfristen gehören (so auch Kropf, Zur Notwendigkeit der Sicherung von Arbeitnehmeransprüchen bei Insolvenz des Arbeitgebers, RdA 1975, 252 (256). Daraus folgt aber, daß beide Untergerichte der Berechnung der Kündigungsentschädigung des Klägers einschließlich der aliquoten Sonderzahlungen im Ergebnis mit Recht den Zeitraum bis zum 28. Juni 1975 zugrunde gelegt haben.
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