Spruch:
Wie alle im Personen- und Familienrecht begrundeten Ansprüche ist auch der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau, soweit er sich auf die Zukunft bezieht, gemäß § 1481 ABGB unverjährbar
OGH 2. November 1976, 5 Ob 695/76 (KG Wels R 282/76; BG Wels 3 C 613/75)
Text
Die Streitteile haben am 25. November 1939 vor dem Standesamt Linz geheiratet. Die Ehe ist auf Grund des Urteiles des Landesgerichtes Linz vom 14. Juli 1941, 1 Cg 413/40-33, seit 19. Dezember 1941 geschieden; den Mann trifft an der Scheidung das überwiegende Verschulden. Ungeachtet der Scheidung haben die Streitteile bis April 1945 die gemeinsame Lebensführung aufrecht erhalten. Die Frau zog damals zu ihren Eltern und verdingte sich bei ihnen als landwirtschaftliche Mitarbeiterin bis 1955 gegen Kost und Quartier. Anschließend arbeitete sie anderwärts als Landarbeiterin, lebte dann bei ihrem Sohn und war von 1966 bis 1971 in einem Restaurant und danach bis 1974 in einem Hotel beschäftigt. Seit 1975 bezieht die klagende Frau eine monatliche Pension von 1666.70 S netto (einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen 1944 S). Sie wohnt nun bei ihrem Sohn in einer Mansarde, zahlt aber keinen Mietzins. Der beklagte Mann hat wieder geheiratet und für seine zweite Ehefrau und einen zehnjährigen Sohn aus dieser Ehe zu sorgen. Er ist Pensionist der Österreichischen Bundesbahnen und bezieht monatlich 9506.90 S (einschließlich der Familienbeihilfe) an Pension. Der beklagte Mann besitzt gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau ein Eigenheim mit einer Wohnnutzfläche von 70 m2. Er hat keine Schulden. Er und seine zweite Ehefrau sind etwas kränklich und müssen jährlich zur Kur gehen; die Krankenkasse zahlt jedoch die Kuren nicht jedes Jahr, so daß sie gelegentlich die Kosten hiefür in der Höhe von 6000 S bis 7000 S selbst zu tragen haben. Mit der am 20. Juni 1975 überreichten Klage begehrt die Frau, den beklagten Mann vom Tage der Klageerhebung an zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 2200 S zu verurteilen. Sie behauptet, bisher von dem beklagten Mann keinen unterhalt bekommen zu haben, weil er ihr strenge verboten habe, ein derartiges Begehren zu stellen.
Der beklagte Mann hat die Abweisung des Klagebegehrens beantragt und im wesentlichen eingewendet, daß der Unterhaltsanspruch der klagenden Frau infolge der Nichtgeltendmachung durch fast 35 Jahre "verlorengegangen" und verjährt sei und daß er im Falle des Bestehens einer Unterhaltspflicht wesentliche Auslagen habe, die zu berücksichtigen seien: er und seine zweite Ehefrau seien kränklich, und der zehnjährige Sohn verursache altersbedingte, besondere Auslagen.
Das Erstgericht erkannte den beklagten Mann schuldig, der klagenden Frau ab 2. Juli 1975 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 1700 S zu zahlen, und wies das Klagemehrbegehren ab. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, daß Unterhaltsansprüche unverjährbar seien und daß die Frau zur Deckung ihrer Unterhaltskosten neben dem Pensionseinkommen eines monatlichen Betrages von 1700 S bedürfe, der der Leistungsfähigkeit des beklagten Mannes angemessen sei.
Die Entscheidung des Erstgerichtes blieb in ihrem Ausspruch hinsichtlich des abgewiesenen Klagemehrbegehrens unangefochten.
Die Berufung des beklagten Mannes gegen den Ausspruch, mit dem dem Klagebegehren teilweise stattgegeben wurde, hatte teilweise Erfolg:
das Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß es den beklagten Mann zur Zahlung von monatlich 1400 S ab 2. Juli 1975 verurteilte und das restliche Mehrbegehren abwies.
Das Berufungsgericht stimmte dem Erstgericht in der Ansicht bei, da der Anspruch auf den notwendigen Unterhalt nach § 66 Abs. 1 EheG unverjährbar sei, denn § 1481 ABGB gelte für alle familienrechtlichen Unterhaltsansprüche, und um einen solchen handle es sich hier. Im übrigen sei die klagende Frau bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres berufstätig gewesen, und ihr Unterhaltsanspruch sei erst mit ihrer Pensionierung entstanden. Die Zeit vorher könne deshalb nicht in die Verjährungszeit eingerechnet werden.
Ein monatlicher Unterhaltsbetrag von 1400 S erscheine den Lebensverhältnissen der Streitteile angemessen und entspreche auch der Leistungsfähigkeit des beklagten Mannes, da er einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen monatlich eine durchschnittliche Pension von rund 10 200 S beziehe und sonst nur für seine zweite Ehefrau und seinen zehnjährigen Sohn aus dieser Ehe zu sorgen habe. Es stehe ihm nach Abzug des an die klagende Frau zu leistenden Betrages von 1400 S noch monatlich ein Betrag von rund 8800 S für sich und seine Familie zur Verfügung. Die klagende Frau habe nur eine monatliche Pension von durchschnittlich rund 2000 S zur Verfügung und werde auf Grund der Unterhaltsleistung des beklagten Mannes dann monatlich rund 3400 S Einkommen haben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Rechtsmittelwerber wendet sich auch im Revisionsverfahren gegen den Fortbestand seiner gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung dem Gründe nach mit der Rechtsansicht, dieser Anspruch sei verjährt; er hatte im Verfahren erster Instanz sowohl Verwirkung als auch Verjährung des Anspruches geltend gemacht.
Es besteht kein Zweifel, daß deshalb die Revision im Sinne der seit dem Judikat 60 neu (SZ 27/177) Punkt 1 Satz 2 ständig geübten Rechtsprechung des OGH zulässig ist, soweit sie den Grund des Unterhaltsanspruches betrifft. Insoweit handelt es sich nicht um eine Bemessungsfrage, wie sie § 502 Abs. 2 ZPO im Auge hat.
Mit Recht haben die Unterinstanzen verneint, daß der geltend gemachte gesetzliche Unterhaltsanspruch der geschiedenen klagenden Frau verjährt sei.
Es entspricht dem Wesen der Ehe als eines Dauerrechtsverhältnisses, daß mit ihrer Auflösung nicht alle familienrechtlichen Bindungen und die daraus erfließenden Ansprüche zu einem Ende kommen. Zu den charakteristischen Nachwirkungen gehört unter anderem der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehegatten gegeneinander, dessen Voraussetzungen und Inhalt im Ehegesetz abweichend von dem während des Bestehens der Ehe nach den Vorschriften des ABGB zu leistenden Unterhalt geregelt sind. Dieser Unterhaltsanspruch ist ein familienrechtlicher Anspruch, der schon auf Grund des Ehegelöbnisses und der darauf gegrundeten ehelichen Gemeinschaft erworben wird und im Falle der Scheidung der Ehe bei Vorliegen der im Ehegesetz geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen mit dem dort vorgesehenen Umfang entstand. (Soergel - Siebert, BGB[10]V, 1011; Dölle, Familienrecht I, 597). Die Möglichkeit, daß die Ehe zur Scheidung und damit unter den im Ehegesetz weiter normierten Voraussetzungen zu einem Unterhaltsanspruch eines der geschiedenen Ehegatten gegen den anderen führt, ist schon mit der Eheschließung gegeben (Soergel - Siebert, 1011). Es besteht kein Zweifel, daß dieser Unterhaltsanspruch ebenso wie der während des Bestehens der Ehe in dem Ehegelöbnis und der darauf begrundeten ehelichen Gemeinschaft wurzelt und also eine typische Nachwirkung der Ehe ist (Soergel - Siebert, 1011; Dölle, 597; BGB-RGRK[10],[11] IV/3, 688; Palandt, BGB[35], 1394). Er ist deshalb wie alle im Personen- und Familienrecht begrundeten Ansprüche nach der positiven Anordnung des Gesetzes (§ 1481 ABGB) unverjährbar (Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts[3] I, 138; Klang in Klang[2] VI, 615 und die dort unter FN 6 angeführte Literatur), soweit er sich auf die Zukunft bezieht (so auch EvBl. 1964/383).
Da die klagende Frau nur Unterhalt ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Geltendmachung begehrt, ist die Verjährungseinrede des beklagten Mannes nicht berechtigt.
Im Verfahren erster Instanz hat der beklagte Mann unter Hinweis auf die lange Zeit, während deren die klagende Frau keinen Unterhalt von ihm begehrte, auch Verwirkung des Unterhaltsanspruches geltend gemacht.
Der Verlust eines Anspruches durch "Verwirkung" dergestalt, daß der Berechtigte durch Untätigkeit beim Verpflichteten die Erwartung hervorruft, er werde sein Recht nicht mehr ausüben, so daß nach den Umständen des Falles die spätere Geltendmachung des Rechtes Treu und Glauben widerspräche (Koziol - Welser, 137), ist dem österreichischen Recht fremd (MietSlg. 16 073; EvBl. 1961/484; ÖBl. 1965, 121 u. v. a.). Rechtsverlust ist jedoch durch Verzicht (Entsagung) im Sinne des § 1444 ABGB möglich. In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt worden, daß ein solcher Verzicht nicht nur ausdrücklich, sondern gemäß § 863 ABGB auch stillschweigend erfolgen kann (ZfRV 1968, 295 u. a.;, Koziol - Welser, 137; Klang in Klang[2]VI, 530; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichteten Rechtsgeschäftes, 184; Kramer, JBl. 1962, 540). Ob ein stillschweigender Verzicht vorliegt, ist mit besonderer Vorsicht zu beurteilen und nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände auf einen ernstlichen Verzichtwillen hinweisen (EvBl. 1976/20; EvBl. 1973/266 u. v. a.). Die Unterlassung der Geltendmachung eines Rechtes durch längere Zeit macht für sich allein keinesfalls die Rechtsausübung unzulässig (EvBl. 1976/20 u. v. a.). Der Nichtgebrauch des Rechtes ist vielmehr nur dann als Verzicht auf das Recht anzusehen, wenn nach Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund, am Verzicht zu zweifeln, besteht (7 Ob 178/74; 7 Ob 14/74; 1 Ob 19/73 u. v. a.).
Der beklagte Mann hat in erster Instanz keine Behauptungen aufgestellt, aus denen Folgerungen auf einen stillschweigenden und unzweifelhaft schlüssigen Verzicht der klagenden Frau auf ihren gesetzlichen Unterhaltsanspruch nach § 66 Abs. 1 EheG zulässig wären. Der OGH ist deshalb der Ansicht, daß schon aus diesem Gründe die, allgemeinen Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsverzichtes nicht vorliegen, so daß auf die besonderen Voraussetzungen, unter denen auf gesetzlichen Unterhalt verzichtet werden kann, erst gar nicht eingegangen werden muß.
Im übrigen haben die Unterinstanzen die gesetzliche Pflicht des beklagten Mannes, der klagenden Frau nach § 66 Abs. 1 EheG Unterhalt zu leisten, in Anbetracht des Umstandes, daß den beklagten Mann an der Ehescheidung das überwiegende Verschulden trifft, grundsätzlich richtig gelöst. Die vom Revisionswerber bemängelte Nichtanwendung der Vorschrift des § 71 Abs. 1 EheG über die vortretende Haftung des Sohnes der klagenden Frau verstößt gegen das Neuerungsverbot, weil die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift von ihm in erster Instanz nicht vorgebracht wurden. Das darauf bezogene Vorbringen in der Revisionsschrift kann deshalb keine Berücksichtigung finden.
Aus all diesen Erwägungen ist der Revision der Erfolg zu versagen
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