OGH 3Ob511/76

OGH3Ob511/7627.4.1976

SZ 49/56

Normen

ABGB §870
ABGB §871
ABGB §1053
ABGB §870
ABGB §871
ABGB §1053

 

Spruch:

Die Regeln über Gewährleistung einerseits und über Irreführung bzw. Irrtum andererseits bestehen nebeneinander

Die Gewährleistungsvorschriften sind primär an der Stückschuld orientiert, Gattungsschulden sind davon aber nicht ausgenommen

Die Rechtsfolgen arglistigen Verhaltens sind primär an Verträgen über einen bestimmten Gegenstand orientiert, doch können die Bestimmungen der §§ 870, 872 ABGB auch bei Arglist des Verkäufers bei der "Konzentration" - einem Essentiale jedes Gattungskaufes herangezogen werden

OGH 27. April 1976, 3 Ob 511/76 (HG Wien 1 R 158/75; BGH Wien 2 C 264/75)

Text

Der Kläger begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Betrages von schließlich (nach Klagseinschränkung S. 51) 9 000 S samt Anhang mit der Begründung, er habe mit dem Beklagten am 21. Oktober 1972 einen Kaufvertrag hinsichtlich eines PKW der Marke Mazda Modell 616/DX zum Preis von 73 100 S abgeschlossen, beide Parteien seien sich darüber einig gewesen, daß der Beklagte ein fabriksneues Fahrzeug zu liefern habe. Der Beklagte habe dem Kläger am 24. Oktober 1972 einen PKW der angeführten Type übergeben und ihn dabei bewußt darüber in Irrtum geführt, - ihn "getäuscht" bzw. ihm ,verschwiegen-" -, daß der übergebene PKW einen mittelschweren Vorschaden erlitten gehabt habe, den der Beklagte selbst habe beheben lassen. Der gelieferte PKW sei gegenüber einem fabriksneuen Fahrzeug erheblich weniger wert, der Beklagte sei dem Kläger zum Ersatz dieser schließlich mit 9 000 S bezifferten Wertdifferenz aus dem Titel des Schadenersatzes verpflichtet.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Er ließ unbestritten, daß der dem Kläger auf Grund des Kaufvertrages vom 21. Oktober 1972 übergebene PKW einen "leichten" Schaden erlitten hatte und brachte selbst vor, daß er für dessen Behebung den Betrag von 4 108 S aufgewendet habe, vertrat jedoch die Auffassung, daß der Kläger auf Grund der dem Vertrag zugrundegelegten Verkaufsbedingungen mangels sofortiger Prüfung sämtliche Ansprüche aus allfälligen Mängeln "verwirkt" habe.

Der Kläger erwiderte darauf, soweit die Verkaufsbedingungen eine Anspruchsausschluß auf Grund arglistiger Vorgangsweise vorsehen, seien sie sittenwidrig.

Außer Streit wurde gestellt, daß der Kläger nach den Verkaufsbedingungen nicht verpflichtet war, zur Überprüfung des Fahrzeuges einen Sachverständige beizuziehen, sowie daß er den gegenständlichen Vorschaden ohne Beiziehung eines Sachverständigen nicht erkennen konnte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes lagen der am 21. Oktober 1972 abgeschlossenen Kaufvertrag die auf dessen Rückseite abgedruckten Bedingungen zugrunde, deren Punkte II 7 und III 2 lauten:

"Der Kläger hat hinsichtlich des übernommenen Kaufgeschäftes ein sofortige Prüfungspflicht. Er kann keine wie immer gearteten Mängel nachträglich geltend machen, es sei denn, sie werden im Rahmen der Gewährleistungsbestimmungen anerkannt.

Verzichtet der Käufer auf die Prüfung ausdrücklich oder stillschweigend, gilt der Kaufgegenstand beim Verlassen des Mazda-Händlers als ordnungsgemäß geliefert und abgenommen.

Der Kläger wurde auf diese Bedingungen nicht ausdrücklich hingewiesen.

Das auf Grund des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages dem Kläger übergebene Fahrzeug hatte bereits im August 1972 in den Zollfreizone in W einen Schaden erlitten; der Beklagte ließ diesen bei der Firma H reparieren, welche ihm dafür am 19. September 1972 einen Betrag von 4 108 S in Rechnung stellte. Das am 24. Oktober 1972 erstmalig auf den Namen des Klägers zum Verkehr zugelassen Fahrzeug ist deshalb gegenüber einem fabriksneuen Fahrzeug und 9000 S weniger wert.

Dem Kläger wurde beim Verkaufsabschluß (bzw. der Übergabe) nicht bekanntgegeben, daß der PKW einen Vorschaden erlitten habe, er war daher der Meinung, ein fabriksneues unbeschädigtes Fahrzeug zu erhalten. Als er kurze Zeit nach der Übernahme durch eine Werkstatt auf die Tatsache der Überlackierung des PKWs hingewiesen wurde und die dem Beklagten vorhielt, behauptete der Beklagte (wahrheitswidrig Ü) ihm sei von einem Schaden nichts bekannt.

Bei diesem Sachverhalt führte das Erstgericht aus, der Kläger könne sein Begehren zwar nicht auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes stützen, auch ein auf Gewährleistungsbestimmungen beruhenden Preisminderungsanspruch sei wegen Ablaufes der sechsmonatigen Ausschlußfrist des § 933 ABGB zu verneinen, das Klagebegehren sei jedoch wegen arglistigen Verschweigens eines dem Beklagten bekannten, weil über seine Veranlassung behobenen Mangels gemäß §§ 870, 872 ABGB gerechtfertigt, der Ausschluß eines derartigen Anspruches durch Vertragsbedingungen sei sittenwidrig.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab.

Es bezeichnete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfreiverneinte das Vorliegen der behaupteten Berufungsgrunde unrichtige Tatsachenfeststellungen sowie unrichtiger Beweiswürdigung und billigte mit einer Ausnahme auch die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Erstgericht. Vom Erstgericht abweichend vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, daß lediglich eine Irreführung bei Vertragsabschluß die Anwendung des § 870 ABGB - mit der Wahlmöglichkeit des Beschädigten, auch angemessene Vergütung im Sinn des § 872 ABGB zu begehren - zulasse, beim hier anzunehmenden Gattungskauf jedoch im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein Irrtum nicht vorstellbar sei, Arglist bei Übergabe jedoch lediglich Gewährleistungsansprüche auslösen könne, die hier wegen Ablaufes der Gewährleistungsfrist präkludiert seien.

Der Oberste Gerichtshof stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach Lehre und Rechtsprechung bestehen die Regeln über Gewährleistung einerseits und über Irreführung bzw. Irrtum andererseits nebeneinander (ebenso Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 516; Bydlinski ebendort IV/2, 155 und die bei Anmerkung 181 zitierte Literatur und Judikatur, seither SZ 41/33 u. a.). Schon deshalb wäre es ungereimt, bei Geltendmachung arglistigen Verhaltens des Vertrags- Partners bloß Gewährleistungsansprüche, nicht aber Ansprüche gemäß § 870 ABGB zuzulassen, wie es das Berufungsgericht im Ergebnis getan hat.

Wenn dieses unter Berufung auf Bydlinski (156) darauf hinweist, daß bei einer Gattungsschuld schon rein logisch ein Irrtum nicht vorstellbar sei, so könnte diesen Ausführungen bereits entgegengehalten werden, daß ein arglistiges Verhalten des Vertragspartners auch bei einer Gattungsschuld bereits bei Vertragsabschluß in Betracht kommen kann, etwa falls hier der Beklagte bereits in diesem Zeitpunkt die nicht gehabt haben sollte, den bereits bei ihm befindlichen, reparierten PKW dem Kläger als fabriksneues Modell zu liefern. Vor allem erwähnte Bydlinski (156) die angeführte im Regelfall zutreffende Aussage im Zusammenhang mit der Auffassung Piskos, welcher, darauf aufbauend, die Anwendbarkeit der Gewährleistungsvorschriften bei Gattungsschulden verneint und bei solchen nur die Bestimmungen über die Nichterfüllung gelten lassen will. Bydlinski führt jedoch anschließend aus, daß Lehre und Rechtsprechung die Gewährleistungsvorschriften auch bei Gattungsschulden anwenden und dessen Ergebnis unter anderem auch aus der Erwägung zu folgen sei, daß die Gewährleistungsvorschriften wohl primär an der Stückschuld orientiert, aber Gattungsschulden keineswegs davon ausgenommen seien (157). Dasselbe Argument muß nach Auffassung des erkennenden Senats für die Bestimmung des § 870 ABGB gelten (wobei im vorliegenden Fall nicht zu untersuchen ist, ob es auch im Fall des § 871 ABGB tragfähig wäre). Auch die Rechtsfolgen arglistigen Verhaltens sind sicher primär an Verträgen über einen bestimmten Gegenstand orientiert, es ist jedoch nicht ausgeschlossen, sie auch bei Arglist des Verkäufers bei der "Konzentration" - immerhin ein Essentiale jede Gattungskaufes - heranzuziehen, zumal ja auch sonst die Gattungsschuld mit der Konzentration in wesentlichen Belangen als Stückschuld behandelt wird (vgl. Bydlinski, 150; Koziol - Welser[3] I, 160 u. a.)

Auf die Geltendmachung arglistigen Verhaltens kann im voraus nicht wirksam verzichtet werden (ebenso SZ 41/33 u. v. a.). Die Frage, ob der Kläger hier sämtliche Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen muß, ist deshalb nicht entscheidungswesentlich.

Schließlich legte bereits das Berufungsgericht zutreffend dar, daß der zufolge § 870 ABGB grundsätzlich zur Vertragsaufhebung berechtigte Beklagte im vorliegenden Fall auch angemessene Vergütung im Sinne des § 872 ABGB begehren konnte (vgl. hiezu Koziol - Welser[3] I, 98 SZ 37/143 u. a.).

Das Klagebegehren erweist sich daher als gemäß §§ 870, 872 ABGB gerechtfertigt.

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