Spruch:
Zulässigkeit des Verzichtes auf Anfechtung wegen Irrtums, nicht aber wegen Irreführung.
Entscheidung vom 20. März 1968, 6 Ob 83/68.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Mit Kaufvertrag vom 2. August 1952 erwarb der Beklagte von der Firma Kunsthandlung Dr. F. u. a. ein Gemälde "Die Grablegung Christi" (laut Expertise von Prof. R. als Rembrandt bestätigt), stark beschädigt, um 650 S.
Vor Weihnachten 1963 erklärte der Beklagte dem Kläger, den er im Kasino in G. kennengelernt hatte, er habe einen echten Rembrandt und Expertisen von Prof. R. und Prof. P. Der Kläger besichtigte das Bild und nahm auch Einsicht in den Kaufvertrag des Beklagten vom 20. August 1952 und in die Expertisen, die durchaus positiv abgefaßt waren, sodaß er überzeugt war, daß es sich tatsächlich um einen echten Rembrandt handle. Der Beklagte forderte für einen 5%igen Anteil an dem Gemälde zunächst 250.000 S. Mit Rücksicht auf den schlechten Zustand des Bildes gab er sich schließlich mit 150.000 S zufrieden. Am 10. Jänner 1964 erwarb der Kläger einen 5%igen Miteigentumsanteil an dem Gemälde mit dem in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. Egon J. geschlossenen Kaufvertrag. In diesem wurde auf die Eigentumsrechte des Beklagten auf Grund seines Kaufvertrages vom 20. August 1952, der dem Kläger zur Kenntnis gebracht wurde, und auch die Expertise des Prof. R. vom 29. Jänner 1952, nach welcher das Gemälde von Rembrandt van Rijn gemalt wurde (Punkt I des Kaufvertrages) hingewiesen. Der Kläger übernahm einen 5%igen ideellen Miteigentumsanteil um 150.000 S (Punkt II). Weiter wurde vereinbart, daß den Verkäufer keinerlei Haftung für irgendwelche Sachmängel trifft, insbesondere haftet er auch nicht dafür, daß das Gemälde tatsächlich von Rembrandt van Rijn gemalt worden ist (Punkt III). Damit sollte auch der Ausschluß einer Irrtumsanfechtung vereinbart sein. Nach Punkt V des Vertrages verzichteten schließlich beide Teile wechselseitig auf das Recht, den Vertrag wegen Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes anzufechten. Bei den der Fixierung des Vertrages vorausgegangenen Besprechungen war für den Anwalt wegen der Höhe des Kaufpreises die Frage der Echtheit des Bildes von besonderer Bedeutung. Er legte dies auch dem Kläger dar. Dieser erklärte, er sei selbst Fachmann und Maler, er habe das Bild besichtigt und sei sich bewußt, daß er ein Risiko eingehe, wenn sich herausstellen sollte, daß das Bild nicht echt sei. Bei Abschluß des Vertrages waren beide Teile überzeugt, daß es sich um einen echten Rembrandt handle.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Kaufvertrag rechtsunwirksam sei, der Beklagte sei schuldig, ihm den Betrag von 150.000 S samt 5% Zinsen seit 1. Februar 1964 Zug um Zug gegen Zurückstellung der gekauften 5%igen ideellen Miteigentumsanteile zu bezahlen, ab.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums komme, da darauf verzichtet wurde, nicht in Betracht. Ein Beweis für ein arglistiges Vorgehen des Beklagten liege aber nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes über die Vorgänge bei Abschluß des Kaufvertrages der Streitteile, insbesondere auch, daß sich der Kläger nach seiner eigenen Erklärung damals bewußt war, ein Risiko einzugehen, wenn sich herausstelle, daß das Bild nicht echt sei, sowie auch daß ihm der Kaufvertrag des Beklagten vom 20. August 1952 zur Kenntnis gebracht wurde. Damit seien die Behauptungen des Klägers, der Beklagte habe ihn über die Herkunft des Bildes und über den Preis, zu dem er es erworben hatte, getäuscht, nicht erwiesen, sondern geradezu widerlegt. Es fehle damit ein Anhaltspunkt dafür, daß bei Abschluß des Kaufvertrages der Streitteile der Beklagte die Echtheit des Bildes weniger optimistisch beurteilt hätte als der Kläger und der Beklagte diesbezügliche ihm bekannte Tatsachen dem Kläger bewußt vorenthalten habe. Der dem Kläger obliegende Beweis einer listigen Irreführung durch den Beklagten sei damit nicht erbracht. Sei die Klage daher abzuweisen, bedeute es auch keinen Verfahrensmangel, daß das Erstgericht in eine Prüfung der Echtheit des Gemäldes nicht eingegangen sei, und es sei auch nicht mehr wesentlich, ob das Feststellungsbegehren des Klägers nicht schon aus formellen Gründen, wegen der Möglichkeit der Leistungsklage, abgewiesen werden müsse.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit der Beklagte auf den Unterschied zwischen der Anfechtung eines Vertrages aus dem Rechtsgrund der Gewährleistung und dem des Irrtums verweist, sind diese Ausführungen ebenso wie die über die Unverzichtbarkeit der Einwendung der Sittenwidrigkeit (JBl. 1961 S. 123) an sich durchaus richtig. Irrtums- und Gewährleistungsansprüche können nebeneinander bestehen (Ehrenzweig, System II/1 S. 217 f., Gschnitzer in Klang[2] IV 515 f.). Wurde auf Gewährleistungsansprüche verzichtet, so folgt daraus noch keineswegs der Ausschluß auch von der Geltendmachung von Irrtumsansprüchen (HS. 4321, EvBl. 1965 Nr. 302). Jedoch ist aus diesen Ausführungen für den Kläger insofern nichts zu gewinnen, als die Untergerichte feststellten, daß mit Punkt III des Kaufvertrages der Streitteile vom 10. Jänner 1964 auch die Irrtumsanfechtung ausgeschlossen wurde. Sie gelangten dazu nicht bloß auf Grund der vorliegenden Urkunde über den Kaufvertrag, sondern damit im Zusammenhalte mit der Vernehmung des mit der Errichtung des Vertrages betrauten Rechtsanwaltes Dr. Egon J., der diese Absicht der Vertragsteile bekundete. Nur die Auslegung einer Urkunde als solcher ist aber rechtliche Beurteilung. Wenn dagegen die Bedeutung einer Urkunde auf Grund der Aussagen von Zeugen erhoben wurde, handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung (SZ. XXV 198, SZ. XXVI 49 u. a.), an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist.
Kann daher nur davon ausgegangen werden, daß die Streitteile auch auf die Anfechtung des Kaufvertrages wegen Irrtums verzichteten, ergibt sich die Frage nach der Rechtswirksamkeit einer solchen Vereinbarung. Soweit in der vorzitierten Entscheidung EvBl. 1965 Nr. 302 ausgesprochen wurde, daß der Ausschluß unzulässig sei, geht aus dem Zusammenhange des dort gegebenen Sachverhaltes mit den Ausführungen Gschnitzers in Klang[2] IV 262, auf die sich die Entscheidung beruft, hervor, daß sie nur den Verzicht auf die Anfechtung wegen Irreführung durch unrichtige Zusagen eines Vertreters betrifft. Keineswegs sollte damit ein allgemeiner Rechtssatz aufgestellt werden, daß auf die Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums nicht verzichtet werden könne. Ein Irrtum im Sinne des § 871 ABGB. hat nicht Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit des Vertrages zur Folge. Nur der Irrende kann die Anfechtung des Rechtsgeschäftes begehren. Es bleibt ihm überlassen, ob er anfechten will oder auch nicht. Grundsätzlich kann auf jedes Recht verzichtet werden, soweit es nicht nach seiner Zweckbestimmung unverzichtbar sein muß oder der Verzicht durch positive Anordnung des Gesetzes ausgeschlossen ist (Klang[2] VI 528). Keiner dieser Umstände steht aber einem Verzicht auf die Irrtumsanfechtung entgegen. Anders wäre es für die Vereinbarung eines Anfechtungsverzichtes wegen List oder Wuchers. List bedeutet so viel wie Betrug, also ein rechtswidriges Verhalten, wenn auch nicht gerade im strafrechtlichen Sinn (Gschnitzer in Klang[2] IV 109 ff.). Ein Verzicht auf die Erhebung der Einwendung der listigen Irreführung wäre mit der Zweckbestimmung des § 870 ABGB. unvereinbar, da dadurch der Schutz des getäuschten Vertragsteiles gegen betrügerisches Vorgehen anderer Personen vereitelt würde. Dies gilt auch für einen Anspruch auf die Anfechtung wegen Wuchers, durch den eine vom Gesetz ausdrücklich für nichtig erklärte Vereinbarung von vornherein sanktioniert würde. Auch dieser Verzicht würde den guten Sitten widersprechen (Klang a. a. O. 528). Der Verzicht auf Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums dagegen verstößt nicht gegen die guten Sitten (5 Ob 263/60). Der Kläger ist daher an die Vereinbarung des Anfechtungsausschlusses aus diesem Anfechtungsgrund gebunden.
Was die Anfechtung wegen angeblicher List des Beklagten betrifft, setzt § 870 ABGB. voraus, daß der Irreführende den Partner absichtlich oder doch bewußt durch unrichtige Vorspiegelungen zur Einwilligung in den Vertrag gebracht hat. Eine Schädigungsabsicht ist jedoch nicht Voraussetzung für eine listige Irreführung (Gschnitzer in Klang[2] IV 110 f., SZ. XII 103, SZ. XXVII 63). Die listige Erregung eines Irrtums kann auch im Verschweigen bekannter, dem anderen Teil aber nicht bekannter Tatsachen liegen. Notwendig ist aber, daß der Irreführende positive Kenntnis davon hat, daß der andere Teil irrt und daß dieser Irrtum einen Einfluß auf den Willensentschluß hat (RiZ. 1963 S. 154, 7 Ob 122/63). Ob der Irreführende absichtlich oder doch bewußt vorgegangen ist, ob er Unrichtiges vorgetäuscht hat oder ob der Irregeführte dadurch zur Einwilligung gebracht wurde, sind Fragen tatsächlicher Natur (5 Ob 328/62, 6 Ob 335/63, 7 Ob 42/64). Gerade ein solches Vorgehen des Beklagten gegen den Kläger haben die Untergerichte aber nicht als erwiesen angenommen. Sie haben bei diesen Feststellungen auch nicht gegen die Denkgesetze verstoßen und durchaus logisch begrundet, warum sie zu diesen Feststellungen gelangt sind. Daraus folgt aber die Abweisung des Klagebegehrens auch, soweit es auf diesen Anfechtungstatbestand gestützt ist.
Bei dieser rechtlichen Beurteilung erübrigte sich eine Prüfung der Echtheit des Gemäldes.
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