Spruch:
Ein gänzlicher Ausschluß des Rechtsweges durch Vertrag - hier:
Bestimmung des Totalisator-Reglements eines Galopprennvereines, wonach in Streitfällen über die Auslegung des Reglements und über die Verteilung der Gewinne die Rennleitung endgültig unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges entscheidet - ist unzulässig und unwirksam
Da die Frage der Klagbarkeit eines Anspruches dem materiellen Privatrecht angehört, begrundet ein sogenanntes "pactum de non petendo" eine materiell-rechtliche Einwendung, über welche mit Sachentscheidung zu erkennen ist
OGH 18. März 1976, 7 Ob 255, 256/75 (OLG Wien 5 R 123/75; LGZ Wien 6 Cg 375/74)
Begründung:
Die Klägerin begehrt 12 X 6430 S als die Gewinnsumme der sogenannten Dreierwette für das sechste Rennen am 13. Juli 1974 in der Freudenau. Sie gibt zu, ihre beiden Wettscheine mit je sechs Einsätzen nicht streng nach dem Wortlaut der Totalisatorbestimmungen ausgefüllt zu haben, behauptet aber, durch das einmalige Überschreiben jedes Scheines mit den sehr groß geschriebenen Startnummern der gesetzten Pferde einer von der beklagten Partei geduldeten Übung entsprochen zu haben, so daß es den guten Sitten widerspreche, wenn die beklagte Partei nun in ihrem Fall trotz unbeanstandeter Annahme der Wettscheine auf der Formalität bestehe.
Die beklagte Partei (W-Galopprennverein) erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges mit der Begründung, daß Streitfälle aus dem Wettbewerb nach dem Totalisatorreglement von ihrer Rennleitung endgültig und unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges zu entscheiden seien, und bestritt auch die sachliche Berechtigung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht stellte fest, daß nach dem (als einziges Beweismittel herangezogenen) Totalisator-Reglement der beklagten Partei vom März 1968 jeder, der beim Totalisator eine Wette abschließt, sich bedingungslos den Bestimmungen dieses Reglements unterwirft und daß in Streitfällen die Rennleitung endgültig unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges über die Auslegung der vorstehenden Bestimmungen und über die Verteilung der Gewinne entscheidet. Es gelangte zur Abweisung des Klagebegehrens mit Urteil aus der Erwägung, daß sich die Klägerin durch den Abschluß der Wette den Bestimmungen des Totalisatorreglements unterworfen habe, so daß der Rechtsweg ausgeschlossen sei. Das gleiche gelte, weil der Wetteinsatz nicht bei einem Dritten erlegt worden und der Anspruch deshalb nach § 1271 ABGB nicht klagbar sei. Schließlich habe die Klägerin zugegebenermaßen die Wettbedingungen nicht eingehalten, und es könne in der Berufung der beklagten Partei auf die vorgesehene Form ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht erblickt werden.
Infolge Berufung der Klägerin, die unter anderem auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes über die "Unklagbarkeit" ihres Anspruches bestritt und eine Kontrolle durch die staatliche Rechtsprechung forderte, verwarf das Berufungsgericht im Punkt 1 seiner Entscheidung mit Beschluß die Prozeßeinrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges und erkannte sodann in Abänderung des Ersturteiles zur Sache selbst im Sinne der Klage.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei soweit sie den Beschluß über die Verwerfung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges bekämpfte und daher richtig als Revisionsrekurs anzusehen war, nicht Folge; gleichzeitig hob er aus Anlaß der Revision die in Urteilsform ergangene Sachentscheidung der zweiten Instanz einschließlich des Berufungsverfahrens als nichtig auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Rechtsmittel der beklagten Partei ist zum Teil unbegründet, gibt aber im weiteren Umfang Anlaß, eine der zweiten Instanz unterlaufene Nichtigkeit wahrzunehmen.
Auszugehen ist davon, daß die beklagte Partei schon in der ersten Tagsatzung die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges erhoben hat. Der Erstrichter hat hierüber auch entschieden, indem er ausdrücklich ausführte, daß für den eingeklagten Anspruch der Rechtsweg sowohl nach dem Gesetz als auch zufolge der vertraglichen Unterwerfung unter das Totalisatorreglement ausgeschlossen sei. Dabei hat er sich allerdings nicht nur insofern geirrt, als er annahm, die Unklagbarkeit eines Anspruches begründe Unzulässigkeit des Rechtsweges, während richtigerweise die Frage der Klagbarkeit dem materiellen Privatrecht angehört (EvBl. 1975/245 u.a.), so daß hierüber eine Sachentscheidung stattzufinden hat. Auch die hier in Betracht kommende Vereinbarung eines Schiedsgerichtes würde nicht den Rechtsweg unzulässig machen, wohl aber prozessual zu entscheiden sein, weil sie die sachliche Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichtes zur Folge hätte (EvBl. 1975/238 u.v. a.). Jedenfalls aber war über die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, die der Erstrichter auch wegen des diesbezüglichen vertraglichen Ausschlusses für berechtigt hielt, nach § 261 Abs. 1 ZPO mittels Beschlusses zu entscheiden. Wurde die Einrede für berechtigt erkannt, dann war für eine Sachentscheidung kein Raum mehr. Das gleiche würde gelten, wenn wegen der Vereinbarung eines Schiedsgerichtes sachliche Unzuständigkeit vorläge.
Für die Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluß vorliegt, ist nicht die tatsächlich gewählte, sondern die vom Gesetz vorgesehene Form der Entscheidung maßgebend. Sie bestimmt auch die Möglichkeiten der Anfechtung. Hat daher das Erstgericht die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges unrichtigerweise in Urteilsform zurückgewiesen oder auch in nochmals verfehlter Form das Klagebegehren aus diesem Gründe abgewiesen (solche Fälle betreffen die Entscheidungen JBl. 1947, 173; JBl. 1958, 122, und die Besprechung von Novak zur Entscheidung JBl. 1965, 374), so steht dagegen nur der Rekurs offen (Fasching IV, 21; SZ 23/100; vgl. auch ÖBl. 1975, 91). Mit Rücksicht auf die erstrichterliche Annahme, daß der Rechtsweg unzulässig sei, stellte somit seine Entscheidung richtigerweise einen Beschluß dar, und das dagegen erhobene Rechtsmittel war als Rekurs zu behandeln, zumal die unrichtige Benennung die Behandlung in der dem Gesetz entsprechenden Weise nicht hindert (5 Ob 91/73 u.a.).
Den abändernden Beschluß der zweiten Instanz über die Prozeßeinrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges bekämpft die beklagte Partei zu Unrecht: Wohl unterwirft sich nach dem Punkt 1 des Totalisator-Reglements jeder Spieler diesem Reglement, worauf ja der Wettschein verweist. Die im Reglement enthaltene Bestimmung, daß in Streitfällen die Rennleitung endgültig unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges über die Auslegung des Reglements und über die Verteilung der Gewinne entscheidet, hat dennoch keine prozessuale Wirkung. Sie kommt als Schiedsvertrag im Sinne des § 577 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht, weil die beklagte Partei nicht einmal behauptet hat, daß die Wettscheine von den Spielern (hier von der Klägerin) unterschrieben werden, und nach dem im Akt erliegenden Muster hiefür auch gar kein Raum vorgesehen ist. Nach § 577 Abs. 3 ZPO muß der Schiedsvertrag aber schriftlich errichtet werden. Das bedeutet nach bürgerlichem Recht (§ 886 ABGB), daß der Vertrag erst durch die Unterschrift der Parteien (die anderen dort angeführten Fälle scheiden aus) zustande kommt (Fasching IV, 725; EvBl. 1971/205; SZ 45/55). Damit hat aber der im Reglement vorgesehene Ausschluß des Rechtsweges absoluten Charakter. Ein gänzlicher Ausschluß des Rechtsweges durch Vertrag ist jedoch nach herrschender Ansicht, wie auch Wolff (in Klang 2 I/1, 142) einräumt, unzulässig und unwirksam (Ehrenzweig 2 I/1, 330; Fasching I, 64; derselbe ÖJZ 1975, 432;, Pisko in Klang 1I/1, 205; Pollak, System2, 3; SZ 8/167 u.a.). Der OGH folgt dieser herrschenden Rechtsansicht, zumal die Annahme, die Parteien könnten willkürlich den durch Art. 83 Abs. 2 B-VG garantierten gesetzlichen Richter ausschalten und dadurch ein Prozeßhindernis vom Gewicht einer Nichtigkeit konstruieren, dem prozessualen Grundgedanken einer Schutzfunktion der Gerichtsbarkeit nicht nur zugunsten des einzelnen, sondern zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung auch im Interesse der Gemeinschaft offensichtlich zuwiderliefe.
Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges hatte sich nach dem oben Gesagten nicht mit Fragen des materiellen Rechtes auseinanderzusetzen. Da hiezu auch die Klagbarkeit gehört (siehe oben), ist in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen, ob der Unterwerfung der Klägerin unter Punkt 22 des Totalisator-Reglements die materiell-rechtliche Bedeutung eines pactum de non petendo zukommt. Trotz gewisser Ähnlichkeiten einer solchen Vereinbarung mit einem vertraglichen Ausschluß des Rechtsweges handelt es sich bei der Vereinbarung der Unklagbarkeit um ein anderes, zum materiellen Recht gehöriges Instrument der Verfolgbarkeit des Anspruchs (Pisko in Klang 1 I/1, 206; Pollak, 3; vgl. auch Fasching I, 64 in Gegenüberstellung zu III, 9).
Nach dem oben Gesagten war die Entscheidung des Erstrichters trotz der Wahl der Urteilsform richtigerweise als Beschluß über die erhobene Prozeßeinrede und das Rechtsmittel dagegen als Rekurs anzusehen, daraus folgt aber, daß die zweite Instanz bei Fällung der Sachentscheidung eine Funktion in Anspruch nahm, die einem Erstgericht zukommt, weil es nicht eine erstrichterliche Sachentscheidung zu überprüfen hatte, sondern selbst erstmalig in der Sache entschied. Das Rekursgericht war dafür funktionell und somit absolut unzuständig (vgl. Petschek-Stagel, Der österreichische Zivilprozeß, 92; Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozesses, 107, 114; Pollak, System2 I, 248, 346, 355). Der OGH hat bereits in einem gleichgelagerten Fall ausgesprochen, daß eine solche Entscheidung der zweiten Instanz gemäß § 477 Abs. 1 Z. 3 ZPO nichtig und diese Nichtigkeit aus Anlaß des erhobenen Rechtsmittels von Amts wegen wahrzunehmen ist (2 Ob 72/69).
Der Erstrichter wird nun eine Sachentscheidung zu fällen haben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)