Spruch:
Eine in mäßigen und zumutbaren Grenzen gehaltene Veränderung des Verlaufes eines Servitutsweges auf einer Liegenschaft berührt die Identität des Rechtsobjektes als solches nicht. Dieser Grundsatz gilt auch für die Ersitzung eines Wegerechtes
OGH 2. März 1976, 5 Ob 510/76 (LGZ Graz 5 R 256/75; BG Weiz C 19/74 ) (Siehe auch die in diesem Band unter Nr.5 abgedruckte Entscheidung)
Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 262 des Grundbuches über die KG F, bestehend aus den Grundstücken Nr. 876/2 Alpe und Nr. 165 Baufläche mit Alpenhütte derselben KG und dem Überlandgrundstück Nr. 489/2 Weide der KG T.
Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 318 des Grundbuches über die KG F, zu der u. a. auch das Grundstück Nr. 878/1 Alpe gehört, das an die südlich davon gelegene Liegenschaft des Klägers grenzt.
Der Kläger begehrte die Feststellung, daß ihm und seinen Rechtsnachfolgern im Besitz der Liegenschaft EZ 262 des Grundbuches über die KG F als herrschendem Gut die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges über das den Beklagten je zur Hälfte gehörige Grundstück 878/1 der EZ 318 desselben Grundbuches als dienendem Gut zustehe, und die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand, die grundbücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeit zu bewilligen.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 7. Mai 1974 erklärte der Kläger, "das Klagsvorbringen" dahin zu "präzisieren", daß als Servitutsweg jener Weg in Anspruch genommen werde, der von der Durchfahrtslücke im lebenden Zaun etwa 15 m nach Norden in dem vom Erstgericht beim Lokalaugenschein festgestellten und beschriebenen Almweg einmünde. Das Erstgericht hatte damals an Ort und Stelle den Befund aufgenommen, daß von der Westseite des Grundstückes Nr. 878/1 ein deutlich sichtbarer Almweg in Richtung Osten und ab der Hälfte in einem ganz leichten Bogen nach Südosten führt und daß im weiteren Verlauf dieses Almweges von diesem nach Süden hin zur Durchfahrtslücke in dem lebenden Zaun an der Nordseite des Grundstückes 876/2 eine in der Natur schwach erkennbare Fahrspur abzweigt; die durchschnittliche Breite des Almweges beträgt 2 m, jene der Fahrspur 1.80 bis 2 m.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren wortgetreu Folge.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von 50 000 S übersteigt.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte das angefochtene Urteil mit der Maßgabe, daß die Entscheidung zu lauten hat:
"1. Es wird festgestellt, daß der klagenden Partei und ihren Rechtsnachfolgern im Besitz der Liegenschaft EZ 262 des Grundbuches über die Katastralgemeinde F, bestehend aus den Grundstücken Nr. 876/2 und Nr. 165 der genannten Katastralgemeinde sowie aus dem Überlandgrundstück Nr. 489/2 der Katastralgemeinde T, als herrschendem Gut die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges über das derzeit den beklagten Parteien je zur Hälfte gehörige Grundstück Nr. 878/1 der Liegenschaft EZ 318 des Grundbuches über die Katastralgemeinde F. als dienendem Gut auf dem von der Westseite des dienenden Grundstückes nach Osten und weiter in einem leichten Bogen nach Südosten verlaufenden, in der Natur sichtbaren Almweg und von diesem nach Süden abzweigend bis zur Durchfahrtslücke in dem lebenden Zaun an der Nordseite des Grundstückes Nr. 876/2 in einer durchgehenden Breite von 2 m zusteht.
2. Die beklagten Parteien sind schuldig, in die grundbücherliche Einverleibung der unter 1. bezeichneten Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges ob dem dienenden Grundstück Nr. 878/1 Alpe der ihnen je zur Hälfte gehörigen Liegenschaft EZ 318 des Grundbuches über die Katastralgemeinde zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ 262 desselben Grundbuches, bestehend aus den Grundstücken Nr. 876/2 Alpe und Nr. 165 Baufläche mit Alpenhütte sowie aus dem Überlandgrundstück Nr. 489/2 Weide der Katastralgemeinde T, einzuwilligen."
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger hatte seinen Klageanspruch sowohl auf einen Vertrag als auch auf Ersitzung gegründet. Das Berufungsgericht hat sich deshalb zutreffend in erster Linie mit dem behaupteten Vertragsanspruch befaßt. Nach den Feststellungen der Unterinstanzen hatte der Rechtsvorgänger der Beklagten im Besitz des Grundstückes Nr. 878/1 dem Rechtsvorgänger des Klägers im Besitz des Grundstückes Nr. 876/2 anläßlich des Verkaufes dieses Grundstückes mündlich zugesichert, der über das zuerst genannte Grundstück führende Almweg werde ohnehin von jedem Interessenten benützt und könne daher auch von ihm, dem Rechtsvorgänger des Klägers, benützt werden, um zu seinem Grundstück zu gelangen.
Der rechtliche Schluß des Berufungsgerichtes, es sei damit dem Rechtsvorgänger des Klägers eine Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges eingeräumt worden, ist jedoch unrichtig. Die Erklärung des Rechtsvorgängers der Beklagten, der Almweg werde ohnedies von jedem Interessenten benützt und könne daher auch vom Rechtsvorgänger des Klägers benützt werden, um zu seinem Grundstück zu gelangen,kann nur als Hinweis auf den Gemeingebrauch des Almweges angesehen werden. Es ist allerdings richtig, daß der Rechtsvorgänger des Klägers aus dieser Erklärung auch auf seine Berechtigung schließen durfte, von diesem Almweg aus über das Grundstück des Rechtsvorgängers der Beklagten zu seinem Grundstück fahren und gehen zu dürfen weil der Almweg nicht bis an die Grenze seines Grundstückes heranführt, sondern sich ihr nur nähert. Der Rechtsvorgänger des Klägers konnte deshalb in der Folge, als er von dem angeblich den Gemeingebrauch dienenden Almweg weg über das Grundstück, das nur klagten gehört, zu seinem Grundstück fuhr, annehmen, daß er dazu berechtigt sei. Von einem Dienstbarkeitsvertrag kann jedoch nicht gesprochen werden. Es erübrigt sich deshalb, auf die Darlegungen des Berufungsgerichtes und der Revisionswerber zu der Frage einzugehen, ob die Duldungspflicht des Rechtsvorgängers der Beklagten zu dem Zufahrtsweg über das ihm gehörige Grundstück auf seine Rechtsnachfolger überbunden worden ist, denn der Klageanspruch ist auf die Feststellung des Bestehens einer Dienstbarkeit und auf ihre Verbücherung gerichtet, eine diesem Anspruch zugrundelegbare Vereinbarung ist aber nicht vorhanden.
Es ist deshalb zu prüfen, ob die behauptete Dienstbarkeit ersessen worden ist.
Die Ersitzung setzt jedenfalls voraus, daß sich während der Ersitzungszeit die Identität des zu ersitzenden Rechtsobjektes nicht wandelt, da andernfalls eine neue Ersitzungszeit zu laufen beginnt. Auf diese wesentliche Voraussetzung zielen auch die Ausführungen der Revisionswerber hin, wenn sie lediglich der Beantwortung der Frage Bedeutung beimessen wollen, ob hinsichtlich des vom Kläger genau umschriebenen Grundstückteiles die Voraussetzungen für die Ersitzung vorliegen.
Die Rechtsprechung hat zur Identität des Rechtsobjektes im Servitutenrecht bisher überwiegend unter dem Gesichtspunkt der Verlegbarkeit von Servitutswegen durch den Belasteten Stellung genommen und hiezu die Ansicht vertreten, daß der belastete Liegenschaftseigentümer berechtigt sei, den Servitutsweg auch ohne Zustimmung des Berechtigten zu verlegen, wenn der neue Weg dem Zweck der Dienstbarkeit vollkommen entspreche (SZ 38/162 u. v. a.; zuletzt 1 Ob 70/75). Dieses Recht ergibt sich nämlich aus der Pflicht des Berechtigten zur tunlichen Schonung des belasteten Gutes (§ 484 ABGB) und aus dem Grundsatz, daß er sich deshalb alle Maßnahmen des Belasteten gefallen lassen muß, welche die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschweren oder gefährden.
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, daß eine in mäßigen und zumutbaren Grenzen gehaltene Veränderung des Verlaufes eines Servitutsweges auf einer Liegenschaft die Identität des Rechtsobjektes als solches nicht berührt. Der gleiche Grundsatz muß auch für den Verlauf eines zu ersitzenden Weges gelten, wenn die Veränderungen des Wegverlaufes in den aufgezeigten Grenzen von dem Ersitzenden vorgenommen worden sind. Dazu könnte im Einzelfall der Ersitzungsanwärter sogar gezwungen sein, wenn etwa während der Ersitzungszeit durch eine Versumpfung, durch einen Erdrutsch oder durch einen Felssturz ein begrenztes Teilstück eines Weges über ein Almgrundstück unpassierbar geworden ist. Es kann wohl in einem solchen Fall nicht bezweifelt werden, daß durch die Umgehung (Umfahrung) dieses begrenzten Teilstückes einer bestimmten Liegenschaft die Identität des Servitutsweges nicht vernichtet und deshalb auch nicht eine neue Ersitzungszeit im Verhältnis zu dem Eigentümer dieser Liegenschaft in Lauf gesetzt wird. Billigte man die Ansichten der Revisionswerber über die Notwendigkeit des räumlich völlig unveränderten Verlaufes des zu ersitzenden Weges, dann käme es im unübersichtlichen Bereich von Almen mangels deutlicher Ausprägung von Geh- und Fahrwegen im Almboden nie zur Ersitzung von Durchfahrts- oder Zufahrtswegen, wenn diese nicht durch Vermarkung in der Natur gekennzeichnet sind, weil nur dadurch der genaue Verlauf des Weges während der Ersitzungszeit beachtet und befolgt werden könnte.
Es kann in Berücksichtigung dieser Erwägungen im vorliegenden Fall trotz der Verlegung eines Teilstückes des Zufahrtsweges zum Grundstück Nr. 876/2 des Klägers über das Grundstück Nr. 878/1 der Beklagten während der Ersitzungszeit an der Identität des ersessenen Wegerechtes kein Zweifel bestehen.
Den Revisionswerbern ist jedoch darin beizupflichten, daß der Kläger durch seine Erklärung zum Klagebegehren in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 7. Mai 1974 den Verlauf des in Anspruch genommenen Servitutsweges bestimmt bezeichnet hat und daß die Unterinstanzen sich darüber nicht hinwegsetzen durften. Es ist doch entgegen der Ansicht der Revisionswerber auch klar, daß der Kläger nicht bloß jenes Wegeteilstück in Anspruch genommen hat, das vom Almweg nach Süden abzweigt und bis zur Durchfahrtslücke in dem lebenden Zaun an der Nordseite seines Grundstückes führt, sondern daß er auch den Teil des Almweges ins Klagebegehren einbezogen hat, der ihm überhaupt erst die Benützung des bezeichneten Verbindungsstückes zu seiner Liegenschaft ermöglicht. Aus den Feststellungen der Unterinstanzen ergibt sich, daß der Kläger zuletzt auch das eben bezeichnete Verbindungsstück vom Almweg zu seiner Liegenschaft als Zufahrt benützt hatte. Es war daher das angefochtene Urteil mit der Maßgabe zu bestätigen, daß der genaue Verlauf des ersessenen Weges entsprechend dem Begehren des Klägers in den Spruch der Entscheidung aufgenommen wird.
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