OGH 7Ob244/65

OGH7Ob244/6513.10.1965

SZ 38/162

Normen

ABGB §484
ABGB §484

 

Spruch:

Der Belastete ist berechtigt, den Servitutsweg auch ohne Zustimmung des Berechtigten auf eine andere Stelle zu verlegen, wenn der neue Weg dem Zweck der Dienstbarkeit vollkommen entspricht

Entscheidung vom 13. Oktober 1965, 7 Ob 244/65

I. Instanz: Bezirksgericht Persenbeug; II. Instanz: Kreisgericht Krems/Donau

Text

Die Klägerin begehrte, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, bei Zufahrt zu der den Beklagten gehörigen Parzelle 1111, Grundbuch A., das Fahren an der westlichen Grenze der ihr gehörigen Parzelle 1109 zu unterlassen. Die Beklagten wendeten Ersitzung der Dienstbarkeit des Fahrtrechts ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende Feststellungen:

Die Beklagten haben als Anrainer der Klägerin einen unbestrittenen Zufahrtsweg über die Parzelle 1109 zu ihrer Parzelle 1111. Von der Stelle, an welcher der unbestrittene Weg an der westlichen Grundstücksgrenze der Parzelle 1109 nach rechts abbiegt, führt im weiteren Verlauf der westlichen Grenze des Grundstückes 1109, somit in gerader Fortsetzung des unbestrittenen Weges, ein Fußsteig nach Norden zur Wiese 1111 und von dieser weiter in den Wald und zu den Ortschaften Z. und W. Dieses Wegstück ist etwa 30 m lang. Die Beklagten benützen nicht nur den unbestrittenen Weg, sondern auch den entlang der westlichen Grenze verlaufenden Gehweg zum Fahren. Dieser Weg wurde dem Vorbesitzer der Wirtschaft der Beklagten und Vater des Erstbeklagten vom Verkäufer Alois Sch. im Jahre 1918 ebenso als Zufahrtsweg gezeigt wie der zweite Weg, wobei erklärt wurde, daß beide Wege auf Grund jahrelanger Benützung "Rechtswege" seien. Beide Wege wurden von den Beklagten für Wirtschaftsfuhren zu ihrer Wiese bzw. von der Wiese benützt und bis vor einigen Jahren von den Eigentümern der Wiese 1109 nicht beanstandet. Die Zufahrt wurde vornehmlich während der Sommermonate für die Heuernte in Anspruch genommen, und zwar fuhren die Beklagten mit dem rechts vom bestrittenen Weg abgeernteten Heu auf den unbestrittenen Weg und mit dem links vom bestrittenen Weg geernteten Heu über diesen ab, da dieser Weg näher gelegen war und sie bei der Benützung des von der Klägerin anerkannten Weges einen Umweg hätten fahren bzw. an dem bestrittenen Weg vorbeifahren hätten müssen. Das Befahren des bestrittenen Weges erfolgte zur Tageszeit und unter möglichster Schonung des dienenden Grundstückes, so daß keine Spuren entstanden. Anläßlich einer Düngerfuhre wurden die Beklagten in den letzten Jahren von der Klägerin beanstandet und zum Bürgermeister vorgeladen, wo der Erstbeklagte erklärte, daß er ein Recht habe, den nunmehr bestrittenen Weg zu benützen. Als die Klägerin vor einigen Jahren entlang der Grundstücksgrenze 1109 zu 1111 im Bereich des bestrittenen Weges Pflöcke in die Erde rammte und durch Querlatten zu einem Zaun verband, rissen die Beklagten den Zaun in Zufahrtsbreite weg, ohne daß die Klägerin dagegen etwas unternommen hätte.

Das Erstgericht kam auf Grund dieser Feststellungen zur Annahme, daß die Beklagten das Zufahrtsrecht über den bestrittenen Weg durch Ausübung durch mehr als dreißig Jahre ersessen haben bzw. schon ersessen hatten, als die Klägerin im Jahre 1961 diese Ausübung erstmalig beanstandete.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht ergänzende Verhandlung und Entscheidung auf. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes fehlen Feststellungen darüber, ob und in welchem Zeitpunkt die Klägerin das Befahren des strittigen Weges durch die Beklagten und deren Rechtsvorgänger wahrgenommen hat. Eine solche Feststellung sei aber notwendig, weil die Klägerin sich rechtlich auch darauf stützen könnte, daß ein allenfalls ersessenes Recht der Beklagten der Klägerin gegenüber, die von dieser Fahrweise nicht Kenntnis erlangt haben mußte, wegen der Bestimmung des § 1500 ABGB. unwirksam sei. Die Ersitzung werde nach § 1497 ABGB. durch Einbringung der Klage unterbrochen. Da die Klage am 29. April 1964 eingebracht wurde, bestunde die Möglichkeit, daß eine vom bücherlichen Erwerb der Klägerin an zu berechnende dreißigjährige Ersitzungszeit im Zeitpunkt der Klagseinbringung noch nicht vollendet gewesen wäre. Es stehe auch der genaue Zeitpunkt des Eigentumerwerbes der Klägerin nicht fest, da als Zeitpunkt der Übergabe der Wirtschaft an die Klägerin nur das Jahr 1934 genannt werde, nicht aber Monat und Tag.

Eine weitere Mangelhaftigkeit des Verfahrens erblickt das Berufungsgericht darin, daß das Erstgericht die Frage unerörtert gelassen habe, ob die Klägerin berechtigt wäre, die Ausübung der Servitut auf den auch von ihr anerkannten Fahrweg zu beschränken. Nach Lehre und Rechtsprechung könne die Ausübung räumlich beschränkter Dienstbarkeiten vom Belasteten in einer den Berechtigten unschädlichen Weise verlegt werden. Ein solches Verlangen hätte zur Voraussetzung, daß die Verlegung den Berechtigten nicht schädlich sei. Vom Standpunkt der Klägerin wäre ein solches Verlangen dadurch gerechtfertigt, daß in dem ihr zugestandenen Verlauf des Fahrweges bereits Wagengeleise ausgebildet sind und dieser Weg auch von anderen Nachbarn benützt wird. Aus dem Gesichtspunkt des im § 484 ABGB. enthaltenen Grundsatzes, daß die Servitut, soweit es der Zweck der Bestellung gestattet, eingeschränkt werden könne, wäre daher das Begehren der Klägerin auf die Einschränkung der Ausübung des Fahrtrechtes auf den von ihr anerkannten Wegverlauf im Interesse der Schonung des belasteten Grundstückes gerechtfertigt. Dies gelte vor allem angesichts der Tatsache, daß bei Verwendung von Traktoren eine größere Gefahr eines Schadens durch die Ausübung des Fahrtrechtes auf der Wiese entlang des Gehweges besteht als unter Benützung der früher üblichen mit Zugtieren bespannten Wagen. Die Klägerin habe in der Klage Behauptungen in der Richtung aufgestellt, daß die Verlegung des Weges auf den anerkannte Fahrtweg ohne Nachteil für die Beklagten geschehen könne. Der Wegfall des Vorteiles der Benützung des Weges bei Abtransport von Heu aus dem westlichen Teil der Parzelle 1111 würde an sich noch nicht als Nachteil für die Beklagten angesehen werden können, der das Verlegungsbegehren unzulässig machen würde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit Recht macht der Rekurs geltend, daß die Frage, ob die Klägerin gemäß § 1500 ABGB. gutgläubig lastenfreies Eigentum erworben habe und daher zu prüfen sei, ob eine allfällige Ersitzung auch seither wieder abgeschlossen werden konnte oder nicht, deshalb unerörtert bleiben könne, weil die Klägerin sich auf den gutgläubigen bücherlichen Erwerb nicht berufen hat. Die Klägerin hat lediglich behauptet, daß die Beklagten den bestrittenen Fahrtweg nicht ersessen haben und daß sie von der Benützung dieses Weges durch die Beklagten keine Kenntnis hatte. Sie hat aber nicht behauptet, daß die Ersitzung ihr gegenüber nicht wirksam werden konnte, weil sie im Vertrauen auf das Grundbuch die Liegenschaft erworben habe. Sie hat auch die für die Beurteilung eines solchen Sachverhaltes notwendigen Tatsachenbehauptungen nicht aufgestellt, so vor allem den Zeitpunkt ihres Rechtserwerbs nicht angegeben, so daß das Erstgericht, das sich lediglich mit der Klagsbehauptung, die Beklagten hätten eine solche Dienstbarkeit nicht ersessen, befaßte, keinen Grund hatte, Feststellungen in der Richtung eines Sachverhaltes nach § 1500 ABGB. zu treffen. Diesbezüglich ist das erstrichterliche Verfahren daher nicht mangelhaft geblieben.

Mit Recht hat das Berufungsgericht das erstrichterliche Verfahren aber für mangelhaft gehalten, weil auf die Klagsbehauptung nicht eingegangen wurde, es bestunde keine landwirtschaftliche Notwendigkeit, neben dem unbestrittenen Weg mit ausgefahrenen Geleisen noch einen anderen Weg anzulegen, weil der Beklagte einen Traktor habe, so daß der Umweg von 14 m überhaupt keine Rolle spiele, der Beklagte außerdem von seiner Parzelle insgesamt drei Ausfahrten habe, so daß er nicht noch einer vierten bedürfe. Die Klägerin hat sich zum Beweis dieses Vorbringens auf Ortsaugenschein und Sachverständigenbeweis berufen. Das Erstgericht hat Feststellungen hierüber mit der Begründung unterlassen, daß es sich nur um die Frage gehandelt habe, ob die Beklagten das bestrittene Fahrrecht ersessen haben oder nicht. Mit Recht hat das Berufungsgericht diese Rechtsansicht abgelehnt. Aus § 484 ABGB. folgt, daß der Belastete berechtigt ist, den über sein Grundstück führenden Weg auch ohne Zustimmung des Berechtigten auf eine andere Stelle zu verlegen, wenn der neue Weg dem Zweck der Dienstbarkeit vollkommen entspricht. Das Recht zur Verlegung ergibt sich aus der Pflicht zur tunlichsten Schonung der Sache und daraus, daß sich der Berechtigte alle Maßnahmen des Verpflichteten gefallen lassen muß, welche die Ausübung nicht ernstlich erschweren oder gefährden (vgl. Klang[2] II 484, Ehrenzweig I/2, 341; GlU. 1634 und 15.720). Es kann den Rekursausführungen auch nicht zugestimmt werden, daß auf § 484 ABGB. nur dann Rücksicht hätte genommen werden können, wenn es sich um ein Klagebegehren auf Verlegung einer anerkannten Dienstbarkeit gehandelt hätte. Der Sonderfall ergibt sich hier aus der Tatsache, daß eine unbestrittene Dienstbarkeit des Fahrtrechtes für die Beklagten bereits besteht, die Klägerin einerseits das Bestehen einer zweiten Dienstbarkeit überhaupt verneint und außerdem den Beklagten unter Verwehrung der Ausübung des Fahrtrechtes auf dem bestrittenen Weg auf den unbestrittenen Weg verwiesen hat. Sollte es sich daher erweisen, daß der unbestrittene Weg zur Bewirtschaftung des herrschenden Gutes völlig ausreicht, hätte dies zur Folge, daß sich die Dienstbarkeit auf diesen Weg allein beschränken würde und das Klagebegehren, das Fahren auf dem bestrittenen Weg zu unterlassen, berechtigt wäre. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß nicht das Bedürfnis des herrschenden Gutes im Zeitpunkt der Begründung der Servitut, sondern das jeweilige Bedürfnis maßgebend ist, es daher von Bedeutung sein kann, daß die Bewirtschaftung nunmehr mit Traktoren erfolgt und daher ein geringfügiger Umweg jegliche Bedeutung verloren hat, dagegen gerade die Benützung von Traktoren eine ausschlaggebende Erschwerung der Belastung des dienenden Gutes darstellen könnte.

Die vom Rekursgericht angeordnete Verfahrensergänzung ist daher in dieser Richtung notwendig, so daß sich der Rekurs im Ergebnis als unbegrundet erweist.

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