OGH 6Ob171/75

OGH6Ob171/7522.1.1976

SZ 49/5

Normen

ABGB §484
ABGB §492
ABGB §484
ABGB §492

 

Spruch:

Fußsteig und Fahrweg sind keine Dienstbarkeiten, welche ihrer Natur nach das ganze dienende Grundstück erfassen und daher im Sinne des § 485 ABGB unteilbar wären. Der Besitzwille kann sich nur auf den benützten Weg erstrecken

OGH 22. Jänner 1976, 6 Ob 171/75 (LGfZRS Graz 1 R 206/75; BGfZRS Graz 4 C 1307/74) (Siehe auch die in diesem Band unter Nr. 33 veröffentlichte Entscheidung 5O b 510/76.)

Text

Der Kläger ist Eigentümer der EZ 675, Katastralgemeinde St. mit dem Grundstück Nr. 913/15 Wiese. Die im Süden angrenzende EZ 376, Katastralgemeinde St., mit den Grundstücken Nr. 913/34 Garten und 299 Baufläche, Wohnhaus R-Hang 59, steht im Eigentum der Beklagten. Der Kläger behauptete, er habe nach dem am 16. August 1973 erfolgten Erwerb der Liegenschaft festgestellt, daß die Beklagte widerrechtlich das Grundstück Nr. 913/15 des öfteren überquert habe, um sich einen näheren Zugang zur öffentlichen Straße "Am R-Hang" zu schaffen. Der Kläger habe daher im Frühjahr 1974 seine Liegenschaft eingezäunt und zusätzlich zu der bereits an einem ungefähr in Grundstücksmitte stehenden Baum angebrachten "PrivatbesitzÜ Durchgang verboten." eine weitere Tafel mit der Aufschrift:

"PrivatbesitzÜ Betreten verboten." errichtet. Daraufhin habe die Beklagte eine Besitzstörungsklage eingebracht. Der Beklagten stehe jedoch kein Recht zum Betreten des Grundstückes Nr. 913/15 zu. Der Kläger begehrte die Verurteilung der Beklagten, das Betreten dieses Grundstückes zu unterlassen.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und brachte im wesentlichen vor, das Grundstück Nr. 913/34, Katastralgemeinde St., sei im Jahre 1935 für Bauzwecke gewidmet worden. Mindestens seit damals sei von den Eigentümern dieser Liegenschaft ein ausgetretener Fußpfad über das Grundstück Nr. 913/15, Katastralgemeinde St., zum Gehen benutzt worden. Die Beklagte sei seit dem Jahre 1941 Eigentümerin des Grundstückes Nr. 913/34 und seither unbehindert und unbeanstandet über diesen Weg gegangen. Auch Anrainer hätten ihn benützt, um auf kürzestem Weg zur öffentlichen Straße zu gelangen. Erst im Frühjahr 1974 habe der Kläger "durch Aufstellen einer Tafel und Einzäunen die Beklagte an der Ausübung der von ihr ersessenen Wegdienstbarkeit zu behindern versucht". Ein deshalb von der Beklagten angestrengtes Besitzstörungsverfahren sei in erster Instanz zu ihren Gunsten entschieden worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die von der Beklagten im Jahre 1941 käuflich erworbene Liegenschaft EZ 376, Katastralgemeinde St., mit den Grundstücken Nr. 913/34 Garten und 299 Baufläche, Wohnhaus Am R-Hang 59, fällt nach Norden stark ab. Eine Zufahrtsmöglichkeit zum Wohnhaus besteht von Süden her. Vom Wohnhaus der Beklagten führt ein Steig über ihr im Norden und Osten durch einen bereits halb verfallenen Drahtmaschenzaun begrenztes Grundstück Nr. 913/34 in nördlicher Richtung abwärts zu einem an der nordöstlichen Ecke dieses Grundstückes befindlichen Gatter. Dieser Steig setzt sich deutlich ausgetretenen in zirka 30 bis 35 cm Breite auf dem im Norden angrenzenden Grundstück Nr. 913/15 des Klägers fort. Dieses in seinem südlichen Bereich mit alten Bäumen bestandene Grundstück ist nunmehr im Norden und an der Ostgrenze mit einem Drahtmaschenzaun eingezäunt. Dieser Zaun steht im Norden jedoch nicht an der Grenze, er ist vielmehr vom verfallenen Drahtmaschenzaun an der Grenze des Grundstückes der Beklagten zirka 1/2 bis 3/4 m entfernt. Über diesen so gebildeten Zwickel verläuft der oben beschriebene Steig zwischen den Bäumen, wendet sich dann nach Osten und führt durch den Wald und über die Wiese an den neuen Zaun anschließend bis zur R-Hangstraße herab. An einem Baum in Osten befindet sich eine Tafel mit der Aufschrift "Durchgang verboten". Auf dem Grundstück Nr. 913/15 befindet sich eine Tafel mit der Aufschrift "Privatbesitz, Durchgang verboten" und im westlichen Bereich des Grundstückes eine weitere Tafel mit der Aufschrift "Durchgang verboten".

Auf dem Grundstück Nr. 913/15 sind noch verschiedene ausgetretene Stellen eines ehemals zirka 1 bis 3 m westlich von der Ostgrenze dieses Grundstückes nach Norden hinabführenden Weges vorhanden.

Das Grundstück Nr. 913/15, Katastralgemeinde St., stand seinerzeit im Eigentum des Viktor E, welcher auch weitere Nachbarliegenschaften besaß. Ungefähr im Jahre 1966 erwarb Karl R ein Teilgrundstück nördlich des Anwesens der Beklagten. Im Jahre 1972 erwarb Karl H das Grundstück, welches er im Jahre 1973 an den Kläger weiterverkaufte.

Seit über 30 Jahren waren die Beklagte, ihre Hausangehörigen und auch die Anrainer des R-Hanges über einen Pfad von Norden herab zur Straße "Am R-Hang" gegangen, welcher über den ehemals Viktor E gehörigen Grund von der nordwestlichen Ecke des heutigen Grundstückes Nr. 913/15 in nordöstlicher Richtung schräg über dieses Grundstück führte. Die oben genannte Tafel im westlichen Bereich dieses Grundstückes mit der Aufschrift "Durchgang verboten" befand sich dort seit Jahren. Der Weg mundete etwa im Bereich der nordöstlichen Ecke des Grundstückes Nr. 913/15 in die nun mehr asphaltierte Straße "Am R-Hang". Zwischen den Jahren 1955 bis 1960 wurde jener Teil des früher Viktor E gehörigen Grundstückes, welcher im Südwesten an das heutige Grundstück Nr. 913/15 grenzt, eingezäunt. Dadurch war der vorhin beschriebene schräg verlaufende Weg unbenützbar. Die Beklagte welche, wie die Anrainer, vom Jahre 1943, dem Zeitpunkt der Zaunerrichtung auf ihrem Grund, an bis zu den Jahren 1955 bis 1960 über diesen Weg gegangen war, ging nunmehr durch das im Jahre 1959 oder 1960 neu errichtete "Türl" an der nordöstlichen Ecke des Grundstückes (Nr. 913/34) und von dort in der Folge wenigstens zum Teil westlich der Ostgrenze des Grundstückes Nr. 913/15 hinab zur asphaltierten Straße.

Der Kläger kaufte die Liegenschaft EZ 676, Katastralgemeinde St. im August 1973. Der Voreigentümer versicherte ihm, daß ein Wegerecht der Beklagten trotz des Türls im Zaun an der Grenze nicht bestehe. Eine Dienstbarkeit des Fußsteiges ist im Grundbuch nicht eingetragen. Als der Kläger sich im September oder Oktober 1973 bei der Beklagten als neuer Nachbar vorstellte, erwähnte er, daß er sein Grundstück einzäunen werde. Die Beklagte versuchte daher, von ihm einen Grundstücksstreifen bis zur Straße "Am R-Hang" käuflich zu erwerben. Da der Kläger sich dazu nicht bereitfand, fragte ihn die Beklagte, ob sie nicht bis zur Zaunerrichtung über sein Grundstück gehen könnte. Der Kläger gestattete ihr gegen jederzeitigen Widerruf, bis zur Errichtung des Zaunes durch das Türl am Grund der Beklagten über sein Grundstück zu gehen. Im April 1974 errichtete der Kläger den Zaun. Im gleichen Monat brachte die Beklagte die Besitzstörungsklage ein. Mit rechtskräftigem Endbeschluß vom 3. September 1974 wurde der nunmehrige Kläger schuldig erkannt, dadurch, daß er am 20. und 21. April 1974 entlang der südlichen Grenze des Grundstückes Nr. 913/15 der Katastralgemeinde St. einen Betonsockel mit Zaunsäulen errichtete und auf dem in Höhe der südöstlichen Ecke dieses Grundstückes beginnenden und stellenweise über dieses Grundstück zu Tal führenden Fußweg unmittelbar an der südlichen Grenze des Grundstückes Nr. 913/15 Nadelbäume pflanzte, die nunmehrige Beklagte im ruhigen Besitz ihres Rechtes auf ungehinderte Benützung dieses Fußweges gestört zu haben. Der nunmehrige Kläger wurde schuldig erkannt, den Zaun und die Nadelbäume, soweit sie die Wegbenützung durch die nunmehrige Beklagte behinderten, binnen 14 Tagen zu entfernen und in Hinkunft jede weitere derartige Störung des Rechtes auf Benützung dieses Weges zu unterlassen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Beklagte habe lediglich nachgewiesen, von 1943 an bis zu den Jahren 1955 bis 1960 den quer über das Grundstück des Klägers verlaufenden Weg benützt zu haben haben und seitdem, also höchstens durch 20 Jahre, den "klagsgegenständlichen Weg vom Türl am nordöstlichen Eck ihrer Liegenschaft über den Grund des Klägers gerade nach Norden". Hinsichtlich der letztangeführten Wegbenützung fehle es an der zur Ersitzung eines Wegerechtes erforderlichen Zeitdauer von 30 Jahren.

Das Berufungsgericht hob das Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte aus, der außerbücherliche Erwerb einer Dienstbarkeit durch Ersitzung setze nicht nur die Ausübung des Rechtsbesitzes durch mindestens 30 Jahre, sondern auch voraus, daß diese Rechtsausübung nicht unredlich oder unecht erfolgt sei. Für den Erwerb einer Grunddienstbarkeit sei weiter erforderlich, daß die Benützung des dienenden Gutes eine bessere oder bequemere Benützung des herrschenden Gutes ermögliche. Die Beklagte habe, nachdem die Benützung des schräg über das Grundstück Nr. 913/15 verlaufenden Weges durch Errichtung eines Zaunes in den Jahren 1955 bis 1960 nicht mehr möglich gewesen sei, ihren Rechtsbesitz weiter ausgeübt, wenn sie auch dann einen anderen Teil des Grundstückes, einen Grundstreifen entlang der östlichen Grundgrenze, benützt habe. Da die Beklagte das Grundstück Nr. 913/15 nur deshalb begangen habe, um zur öffentlichen Straße zu gelangen, könne es nicht zweifelhaft sein, daß sich ihr Besitzwille nicht nur auf den Pfad, welcher schräg über dieses Grundstück verlaufen sei, beschränkt habe, sondern sie das Grundstück als solches habe benützen wollen, um die öffentliche Straße zu erreichen. Der Rechtsbesitz der Beklagten sei durch die Nichtbenützung des Pfades nach der Zaunerrichtung nicht verloren gegangen, sondern nach den Jahren 1955 bis 1960, wenn auch an anderer Stelle, weiter ausgeübt worden. Das Begehen des Grundstückes Nr. 913/15 entlang der östlichen Grundgrenze stelle im übrigen eine geringere Belastung für dieses Grundstück dar, als die Benützung jenes Weges, welcher schräg über das Grundstück geführt habe. Die für den Erwerb der Dienstbarkeit erforderliche durch 30 Jahre andauernde Besitzausübung liege daher vor. Aufklärungsbedürftig bleibe hingegen, ob auch die übrigen Voraussetzungen für den Erwerb der Dienstbarkeit gegeben seien und ob der Kläger im Hinblick auf § 1500 ABGB die Dienstbarkeit gegen sich gelten lassen müsse.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers Folge und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die durch Auslegung gewonnene Annahme des Berufungsgerichtes, der Besitzwille der Beklagten habe sich nicht nur auf den schräg über das Grundstück verlaufenden Pfad beschränkt, die Beklagte habe vielmehr das Grundstück "als solches" benützen wollen, um die öffentliche Straße zu erreichen, und die daraus abgeleitete weitere Schlußfolgerung, der Rechtsbesitz der Beklagten sei dadurch, daß sie den schräg verlaufenden Pfad nach den Jahren 1955 bis 1960 nicht mehr benützt habe, nicht verloren gegangen, können mit den Feststellungen nicht in Einklang gebracht werden. Auch in der zur Stützung dieser Ansicht herangezogenen Entscheidung SZ 45/39 wurde unter Hinweis auf die Lehre (Schey, Klang in Klang[2]II, 82; Ehrenzweig, System[2], Sachenrecht, 81) ausgesprochen, daß der Inhalt des in Besitz genommenen Rechtes durch die denselben begrundenden Ergreifungsakte bestimmt wird, weshalb aus dieser Entscheidung sich für den Standpunkt des Berufungsgerichtes nichts gewinnen läßt. Daß die Beklagte vor den Jahren 1955 bis 1960 nicht nur über den schräg verlaufenden Weg über das Grundstück Nr. 913/15 gegangen wäre, sondern auch andere Teile dieses, Grundstückes dazu benützt hätte, um zur öffentlichen Straße zu gelangen, wurde nicht festgestellt. Mit Recht verweist der Kläger auf die in der Entscheidung GlUNF 4418, ausgesprochene Rechtsansicht, daß Fußsteig und Fahrweg keine Dienstbarkeiten sind, welche ihrer Natur nach das ganze dienende Grundstück erfassen und daher im Sinne des § 485 ABGB unteilbar wären. Solange die Beklagte über den schräg verlaufenden Weg ging, konnte sich somit ihr Besitzwille nur auf diesen Weg erstrecken. Als dieser Weg durch die zwischen den Jahren 1955 bis 1960 erfolgte Einzäunung jenes Teiles des früher Viktor E gehörigen Grundstückes, welcher im Südwesten an das jetzige Grundstück, Nr. 913/15 grenzt, unbenützbar wurde, hatte die Beklagte mangels der für die Ersitzung erforderlichen Zeit der Benützung eine Dienstbarkeit nicht erworben. Wenn sie nun in der Folge durch das im Jahre 1959 oder 1960 neu errichtete "Türl" an der nordöstlichen Ecke des Grundstückes Nr. 913/34 und von dort wenigstens zum Teil über das Grundstück Nr. 913/15 westlich der Ostgrenze dieses Grundstückes hinab zur asphaltierten Straße ging, kann diese Benützung des Grundstückes Nr. 913/15 nicht als Fortsetzung der Benützung des schräg über dieses Grundstück verlaufenden Weges und damit als Ausübung des bisherigen Rechtsbesitzes angesehen werden. Die Beklagte konnte sich auf ein Recht zur Benützung dieses neuen Weges nicht berufen, daß ihr die Benützung dieses neuen Weges vom Gründeigentümer zugestanden worden wäre, wurde nicht behauptet.

Mit Recht ist daher das Erstgericht davon ausgegangen, daß die für die Ersitzung einer Wegdienstbarkeit erforderliche Zeit hinsichtlich des seit den Jahren 1955 bis 1960 durch die Beklagte begangenen Weges damals zu laufen begonnen hat und die erforderliche Ersitzungszeit im Zeitpunkt der Klagseinbringung noch nicht abgelaufen war.

Damit erweist sich aber die vom Berufungsgericht dem Erstgericht aufgetragene Verfahrensergänzung als nicht erforderlich, weshalb der Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte