European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0030OB00166.75.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Dem Revisionsrekurs gegen den Beschluß des Rekursgerichtes vom 28. Mai 1975, GZ. R 238/75-95, wird nicht Folge gegeben.
Die Erstverpflichtete hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
II. Dem Revisionsrekurs gegen den Beschluß des Rekursgerichtes vom 9. Juli 1975, GZ. R 315/75-109, wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird in der Hauptsache dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat: „Auf Antrag der Erstverpflichteten wird die mit der Übergabe der ersteigerten Liegenschaft EZ * Katastralgemeinde * an den Ersteher H* gemäß §§ 156 (Abs. 2) und 349 EO verbundene Räumung dieser Liegenschaft hinsichtlich der im Parterre des Hauses befindlichen Wohnung (bestehend aus Vorzimmer, Küche, drei Zimmer, zwei Kabinette und Bad) bis zur rechtskräftigen Erledigung des beim Bezirksgericht St. Pölten zu C 579/75 anhängigen Rechtsstreites gegen Erlag einer Sicherheit von S 20.000,-- aufgeschoben. Das Mehrbegehren auf Aufschiebung der Übergabe der gesamten Liegenschaft und der Räumung der weiteren Teile dieser Liegenschaft wird abgewiesen.“
Im Kostenpunkt bleibt der angefochtene Beschluß aufrecht.
Der Ersteher H* ist schuldig, der Erstverpflichteten R* die mit S 864,-- bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung:
Am 13. 2. 1973 wurde der betreibenden Partei die Zwangsversteigerung der der Erstverpflichteten zu einem Viertel und der Zweitverpflichteten zu drei Vierteln gehörigen Liegenschaft EZ * Katastralgemeinde * bewilligt. Am 8. 5. 1974 wurde diese Liegenschaft dem H* um das Meistbot von 720.000,-- S zugeschlagen. Mit Beschluß vom 7. 8. 1974 wurde dem Ersteher gegen die beiden Verpflichteten die zwangsweise Übergabe und Räumung der Liegenschaft nach den §§ 156 (Abs. 2) und 349 EO bewilligt und der Vollzug für den 11. 9. 1974 anberaumt. Am 21. 8. 1974 stellte die Erstverpflichtete beim Erstgericht den Antrag, die Räumungsexekution bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den beim Kreisgericht St. Pölten zu 1 c Cg 40/74 (richtig: 1 c Cg 240/74) anhängigen Rechtsstreit aufzuschieben. Sie brachte hiezu im wesentlichen vor, sie benütze die auf der Liegenschaft befindlichen Räume, insbesondere die Wohnung im Parterre sowie die Nebenräume und den Garten, als Mieterin, sie habe diese Umstände bereits im angeführten Rechtsstreit mit dem Begehren auf Feststellung des behaupteten Bestandverhältnisses geltend gemacht. Dieses Streitverfahren sei noch anhängig. Sie werde durch die Räumung der Liegenschaft äußerst hart getroffen, weil sie keine andere Wohnmöglichkeit habe und daher der Obdachlosigkeit ausgesetzt wäre. Die betreibende Partei (Ersteher) habe demgegenüber durchaus die Möglichkeit, mit der Räumung der gegenständlichen Liegenschaft bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den angeführten Rechtsstreit zuzuwarten.
Das Erstgericht bewilligte mit Beschluß vom 4. 9. 1974, ON 64, die Aufschiebung der dem Ersteher bewilligten Exekution durch Räumung und Übergabe der Liegenschaft EZ * Katastralgemeinde * nach Art. 6 SchutzV bis zum 20. 2. 1975. Gleichzeitig behielt es sich die Entscheidung über den Antrag auf Aufschiebung der Exekution bis zur rechtskräftigen Erledigung der beim Kreisgericht St. Pölten zu 1 c Cg 40/74 (richtig: 1 c Cg 240/74) anhängigen Klage vor. Das Rekursgericht hob mit Beschluß vom 30. 10. 1974, GZ. R 404/74-70, diesen Beschluß auf und wies die Exekutionssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurück. Es vertrat hierbei unter anderem die Rechtsansicht, daß die Voraussetzungen für die Aufschiebung des Räumungsverfahrens (§ 156 EO) nach Art. 6 SchutzV nicht gegeben sei.
Mit Beschluß vom 7. 5. 1975, ON 88, schob das Erstgericht nunmehr die mit der Übergabe der versteigerten Liegenschaft an den Ersteher gemäß § 156 EO verbundene Räumung dieser Liegenschaft hinsichtlich der im Parterre des Hauses befindlichen Wohnung bis zur rechtskräftigen Erledigung des beim Kreisgericht St. Pölten zu 1 c Cg 240/74 anhängigen Rechtsstreites auf. Das Mehrbegehren, die gesamte Übergabe und Räumung bis zur rechtskräftigen Erledigung des angeführten Rechtsstreites aufzuschieben, wies es hingegen ab. Es vertrat im wesentlichen die Ansicht, daß der auf Feststellung eines Mietrechtes an der genannten Parterrewohnung geführte Prozeß beim Kreisgericht St. Pölten nur die Aufschiebung der Räumung in Ansehung dieses Teiles der Liegenschaft, nicht aber die gänzliche Aufschiebung rechtfertige.
Mit Beschluß vom 28. 5. 1975, GZ. R 238/75-95, änderte das Rekursgericht den Beschluß ON 88 dahin ab, daß der Antrag der Erstverpflichteten, die Übergabe der Liegenschaft an den Ersteher bis zur rechtskräftigen Entscheidung des zu 1 c Cg 240/74 beim Kreisgericht St. Pölten anhängigen Rechtsstreites aufzuschieben, abgewiesen wurde (Pkt. 1). Gleichzeitig wies es den gegen den Beschluß ON 88 von der Erstverpflichteten erhobenen Rekurs als verspätet zurück (Pkt. 2). Zu Punkt 1.) seiner Entscheidung war das Rekursgericht der Auffassung, daß eine Mietrechtsfeststellungsklage, wie sie hier vorliege, kein gesetzlicher Aufschiebungsgrund sei.
Die Erstverpflichtete erhob gegen den rekursgerichtlichen Beschluß ON 95 Revisionsrekurs.
Kurz darauf brachte die Erstverpflichtete beim Erstgericht zu C 579/75 eine Klage ein, mit der sie Einwendungen gegen den „Anspruch auf Räumung“ der gesamten Liegenschaft „bzw. gegen die Räumung“ mit dem Begehren erhob, den Einwendungen, „daß der Anspruch auf Übergabe und Räumung der Liegenschaft ... zufolge Bestehens von Mietrechten zugunsten der Klägerin aufgehoben werde“, Folge zu geben. Gleichzeitig begehrte sie die Aufschiebung der Räumung und Übergabe der Liegenschaft bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diese Klage. Mit Beschluß vom 17. 6. 1975, ON 98a, schob das Erstgericht die Räumungsexekution bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens C 579/75 gegen Erlag einer Sicherheit von 5.000,-- S auf.
Diesen Aufschiebungsbeschluß änderte das Rekursgericht mit Beschluß vom 9. 7. 1975, GZ. R 315/75‑109, dahin ab, daß der mit der Klage C 579/75 verbundene Antrag, „die mit Beschluß vom 7. 8. 1974 angeordnete Übergabe der Liegenschaft EZ * Katastralgemeinde * und deren Vollziehung nach den Bestimmungen des § 49 EO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die zu C 579/74 des Bezirksgerichtes St. Pölten eingebrachte Klage aufzuschieben“, abgewiesen wurde. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, die beim Erstgericht zu C 579/75 eingebrachte Klage sei wohl als Exszindierungsklage zu werten und als solche ein gesetzlicher Grund zur Aufschiebung der bekämpften Exekution. Die beim Kreisgericht erhobene Mietrechtsfeststellungsklage und die gegenständliche Widerspruchsklage müßten aber höchstwahrscheinlich abgewiesen werden. Diese Schlußfolgerung zog das Rekursgericht nach einer Würdigung der im Mietrechtsfeststellungsprozeß bisher aufgenommenen Beweise, die auch im Exszindierungsprozeß auf Grund eines im wesentlichen gleichen Vorbringens geführt werden.
Auch diesen rekursgerichtlichen Beschluß ficht die Erstverpflichtete mit Revisionsrekurs an.
I. Zum Revisionsrekurs gegen den Beschluß des Rekursgerichtes vom 28. 5. 1975, GZ. R 238/75-95:
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht gerechtfertigt.
Zunächst ist festzuhalten, was für beide Revisionsrekurse gilt, daß die Übergabe einer zwangsversteigerten Liegenschaft nach § 156 Abs. 2 EO gemäß den Bestimmungen des § 349 EO, somit im Wege einer in das Zwangsversteigerungsverfahren zur Durchsetzung des Übergabsanspruches des Erstehers eingegliederten Räumungsexekution, zu erfolgen hat. Gegen eine solche Exekution kann sich der Verpflichtete oder ein Dritter auch mit einer exekutionsrechtlichen Klage zur Wehr setzen; gleichzeitig kann er die Aufschiebung der Exekution nach Maßgabe der Bestimmungen der Exekutionsordnung begehren (Heller-Berger-Stix, 1253 f.). Gegenstand dieser „Räumungsexekution“ ist die Entfernung des Verpflichteten und seiner Fahrnisse von der Liegenschaft und die Übergabe der Liegenschaft in den physischen Besitz des Erstehens. Das Bestehen von Mietverhältnissen an der zu räumenden Liegenschaft schließt zwar nicht deren Gesamtübergabe aus, wohl aber die Räumung in Ansehung der in Bestand gegebenen Teile der Liegenschaft (Heller-Berger-Stix, 1255 f.). Die Unzulässigkeit der Räumung in Ansehung eines vermieteten Teiles der Liegenschaft – nicht aber auch die Übergabe der Liegenschaft – kann somit von einem Dritten mittels Klage nach § 37 EO geltend gemacht werden (Heller‑Berger‑Stix, 1254). Als Exszindierungsberechtigter ist im Falle der Versteigerung der Gesamtliegenschaft auch ein Miteigentümer anzusehen, der mit den übrigen Miteigentümern einen Bestandvertrag hinsichtlich der Gesamtliegenschaft oder Teile hievon abgeschlossen hat, was an sich zulässig ist (siehe die Entscheidungen Nr. 2 zu § 1093 ABGB, Kapfer MGA Bd 229). Im vorliegenden Fall hat die Erstverpflichtete ihr angebliches Mietrecht zunächst mit einer Klage auf Feststellung ihres Mietrechtes geltend gemacht. Eine solche Klage ist prozeß- und exekutionsrechtlich nicht einer Exszindierungsklage gleichzusetzen. Auf eine solche Feststellungsklage ist insbesondere die Bestimmung des § 37 Abs. 3 EO unanwendbar. Eine erfolgreiche Klage auf bloße Feststellung eines Rechtes, das an sich eine Exekution unzulässig machen würde, kann demnach nicht unmittelbar zur Einstellung der Exekution führen (MietSlg 21.882). Eine bloße Feststellungsklage stellt daher auch keinen gesetzlichen Aufschiebungsgrund dar; sie kann daher insbesondere nicht als Aufschiebungsgrund nach § 42 Abs. 1 Z 5 EO behandelt werden. Das Rekursgericht ist demnach zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die von der Erstverpflichteten beim Kreisgericht St. Pölten zu 1 c Cg 240/74 eingebrachte Feststellungsklage als gesetzlicher Grund zur Aufschiebung der gegenständlichen Räumungsexekution (§ 156 EO) nicht in Frage kommt; es hat deshalb dem Rekurs des Erstehens gegen den erstgerichtlichen Aufschiebungsbeschluß (ON 88) mit Recht im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Aufschiebungsantrages Folge gegeben.
Auf das Vorbringen im Revisionsrekurs, die Aufschiebung der Exekution hätte zumindest nach Art. 6 SchutzV bewilligt werden müssen, ist nicht einzugehen, weil das Erstgericht über einen derartigen Antrag nicht entschieden hat, die Unterlassung einer solchen Entscheidung unangefochten geblieben ist und demnach auch das Rekursgericht nicht mehr neuerlich zu prüfen hatte, ob der Aufschiebungsantrag vom 21. 8. 1974, ON 62, überhaupt auch auf Art. 6 SchutzV gestützt und nach dieser Bestimmung gerechtfertigt war.
Der rekursgerichtliche Beschluß ON. 95 war daher zu bestätigen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf den §§ 40, 50 ZPO, § 78 EO.
II. Zum Rekurs gegen den Beschluß des Rekursgerichtes vom 9. 7. 1975, GZ. R 315/75-109:
Der Revisionsrekurs ist teilweise gerechtfertigt.
Bei der beim Erstgericht zu C 579/75 eingebrachten Klage handelt es sich trotz der teilweise unrichtigen Formulierungen („Einwendungen gegen Anspruch bzw. gegen die Räumung“; „Einwendungen, daß der Räumungsanspruch aufgehoben werde“) um eine Klage im Sinne des § 37 EO. Diese stellt, wie bereits ausgeführt wurde, einen gesetzlichen Grund zur Aufschiebung der betreffenden Anlaßexekution dar (§ 42 Abs. 1 Z 5 EO). Nach ständiger Rechtsprechung ist eine – im Gesetz allerdings nicht ausdrücklich angeführte – Voraussetzung für die Bewilligung einer Exekutionsaufschiebung (sekundärer Rechtsbehelf gegen rechtswidrige Beschlüsse und Vollzugsakte), daß die Aktion (primärer Rechtsbehelf), auf die sich der Aufschiebungsantrag stützt, nicht offenbar aussichtlos ist. Bei dieser Prüfung hat das Exekutionsgericht – im Falle einer Exszindierungsklage als Aufschiebungsgrund – nur von dem Prozeßvorbringen des Aufschiebungswerbers auszugehen (3 Ob 142/64, 3 Ob 192/73 = EvBl 1974/108 uva). Dem endgültigen Erfolg darf hierbei aber nicht vorgegriffen werden, es darf daher eine Beweiswürdigung nicht vorgenommen werden (3 Ob 15-18/71 ua). Das Rekursgericht hätte daher bei seiner Entscheidung umsoweniger auf ein anderes, noch nicht rechtskräftig entschiedenes Prozeßverfahren Bedacht nehmen dürfen und insbesondere auch nicht die dort bereits aufgenommenen Beweise würdigen dürfen. Die vorliegende Exszindierungsklage (C 579/75) kann nicht als offenbar aussichtslos angesehen werden; sie ist daher als Aufschiebungsgrund grundsätzlich geeignet. Die im § 44 Abs. 1 EO normierte Voraussetzung für die Exekutionsaufschiebung (Gefährdung im Falle der Fortsetzung der Exekution) hat die Erstverpflichtete in dem Aufschiebungsantrag jedoch nur hinsichtlich der von ihr bewohnten Parterrewohnung behauptet, nicht aber hinsichtlich der darüber hinausgehenden Teile der Liegenschaft (Garten, Wohnungen in dem Mansardenteil). Es liegt daher diese Voraussetzung für die Aufschiebung nur hinsichtlich der von ihr benützten Wohnung vor. Einer Bescheinigung des diesbezüglichen Vorbringens bedurfte es allerdings nicht, weil bei der Räumungsexekution die Gefahr eines unersetzlichen oder schwer zu ersetzenden Vermögensnachteiles im Verlust einer Wohnung offenkundig ist. Dies gilt allerdings nicht, soweit es sich um Räume handelt, die nicht einem dringenden Wohnbedürfnis des Aufschiebungswerbers dienen (Heller‑Berger‑Stix, 548).
Im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu den beiden Revisionsrekursen ist der Aufschiebungsantrag der Erstverpflichteten in Ansehung der Übergabe der Gesamtliegenschaft gänzlich unbegründet, in Ansehung der Räumung ist der Aufschiebungsantrag jedoch bezüglich der von der Revisionsrekurswerberin benützten Wohnung im Erdgeschoß des dem Ersteher zu übergebenden Hauses (Liegenschaft) gerechtfertigt. Die Bewilligung der Aufschiebung in diesem Umfang war jedoch nach § 44 Abs. 2 EO von einer Sicherheit, deren Höhe sich nach dem Schaden richtet, der dem Ersteher infolge Verzögerung seines Anspruches auf Übergabe des Objektes entstehen könnte (Heller‑Berger‑Stix, S. 553), abhängig zu machen. Als solcher erscheint der Betrag von 20.000,-- S angemessen. Einer Fristsetzung hiezu bedurfte es nicht; die Wirkungen der Aufschiebung treten erst mit Erlag der Sicherheit ein (3 Ob 15-18/71).
Dem Revisionsrekurs war somit nur teilweise Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekurses und des Revisionsrekurses beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, § 78 EO, wonach dem im Zwischenstreit Obsiegenden ein Kostenersatzanspruch zusteht (Heller‑Berger Stix, 706 f.).
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