OGH 5Ob311/74

OGH5Ob311/7418.12.1974

SZ 47/152

Normen

ABGB §365
EisbEG §35 Abs2
VfGG §86
ABGB §365
EisbEG §35 Abs2
VfGG §86

 

Spruch:

Auf Grund eines Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes, mit dem der Beschwerde gegen einen Enteignungsbescheid aufschiebende Wirkung zuerkannt worden ist, kann dem Enteigner die Fortsetzung der Bautätigkeit auf der gemäß § 35 Abs. 2 EisbEG bereits in sein Eigentum übergegangenen Grundfläche nicht untersagt werden

OGH 18. Dezember 1974, 5 Ob 311/74 (LGZ Wien 46 R 408/74; BG Innere Stadt Wien 37 C 90/74)

Text

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. April 1974, MA 64-4878/73, wurde zum Zwecke des Ausbaues der Wiener Gürtelautobahn unter Bezugnahme auf den Teilungsplan des Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen Prof. Dipl.-Ing. Dr. S vom 2. Mai 1974, GZ 3266, eine näher bezeichnete, 511 m2 große Teilfläche des Grundstückes 2665 der EZ aus dem Eigentum der gefährdeten Partei zugunsten der Republik Österreich enteignet. Der von der gefährdeten Partei gegen diesen Enteignungsbescheid erhobenen Berufung wurde vom Bundesministerium für Bauten und Technik mit Bescheid vom 30. Juni 1974, Zl. 535.853-11/16 nicht Folge gegeben. Die Republik Österreich erlegte den im Enteignungsbescheid festgesetzten Entschädigungsbetrag von 1.644.939 S zugunsten der gefährdeten Partei bei Gericht. Der Erlag wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22. August 1974, 6 Nc 77/74- 5, angenommen. Am 30. August 1974 erfolgte der Vollzug der Enteignung im Sinne des § 35 Abs. 2 EisbEG 1954 durch Einweisung der Republik Österreich in die enteignete Teilfläche der Liegenschaft der gefährdeten Partei. Die gefährdete Partei erhob gegen den vorgenannten Bescheid des Bundesministeriums für Bauten und Technik wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof erkannte mit Beschluß vom 16. September 1974, B 257/74-7, dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu, weil mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides für die Beschwerdeführerin ein unwiederbringlicher Nachteil verbunden wäre.

Unter Darstellung dieses Sachverhaltes und Vorlage der entsprechenden urkunden beantragte die gefährdete Partei am 20. September 1974 beim Erstgericht die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Republik Österreich verboten werden sollte, auf der Liegenschaft EZ, vor allem aber auf dem in der angeschlossenen Plankopie schraffierten Teilgrundstück, jedwede Bautätigkeit durchzufuhren bzw. von Beauftragten oder Erfüllungsgehilfen durchführen zu lassen, das genannte Grundstück und damit auch den genannten Grundstucksteil auch nur zu betreten oder von dritten Personen betreten zu lassen sowie überhaupt Veränderungen jedweder Art vorzunehmen; die gefährdete Partei stützte dieses Begehren auf die durch die Aussage einer Auskunftsperson bescheinigte Behauptung, daß die Antragsgegnerin trotz des auch ihr bekanntgewordenen Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes ihre Bauarbeiten auf dem enteigneten Grundstücksteil weiterhin fortsetze. In ihrem Antrag vertrat die gefährdete Partei die Meinung, daß der Enteignungsbescheid ab der Zustellung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes an die Antragsgegnerin nicht mehr rechtskräftig sei und daß sich die Gefahrdung ihres Unterlassungsanspruches schon aus der Entscheidung des Höchstgerichtes und der Tatsache ergebe daß die Antragsgegnerin diese Entscheidung mißachte und widerrechtlich zum Schaden der gefährdeten Partei den Bau der Autobahn auf der enteigneten Grundfläche vorantreibe.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung in der Form, daß es der Antragsgegnerin ab sofort jedwede Bautätigkeit auf dem durch die Enteignung erfaßten Teil des Grundstückes 2665 der EZ X und das Betreten sowie jede Veränderung dieses Grundstücksteiles verbot. Das Erstgericht erließ diese einstweilige Verfügung längstens für die Zeit bis zur rechtskräftigen Erledigung der von der gefährdeten Partei zu B 257/74 erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde. Zugleich wurde das Erlöschen der einstweiligen Verfügung ausgesprochen, falls die gefährdete Partei nicht binnen drei Wochen nachweise, daß sie die Antragsgegnerin auf Unterlassung jedweder Bautätigkeit auf dem von der Enteignung betroffenen Grundstücksteil geklagt habe. Das Erstgericht nahm den eingangs dargestellten Sachverhalt und darüber hinaus als erwiesen an, daß die gefährdete Partei den Inhalt des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 16. September 1974 am 18. September 1974 dem Sektionsrat Dr. H vom Bundesministerium für Bauten und Technik mit der Aufforderung mitgeteilt habe, sofort die Bautätigkeit auf ihrem Grundstück einzustellen, und daß die Antragsgegnerin dieser Aufforderung bisher nicht entsprochen habe, sondern weiterhin an zwei Betonpfeilern für die über die Liegenschaft der gefährdeten Partei projektierte Autobahn arbeiten lasse. Darausergebe sich sowohl der Anspruch der gefährdeten Partei auf Freiheit von Eingriffen in ihr Eigentum als auch die Gefährdung dieses Anspruches. Es sei auch zu besorgen, daß durch eine weitere Veränderung des bestehenden Zustandes durch die Baufortführung die Durchsetzung des Eigentumsrechtes der gefährdeten Partei zumindest erheblich erschwert werde und daß ihr allenfalls ein unwiederbringlicher Schaden drohe.

Gegen die einstweilige Verfügung erhob die Antragsgegnerin Rekurs und Widerspruch. Über letzteren ist bisher noch nicht entschieden. Dem Antrag der Antragsgegnerin, ihrem Rekurs aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wurde vom Erstgericht nicht Folge gegeben.

Das Rekursgericht änderte die einstweilige Verfügung dahin ab, daß zur Sicherung des Anspruches der gefährdeten Partei auf Unterlassung einer Bautätigkeit der Antragsgegnerin die Fortführung der Bautätigkeit auf einem näher bezeichneten Teilstück der enteigneten Grundfläche sowie die Vornahme von Veränderungen jedweder Art verboten wurden. Zugleich trug das Rekursgericht der gefährdeten Partei auf, für alle der Antragsgegnerin durch das Verbot verursachten Nachteile eine Sicherheitsleistung von 1 Million Schilling binnen 10 Tagen zu leisten, widrigenfalls die einstweilige Verfügung aufgehoben werde. Im übrigen beschränkte auch das Rekursgericht die Wirkungsdauer der einstweiligen Verfügung in gleicher Weise wie das Erstgericht. Das Mehrbegehren der gefährdeten Partei (Verbot des Betretens der enteigneten Grundfläche und Fortsetzung der Bautätigkeit auf dem restlichen Teil des bezeichneten Grundstückes) wurde abgewiesen.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes stützt sich im wesentlichen auf die Auffassung, daß der Beschluß des Verfassungsgerichtshofes, wonach der Beschwerde der gefährdeten Partei gegen den Enteignungsbescheid aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, den Eintritt der durch die Rechtsordnung an den Bescheid geknüpften Rechtswirkungen hinausgeschoben habe, daß also der angefochtene Bescheid keine Rechtswirkungen mehr erzeuge. Die Beteiligten, die Verwaltungsbehörden und Gerichte hätten sich deshalb bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage so zu verhalten, als wäre der Bescheid noch nicht ergangen. Dementsprechend sei die gefährdete Partei nach wie vor als Eigentümerin der enteigneten Grundfläche anzusehen, woraus sich ihr Anspruch ergebe, der Antragsgegnerin die Fortfuhrung der Bautätigkeit auf einem Teil dieser Fläche zu verbieten. Durch die Fortführung der Bauarbeiten werde der bestehende Zustand erheblich verändert, weshalb eine Vereitelung des Unterlassungsanspruches für die Zeit bis zu seiner Verwirklichung evident sei. Deshalb müsse nicht erörtert werden, inwieweit das Verbot für die gefährdete Partei zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens notwendig sei. Zur Erlassung der einstweiligen Verfügung sei das Gericht entgegen der Meinung der Rekurswerberin zuständig. Der Rekurs der Antragsgegnerin sei jedoch insoweit begrundet, als sich der behauptete Anspruch der gefährdeten Partei lediglich auf einen bestimmten Teil der enteigneten Grundfläche beziehe und überdies trotz ausreichender Bescheinigung des Anspruches der gefährdeten Partei die einstweilige Verfügung nach Lage der Umstände doch nur unter Auferlegung einer Sicherheitsleistung zu bewilligen sei. Infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin wies der Oberste Gerichtshof den Sicherungsantrag der gefährdeten Partei ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Allerdings kann der Meinung der Rekurswerberin, daß im vorliegenden Fall der Rechtsweg unzulässig sei, nicht beigetreten werden: Soweit die gefährdete Partei ihren Unterlassungsanspruch aus ihrem behaupteten Eigentumsrecht an der von der Bautätigkeit der Antragsgegnerin betroffenen Grundfläche ableitet, ist ohne Zweifel die Zulässigkeit des Rechtsweges gegeben, weil die beantragte einstweilige Verfügung der Sicherung eines bürgerlich-rechtlichen Anspruches der gefährdeten Partei dienen soll. Ob der gefährdeten Partei darüber hinaus auf Grund des von ihr vorgetragenen Sachverhaltes auch ein öffentlich-rechtlicher Anspruch etwa im Sinne des § 86 Abs. 3 VfGG 1953 zusteht, ist im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu prüfen, da der Antrag der gefährdeten Partei nicht in diese Richtung zielt.

Wie das Rekursgericht richtig erkannte, hängt die Beantwortung der Frage, ob der behauptete Unterlassungsanspruch der gefährdeten Partei bescheinigt ist, ausschließlich davon ab, welche Bedeutung dem Beschluß des Verfassungsgerichtshofes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde der gefährdeten Partei gegen den Enteignungsbescheid zukommt. Da durch den Vollzug einer rechtskräftigen Enteignung im Sinne des § 35 Abs. 2 EisbEG das Eigentum vom Enteigneten auf den Enteigner übergeht (vgl. auch § 20 Abs. 4 BStG 1971; Klang[2] II, 201; Ehrenzweig[2] I/2, 229), also im besonderen Fall durch die verwaltungsbehördliche Einweisung der Antragsgegnerin in die enteignete Grundfläche am 30. August 1974 die gefährdete Partei das Eigentumsrecht an dieser Grundfläche verloren hat, kann sie sich seither nicht mehr auf ihr Eigentum daran berufen. Daran ändert auch nichts, daß die gefährdete Partei gegen den Enteignungsbescheid die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß § 82 VfGG erhob und dieser Beschwerde mit dem Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 16. September 1974 aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, da auf Grund dieses Beschlusses die Verwaltungsbehörde den Vollzug ihres Bescheides aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Verfügungen zu treffen hat, eine Rückgängigmachung zeitlich vorausgegangener Vollziehungshandlungen aber nicht in Betracht kommt (vgl. Kopp, Rechtsfragen der aufschiebenden Wirkung im Verwaltungsverfahren, JBl. 1973, 60, insbesondere 64). Selbst wenn die Beschwerde der gefährdeten Partei Erfolg haben sollte, würde mit der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes, daß mit dem angefochtenen Enteignungsbescheid verfassungsgesetzlich gewährleistete Redite der gefährdeten Partei verletzt wurden, und mit der Aufhebung des Enteignungsbescheides das Eigentumsrecht der gefährdeten Partei an der enteigneten Grundfläche nicht ohne weiteres wieder aufleben, sondern es bedurfte zum Wiedererwerb des Eigentums der gefährdeten Partei an dieser Grundfläche noch einer dem Vollzug der Enteignung entsprechenden Wiedereinführung der gefährdeten Partei in den Besitz der seinerzeit enteigneten Grundfläche durch die Verwaltungsbehörde (vgl. Klang, 203; Layer, Prinzipien des Enteignungsrechtes, 440).

Ein Vollzug der Enteignung nach der Beschlußfassung des Verfassungsgerichtshofes über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wäre allerdings nicht mehr in Betracht gekommen (über den Unterschied zwischen Rechtswirksamkeit und Vollziehbarkeit des Verwaltungsbescheides siehe Kopp, 61). Es sind daher auch die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in dem vom Rekursgericht zitierten Erkenntnis, daß der angefochtene Bescheid vorläufig keine Rechtswirkungen zu äußern vermag, in dem Sinne zu verstehen, daß bis zur Entscheidung über die Beschwerde der Vollzug des angefochtenen Bescheides aufzuschieben ist, d. h., daß vorläufig Vollziehungshandlungen zu unterbleiben haben. Die Fortführung der Bautätigkeit der Antragsgegnerin auf der enteigneten Grundfläche gehört aber nicht zur Vollziehung des Enteignungsbescheides, sondern beruht auf dem auf die Antragsgegnerin bereits wirksam übergangenen Eigentumsrecht.

Der auf Grund ihres vermeintlichen Eigentumsrechtes behauptete Unterlassungsanspruch der gefährdeten Partei ist daher durch den gegebenen Sachverhalt nicht bescheinigt. Der völlige Mangel einer Bescheinigung des behaupteten Anspruches kann aber durch Sicherheitsleistung nicht ersetzt werden (ZBl. 1924/69 u. v. a.). Vielmehr ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen, ohne daß die Frage zu erörtern wäre, ob durch die Fortsetzung der Bauführung der Antragsgegnerin eine Gefährdung der Antragstellerin eintritt.

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