OGH 2Ob156/74 (2Ob157/74)

OGH2Ob156/74 (2Ob157/74)10.10.1974

SZ 47/106

Normen

CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr Art29
CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr Art29

 

Spruch:

"Dem Vorsatz gleichstehende Fahrlässigkeit" im Sinne des Art. 20 CMR BGBl. 138/1961 bedeutet grobe Fahrlässigkeit

OGH 10. Oktober 1974, 2 Ob 156, 157/74 (OLG Wien 1 R 234/73; HG Wien 20 Cg 1046/73)

Text

Die Klägerin begehrte von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Bezahlung eines Schadenersatzes von "8.372.55 DM im Gegenwert in Schilling zum entsprechenden Tageskurs bei Rechtskraft des Urteils" samt Anhang (zur Formulierung dieses Begehrens sei vorweg auf die Entscheidung SZ 44/42, sowie auf Art. 8 Nr. 8 Abs. 2 der 4. handelsrechtlichen EV hingewiesen). Die Klägerin habe von einer Firma in der Bundesrepublik Deutschland als Spediteur den Auftrag erhalten, den Transport einer Ladung Zeitungsdruckpapier von Jugoslawien nach München durchzuführen. Diesen Auftrag habe sie an die Erstbeklagte weitergegeben Letztere habe sich zur Erfüllung des Auftrages eines LKWs der Zweitbeklagten bedient. Der LKW sei am 21. Juli 1970 in Jugoslawien auf der Fahrt nach Österreich verunglückt. Am 7. September 1970 habe die Klägerin die von ihrem Auftraggeber mit dem Schadensbetrag belastet worden sei ihrerseits die Erstbeklagte belastet. Am 2. Oktober 1970 habe der CMR-Versicherer, dem die Erstbeklagte den Schaden angeblich gemeldet habe, mitgeteilt, daß ein Ersatz wegen Fremdverschuldens nicht geleistet werden könne. Dies sei der Erstbeklagten am 2. November 1970 mit dem Auftrag mitgeteilt worden, den schuldtragenden Lenker in Anspruch zu nehmen. Am 28. Juni 1972 habe die Erstbeklagte die Klägerin von der Stellungnahme des CMR-Versicherers verständigt, wobei auf Grund der angeschlossenen Schadensmeldung zu entnehmen gewesen sei, daß ein Verschulden eines fremden Lenkers an dem Unfall gemeldet worden sei. In Wahrheit habe sich jedoch nachträglich herausgestellt, daß der Lenker der Zweitbeklagten infolge starker Alkoholisierung den Unfall verschuldet habe. Während die Zweitbeklagte ihre Ersatzpflicht ablehne weil sie lediglich ihren LKW zur Verfügung gestellt habe, behaupte die Erstbeklagte die Zweitbeklagte sei als Frachtführer eingeschritten.

Die Beklagten wendeten bezüglich der Erstbeklagten mangelnde Passivlegitimation ein, weil diese der Klägerin am 26. Juli 1972 ihre Anspruche nach § 52a AÖSp. gegen die Zweitbeklagte abgetreten habe. Bezuglich der Zweitbeklagten sei nach Art. 32 erster Satz CMR der Anspruch verjährt. Außerdem habe die Klägerin die Höhe des Schadens zum Teil mitverschuldet.

Außer Streit steht, daß zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen und zwischen sämtlichen Parteien die CMR Anwendung zu finden haben. Das Frachtgut hätte im Jahre 1970 abgeliefert werden müssen. Die Klägerin ist an die Zweitbeklagte erstmals im Juli 1972 herangetreten. Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, die Erstbeklagte habe ihre Forderungen gegen die Zweitbeklagte gemäß § 52 lit a AÖSp. der Klägerin abgetreten, weshalb sie nicht mehr passiv legitimiert sei; der Zweitbeklagten komme Verjährung zugute, die einjährige Verjährungsfrist der CMR sei bereits abgelaufen; vorsätzliche Herbeiführung des Schadens sei nicht behauptet worden.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung hinsichtlich der Zweitbeklagten, hob aber bezüglich der Erstbeklagten das Ersturteil auf und verwies insoweit die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge. Das Teilurteil und im entsprechenden Umfang das Ersturteil wurden aufgehoben, die Rechtssache wurde insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Dem Rekurs wurde nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, die Zweitbeklagte könnte nur in Anspruch genommen werden, wenn sie mit der Erstbeklagten einen selbständigen Frachtvertrag abgeschlossen hätte. Hätte sie hingegen der Erstbeklagten nur einen LKW zur Ausführung des Transportes zur Verfügung gestellt, wäre der schuldtragende Lenker als Erfüllungsgehilfe der Erstbeklagten tätig geworden. Wenn die Zweitbeklagte von der Erstbeklagten als Frachtführer beauftragt worden sei, könnte von ihr Schadenersatz nur insoweit begehrt werden, als sie der Erstbeklagten schadenersatzpflichtig sei. Die Klägerin behaupte kein unmittelbares Vertragsverhältnis zur Zweitbeklagten. Die Zweitbeklagte wäre daher in diesem Falle ein Dritter im Sinne des § 52a AÖSp. Durch die Abtretung der Schadenersatzansprüche gegen den Dritten beginne keine neue Verjährungsfrist zu laufen. Die einjährige Verjährungsfrist zwischen den beiden Beklagten sei spätestens mit Ende des Jahres 1971 abgelaufen. Grobes Verschulden genüge nach Art. 32 Abs. 1 zweiter Satz CMR nicht, um die dreijährige Verjährungsfrist anwendbar zu machen. Vorsätzliche Veranlassung des Unfalles habe die Klägerin nicht behauptet. Das Erstgericht habe daher die Klage gegen die Zweitbeklagte mit Recht wegen Verjährung abgewiesen. Das Erstgericht habe aber übersehen, daß die Klägerin nicht ausschließlich behauptet habe, die Zweitbeklagte sei als Frachtführer tätig geworden. Sie lasse auch die Möglichkeit offen, daß der Transport von der Erstbeklagten mit Hilfe eines LKWs der Zweitbeklagten ausgeführt worden sei. Dann wäre die Erstbeklagte Frachtführer im Sinne der CMR. Nach Art. 32 zweiter Absatz CMR werde jedoch durch eine schriftliche Reklamation die Verjährung gehemmt. Das Erstgericht habe Feststellungen in dieser Richtung unterlassen. Überdies seien die Behauptungen der Klägerin über eine Versicherungspflicht und eine Verletzung derselben durch die Erstbeklagte nicht geprüft worden.

Der Schwerpunkt der Revision der Klägerin liegt in der Rechtsrüge, worin vorgebracht wird, daß eine vor Antritt der Fahrt durch den Lenker eines Kraftfahrzeuges herbeigeführte Alkoholisierung von 2.8 Promille nicht als fahrlässige Handlung anläßlich des Transportes des Gutes bezeichnet werden könne. Diese Berauschung sei zeitlich verschoben erfolgt, unabhängig vom späteren Antritt der Fahrt, sie sei daher keine typische Speditionshandlung.

Die Revision verwechselt hier Ursache und Wirkung. Nicht die Tatsache, daß der Lenker vor Antritt der Fahrt Alkohol zu sich genommen hat, sondern daß er infolge seiner Berauschung fehlerhaft gefahren ist und dabei einen Schaden verursacht hat, bedeutet eine Beschädigung anläßlich des Transportes.

Mit Recht wendet sich aber die Revision gegen die Lösung der Verjährungsfrage durch die Untergerichte. Die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der CMR (BGBl. 138/1961; 166 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, IX. GP) besagen zu Art. 29: "Die CMR hält sich hier in der Terminologie an die ursprüngliche Fassung des Art. 25 des Warschauer Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 10. Dezember 1929. Die Literatur zu diesem Abkommen sieht in dem Begriff des vom Vorsatz gleichstehenden Verschuldens im allgemeinen eine Umschreibung der groben Fahrlässigkeit." Art. 25 des Warschauer Abkommens (BGBl, 286/1961) lautet: "Hat der Luftfrachtführer den Schaden vorsätzlich oder durch eine Fahrlässigkeit herbeigeführt, die nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht, so kann er sich nicht auf die Bestimmungen dieses Abkommens berufen, die seine Haftung ausschließen oder beschränken." Dazu führt Abraham, Das Recht der Luftfahrt I, 366 in Anm. 3 ff. aus: "Die dem deutschen Rechtsdenken fremdartige Formulierung einer dem Vorsatz gleichstehenden Fahrlässigkeit erklärt sich aus der Rücksichtnahme auf das angloamerikanische Recht, das den Begriff der groben Fahrlässigkeit im kontinentalen Sinne nicht kennt ... Für das deutsche Recht ist festzustellen, daß die grobe Fahrlässigkeit eine dem Vorsatz gleichstehende Fahrlässigkeit ist." (Eine ähnliche Formulierung enthält übrigens auch § 29e Abs. 1 des Luftverkehrsgesetzes, der eine uneingeschränkte Haftung für "vorsätzlich oder grob fahrlässig" herbeigeführte Schäden vorsieht.) Den auch mit der deutschen Rechtsprechung im Widerspruch stehenden Ausführungen Muths, Leitfaden zur CMR, zu Art. 29, auf die sich die Untergerichte gestützt haben, kann daher nicht gefolgt werden. Daß aber grobes Verschulden dem Vorsatz hinsichtlich des Ersatzes von Vermögensschaden nach österreichischem Recht grundsätzlich "gleichsteht", beweisen die §§ 1331, 1332 ABGB, Das Berufungsgericht hätte daher den Klagsanspruch gegenüber der Zweitbeklagten nicht von vornherein wegen Verjährung abweisen dürfen. Das Teilurteil war somit schon aus dieser rechtlichen Erwägung aufzuheben. Da jedoch Feststellungen über die gegenseitigen Beziehungen der Streitteile überhaupt nicht getroffen wurden, war auch das Ersturteil in diesem Umfang aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Rekurs der Erstbeklagten meint im wesentlichen, die Klägerin habe gar nicht behauptet, daß die Erstbeklagte das Fahrzeug der Zweitbeklagten nur gemietet habe, um den Auftrag selbst als Frachtführer durchzuführen. Das ist jedoch aktenwidrig, da sich aus der Klage das Gegenteil ergibt. Eine Verfahrensergänzung in der vom Berufungsgericht aufgezeigten Richtung ist daher unerläßlich.

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