OGH 1Ob7/74

OGH1Ob7/7413.2.1974

SZ 47/11

Normen

ABGB §970
ABGB §970

 

Spruch:

Allgemeine Krankenanstalten sind Gastwirten, die Fremde beherbergen (§ 970 ABGB), nicht gleichzustellen

OGH 13. Feber 1974, 1 Ob 7/74 (LGZ Wien 45 R 41 1/73; BG Hernals 6 C 490/72)

Text

Die beiden Kläger sind Ehegatten. Sie stellten das Begehren, die Beklagte als Rechtsträgerin eines Krankenhauses zur Bezahlung eines Betrages von eingeschränkt 1098.50 S samt Anhang zu verurteilen und begrundeten ihren Anspruch damit, daß die Zweitklägerin am 8. Juli 1972 die Geburtshilfeabteilung des Krankenhauses der beklagten Partei wegen Entbindung aufgesucht habe; bevor sie sich in den Kreißsaal begeben habe, habe sie die Handtasche der diensttuenden Schwester übergeben, die diese in die Schublade des Nachttisches legte. Als die Zweitklägerin nach etwa 1 1/2 Stunden vom Kreißsaal zurückgekommen sei, sei die Handtasche, in der sich ihre Wohnungsschlüssel und auch ihre Adresse befunden hätten, verschwunden gewesen. Sie habe hiedurch nicht nur die Tasche als solche, so Bargeld in der Höhe von 100S verloren; überdies hätten durch den Verlust der Schlüssel die Schlösser an der Wohnungstür und an der Tür des Postfaches geändert und neue Haustorschlüssel angefertigt werden müssen. Der Erstkläger schloß sich der Klage seiner Frau mit der Begründung an, daß er für die Kosten des Anbringens der neuen Schlösser an der gemeinsamen Wohnung und des gemeinsamen Postfaches habe aufkommen müssen.

Die Beklagte hat Klagsabweisung beantragt und eingewendet, daß die Zweitklägerin auf die Geltendmachung eines Schadenersatzes ausdrücklich verzichtet habe. Eine Haftung des Krankenhauses nach § 970 ABGB sei überdies nicht gegeben. Im übrigen hat die Beklagte die Aktivlegitimation des Erstklägers bestritten, da die Schlüssel, die angeblich abhanden gekommen seien, Zubehör der Wohnung seien und im Eigentum des Hauseigentümers stunden, der sie den Mietern nur zur Verfügung stelle. Die Kosten für die Anschaffung der neuen Schlösser habe nur der Erstkläger getragen, der Zweitklägerin sei sohin kein Schaden entstanden. Durch die Entwendung der Handtasche sei dem Erstkläger nur ein mittelbarer Schaden entstanden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest: Der Erstkläger brachte die Zweitklägerin wegen ihrer bevorstehenden Niederkunft am 8. Juli 1972 zwischen 13.30 Uhr und 14 Uhr in die Geburtshilfeabteilung des Krankenhauses der beklagten Partei. Unmittelbar nach der Einlieferung übergab die Zweitklägerin einer Krankenschwester eine größere Tasche und ihre Handtasche zur Aufbewahrung. In dem für die Zweitklägerin bestimmten Zimmer - es befanden sich dort sechs Betten - stellte die Schwester die größere Tasche in den Kleiderschrank und die Handtasche in eine Lade des Nachtkästchens. Es war gerade Besuchszeit. Nach der Entbindung wurde die Zweitklägerin gegen 17 Uhr auf ihr Zimmer gebracht. Nach dem Öffnen des Nachtkästchens stellte die Krankenschwester fest, daß die Handtasche der Zweitklägerin verschwunden war. In der Handtasche hatten sich die Wohnungs-, Haustor- und ein Postfachschlüssel sowie zirka 150 S Bargeld und ein Putzereizettel mit dem Namen und der Anschrift der Zweitklägerin befunden. Vom Oberarzt befragt, ob die Zweitklägerin auf einer polizeilichen Anzeige bestehe, hat sie dies verneint, sie hat jedoch nicht auf ihre zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche verzichtet. Auch der Erstkläger wollte keine Anzeige, doch haben beide beschlossen, die Schlösser und die Wohnungsschlüssel erneuern zu lassen. Der Erstkläger bezahlte für neue Schlösser und Schlüssel 1138.50 S.

Diesen Sachverhalt beurteilte der Erstrichter dahin, daß die Beklagte gemäß § 970 ABGB für den Schaden hafte, da die Haftung aus der Gastaufnahme im gegebenen Fall zu bejahen sei. Es sei auch die Klagslegitimation der Zweitklägerin gegeben, da durch Begründung der ehelichen Gemeinschaft für beide Ehegatten Mitbesitz entstehe und die Ehegattin, die die Ehewohnung mitbenütze, kraft ihrer familienrechtlichen Stellung Mitbesitz an der ehelichen Wohnung erworben habe. Die Einwendung, daß der Erstkläger nur einen mittelbaren Schaden erlitten habe, sei ebenfalls nicht stichhältig.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in eine Klagsabweisung ab. Es vertrat die Auffassung, daß die Klage ausdrücklich nur auf die Bestimmung des § 970 ABGB gestützt und es daher unmöglich sei, den Fall nach anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen. Im Gegensatz zur Ansicht des Erstrichters sei aber eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 970 ABGB nicht möglich. Aus diesem Gründe müsse sich das Berufungsgericht mit der vom Berufungswerber aufgeworfenen Frage der mangelnden Aktivlegitimation der Kläger nicht mehr befassen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß die Kläger ihren Anspruch ausdrücklich und allein auf die Bestimmung des § 970 ABGB stützen. Wird ein bestimmter Rechtsgrund ausdrücklich geltend gemacht, dann ist das Gericht - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - daran gebunden und es darf dann der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (SZ 23/74;, SZ 37/145 und 177; SZ 42/40, 108, 144 u. a.; zuletzt etwa 7 Ob 207/73). Es gehen daher alle Revisionsausführungen, wonach der Fall auch unter dem Gesichtspunkt des § 1313a ABGB hätte beleuchtet werden müssen, ins Leere.

Es ist der Revision zuzugeben, daß die besondere Gastwirtehaftung zwar eine Ausnahmsregelung darstellt, daß aber auch in solchen Fällen eine ausdehnende Gesetzesauslegung und ein Ähnlichkeitsschluß von Lehre und Rechtsprechung bejaht werden. Das war freilich nicht immer so, hat doch der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung JBl. 1918, 104 noch ausgesprochen, daß § 970 ABGB als Ausnahmebestimmung keine ausdehnende Interpretation vertrage. Aber auch eine ausdehnende Auslegung der Bestimmung des § 970 ABGB oder ein Ähnlichkeitsschluß können nicht zu der Auffassung führen, daß auch allgemeine Krankenanstalten im Sinne von Spitälern "Gastwirten, die Fremde beherbergen", gleichzustellen sind. Schon in dem Erkenntnis ZBl. 1926/58, in dem die Vorschrift des § 701 BGB - eine fast gleichlautende Bestimmung wie die des § 970ABGB - der Entscheidung zugrunde zu legen war, vertrat der Oberste Gerichtshof die Rechtsmeinung, daß bei einer in der Hauptsache auf Heilung der Gäste abzielenden Anstalt eine solche Belastung des Unternehmers, wie sie die Gastwirtehaftung darstelle, bedenklich erscheine und der Schutz des Gastes in dieser Richtung deshalb weniger dringend sei, weil hier der Wechsel der Gäste und der Verkehr dritter Personen weit geringer zu sein pflege. Die Vorschriften der §§ 701 ff. BGB würden dort nicht Platz zu greifen haben, wo die auf Gewährung von Unterkunft und Verpflegung abzielende Seite des Betriebes der Anwendung des Heilverfahrens untergeordnet und nach deren Anforderungen ausgestattet sei. In dieser Richtung bewegt sich auch die deutsche Judikatur zu den §§ 701 ff. BGB, wenn ausgesprochen wird, es sei nicht Inhalt und Zweck des Krankenhausbetriebes, gewerbsmäßig Fremde zum Zwecke der Beherbergung aufzunehmen. Denn unabhängig davon, welche Kosten dem Patienten für seine "Beherbergung" in der Klinik entstehen, sei es Sinn und Hauptzweck eines Krankenhausbetriebes, ärztliche Betreuung und Pflege seinen Patienten zur Verfügung zu stellen. Auf diesen Hauptzweck komme es entscheidend an, nicht darauf, ob der Gewinn mehr aus der Beherbergung der Patienten oder ihrer ärztlichen Behandlung herrühre. Hauptzweck des Vertrages zwischen dem Patienten und dem Krankenhaus sei es, in der Klinik Leiden zu behandeln, der Patient lasse sich nur aufnehmen, um die Behandlung zu ermöglichen (vgl. VersR 1958, 731).Auch Gschnitzer vertritt in Klang[2] IV/1, 663 die Auffassung, daß die Gastwirtehaftung des § 970 ABGB auf Kliniken und ausgesprochene Krankenhäuser nicht anwendbar sei, während Ehrenzweig ausführt, daß der Inhaber einer Heilanstalt zwar kein Gastwirt sei, daß dies aber die analoge Anwendung des Gesetzes (gemeint § 970 ABGB) nicht ausschließe. Immerhin macht auch Ehrenzweig die Einschränkung, daß die Anwendung dieser Bestimmung wohl von der Einrichtung der Anstalt abhängen werde (siehe hiezu Ehrenzweig[2] II/1, 386). Eingehend hat sich mit der Frage des Gastwirtebegriffes Edlbacher in ÖJZ 1967, 1 befaßt. Auch er vertritt die Meinung, daß die strenge Haftung des § 970 ABGB auf eine öffentliche Krankenanstalt nicht anwendbar sei. Begebe sich ein Kranker in eine Krankenanstalt von solcher Art, wie sie § 2 Abs. 1 KAG aufzählt, so werde er natürlich auch dort beherbergt, er habe aber selbst niemals das Empfinden, in die Obhut eines Gastwirtes, der Fremde beherbergt, als Gast aufgenommen worden zu sein; für jedermann wie auch für ihn selbst stehe die Heilung der Krankheit im Vordergrund. Um die Gefahr des uferlosen Abgleitens in eine Begriffsverwirrung zu vermeiden, will Edlbacher die Gastwirtehaftung überall dort abgelehnt wissen, wo ein anderer Zweck im Vordergrund steht und der nächtlichen Unterbringung nur eine zweitrangige, untergeordnete Rolle zur Erfüllung des Hauptzweckes zukommt.

Werden diese Lehrmeinungen beachtet, dann kann in der Abweisung des Klagebegehrens ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden. Der Oberste Gerichtshof vertritt vielmehr mit Edlbacher die Auffassung, daß die Gastwirtehaftung nach § 970 ABGB unmittelbar oder analog nur angenommen werden kann, wenn Gäste zum Zwecke der Beherbergung aufgenommen werden und diese Leistung wesentlicher Inhalt und Zweck des Betriebes ist, nicht aber dann, wenn die Unterbringung nicht zum Zwecke der Beherbergung, sondern zur Ermöglichung oder zur Erleichterung einer ärztlichen Behandlung oder Betreuung gewährt wird.

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