Normen
ABGB §896
ABGB §1302
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §8
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §11
ABGB §896
ABGB §1302
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §8
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §11
Spruch:
Feststellungsfähigkeit eines künftigen Anspruches auf Solidarregreß
OGH 20. Dezember 1973, 2 Ob 212/73 (OLG Graz 9 R 98/73, LG Klagenfurt 21 Cg 201/73)
Text
Der Kläger und die Erstbeklagte verschuldeten am 21. September 1969 einen Verkehrsunfall, bei dem Andreas P schwer verletzt wurde. Der Kläger und die Erstbeklagte wurden deswegen der Übertretung nach § 335 StG schuldig gesprochen.
Nachdem der Haftpflichtversicherer des Klägers die Schmerzengeldansprüche des Andreas P mit 80.000 S abgefunden hatte, klagte Andreas P den nunmehrigen Kläger und dessen Haftpflichtversicherer auf Feststellung, daß sie ihm zur ungeteilten Hand für sämtliche aus dem Unfall vom 21. September 1969 in Zukunft erwachsenden Schäden - ausgenommen Schmerzengeldansprüche - Ersatz zu leisten haben, wobei die Haftung des Haftpflichtversicherers auf die Deckungssumme von 600.000 S beschränkt sei. Gegen den Haftpflichtversicherer erging Versäumungsurteil; das Verfahren gegen den nunmehrigen Kläger endete mit einem dem Klagebegehren entsprechenden Vergleich.
Mit der vorliegenden, am 19. September 1972 eingebrachten Klage begehrt der Kläger gegenüber beiden Beklagten die Feststellung, daß sie ihm im Ausmaß von 50% für seine Ersatzleistungen gegenüber Andreas P in Zukunft zu haften haben. Das Feststellungsinteresse begrundete er damit, daß die Ansprüche des Andreas P die Deckungssumme von 600.000 S voraussichtlich übersteigen werden; die Feststellungsklage sei zur Abwendung der Gefahr größerer Nachteile, insbesondere der der Verjährung, erforderlich.
Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendeten ein, es fehle an einem Feststellungsinteresse; der Kläger versuche lediglich, einen Ausgleichsanspruch aus einem Solidarschuldverhältnis, also einen künftigen Solidarregreß, in ein Feststellungsbegehren zu kleiden. Ein solcher Regreßanspruch verjähre aber erst in 30 Jahren. In der Folge wendeten die Beklagten jedoch Verjährung wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Prozesses ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Mit Rücksicht auf das vom 15. November 1972 bis 21. Mai 1973 währende Ruhen dieses Verfahrens und die Tatsache, daß während dieser Frist Vergleichsgespräche weder geplant noch geführt wurden, nahm es an, daß der Kläger das Verfahren nicht gehörig fortgesetzt habe. Die Frage der Verjährung ließ es jedoch dahingestellt sein, weil es zur Abweisung des Klagebegehrens aus folgenden Gründen gelangte:
Der Kläger persönlich könnte ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung nur hinsichtlich eines die Haftpflichtsumme von 600.000 S übersteigenden Betrages haben. Er habe aber nicht bestimmt und schlüssig erklären können, mit welchem Antrag und aus welchem Gründe es zu einer Überschreitung der Deckungssumme kommen könnte. Damit sei die Klage nicht schlüssig.
Soweit sich das Klagebegehren als Feststellungsbegehren für einen Rückersatz im Sinne des § 1302 ABGB erklären lasse, käme dafür die 30jährige Verjährungszeit in Betracht. In diesem Falle bestunde aber für eine Feststellung derzeit kein Interesse, weil die Einrede der Verjährung einem später erhobenen Anspruch nicht entgegengesetzt werden könnte, zumal der Kläger heute ohnehin nicht in der Lage sei, bestimmte Behauptungen aufzustellen.
Die Berufung des Klägers hatte Erfolg. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und wies die Sache an das Prozeßgericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurück. Es ging dabei von folgenden rechtlichen Erwägungen aus.
Die von Andreas P erwirkten Feststellungsmittel gegen den Kläger und dessen Haftpflichtversicherer hätten zur Voraussetzung gehabt, daß künftige, derzeit nicht überblickbare Schadenersatzansprüche möglich seien. Die Beschränkung der Haftung des Haftpflichtversicherers eröffne die Möglichkeit, daß der Kläger zu Leistungen an den Verletzten herangezogen werde, für die keine Deckung durch die Haftpflichtversicherung bestehe. Damit habe der Kläger sein rechtliches Interesse an der Klärung der Regreßfrage ausreichend dargetan. Die Beklagten dagegen hätten den ihnen obliegenden Beweis, daß derartige, die Deckungssumme übersteigende Ansprüche in Zukunft auszuschließen seien, bisher nicht angetreten.
Die Klage auf Rückersatz im Sinne des § 1302, 2. Satz, letzter Halbsatz ABGB verjähre in 30 Jahren. Die längere Verjährungszeit stehe jedoch dem rechtlichen Interesse an einer alsbaldigen Klärung der Grundlagen künftiger Regreßansprüche nicht entgegen. Nach dem von den Beklagten offenbar eingenommenen Standpunkt würde für den Umfang des Regreßanspruches der Schuldanteil des Klägers und der Erstbeklagten an dem Unfall vom 21. September 1969 entscheidend sein. Es müsse daher ein rechtliches Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung bejaht werden, weil zur Klärung dieser Frage der Unfallshergang festzustellen sein werde, in einem später geführten Prozeß jedoch mit größeren Beweisschwierigkeiten zu rechnen sein werde.
Mit Rücksicht auf die hier in Frage kommende Verjährungszeit von 30 Jahren komme dem rund 6 Monate dauernden Verfahrensstillstand für die Frage der Verjährung keine Bedeutung zu.
Somit sei die Sache noch nicht spruchreif. Es werde der erhobene Feststellungsanspruch zu prüfen sein, und zwar werde das Erstgericht vorerst klarzustellen haben, ob der Kläger mit seinem Begehren auf Feststellung einer Ersatzpflicht im Ausmaß von 50% einen Kopfteil oder einen Verschuldensanteil im Sinne des § 896 ABGB meine.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerber vertreten die Ansicht, das rechtliche Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung ihrer allfälligen Regreßpflicht, hätte schon deshalb verneint werden müssen, weil sich ein allfälliger Regreßanspruch des Klägers schon aus dem Gesetz ergebe. Dem ist entgegenzuhalten, daß es für die Feststellungsfähigkeit und für die Beurteilung des Feststellungsinteresses eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses auf den Entstehungsgrund nicht ankommt Rechte oder Rechtsverhältnisse, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, können daher unter den im § 228 ZPO angeführten Voraussetzungen ebenso zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden wie aus einem anderen Rechtsgrund entspringende Rechte und Rechtsverhältnisse.
Abgesehen davon bestimmt sich aber das Ausmaß eines nach § 1302 ABGB in Verbindung mit § 896 ABGB zu beurteilenden Regreßanspruches primär nach dem zwischen den solidarisch Verpflichteten bestehenden besonderen Verhältnissen, also z. B. nach Verursachungs- oder Verschuldensanteilen (SZ 26/18, ZVR 1958/1 17, SZ 39/82 u a. m.). Im vorliegenden Fall eines durch mehrere Kraftfahrzeuge verursachten Schadens wäre allerdings von den Bestimmungen der § 8 Abs. 2 und § 11 Abs. 11. Satz EKHG auszugehen, nach welchen sich aber der Rückgriffsanspruch ebenfalls in erster Linie darnach bestimmt, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Beteiligten verschuldet wurde. Das Ausmaß des Regreßanspruches wird jedenfalls erst durch die konkreten Umstände des Falles bestimmt. Im vorliegenden Fall ist das Verhältnis, in dem der Kläger und die Erstbeklagte den dem Andreas P zugefügten Schaden entgültig zu tragen haben, strittig. Die Beklagten haben zwar zu dem vom Kläger schließlich behaupteten Anteil von 50% nicht ausdrücklich Stellung genommen, sie haben diesen Anteil aber auch nicht als richtig zugegeben. Es kann daher nicht davon die Rede sein, daß ein allfälliger künftiger Regreßanspruch des Klagers aus dem Solidarschuldverhältnis allein durch das Gesetz vollständig bestimmt wäre. Soweit die Beklagten die Feststellungsfähigkeit eines künftigen Anspruches auf Solidarregreß bzw. ein entsprechendes Feststellungsinteresse verneinen wollen, ist auf folgendes zu verweisen:
Richtig ist, daß der Rückgriffsanspruch nach §§ 896, 1302 ABGB bzw. §§ 8 und II EKHG erst mit der Leistung eines Solidarschuldners entsteht, die über den von ihm im Verhältnis zu den anderen Solidarschuldnern zu tragenden Anteil hinausgeht (vgl. SZ 18/148 u. a.). In der Entscheidung ZVR 1962/17 wurde zwar ausgesprochen, daß bei einem der Bestimmung des § 1302, letzter Satz ABGB zu unterstellenden Anspruch ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Regreßpflicht eines Solidarschuldners zu verneinen wäre, weil es sich dabei um einen Anspruch besonderer Art handeln würde, der auf einem anderen Rechtsgrund als dem des Schadenersatzes beruhe und nicht schon mit dem Schadensereignis, sondern erst mit der Vollendung des Tatbestandes entstehe, zu dem die vollzogene Ersatzleistung gehöre. Das ist aber nicht herrschende Rechtsprechung geworden. So hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 42/172 das Begehren eines Klägers, der mit dem Ruckgriff eines Mitverpflichteten gemäß §§ 896, 1302 ABGB rechnen mußte, auf Feststellung, daß der Beklagte dem Kläger einen bestimmten Anteil an jenen Leistungen zu ersetzen habe, die der Kläger wegen eines bestimmten Unfalles erbringen müsse, als zulässig erkannt. Daß der Rückgriffsanspruch nach § 1302, letzter Satz und § 896 ABGB nicht schon mit dem Schadensereignis, sondern erst dann entsteht, wenn wirklich Ersatz geleistet worden ist, wurde hier nicht als dem Feststellungsbegehren entgegenstehendes Hindernis beurteilt, sondern es wurde als maßgebend angesehen, daß künftige Ersatzforderungen des Klägers durchaus möglich waren. Dieser nach der neueren Rechtsprechung (vgl. dazu auch EvBl. 1966/341, ZVR 1973/46 u. v. a.) entscheidende Gesichtspunkt ist, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, auch im vorliegenden Fall ausschlaggebend, in dem das festzustellende Rechtsverhältnis der Parteien seine Grundlage in der gemeinsamen Schadenszufügung hat.
Dem Umstand, daß neben dem Kläger auch sein Haftpflichtversicherer, dieser bis zur Versicherungssumme von 600.000 S, einzustehen hätte, kommt keine Bedeutung zu, weil nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, daß eine persönliche Inanspruchnahme des Klägers durch Andreas P unter allen Umständen auszuschließen ist. Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß es Sache der Beklagten gewesen wäre, diesbezügliche Behauptungen aufzustellen und zu beweisen. Von einer Unschlüssigkeit der Klage kann somit nicht gesprochen werden. Die Sache ist somit nicht im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens spruchreif. Zur Herstellung der Spruchreife bedarf es vielmehr der vom Berufungsgericht aufgezeigten Ergänzungen.
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