OGH 7Ob192/72

OGH7Ob192/726.9.1972

SZ 45/92

Normen

ABGB §901
ABGB §1478
ABGB §1479
ABGB §1487
ABGB §901
ABGB §1478
ABGB §1479
ABGB §1487

 

Spruch:

Das Recht zur Anfechtung eines Vertrages wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage verjährt nicht gemäß § 1487 ABGB in drei, sondern gemäß § 1478f ABGB in 30 Jahren

OGH 6. 9. 1972, 7 Ob 192/72 (OLG Wien 1 R 46/72, HG Wien 31 Cg 451/71)

Text

Mit Kaufvertrag vom 28. 10. 1966 erwarb die Klägerin vom Beklagten 76/4500 Anteile der Liegenschaft EZ 507, KG F. Im P I. dieses Vertrages ist festgehalten, daß auf der vorgenannten Liegenschaft die Errichtung eines Wohnhauses unter Inanspruchnahme von Mitteln des WWF bei gleichzeitiger Begründung von Wohnungseigentum beabsichtigt ist. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hatte der Beklagte bereits ein Ansuchen an den WWF um Gewährung eines Darlehens zum Wiederaufbau eines Wohnhauses auf der gegenständlichen Liegenschaft gestellt. Mit dem am 3. 2. 1969 beim Beklagten eingelangten Schreiben teilte das Amt der niederösterreichischen Landesregierung mit, daß das ihm gemäß § 36 Abs 3 WBFG 1968 zugeleitete Darlehensansuchen in der Sitzung des Wohnbauförderungsbeirates vom 16. 12. 1968 nicht positiv begutachtet worden sei. Das Ansuchen wurde dem Beklagten mit dem Bemerken rückgemittelt, daß es ihm frei stehe, ein Begehren nach § 11 Abs 1 WBFG 1968 einzubringen.

Mit ihrer beim Erstgericht am 16. 4. 1971 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung des Kaufvertrages vom 28. 10. 1966 und die Verurteilung des Beklagten zur Rückzahlung von S 38.140.- Zug um Zug gegen Rückstellung des vorgenannten Liegenschaftsanteiles. Gegenstand des Kaufvertrages sei die Errichtung von Eigentumswohnungen mit Mitteln des Wohnhauswiederaufbaufonds gewesen. Im Hinblick auf die durch das WBFG 1968 geänderte Gesetzeslage könne eine Darlehensgewährung aus Mitteln des WWF nicht mehr erfolgen. Damit sei aber die Geschäftsgrundlage des vorgenannten Kaufvertrages weggefallen und die Klägerin berechtigt, dessen Aufhebung sowie die Rückzahlung des von ihr bereits geleisteten Kaufpreises zu begehren. Der Beklagte bestritt das Klagsvorbringen, beantragte Klagsabweisung und wendete Verjährung des geltend gemachten Anspruches auf Aufhebung des Kaufvertrages vom 28. 10. 1966 ein.

Das Erstgericht entschied iS des Klagebegehrens. Es erachtete den von der Klägerin geltend gemachten Vertragsauflösungsgrund des Wegfalles der Geschäftsgrundlage für gegeben. Bei diesem handle es sich nicht um einen Irrtumsfall, sondern um den Eintritt einer dem Vertrag ausdrücklich oder stillschweigend zugrundegelegten auflösenden Bedingung. Auf das Recht der Klägerin, die Vertragsauflösung zu begehren, finde daher die allgemeine Verjährungsfrist der §§ 1478 f ABGB Anwendung, die die Verjährungszeit mit 30 Jahren festsetze.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit dem Ausspruch, daß der Wert des nicht ausschließlich in einem Geldbetrag bestehenden Streitgegenstandes S 50.000.- übersteige. Es war der Ansicht, daß der Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Kondiktion begrunde, die erst nach 30 Jahren verjähre.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revisionswerber beharrt auf seinem bereits vor den Untergerichten vertretenen Standpunkt, daß es sich beim Wegfall der Geschäftsgrundlage um einen gemeinsamen Irrtum handle, weil die Vertragschließenden irrtümlich davon ausgegangen seien, daß ein bestimmter Sachverhalt (Geschäftsgrundlage) bestehen bleiben werde. Die Anfechtung von Verträgen wegen Abweichung der Vorstellungen der Parteien von der Wirklichkeit unterliege aber nach § 1487 ABGB der dreijährigen Verjährung.

Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen. § 1487 ABGB setzt für eine Reihe vom erschöpfend aufgezählten Ansprüche eine bloß dreijährige Verjährungsfrist fest. Da es sich hiebei um Ausnahmen von der allgemeinen Verjährungsfrist der §§ 1478 f ABGB handelt, hat eine einschränkende Auslegung der vorgenannten Gesetzesbestimmung zu erfolgen. Die dreijährige Verjährungsfrist kann demnach grundsätzlich nur dort Platz greifen, wo einer der im § 1487 ABGB taxativ angeführten Ansprüche vorliegt. Der Revisionswerber räumt nun selbst ein, daß es sich beim Wegfall der Geschäftsgrundlage um einen gesetzlich nicht geregelten Anfechtungstatbestand handle. Eine Irrtumsanfechtung liegt schon deshalb nicht vor, weil diese das Vorhandensein von Willensmängeln der Vertragsparteien im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses zur Voraussetzung hat. Die Vertragsanfechtung wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage fällt daher unter keinen der im § 1487 ABGB angeführten Ansprüche. Die Ausführungen Wilburgs in Klang[2] VI 490, der wegen Gleichheit des Schutzgrundes auch auf den Rückforderungsanspruch wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage die Bestimmung des § 1487 ABGB analog anwenden will, werden vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt. Das Rechtsinstitut des Wegfalles der Geschäftsgrundlage ist nämlich einer der dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegenden Kondiktion (Wilburg in Klang[2] VI 490) wesentlich ähnlicher, als der Irrtumsanfechtung.

Auch mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Vergleichsanfechtung nach § 1385 ABGB (EvBl 1953/388, 1962/510) ist für einen Rechtserfolg des Beklagten nichts gewonnen. Denn bei der Anfechtung eines Vergleiches wegen Wegfalles der Vergleichsgrundlage handelt es sich um einen besonderen Fall der Irrtumsanfechtung (EvBl 1962/510). Die Rechtsansicht der Untergerichte, daß der geltend gemachte Vertragsauflösungsgrund des Wegfalles der Geschäftsgrundlage der dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegt, ist daher frei von Rechtsirrtum.

Sicher bringen lange Verjährungsfristen für zunehmend häufiger auftretende Vertragsanfechtungsgrunde eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich. Deren Beseitigung ist jedoch nicht Aufgabe der Rechtsprechung.

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