OGH 1Ob330/71

OGH1Ob330/719.12.1971

SZ 44/185

Normen

Sechste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §17
Sechste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §18
JN §1
Sechste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §17
Sechste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §18
JN §1

 

Spruch:

Gemäß § 17 Abs 2 6. DVEheG ist nur der Außerstreitrichter zur Entscheidung über die Anfechtung eines vor dem Ehescheidungsrichter hinsichtlich der Ehewohnung abgeschlossenen Vergleiches wegen Irrtumes zuständig; die Sache ist an ihn abzugeben

OGH 9. 12. 1971, 1 Ob 330/71 (KG Wr Neustadt R 304/71; BG Wr Neustadt

2 C 478/71)

Text

Die Ehe der Streitteile wurde mit rechtskräftigem Urteil des KG Wr Neustadt vom 3. 9. 1969 geschieden. Am gleichen Tage schlossen die Streitteile einen gerichtlichen Scheidungsvergleich, dessen P 3 lautet: "Die Benützungsrechte an der Ehewohnung im Hause W, W-Gasse 11/1 (Dienstwohnung), verbleiben dem Beklagten allein. Die Klägerin verpflichtet sich, diese Wohnung bis zum 28. 2. 1970 zu räumen und geräumt von ihren Fahrnissen dem Beklagten zu übergeben, uzw unter Verzicht auf jedweden Räumungsaufschub. Bis zum 28. 2. 1970 darf die Klägerin diese Wohnung allein benützen, hat aber auch den für diesen Zeitraum zu entrichtenden Mietzins einschließlich Betriebskosten und Anteil an den öffentlichen Abgaben zu zahlen bzw den Beklagten vollkommen klag- und schadlos zu halten. Daher darf der Beklagte die bezeichnete Ehewohnung, beginnend mit 7. 9. 1969 bis einschließlich 28. 2. 1970, nicht mehr mitbenützen und er verpflichtet sich daher, diese Wohnung bis einschließlich 7. 9. 1969 zu verlassen. Mit Wirksamkeit vom 1. 3. 1970 ist er aber wieder berechtigt, in die Wohnung zurückzukehren." Im P 1 wurde weiter grundsätzlich wechselseitig auf Unterhalt verzichtet, im P 2 eine Zahlung des Beklagten an die Klägerin zur Abfindung aller Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit und Zukunft in der Höhe von S 5000.-, im P 4 die Überlassung eines aufgerichteten Stahlrohrbettes mit Bettwäsche zum zweimaligen Überziehen, eines dreiteiligen Kastens und eines Kühlschrankes an den Beklagten unter Übergang der übrigen Möbel des Hausrates in das Eigentum der Klägerin, im P 5 die Übernahme einer Verbindlichkeit von etwa S 20.000.- der Bank für Arbeit und Wirtschaft gegenüber durch den Beklagten sowie im P 7 die gegenseitige Aufhebung der Prozeßkosten und Übernahme der am Tage des Vergleichsabschlusses aufgelaufenen Gerichtsgebühren durch den Beklagten vereinbart; im P 6 wurde darüber hinaus vorbehaltlich der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung die Belassung der beiden ehelichen Kinder in Pflege und Erziehung der Klägerin und die Unterhaltsleistungen des Beklagten an jene geregelt.

Das Haus W, W-Gasse 11, in dem sich die im P 3 des Vergleiches erwähnte Ehewohnung befindet, steht im Eigentum der Wohn- und Siedlungsgenossenschaft "N". Das Haus wurde mit Mitteln des Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds und einem Kredit der Österreichischen Bundesbahnen errichtet. Gemäß § 10 des zwischen der Genossenschaft und den Österreichischen Bundesbahnen bestehenden Vertrages räumte jene den Österreichischen Bundesbahnen auf die Dauer von 80 Jahren die Dienstbarkeit der Fruchtnießung (§ 509 ABGB) derart ein, daß die mit Hilfe des Kredites hergestellten Wohnungen und Anlagen nur an von den Österreichischen Bundesbahnen bezeichnete Personen vermietet werden dürfen; die Dienstbarkeit wurde auf das Recht beschränkt, einem Mieter vor allem nach § 19 Abs 1 und §§ 19 Abs 2 Z 7 oder 9a MG oder nach den

etwa in Zukunft an deren Stelle tretenden gesetzlichen Bestimmungen zu kundigen. Die Genossenschaft wurde darüber hinaus verpflichtet, auf Verlangen die angeführten Kündigungsgrunde auch selbständig im eigenen Namen geltend zu machen. Die Genossenschaft wurde verpflichtet, in den von ihr abgeschlossenen Mietverträgen ausdrücklich zu vereinbaren, daß es einen wichtigen Kündigungsgrund bilde, wenn der Mieter aus dem Dienst der Osterreichischen Bundesbahnen ausscheide; die Ruhestandsversetzung sollte nicht als Ausscheiden aus dem Eisenbahndienst gelten. In dem zwischen der Genossenschaft und dem Beklagten abgeschlossenen Mietvertrag vom 18. 6. 1965 wurde im P IV vereinbart, daß beide Vertragsteile den Vertrag schriftlich kundigen können. Hiezu kam folgender Zusatz:

"Der Mieter nimmt ausdrücklich zur Kenntnis, daß er und seine Angehörigen die Wohnung spätestens drei Monate nach Beendigung des Dienstverhältnisses bei den ÖBB zu räumen hat. Die Ruhestandsversetzung gilt nicht als Beendigung des Dienstverhältnisses zu den ÖBB."

Die Klägerin stellt das Begehren, daß der Vergleich vom 3. 9. 1969 in seinem P 3 rechtsunwirksam sei. Bei Vergleichsabschluß seien die Streitteile der gemeinsamen Überzeugung gewesen, daß es sich bei der Wohnung um eine dem Beklagten als ÖBB-Bediensteten zustehende Dienstwohnung handle, die die Klägerin nicht behalten hätte können. Nach Abschluß des Vergleiches habe der Beklagte ihr aber die Wohnung gegen Bezahlung von S 5000.- angeboten; den Österreichischen Bundesbahnen komme darüber hinaus nur für Neuvergabe der Wohnungen ein Vorschlagsrecht zu. Die Streitteile hätten sich daher, was die Rechtsnatur der Wohnung betreffe, in einem gemeinsamen, allenfalls vom Beklagten veranlaßten Irrtum über die Hauptsache, die nicht der Zweifelssphäre angehöre, befunden. Der Beklagte wendete ein, die Klägerin habe gewußt, daß das Haus im Eigentum der Wohn- und Siedlungsgenossenschaft "N" stehe; den Österreichischen Bundesbahnen komme für die im Hause befindliche Wohnung nicht nur das Vergaberecht, sondern auch das Kündigungsrecht zu; die Überlassung der Wohnung an betriebsfremde Personen sei nicht gestattet; es handle sich um eine Dienstwohnung im weiteren Sinne. Bei Anfechtung des Vergleichspunktes 3 müßte der Vergleich auch hinsichtlich der P 2, 4 und 5, die alle vermögensrechtliche Belange beträfen, abgeändert werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte im wesentlichen fest: Sollte anläßlich der Scheidung der Ehe eines Bundesbahnbediensteten in einem Vergleich vorgesehen sein, daß die Wohnung dem nicht in Diensten der Österreichischen Bundesbahnen stehenden Ehegatten zufallen solle, würde dies von den Österreichischen Bundesbahnen nicht hingenommen werden. Im Falle einer Antragstellung nach der 6. DVEheG würden die Österreichischen Bundesbahnen als beteiligte Dritte der Zuteilung der Wohnung an den nicht in ihrem Dienst stehenden Teil nicht zustimmen. Rechtlich führte das Erstgericht hiezu aus, daß die streitgegenständliche Wohnung zwar keine Dienstwohnung im strengen Sinne des Wortes sei, die Streitteile bei Abschluß des Vergleiches aber nicht darin geirrt hätten "daß die Klägerin die Ehewohnung als Nichtbedienstete der Österreichischen Bundesbahnen nicht behalten werde können.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung mit der Begründung, eine Teilanfechtung des Vergleiches sei ausgeschlossen, und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000.- übersteige.

Der Oberste Gerichtshof hat aus Anlaß der Revision der Klägerin die Urteile der Untergerichte als nichtig aufgehoben und die Sache an das zuständige BG Wr Neustadt als außerstreitiges Gericht abgegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Macht ein Beteiligter Ansprüche hinsichtlich der Ehewohnung in einem Rechtsstreit geltend, so hat gemäß § 18 Abs 1 6. DVEheG das Prozeßgericht die Sache insoweit an das nach § 11 zuständige BG abzugeben. Die ständige Rechtsprechung vertritt dazu die Auffassung, daß damit eine Erweiterung der Kompetenz des Außerstreitrichters gegenüber § 1 derselben Verordnung eingetreten ist. Es gehören alle Ansprüche hinsichtlich der Ehewohnung vor den Außerstreitrichter, auf Grund welchen Titels sie immer erhoben werden (EvBl 1967/25; MietSlg 17.669, 16.582, 9150; SZ 37/93; RZ 1955, 47; SZ 27/95 ua; in diesem Sinne auch Kocevar in ImmZ 1970, 283). Auch daß die Parteien einen Scheidungsvergleich schlossen, ändert an dieser grundsätzlichen Zuständigkeit des Außerstreitrichters nichts. Gemäß § 17 Abs 2 6. DVEheG ist der Außerstreitrichter vielmehr auch befugt, einen gerichtlichen Vergleich (§ 13 Abs 3) abzuändern. Trotz der etwas einschränkend erscheinenden Bezugnahme auf den § 13 Abs 3

6. DVEheG, in dem nur vor dem Außerstreitrichter abgeschlossene Vergleiche erwähnt sind, wurde hiezu die gerade bei Bedachtnahme auf die weite Fassung des § 18 Abs 1 6. DVEheG auch begrundete Auffassung vertreten, daß unter "gerichtlichem Vergleich" nicht nur vor dem Außerstreitrichter, sondern auch vor der Scheidung geschlossene Vergleiche (SZ 23/194) und dann aber auch vor dem Scheidungsrichter geschlossene Vergleiche zu verstehen sind (Marek in ÖJZ 1964, 505; Fasching I 133). Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Sinne bereits ausgesprochen, daß es daher bei Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges sogar ohne Bedeutung ist, wenn die Parteien in einem Scheidungsvergleich ausdrücklich auf die Anwendung der 6. DVEheG verzichteten; da Streitigkeiten über die Ehewohnung nach der Scheidung durch die 6. DVEheG der ausschließlichen Kompetenz des Außerstreitrichters überantwortet sind, können sie auch durch Parteienvereinbarung nicht vor den Streitrichter gebracht werden (RZ 1955, 47). Wenn die Parteien daher glauben, durch einen über die Ehewohnung geschlossenen Vergleich eine unanfechtbare Regelung getroffen zu haben, so irren sie. Auch dieser Vergleich kann vielmehr im Außerstreitverfahren angefochten werden (Marek aaO). Mit Recht vertrat Marek aaO 506 hiezu den weiteren Standpunkt, daß der Außerstreitrichter eine Umgestaltung des Vergleiches auch dann vornehmen darf, wenn die vom Antragsteller ins Treffen geführten Gründe im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht vorhersehbar waren; der Antragsteller kann also insbesondere auch Umstände anführen, die er mangels Kenntnis nicht geltend machen bzw bei Abschluß des Vergleiches berücksichtigen konnte. Der Außerstreitrichter kann dann aber auch einen unter einem Willensmangel abgeschlossenen Vergleich vor dem Scheidungsrichter aufheben und durch eine andere Regelung ersetzen. Damit ist auch ein gemeinsamer oder vom anderen Ehegatten veranlaßter Irrtum beim Abschluß des Vergleiches über die Ehewohnung vom Außerstreitrichter zu beachten, eine Irrtumsanfechtung also nicht im Rechtsweg geltend zu machen. Um dies zu erreichen, hat der Verordnungsgeber wohl die Formulierung "hinsichtlich der Ehewohnung" und nicht "auf die Ehewohnung" gebraucht. Nur damit bleibt man auch in der Linie der bisherigen Rechtsprechung, die den Außerstreitrichter bei Ansprüchen hinsichtlich der Ehewohnung zuständig sein läßt, aus welchem Titel immer ein die Ehewohnung betreffender Anspruch erhoben wird. Daß die Klägerin, weil sie den Prozeßweg beschritt, vorerst nur die Beseitigung des entsprechenden Vergleichspunktes erreichen will, spielt keine Rolle, zumal kein Zweifel bestehen kann, daß sie auch eine andere als die im Vergleich getroffene Regelung über die Ehewohnung anstrebt; konkrete Anträge hierüber kann sie immer noch vor dem Außerstreitrichter stellen. Es wäre auch unökonomisch und im Hinblick auf die Frist des § 126. DVEheG unvertretbar, von einer Partei in einem solchen Fall zunächst die Erwirkung eines Urteils über die Vergleichsanfechtung zu verlangen und ihr erst dann den Weg einer Regelung nach der 6. DVEheG zu eröffnen, obwohl eine Neuregelung ohnehin die bestehende beseitigen muß: Sie ist dazu auch möglich, wenn die Voraussetzungen des § 871 ABGB nicht zutreffen. Ob sich allerdings im vorliegenden Fall eine Lösung finden läßt, die bei mangelnder Zustimmung nicht in die Rechte Dritter eingreift, ist eine andere, aber jedenfalls ausschließlich vom Außerstreitrichter zu beurteilende Frage. Darum, daß in die Rechte des Vermieters oder eines anderen Drittbeteiligten nicht mehr eingegriffen werden darf, kommt die Klägerin wegen Nichteinhaltung der einjährigen Frist des § 12 6. DVEheG ohnehin nicht mehr herum. Die Frage, ob der Außerstreitrichter bei Anfechtung des Vergleiches wegen Willensmangels eventuell trotz stattgefundenen Vergleichsabschlusses bei Antragstellung innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft des Scheidungsurteils auch noch in Rechte Dritter eingreifen könnte, kann daher für diesen Fall unerörtert bleiben.

Zu Unrecht haben die Untergerichte damit über die Klage urteilsmäßige Entscheidungen gefällt. Hierauf ist von Amts wegen Bedacht zu nehmen (§ 240 Abs 3 ZPO; EvBl 1967/25). Aus Anlaß der Revision sind damit die Urteile der Untergerichte als nichtig aufzuheben und die Sache an das gemäß § 11 6. DVEheG zuständige BG Wr Neustadt abzugeben, das gemäß § 13 Abs 1 6. DVEheG im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden haben wird.

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