OGH 2Ob344/70

OGH2Ob344/7012.11.1970

SZ 43/204

Normen

ABGB §970
ABGB §1295
ABGB §970
ABGB §1295

 

Spruch:

Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht des Gastwirtes ist unabhängig vom Zustandekommen eines Gastaufnahmevertrages

OGH 12. November 1970, 2 Ob 344/70 (OLG Innsbruck 2 R 80/70; LG Feldkirch 3 Cg 1557/69)

Text

Als der Kläger am 14. Jänner 1968 gegen 20 Uhr das vom Beklagten als Pächter betriebene Gasthaus über die zum Parkplatz führende Außentreppe verließ, glitt er auf der obersten Stufe aus, stürzte über die Treppe und zog sich mehrere Verletzungen zu.

Mit der Behauptung, der Beklagte habe es unterlassen, den Zugang zum Gasthaus vom Schnee zu säubern und zu streuen, begehrte der Kläger Ersatz der Heilungskosten und des Verdienstentganges sowie die Zahlung eines Schmerzengeldes.

Der Beklagte bestritt nach Grund und Höhe, wendete Selbstverschulden des Klägers ein und beantragte, die Klage abzuweisen.

Das Erstgericht beschränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches und erkannte mit Zwischenurteil, daß dieser Anspruch mit 2/3 zu Recht und mit 1/3 nicht zu Recht bestehe.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte.

Der Oberste Gerichtshof verwarf die Revision des Beklagten, soweit sie Nichtigkeit geltend machte und gab im übrigen beiden Revisionen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Revision des Beklagten:

Den Nichtigkeitsgrund im Sinn des § 477 Abs 1 Z 3 ZPO führt der Beklagte dahin aus, daß sich der Kläger eine Stunde lang im Gasthaus aufgehalten habe, nachdem er es betreten hatte, um Hilfe zu holen. Der Kläger sei daher Gast des Beklagten und dieser sein Wirt gewesen, weshalb für den Rechtsstreit das Bezirksgericht nach § 49 Abs 2 Z 7 JN ausschließlich zuständig gewesen wäre.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 41 JN hat das Gericht, sobald eine Rechtssache bei ihm anhängig wird, von Amts wegen seine Zuständigkeit zu prüfen. Diese Prüfung geschieht im streitigen Verfahren auf Grund der Angaben des Klägers, sofern diese Angaben dem Gericht nicht bereits als unrichtig bekannt sind. Gerichtliche Erhebungen zur Klärung der Frage einer allfälligen absoluten Unzuständigkeit sind zwar möglich, jedoch nur dann erforderlich, wenn Zweifel in dieser Richtung auftauchen (Fasching, Komm zu den ZP-Gesetzen I 260). Nun brachte der Kläger in der Klage vor, er habe am 14. Jänner 1968 das vom Beklagten betriebene Gasthaus betreten und nach kurzer Zeit wieder verlassen. Als er über eine im Freien befindliche Treppe habe hinabgehen wollen, sei er auf dem obersten ganz vereisten Tritt ausgerutscht und über die Treppe hinuntergestürzt. Nach einer Auseinandersetzung mit den vom Haftpflichtversicherer des Beklagten erhobenen Einwänden führte er schließlich aus, der Beklagte hätte für Schneesäuberung und Streuung des Zuganges sorgen müssen, er habe ihm daher seinen Schaden voll zu ersetzen.

Dieses Vorbringen konnte nur dahin verstanden werden, daß der Kläger einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten geltend machte. Der Versuch des Beklagten, in der Revision das Zustandekommen eines Gastaufnahmevertrages mit dem Kläger aus dem Umstand abzuleiten, daß sich dieser eine Stunde lang im Gasthaus aufgehalten habe, muß schon deshalb scheitern, weil in erster Instanz nichts Derartiges vorgebracht wurde. Der Hinweis des Beklagten auf seine Aussage als Partei, wonach der Kläger im Gasthaus telefoniert und zwei Flaschen Bier getrunken habe, vermag hieran nichts zu ändern, weil die Parteiaussage ein Prozeßvorbringen nicht zu ersetzen vermag.

Die Revision des Beklagten war daher, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, zu verwerfen.

Damit ist aber der vom Kläger in der Revisionsbeantwortung für den Fall, daß der vorliegende Rechtsstreit als Ferialsache zu behandeln wäre, gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für seine Revision und Revisionsbeantwortung gegenstandslos. Denn als Ferialsache könnte der Rechtsstreit nur im Zusammenhang mit der bezirksgerichtlichen Zuständigkeit angesehen werden. Dafür spricht schon der gleiche Wortlaut in den Bestimmungen des § 224 Abs 1 Z 6 ZPO und des § 49 Abs 2 Z 7 JN.

Gegenstandslos ist auf Grund dieser Erwägungen auch die Mängelrüge der beklagten Partei, mit der amtswegige, für die Frage der Zuständigkeit bedeutsame Feststellungen vermißt werden, weil eben für die Erörterung der Frage, ob der Kläger Gast des Beklagten gewesen sei, auf Grund des Prozeßvorbringens kein Anlaß bestand.

In Ausführung der Rechtsrüge knüpft der Beklagte an die in seiner Berufung ohne Erfolg vorgetragene Beweisrüge an, mit der er darzutun versuchte, daß es sich bei der Treppe um einen Schneehügel gehandelt habe, den er zu streuen nicht verpflichtet gewesen sei. Da das Berufungsgericht diesen Einwand als unrichtig widerlegt und in diesem Zusammenhang auf die Aussage des Zeugen Heinz B verwiesen hat, wonach für einen außenstehenden Dritten erkennbar war, daß es sich um eine zugeschneite Treppe und nicht etwa um eine schiefe Ebene handelte, ist dieses Vorbringen aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos.

Der weitere Einwand, ein Streuen wäre sinnlos und der Beklagte deshalb hiezu nicht verpflichtet gewesen, weil die über den "Schneehügel" fahrenden Skifahrer vorhandene Fußstapfen immer wieder mit Schnee "zugeschoben" hätten, ignoriert die Feststellung, daß die in Rede stehende Außentreppe zwar verschneit war, zugleich aber vereiste Fußstapfen aufwies und zumindest gelegentlich auch im Winter als Zugang zum Gasthaus von hausfremden Personen benützt wurde.

Der Beklagte macht ferner geltend, daß die Bestimmung des § 93 StVO 1960, die das Berufungsgericht zur Begründung seiner Haftung heranzog, auf ihn als Pächter nicht anwendbar sei und daß das Berufungsgericht diesfalls zu Unrecht eine "Vertragsergänzung" im Sinn des § 914 ABGB. vorgenommen habe, wenn es davon ausging, daß durch den Pachtvertrag die Anrainerpflicht schlüssig vom Eigentümer auf den Beklagten übertragen worden sei.

Die Richtigkeit der genannten Beurteilung kann auf sich beruhen, zumal nicht feststeht, ob das Gasthaus im Ortsgebiet liegt, und nach den vorliegenden Lichtbildern die Unfallstelle weder auf einem Gehsteig noch einem Gehweg im Sinn der Begriffsbestimmungen des § 2 Abs 1 Z 10 und 11 StVO 1960 liegt, sondern auf einem Hauszugang.

Der Beklagte haftet schon nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzrechtes gemäß § 1295 Abs 1 ABGB. Lehre und Rechtsprechung stimmen darin überein, daß jeden, der auf einem ihm gehörigen oder seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen Verkehr für Menschen eröffnet, eine Verkehrssicherungspflicht trifft (JBl 1964, 421 u a). Gastwirte im besonderen haben - u zw unabhängig vom Zustandekommen eines Gastaufnahmevertrages - die ihrer Verfügung unterliegenden Räume und Anlagen, die sie dem Zutritt eines größeren, wechselnden Personenkreises eröffnen, für die befugten Benützer in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu halten (JBl 1965, 474; EvBl 1970/191). Im vorliegenden Fall war zwar zur Unfallszeit jener Gasthauseingang, zu dem man über die Treppe gelangte, verschlossen. Trotzdem wurde er gelegentlich von hausfremden Personen benützt. Der Beklagte war daher verpflichtet, zumindest jenen Teil der Treppe zu bestreuen, auf dem sich trotz der Schneelage ein "Trampelpfad" gebildet hatte. Einerseits erforderten dies nach den festgestellten Umständen die Verkehrsbedürfnisse, andererseits kann keine Rede davon sein, daß das Streuen dem Beklagten nicht zumutbar gewesen wäre. Daß er mit einer Benützung der Treppe überhaupt nicht gerechnet habe oder habe rechnen müssen, hat er selbst nicht behauptet. Vielmehr ergibt sich aus der Aktenlage, daß die Hausgäste die Treppe benützten, wenn sie aus dem Skikeller auf die Terrasse gingen, um dort die Ski anzulegen.

Das Berufungsgericht hat somit im Ergebnis mit Recht die Haftung des Beklagten für den Schaden des Klägers bejaht.

2. Revision des Klägers:

Diese erblickt die angerufenen Revisionsgrunde nach § 503 Z 2 und 4 ZPO darin, daß das Berufungsgericht die vom Kläger in der Berufung bekämpfte Behauptung des Erstgerichtes, er habe sich nicht mit besonderer Vorsicht und Aufmerksamkeit der Treppe genähert, nicht beanstandet, sein Mitverschulden "mangels eines Beweises" bejaht und aus der Erfahrung des täglichen Lebens die durch Feststellungen nicht gedeckte Annahme abgeleitet habe, der Kläger sei beim Verlassen des Gasthauses in Eile gewesen.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung nicht zu.

Der Kläger begab sich über die Außentreppe in das Gasthaus, um Hilfe zu erbitten, weil er infolge einer durch außergewöhnliche Witterungsverhältnisse entstandenen gefährlichen Glatteisbildung auf der Schneefahrbahn der vor dem Gasthaus vorbeiführenden Bundesstraße mit seinem PKW in Schwierigkeiten geraten war. Die Fahrbahn war derart glatt, daß man auf ihr kaum gehen konnte und aufpassen mußte, um nicht zu stürzen. Die Außentreppe war stark zugeschneit und nicht vom Schnee geräumt, doch waren auf den Stufen vereiste Fußtritte vorhanden. Dies konnte dem Kläger schon auf dem Hinweg nicht entgangen sein. Seinem Einwand, er habe sich eine Stunde lang im Gasthaus aufgehalten, ist entgegenzuhalten, daß er wegen der Vereisung der Straße das Gasthaus aufsuchte und diese Vereisung sich nicht auf die Fahrbahn der Bundesstraße beschränkt haben konnte. Der Kläger hätte daher bemerken müssen, daß die vereisten Fußtritte nicht bestreut waren. Erfahrungsgemäß ist der Abstieg über eine vereiste Treppe gefährlicher als der Aufstieg. Auch dies hätte der Kläger bedenken müssen. Ob er in Eile war, ist nicht von Belang. Die vereiste Treppe war für den Kläger als gefährlich erkennbar. Es genügte daher die Anwendung der verkehrsüblichen Aufmerksamkeit nicht. Vielmehr hätte der Kläger erhöhte Aufmerksamkeit anwenden müssen, allenfalls die vereisten Fußstapfen überhaupt nicht betreten dürfen, zumal auch das Treppengeländer verschneit war und als zusätzlicher Halt nicht in Betracht kam. Dieses als Sorglosigkeit zu beurteilende Verhalten des Klägers wiegt nicht so gering, daß es - wie er meint - lediglich eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 4:1 zu seinen Gunsten rechtfertigen würde.

Gegen die von den Untergerichten übereinstimmend vorgenommene Schadensaufteilung bestehen keine Bedenken.

Gegen die Fällung des Zwischenurteils an sich ist im Rechtsmittelverfahren nichts vorgebracht worden, sodaß es dabei sein Bewenden hat.

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