OGH 8Ob170/70

OGH8Ob170/7015.9.1970

SZ 43/150

Normen

EheG §46
EheG §49
EheG §55
EheG §46
EheG §49
EheG §55

 

Spruch:

Stellt der Kläger die Reihenfolge der geltend gemachten Ehescheidungsgrunde nicht klar, ist anzunehmen, daß die Verschuldensgrunde vor den anderen den Vorrang haben sollen

OGH 15. September 1970, 8 Ob 170/70 (OLG Graz 5 R 46/70; LGZ 16 Cg 49/69)

Text

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe zunächst nur nach § 55 EheG wegen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft seit mehr als drei Jahren, dann aber auch nach § 49 EheG, da die Beklagte ehewidrige Beziehungen zum Witwer Oskar W, dem Schwiegervater ihres Halbbruders, unterhalte. Die Beklagte bestritt die Behauptungen des Klägers, beantragte Abweisung des Klagebegehrens und erhob gegen das Scheidungsbegehren nach § 55 EheG Widerspruch.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht beschloß, Beweise nicht aufzunehmen, und gab der Berufung des Klägers keine Folge.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Klägers Folge gegeben, das Urteil des Berufungsgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Kläger stützte sein Scheidungsbegehren zunächst nur auf § 55 EheG, dann aber auch auf § 49 EheG. Er macht damit zwei rechtlich verschieden zu beurteilende Scheidungsgrunde geltend. Der Kläger, der sich auf mehrere Scheidungsgrunde beruft, hat die Wahl, ob er sie gleichwertig nebeneinander oder aber gestaffelt, d h in bestimmter Reihenfolge geltend machen will. An die gewählte Reihenfolge sind die Gerichte gebunden. Stellt der Kläger die Reihenfolge nicht einwandfrei klar, ist anzunehmen, daß die Verschuldensgrunde vor den anderen den Vorrang haben sollen (Hoffmann - Stephan[2] 416, Anm 40 zu § 41 DEheG). Der Erstrichter war hingegen nach der Fassung des Urteilsspruchs der Meinung, der Kläger habe das Scheidungsbegehren nach § 49 EheG nur subsidiär geltend gemacht. Der Kläger hat sich dagegen zwar in seiner Berufung nicht eindeutig beschwert, aber doch nach seinem Berufungsantrag die Scheidung der Ehe zunächst nach § 49 EheG verlangt. Es ist daher davon auszugehen, daß er die Scheidung der Ehe in erster Linie nach dieser Gesetzesstelle begehrt.

Diese Revisionsausführungen sind beachtlich. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens im Sinne des § 503 Z 2 ZPO ist gegeben, wenn bei der Stoffsammlung ein Verfahrensgesetz verletzt wurde und diese Gesetzesverletzung eine erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung der Sache zu hindern geeignet war (Fasching Anm 13 zu § 503 ZPO, 310); sie liegt insbesondere vor, wenn das Berufungsgericht zwingende Vorschriften über die Durchführung der Beweisaufnahme verletzte, etwa ein Beweismittel erst späterhin bei der Beratung oder Urteilsfertigung heranzog (vgl Fasching 312) und damit die gemäß §§ 463 Abs 1, 488 Abs 2 ZPO auch im Berufungsverfahren anzuwendenden Vorschriften der §§ 276 Abs 1, 278 Abs 2 ZPO, wonach Beweise, welche das Gericht für erheblich hält, im Laufe der mündlichen Verhandlung aufzunehmen und die Beweisergebnisse zu erörtern sind, mißachtete (ZBl 1922/74).

Ein Beweisbeschluß auf Zulassung des Urkundenbeweises ist allerdings nur zu fassen, wenn der Gegner, der zur Erklärung über die Urkunde aufzufordern ist (§ 298 Abs 3 ZPO), deren Echtheit oder Inhalt bestritten hat (Rsp 1936/254 u a). Ist dies nicht der Fall, ist der Inhalt der Urkunde Bestandteil des unbestrittenen Parteienvorbringens (Peutlschmid, Die Anwendung der ZPO, RZ 1926, 62) und daher ohne Fassung eines Beweisbeschlusses vorzutragen (Fasching III 301). Eine Beweisdurchführung ohne Beweisbeschluß muß gemäß § 196 ZPO gerügt werden, wenn dieser Vorgang im Rechtsmittelverfahren als Mangelhaftigkeit geltend gemacht werden soll (Rsp 1936/254); das gleiche gilt für die Unterlassung der Aufforderung an den Gegner zur Erklärung über die Urkunde (Fasching III 383). Diese Grundsätze können jedoch dann nicht gelten, wenn das Gericht, wie im vorliegenden Falle, die Aufnahme von Beweisen in der Verhandlung ablehnte und auch tatsächlich den Inhalt der vorgelegten Urkunden nicht vortrug, sodaß die Parteien der Überzeugung sein mußten, das Gericht halte den Beweisantrag für unerheblich. Ohne Vortrag der Urkunden konnte die Beklagte von deren Inhalt nicht Kenntnis nehmen, sodaß nicht gesagt werden kann, sie hätte deren Inhalt als richtig zugestanden. Durch das Vorgehen des Berufungsgerichtes kann sich aber auch der Kläger für beschwert erachten, obwohl das Berufungsgericht die von ihm gewünschte Feststellung, Oskar W habe der Beklagten zu Weihnachten 1969 einen Fernsehapparat geschenkt, getroffen hat; der Kläger hatte nämlich die Urkunden nicht zum Beweis deren Wortlauts, sondern zur Unterstürzung seiner Behauptung vorgelegt, zwischen der Beklagten und Oskar W bestunden ehewidrige Beziehungen, eine Annahme, die das Berufungsgericht gleich dem Erstgericht ablehnte. Richtig führt die Revision aus, daß unter Einbeziehung des urkundlich belegten Sachverhalts und Berücksichtigung der der behaupteten Schenkung zugrunde liegenden Motive die gesamten bisherigen Verfahrensergebnisse vielleicht in einem anderen Licht betrachtet werden könnten. Ein fortgesetzter allzu enger Kontakt der Beklagten mit Oskar W, auf den u a allenfalls aus den Verhältnissen, unter denen ein verhältnismäßig wertvolles Weihnachtsgeschenk gegeben worden war, geschlossen werden könnte, könnte nämlich selbst dann, wenn es zu keinen ehebrecherischen Beziehungen gekommen ist, unter Umständen nicht mehr als harmlose, nicht gegen die Treuepflicht der Beklagten verstoßende Freundschaft gewertet werden; wenn das Verhältnis gegen Sitte und Anstand verstieße, könnte es vielmehr selbst bei bestehender Zerrüttung der Ehe als schwere Eheverfehlung beurteilt werden (RZ 1966, 146), die unter Umständen nicht nach § 49 Satz 2 EheG, welche Bestimmung eine Kompensation von Eheverfehlungen nicht rechtfertigt, entschuldigt werden könnte.

Das Berufungsgericht hat diese Rechtslage nicht beachtet und deshalb den Sachverhalt nicht im ausgeführten Sinne geprüft. Der geltend gemachte Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Sachbeurteilung, gemäß § 503 Z 4 ZPO erweist sich demnach als berechtigt. Es liegt ein auf unrichtige rechtliche Beurteilung zurückzuführender Mangel der Erörterung und Feststellung eines nach richtiger rechtlicher Beurteilung für die erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung der Streitsache wesentlichen Sachverhaltes (ein sogenannter Feststellungsmangel, Jud 230) vor. Es ist daher notwendig, die vorgelegten Urkunden zu verlesen, die Beklagte zur Abgabe einer Erklärung zur Echtheit und Richtigkeit der Urkunden aufzufordern, den Sachverhalt dann auf Grund dieser Erklärung zu erörtern und insbesondere zu klären, unter welchen Umständen und aus welchen Motiven die Beklagte das auffallend großzügige Weihnachtsgeschenk erhalten hat; hierüber sind gegebenenfalls Beweise aufzunehmen, worauf erst das Ergebnis im Zusammenhang mit den übrigen Beweisergebnissen abschließend gewürdigt werden kann. Solange dies nicht geschehen ist, ist eine erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung der Streitsache nicht möglich. Das Urteil des Berufungsgerichtes ist daher aufzuheben und diesem eine Beseitigung der dargestellten Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufzutragen.

Eine solche ergänzende Klärung wäre auch für den subsidiär geltend gemachten Ehescheidungsgrund nach § 55 EheG erforderlich. Ein Widerspruch gegen die Scheidung der Ehe könnte nämlich dann als unbeachtlich angesehen werden, wenn auch der widersprechende Ehegatte jede eheliche Gesinnung verloren hat und auch bei ihm eine wirkliche Bereitschaft zur Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht angenommen werden kann, sodaß der Widerspruch selbst als sittenwidriger Rechtsmißbrauch angesehen werden müßte (EvBl 1968/399). Ein ernstliches Festhalten des widersprechenden Teiles an der Ehe wird dann nicht anzunehmen sein, wenn dieser selbst Handlungen setzt, die nach menschlichem Ermessen die Wiederaufnahme einer wirklichen ehelichen Gemeinschaft für alle Zukunft ausschließen (EFSlg 10.307, EvBl 1957/403). Eine solche Handlung der Beklagten könnte darin liegen, daß diese selbst längerdauernde ehewidrige Beziehungen zu einem anderen Mann aufgenommen und damit zu erkennen gegeben hätte, daß auch für sie die Ehe jeden Sinn verloren hat. Daß Oskar W wesentlich älter als die Beklagte ist, kann keine entscheidende Rolle spielen.

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