Spruch:
Wird ein Vergleich durch einen Prozeßbevollmächtigten abgeschlossen, ist eine Anfechtung dieses Vergleiches unter Berufung auf die Beschränkung der Vollmacht ausgeschlossen
OGH 24. Juni 1970, 6 Ob 159/70 (LG Innsbruck 2 R 847/69; BG Zell am Ziller C 403/68 )
Text
In dem zu C 115/66 des Bezirksgerichtes Z anhängig gewesenen Verfahren wegen Aufkündigung der im Hause in K 42 ebenerdig gelegenen Geschäftslokale zum 30. September 1966 war der beklagte Mieter durch einen Rechtsanwalt vertreten. Dieser schloß in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 26. Februar 1968 mit dem Vermieter einen Vergleich, in dem u a der Beklagte, der sich zur Räumung der im Erdgeschoß des Hauses gelegenen zwei Magazinsräume bis längstens 1. März 1971 verpflichtete, auf sein Recht, auf dem Grundstück 265 KG K Dachplatten und sonstige Materialien zu lagern, verzichtete und seine Zustimmung zur Löschung dieser Dienstbarkeit erteilte (P 2), sich verpflichtete, den baufälligen Schuppen an der Grenze zwischen den Grundstücken der Streitteile zu räumen, und dem Kläger das Niederreißen gestattete (P 5) und schließlich erklärte, per 1. März 1971 seien seine sämtlichen Rechte an der Liegenschaft des Klägers erloschen (P 8).
Der Beklagte dieses vorausgegangenen Verfahrens behauptete nun als Kläger, sein damaliger Anwalt sei nicht beauftragt gewesen, einen solchen Vergleich zu schließen und habe auch keine Vollmacht zur Aufgabe bücherlicher Rechte gehabt. Auch sei damals der Mangel der Aktivlegitimation des seinerzeitigen Klägers nicht bekannt gewesen. Er beantragt daher - nach Einschränkung des Begehrens - den Vergleich in den Punkten, in denen er bücherliche Rechte zum Gegenstand hat, d s die Punkte 2, 5 und 8, aufzuheben.
Das Erstgericht erkannte im Sinne dieses Klagebegehrens. Es stellte noch weiter fest:
Der Kläger des vorliegenden Verfahrens hatte seinem Anwalt inhaltlich der darüber vorliegenden Urkunde in dem vorausgegangenen Verfahren Prozeßvollmacht gemäß §§ 30, 31 ZPO erteilt sowie ihn zum Empfang des Streitgegenstandes und zur Verfügung darüber ermächtigt. Zum Abschluß eines Vergleiches war der Anwalt nur auf der Basis eines höheren Mietzinses ermächtigt. Bei Abschluß des gerichtlichen Vergleiches war der Kläger nicht anwesend, sondern lediglich seine Gattin, die der Anwalt den Vergleichsverhandlungen zuzog und die dem Abschluß zustimmte und den Vergleich unterfertigte. Der Anwalt schloß den Vergleich in der irrigen Annahme, die Gattin des damaligen Beklagten sei zur Abgabe derartiger Erklärungen ermächtigt gewesen. Mit Schreiben vom 29. Februar 1968 setzte er den Gegner davon mit dem Beifügen in Kenntnis, der Kläger sei mit der Aufgabe seiner bücherlichen Rechte auf Brennholzlagerung und Abbruch des Schuppens nicht einverstanden. Ein ähnliches Schreiben ließ der Kläger am 23. April 1968 durch seinen nunmehrigen Anwalt absenden. Am Tage des gerichtlichen Räumungstermines räumten Arbeiter des Klägers die Holzhütte aus. Der Kläger brachte wegen dieser Exekutionsführung eine Klage nach § 35 EO ein, die er später zurückzog.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die dem damaligen Beklagtenvertreter erteilte Prozeßvollmacht sei auf den Gegenstand dieses Rechtsstreites, nämlich die Aufkündigung der zwei ebenerdig gelegenen Räume, beschränkt gewesen. Die angefochtenen Bestimmungen dieses Vergleiches seien daher durch diese Vollmacht nicht gedeckt. Zum Vergleichsabschluß sei es nur infolge des Irrtums des damaligen Anwaltes gekommen. Der Umstand, daß der Kläger vor der gerichtlichen Räumung den Holzschuppen habe räumen lassen, lasse nicht auf eine Genehmigung des durch seinen Anwalt geschlossenen Vergleiches schließen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Die Beweiswürdigung des Erstgerichtes sei unbedenklich. Das Berufungsgericht billigte auch die rechtliche Beurteilung.
Der Oberste Gerichtshof änderte die Urteile der Untergerichte im Sinne der Klagsabweisung ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die materielle Gültigkeit eines gerichtlichen Vergleiches ist nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen (RZ 1931, 196). Ein vermögensrechtlicher Vergleich unterliegt daher auch der Anfechtung wegen Irrtums (ZBl 1933/262, SZ 22/52, Fasching Komm z d Zivilprozeßgesetzen II 968). Das vom Kläger in dieser Richtung gestellte Begehren um Aufhebung des gerichtlichen Vergleiches in den bezeichneten Punkten ist als ein solches Feststellungsbegehren aufzufassen.
Was die Ausführungen des Klägers über die seinem damaligen Anwalt erteilte Vollmacht betrifft, so ermächtigt die einem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht zur Prozeßführung (Prozeßvollmacht) gemäß § 31 ZPO - soweit es für dieses Verfahren von Bedeutung ist - insb zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen (Z 1) und auch, da eine in dieser Richtung zulässige Einschränkung nicht festgestellt wurde, zum Abschluß von Vergleichen über den Gegenstand des Rechtsstreites (Z 2). Durch diese Normen über die Prozeßvollmacht sichert das Gesetz die ungestörte Prozeßführung. Der Bevollmächtigte hat in ihrer Folge eine derartige Macht, daß er im Prozeß wirklich die Partei vorstellen und sich niemals auf den Mangel im Inhalt seiner Vollmacht berufen kann. Aus dieser Zweckbestimmung heraus sind etwa auftauchende Zweifel über den Umfang der Prozeßvollmacht zu lösen (Pollak System[2] 154). Daß sich nun der Beklagte des Kündigungsstreites zum Zwecke einer über den primären Gegenstand des Verfahrens hinausgehenden Bereinigung zur Aufgabe sonstiger Benützungsrechte, zumal wenn ihm, wie es mit dem Vergleich geschah, auch eine Räumungsfrist zugestanden wurde, verpflichten konnte, kann nicht zweifelhaft sein. Ausgehend von dem bezeichneten gesetzlichen Umfang der Prozeßvollmacht muß dieses Recht daher auch seinem Bevollmächtigten eingeräumt werden. Es darf nicht übersehen werden, daß die Vollmacht des seinerzeitigen Vertreters des Klägers nicht auf einen bestimmten Rechtsstreit beschränkt war. Der Anwalt hätte auf Grund der allgemeinen Vollmacht gemäß § 31 ZPO z B einen Vergleich nach § 433 ZPO schließen können.
Daran ändert für sich allein auch nichts, daß die weiteren dem Kläger des vorliegenden Verfahrens an der Liegenschaft zugestandenen dinglichen Rechte zunächst nicht Gegenstand des Kündigungsstreites waren. Denn die Vollmacht erstreckt sich auf den Prozeß in allen seinen Stadien, wie sie z B durch Klagsänderung veranlaßt werden (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechtes[9] 225, Rosenberg - Schwab, Zivilprozeßrecht[10] 248). Der Rechtsstreit bleibt vielmehr derselbe, auch wenn er inhaltlich durch Klagsänderung, Klagserweiterung usw verändert wird (Stein - Jonas, Komm z Zivilprozeßordnung[18] zu § 81 II 1). Einen Vergleich über den Gegenstand des Rechtsstreites kann der Machthaber auch schließen, wenn es sich auch um erst in der Vergleichstagsatzung geltend gemachte Ansprüche oder Gegenansprüche handelt (Sperl, Lehrbuch 210). Nur in diesem Sinn kam daher der Wortlaut des Gesetzes ".. zum Abschluß von Vergleichen über den Gegenstand des Rechtsstreites", soweit sie in der Lehre hervorgehaben werden (Stein - Jonas zu § 81 III 3, Rosenberg 226, Schönke, Lehrbuch des Zivilprozeßrechtes[8] 127, Neumann, Komm z d Zivilprozeßgesetzen[4] 504 Anm 11, Fasching Komm z d Zivilprozeßgesetzen II S 269), verstanden werden. Die vom Kläger in Übereinstimmung mit den Untergerichten vertretene Auffassung, daß von dem durch die ursprüngliche Klage bezeichneten Umfang des Rechtsstreites auszugehen sei und eine Befugnis des Prozeßbevollmächtigten zum Abschluß eines gerichtlichen Vergleiches nur in diesem Rahmen in Betracht komme, übersieht, wie ausgeführt, daß der Rechtsstreit auch durch Klagsänderung oder Klagsausdehnung derselbe bleibt. Diese Ansicht müßte in letzter Konsequenz dazu führen, daß im Falle einer Änderung oder Erweiterung des Begehrens die Vorlage einer neuen Vollmacht gefordert werden mußte, die aber einen gegenüber der bisherigen, da es eine umfassendere als die nach § 31 ZPO nicht gibt, unveränderten Inhalt haben kann, was sicher nicht sinnvoll wäre.
Schließlich kommt auch dem Umstand, daß nicht ausdrücklich festgestellt wurde, daß der Beklagte des vorausgegangenen Verfahrens vor Abschluß des gerichtlichen Vergleiches sein Begehren erweiterte sowie daß es sich dabei um ein Bestandverfahren handelte, keine entscheidende Bedeutung zu. Es kann nicht darauf ankommen, ob eine Ausdehnung des Begehrens ausdrücklich protokolliert wurde, maßgebend ist vielmehr, daß sich schon aus dem Vergleich ergibt, daß eine Geltendmachung weiterer Rechte erfolgte, weil sie doch in dem Vergleich ihren Niederschlag fand. Dagegen spricht auch nicht, daß über die Aufkündigung im Bestandverfahren zu verhandeln war, da auch in diesem durch die vorgenommene Erweiterung des Begehrens und den Abschluß eines gerichtlichen Vergleiches darüber keine Nichtigkeit begrundet wurde.
Kann daher der Kläger mit seiner Behauptung eines Mangels der Vollmacht seines Vertreters bei Abschluß des Vergleiches keinen Erfolg haben, so gilt dies auch für seine weitere Behauptung eines seinem Vertreter unterlaufenen Irrtums, soweit damit überhaupt ein über den vermeintlichen Mangel der Vollmacht hinausgehender Irrtum geltend gemacht werden sollte. Voraussetzung einer Irrtumsanfechtung wäre, daß der Irrtum vom Gegner veranlaßt wurde, daß er ihm offenbar auffallen mußte oder daß er noch rechtzeitig aufgeklärt wurde (§ 871 ABGB). In dieser Richtung versuchte der Kläger Behauptungen aber gar nicht vorzubringen. Schon gar nicht kann die Anfechtung eines Vergleiches aber dazu dienen, die im vorausgegangenen Prozeß versäumte Einwendung des angeblichen Mangels der Aktivlegitimation nachzuholen.
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