OGH 2Ob167/70

OGH2Ob167/7018.6.1970

SZ 43/109

Normen

B-VG Art104 Abs2
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §5
B-VG Art104 Abs2
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §5

 

Spruch:

Haltergemeinschaft zwischen Bund und Land bei den in der Straßenverwaltung (Autobahn) eingesetzten Fahrzeugen

OGH 18. Juni 1970, 2 Ob 167/70 (OLG Wien 3 R 237/69; LGZ Wien 39 c Cg 59/69)

Text

Die klagende Partei begehrt den Ersatz des Schadens, den sie bei einem Verkehrsunfall am 28. Juni 1966 in W erlitten habe, weil den Unfall der Lenker eines LKWs, dessen Halter die Beklagte gewesen sei, verschuldet habe.

Die Beklagte, ein Bundesland, macht geltend, daß sie nicht Halterin dieses LKWs gewesen sei und daß den Lenker des Fahrzeuges kein Verschulden am Unfall treffe.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen, weil die beklagte Partei nicht Halterin des LKWS gewesen sei.

Die Berufung der klagenden Partei blieb erfolglos.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und hob die Urteile der Untergerichte auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach den Feststellungen der Untergerichte war am Unfall der LKW mit dem Kennzeichen N ..., der auf einer Überstellungsfahrt zum Service war, beteiligt. Dieses Kennzeichen war der niederösterreichischen Landesregierung, Autobahnmeisterei H-S, zugewiesen. Eigentümerin des Fahrzeuges war die Republik Österreich. Die Kosten der Anschaffung, Erhaltung und des Betriebes des Fahrzeuges wurden aus einem vom Bundesministerium für Bauten und Technik der beklagten Partei erteilten Kredit getragen und mit der Republik Österreich verrechnet. Versicherungsnehmer der Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug war die Beklagte. Sie stellte auch den Fahrer für das Fahrzeug. Diese Kosten wurden der Beklagten im Rahmen des Finanzausgleiches ersetzt. Das Fahrzeug wurde für Zwecke der Autobahnmeisterei H-S betrieben. Diese handelt dabei nach den Weisungen des Landeshauptmannes, der sich bei Führung der ihm übertragenen Bundesstraßenverwaltung der ihm unterstellten Landesbehörden bedient. Diese Dienststelle sorgt für die Unterbringung und die Instandhaltung des Fahrzeuges und die erforderlichen Betriebsmittel; sie schloß die Versicherung ab und entlohnt den Fahrer. Daß das Fahrzeug auch auf Landesstraßen eingesetzt worden wäre, ist nicht erwiesen.

Für die Beurteilung der Haltereigenschaft ist zwar nicht in erster Linie entscheidend, für wen das Fahrzeug zugelassen wurde, wer Eigentümer des Fahrzeuges oder wer Versicherungsnehmer der für das Fahrzeug abgeschlossenen Versicherung ist. Diese Umstände können aber als zusätzliche, die Bejahung der Haltereigenschaft unterstützende Momente Bedeutung haben, wenn diese Frage im Einzelfall zweifelhaft list (vgl ZVR 1967/250). Grundsätzlich sind für die Beurteilung der Haltereigenschaft die wirtschaftlichen und tatsächlichen, nicht die rechtlichen Verhältnisse entscheidend. Danach ist die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug und der Gebrauch des Fahrzeuges auf eigene Rechnung maßgebend (Geigel, Der Haftpflichtprozeß [14], 560 f, ZVR 1969/301; ZVR 1957/237 u a). Halter eines Fahrzeuges ist somit, wer darüber bestimmt, wann und wo das Fahrzeug gefahren wird, wer die Kosten der Unterbringung, Instandhaltung und Bedienung des Fahrzeuges sowie der Betriebsmittel trägt. Treffen diese Merkmale nicht auf die gleiche Person zu, dann ist zu prüfen, welche Merkmale im Einzelfall die größere Bedeutung haben. Halter des Fahrzeuges ist dann der, auf den die Merkmale, die die größere Bedeutung haben, zutreffen. Es können auch mehrere Personen gleichzeitig Halter eines Fahrzeuges sein, wem bei Würdigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zum Betrieb des Fahrzeuges die Merkmale, die für die Haltereigenschaft wesentlich sind, bei mehreren Personen in so großer Zahl und so sehr gegeben sind, daß die Belastung mit der Haftung für Betriebsunfälle dem Wesen der gesetzlichen Haftpflicht des Halters entspricht. Eine Mehrheit von Haltern ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich mehrere Personen, z B Ehegatten oder Lebensgefährten, in der Verfügung über das Fahrzeug so teilen, daß darin ein ständiger Wechsel gegeben ist. Es soll ein "geradezu schaukelhafter Wechsel" der Haltereigenschaft, der diesem Begriff widerspräche, vermieden werden (Müller, Straßenverkehrsrecht[22], 217; RZ 1967, 16; ZVR 1961/255; SZ 25/208; BGH 11. Juli 1958, VersR 1958, 646 ff). Daraus folgt, daß interne Vorgänge zwischen den mehreren als Halter in Frage kommenden Personen, die zu einem öfteren Wechsel der Haltereigenschaft führen könnten, dadurch ausgeschaltet werden, daß eine Haltergemeinschaft angenommen wird. Derselbe Gedanke kann auf den Fall angewendet werden, daß der über das Fahrzeug Verfügungsberechtigte und für den Betrieb Verantwortliche für verschiedene Rechtssubjekte handelt, ohne daß dies im Einzelfall nach außenhin erkennbar wird.

Mit Rücksicht auf die Ausführungen der Revision, daß sich die beklagte Partei selbst als Halterin des Fahrzeuges betrachtet habe, ist darauf zu verweisen, daß die Haltereigenschaft nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen ist und es daher nicht darauf ankommt, ob sich die in Anspruch genommene Person als Halterin des Fahrzeuges betrachtet (Geigel, Haftpflichtprozeß [14], 561).

Nach diesen Grundsätzen ist die Annahme einer Mithaltereigenschaft der Beklagten für das am Unfall beteiligte Fahrzeug gerechtfertigt. Dieses Fahrzeug war einer Dienststelle der beklagten Partei zugeteilt. Diese bestimmte über den Einsatz des Fahrzeuges und war in der Lage, die dem Halter eines Fahrzeuges vom Gesetz auferlegten Sorgfaltspflichten zu beachten. Da diese Dienststelle eine Dienststelle der Beklagten und nicht eine Dienststelle der Republik Österreich war, konnte sie das Fahrzeug im Bereich,der Beklagten verwenden. Ob sie dies durfte, ist eine Frage, die gegenüber der tatsächlichen Verfügungsgewalt in den Hintergrund tritt. Das Fahrzeug wurde nicht speziell von der Republik Österreich der bezeichneten Dienststelle mit Anweisungen über den Einsatz zugeteilt. Die Republik Österreich hatte nur allgemein die Ausübung der Bundesstraßenverwaltung dem Landeshauptmann übertragen. Im Rahmen der Erledigung dieser Aufgabe wurde das Fahrzeug angeschafft und benützt. Die Dienststelle der beklagten Partei hat die Kosten, die mit der Haltung des Fahrzeuges verbunden waren, zunächst ausgelegt und dann mit der Republik Österreich verrechnet. Werden also im vorliegenden Fall die einzelnen für die Beurteilung der Haltereigenschaft in Betracht kommenden Umstände im Zusammenhang geprüft, so ergeben sich so enge Beziehungen auch der Beklagten zum Betrieb des Fahrzeuges, daß ihre Belastung mit der Haftung für Betriebsunfälle dem Wesen der gesetzlichen Haftpflicht eines Fahrzeughalters entspricht; die Beklagte ist als Mithalterin dieses Fahrzeuges anzusehen. Es können also Ansprüche gem § 1 EKHG gegen sie voll geltend gemacht wenden (§ 5 Abs 2 EKHG).

Da die Untergerichte eine Prüfung der darauf gestützten Ansprüche unterlassen haben, waren ihre Urteile aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Stichworte