OGH 6Ob148/65

OGH6Ob148/6515.9.1965

SZ 38/135

Normen

ZPO §530 (1) Z7
ZPO §534
ZPO §530 (1) Z7
ZPO §534

 

Spruch:

Die objektiv falsche Aussage des Zurechnungsunfähigen, deren Unrichtigkeit sich aus einer anders lautenden Aussage bei einer neuerlichen Vernehmung ergibt, kann mit dem Wiederaufnahmsgrund des § 530 (1) Z. 7 ZPO. geltend gemacht werden. In diesem Falle läuft die Frist des § 534 (2) Z. 4 ZPO. erst von dem Zeitpunkt der Verständigung des Klägers von der Zurücklegung der Anzeige

Entscheidung vom 15. September 1965, 6 Ob 148/65

I. Instanz: Bezirksgericht Ried i. I.; II. Instanz: Kreisgericht Ried i. I

Text

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Ried i. I. vom 5. Juli 1962 wurde erkannt, daß der Kläger des vorliegenden Verfahrens als Vater des von Katharina L. am 21. Jänner 1962 außer der Ehe geborenen Kindes mj. Manfred L. anzusehen sei und der Wiederaufnahmekläger zur Leistung des Unterhaltes verpflichtet. Das Urteil grundet sich im wesentlichen auf die Aussage der außerehelichen Mutter, die angab, in der kritischen Zeit nur mit dem Beklagten einmal Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Da die außereheliche Mutter hochgradig schwachsinnig ist, wurde gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen § 127 StG. eingeleitet. In diesem änderte die außereheliche Mutter ihre Angaben über den Vorgang beim Geschlechtsverkehr. Der medizinische Sachverständige erklärte aber einen Geschlechtsverkehr in der von ihr geschilderten Weise nach der körperlichen Konstitution der außerehelichen Mutter und des Klägers für nicht möglich. Das Strafverfahren endete daher mit einem Freispruch des Klägers. Dieser erstattete darauf gegen die außereheliche Mutter eine Anzeige wegen des Verdachtes des Verbrechens nach §§ 197, 199 lit. a StG. Die Staatsanwaltschaft legte diese Anzeige gemäß § 90 StPO. zurück und verständigte davon den Vertreter des Klägers am 3. Oktober 1964.

Mit der am 16. Oktober 1964 eingebrachten Wiederaufnahmeklage begehrt nunmehr der Kläger die Wiederaufnahme des Vaterschaftsverfahrens gemäß § 530 (1) Z. 2 und 7 ZPO.

Das Erstgericht bewilligte die Wiederaufnahme und erkannte im Hauptprozeß nunmehr auf Abweisung des Klagebegehrens auf Feststellung der ae. Vaterschaft und Verpflichtung zur Unterhaltsleistung. Es stellte fest, die ae. Mutter habe ihre im Vaterschaftsprozeß abgelegte Zeugenaussage über den Vorgang beim Geschlechtsverkehr in der Hauptverhandlung am 10. September 1964 geändert. Die Zurücklegung der Strafanzeige gegen sie wegen des Verdachtes des Verbrechens nach §§ 197, 199a StG. sei vermutlich wegen der geistigen Unzurechnungsfähigkeit der ae. Mutter erfolgt. Da die Wiederaufnahmsklage auch innerhalb der gesetzlichen Frist ab Verständigung des Anzeigers eingebracht wurde, sei die Wiederaufnahme zu bewilligen. Im Hauptprozeß reiche nun die Aussage der ae. Mutter nicht hin, um einen Geschlechtsverkehr des Wiederaufnahmeklägers und Beklagten des Hauptprozesses mit ihr innerhalb der kritischen Zeit als erwiesen anzunehmen. Daraus folge die Abweisung des Hauptbegehrens.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Wiederaufnahmebeklagten und Klägers des Hauptprozesses Folge, hob das Urteil auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Das Verfahren sei mangelhaft, weil das Erstgericht den Grund der Einstellung des Strafverfahrens gegen die ae. Mutter nicht erhoben habe. Das Berufungsgericht hab daher darüber eine Auskunft der Staatsanwaltschaft eingeholt. Aus ihr ergebe sich, daß die Anzeige nach §§ 197, 199 a StG. gemäß § 90 StPO. zurückgelegt worden sei, weil die ae. Mutter nach § 2 lit. a StG nicht verantwortlich sei.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, als Wiederaufnahmegrund nach § 530 (1) Z. 2 ZPO. komme nur eine wissentlich falsche Zeugenaussage in Betracht. Die ae. Mutter sei aber nicht in der Lage, ihre Tat zu erkennen. Fehle es damit an dem Tatbestandsmerkmal des dolus, sei die Anzeige in Wahrheit wegen mangelnden Tatbestandes zurückgelegt worden. Die Wiederaufnahme aus diesem Gründe könne daher nicht bewilligt werden. Sie komme aber auch gemäß § 530 (1) Z. 7 ZPO. nicht in Betracht, da der Wiederaufnahmekläger von der Änderung der Aussage der ae. Mutter spätestens in der Hauptverhandlung vom 10. September 1964 Kenntnis erlangt habe, für die am 16. Oktober 1964 eingebrachte Wiederaufnahmeklage daher die einmonatige Frist versäumt worden sei. Die Klage sei daher als zur Bestimmung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung ungeeignet zurückzuweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse des Wiederaufnahmsklägers teilweise Folge, bestätigte die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage, soweit sie auf § 530 (1) Z. 2 ZPO. gestützt ist, und hob im übrigen den Beschluß der zweiten Instanz auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der vom Wiederaufnahmekläger primär geltend gemachte Wiederaufnahmegrund nach § 530 (1) Z. 2 ZPO. ist gegeben, wenn sich ein Zeuge einer falschen Aussage schuldig gemacht hat und das Urteil auf diese Aussage gegrundet ist. Die Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung ist gemäß § 539 (2) ZPO. erst nach rechtskräftigem Abschluß des Strafverfahrens, und zwar nur dann anzuberaumen, wenn dieses Verfahren entweder zu einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der zur Begründung der Wiederaufnahmsklage geltend gemachten strafbaren Handlung geführt hat, oder wenn das Strafverfahren aus anderen Gründen als wegen mangelnden Tatbestandes oder wegen Mangels an Beweisen zu einer Verurteilung, nicht geführt hat. Andernfalls ist die Klage nach Bekanntgabe der Ergebnisse des strafgerichtlichen Verfahrens als unzulässig zurückzuweisen. Das Strafgericht oder die staatsanwaltschaftliche Behörde hat bei Bekanntgabe der wegen Nichteinleitung oder Einstellung des Strafverfahrens gefaßten Beschlüsse den Grund der unterlassenen Einleitung oder Einstellung des Verfahrens ausdrücklich zu bezeichnen. Zur Wiederaufnahme nach § 530 (1) Z. 2 ZPO. ist es nun nicht erforderlich, daß die Aussage des Zeugen, auf die das Urteil des Zivilgerichtes gegrundet ist, gerade bezüglich eines von diesem als streitentscheidend angesehenen Umstandes für falsch erkannt wird, es genügt vielmehr, daß die Glaubwürdigkeit des Zeugen überhaupt zweifelhaft wurde (SZ. V 34). Unter diesem Gesichtspunkt ist daher der Änderung der Darstellung über die Vorgänge beim Geschlechtsverkehr Bedeutung nicht abzuerkennen.

Bestehen insoweit keine Bedenken gegen die Wiederaufnahmsklage, so ist, da ein Strafverfahren wegen der geltend gemachten unrichtigen Zeugenaussage nicht eingeleitet wurde, wesentlich, aus welchen Gründen es unterblieben ist. Darüber konnte sich das Erstgericht nicht mit einer Vermutung begnügen, es bedurfte dazu vielmehr, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, der Einholung einer Auskunft der Staatsanwaltschaft. Auf Grund dieser vom Berufungsgericht eingeholten Auskunft ergibt sich nun, daß die Staatsanwaltschaft die Anzeige am 30. September 1964 gemäß § 90 StPO. zurücklegte, weil die ae. Mutter nach § 2 lit. a StG. strafrechtlich nicht verantwortlich ist. Damit ist aber der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 (1) Z. 2 ZPO. nicht erfüllt. Er ist, wie ausgeführt, nur gegeben, wenn sich der Zeuge einer falschen Aussage schuldig gemacht hat. Dazu genügt nicht der objektive Tatbestand allein, sondern es muß auch der subjektive Tatbestand des Verbrechens der §§ 197, 199 a StG. vorliegen. Diese Auffassung wird von Pollak (System S. 624) und der neueren Rechtsprechung (RiZ. 1934, S. 76, SZ. XXVII 331) vertreten. Auch Sperl (Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 710, 716) steht auf dem Standpunkt, daß eine objektiv, aber nicht subjektiv falsche Zeugenaussage nicht den Wiederaufnahmsgrund nach § 530 (1) Z. 2 ZPO. bilde, weil in diesem Falle der Tatbestand, zu dem, wie bei allen Verbrechen, böse Absicht gehört, fehle. Er meint aber, daß das Aufhebungsverfahren dann durchzuführen ist, wenn nur wegen subjektiver Strafausschließungsgrunde z. B. wegen der psychopathischen Beschaffenheit des Zeugen nicht angeklagt oder verurteilt wurde (Sperl a. a. O. S. 716, 710 in Verbindung mit S. 709). Dabei übersieht er aber, daß auch in den Fällen des § 2 lit. a - c StG. böse Absicht und damit der subjektive Tatbestand des Verbrechens fehlt. In diesen Fällen liegen in Wahrheit nicht Strafausschließungsgrunde, sondern Schuldausschließungsgrunde vor. Es ist ausgeschlossen, daß der Vorsatz des Zurechnungsunfähigen zur Schuld zugerechnet wird (Altmann - Jacob S. 40). Er kann sich daher auch nicht des Verbrechens der falschen Zeugenaussage (§ 530 (1) Z. 2 ZPO.) schuldig machen. Soweit die Klage auf den Wiederaufnahmsgrund nach § 530 (1) Z. 2 ZPO. gestützt wird, wurde sie daher vom Berufungsgericht mit Recht zurückgewiesen.

Es muß aber demjenigen, der auf Grund einer nur objektiv unrichtigen Zeugenaussage im Prozeß sachfällig wurde, die Möglichkeit gegeben werden, die Unrichtigkeit dieser Aussage als Wiederaufnahmsgrund geltend zu machen. Die Handhabe dazu gibt der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. (Sperl a. a. O. S. 716, 710, SZ. XI 257, Pollak a. a. O. S. 624 Anm. 19). Der Auffassung des Berufungsgerichtes, der Kläger habe die Frist dafür versäumt, kann nicht gefolgt werden. Derjenige, der glaubt, daß die Aussage eines Zeugen, auf Grund welcher er im Prozeß sachfällig wurde, unrichtig war, weil derselbe Zeuge nunmehr bei einer neuerlichen Vernehmung anders aussagte, kann zunächst gar nichts anderes tun, als die Strafanzeige wegen des Verbrechens nach den §§ 197, 199 lit. a StG. zu erstatten und die Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 2 ZPO. zu erheben. Für eine Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. ist dagegen zunächst kein Raum, weil erst im Strafverfahren bindend darüber entschieden wird, ob bei Ablegung der ersten Zeugenaussage überhaupt der objektive Tatbestand einer falschen Aussage vorlag. Wird diese Frage verneint und aus diesem Gründe das Strafverfahren eingestellt oder ein Freispruch gefällt, dann ist die Frage der Richtigkeit dieser Aussage für das Zivilgericht bindend entschieden und sie kann auch in einem Verfahren nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. nicht aufgerollt werden. Erst wenn das Strafverfahren ergeben hat, daß zwar der objektive Tatbestand der falschen Zeugenaussage gegeben ist, eine Verurteilung aber mangels Zurechnungsfähigkeit nicht erfolgen kann, ist die im Vorprozeß unterlegene Partei imstande, die ihr bekannt gewordene Tatsache der objektiv unrichtigen Zeugenaussage geltend zu machen und die Klage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. erheben. Erst von diesem Zeitpunkt läuft die Frist des § 534

(2) Z. 4 ZPO. Nur diese Auslegung wird dem Zwecke der Vorschrift des § 534 ZPO. gerecht, welche die Parteien zwingt, ohne Aufschub tätig zu werden, damit die Gültigkeit der Erkenntnisse des Gerichtes nicht auf ungemessene Zeit hinaus in Frage gestellt werde (Neumann, Komm. zu den ZP-Gesetzen S. 1420). Diese Pflicht zum Tätigwerden hat der Kläger aber erfüllt. Am 10. September 1964 legte die ae. Mutter ihre Zeugenaussage in dem Strafverfahren ab. Noch in demselben Monat erstattete er die Strafanzeige wegen falscher Zeugenaussage, die am 30. September 1964 zurückgelegt wurde. Davon wurde er am 3. Oktober 1964 verständigt und bereits am 16. Oktober 1964 brachte er seine Wiederaufnahmsklage ein.

Aus diesen Gründen war der Beschluß des Berufungsgerichtes, soweit damit auch die Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. zurückgewiesen wurde, aufzuheben und ihm in diesem Umfange die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

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