Normen
Luftverkehrsgesetz §19
Luftverkehrsgesetz §20
Luftverkehrsgesetz §19
Luftverkehrsgesetz §20
Spruch:
Haftung des Halters und des Piloten eines Flugzeuges für Verletzung eines Zuschauers auf dem Abfertigungsfeld; Mitverschulden des Zuschauers
Entscheidung vom 8. April 1965, 2 Ob 83/65
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck
Text
Am 22. September 1957 wurde die Klägerin auf der Abfertigungsfläche des Innsbrucker Flughafens von dem vom Erstbeklagten als Pilot geführten und dem Zweitbeklagten als Halter gehörigen Flugzeug verletzt. Sie begehrt den Ersatz ihres Schadens.
Der Erstrichter sprach mit Zwischenurteil aus, daß die Beklagten für den Schaden der Klägerin mit den im Urteilsspruch angeführten Einschränkungen zur Gänze aufzukommen hätten. Er stellte unter anderem fest: Die Klägerin und der Erstbeklagte hätten an der am 21. und 22. September 1957 vormittags durchgeführten Flugveranstaltung teilgenommen. Am Nachmittag hätten sowohl der Gatte der Klägerin als auch der Erstbeklagte Rundflüge über Innsbruck durchgeführt. Die Klägerin habe sich mit ihrer Nichte zu dem auf dem Flugplatz abgestellten Flugzeug ihres Gatten begeben, um an einem Rundflug teilzunehmen. Dazu sei es aber dann nicht gekommen. Die Klägerin sei mit ihrer Nichte über die Abfertigungsfläche zum Flughafenhotel zurückgegangen. Die beiden Frauen hätten sich zunächst am Rand des Abfertigungsfeldes bewegt. Im Bereich der Flugzeughalle II seien sie etwas weiter in das Abfertigungsfeld hinein abgewichen. Der Erstbeklagte, der nach Durchführung eines Fluges eben gelandet sei, habe das Flugzeug im langsamen Tempo, zuletzt im Leerlauf, über die Abfertigungsfläche in Richtung des Hangars rollen lassen, um das Flugzeug vor dem Hangar auf dem Abfertigungsfeld abzustellen. Die beiden Frauen habe er nach einer Richtungsänderung, obwohl die Sicht auf sie nicht verdeckt gewesen sei, erst auf etwa 2 m gesehen. Er habe mit dem Flugzeug, das keine Radbremse aufgewiesen habe, durch Betätigen des Spornrades nach rechts ausweichen wollen, was ihm aber infolge der zu kurzen Entfernung nicht mehr gelungen sei. Die Klägerin habe mit ihrer Nichte geplaudert und den Vorgängen auf dem Abfertigungsfeld keine Aufmerksamkeit geschenkt. Sie habe das von hinten heranrollende Flugzeug gar nicht bemerkt. Knapp bevor das Flugzeug zum Stillstand gekommen sei, habe das Flügelende die Klägerin in der Hüftgegend gestreift und verletzt. Die Klägerin sei in diesem Zeitpunkt 5 m, jedenfalls nicht mehr, vom Rand der Abfertigungsfläche entfernt gewesen. Der Erstrichter erblickte ein Verschulden des Erstbeklagten darin, daß er beim Heranrollen an den beabsichtigten Abstellplatz einen unzweckmäßigen Vorgang eingehalten habe und daß er nicht die erforderliche Aufmerksamkeit angewendet habe. Die Klägerin habe sich berechtigterweise auf einem insbesondere dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen Teil des Abfertigungsfeldes bewegt. Es könne ihr daher nicht als Verschulden angelastet werden, daß das von hinten heranrollende Flugzeug ihrer Aufmerksamkeit entgangen sei. Hinsichtlich der erst nach dem 4. April 1962 geltend gemachten Ansprüche hielt der Erstrichter die Verjährungseinrede für begrundet.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit, die darin erblickt wurde, daß das Erstgericht, an das die Rechtssache zunächst vom Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden war, nicht neuerlich eine Verhandlung durchführte. Es billigte dem Erstrichter zu, daß er die vom Berufungsgericht vermißten Feststellungen ohne neuerliche Verhandlung auf Grund der im ersten Rechtsgang aufgenommenen Beweise habe treffen können. Von einem ungesetzlichen Ausschluß der Beklagten vom Verfahren könne nicht gesprochen werden. Im übrigen gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es änderte das Urteil der ersten Instanz dahin ab, daß es den Anspruch der Klägerin mit den angeführten Einschränkungen dem Gründe nach zur Hälfte als zu Recht bestehend erkannte. Es teilte nicht die Ansicht des Erstrichters, der Klägerin könne nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie auf die Vorgänge auf der Abfertigungsfläche nicht weiter geachtet habe. Von Fußgängern, die, wie die Klägerin, einen 5 m breiten Randstreifen der Abfertigungsfläche nicht überschritten, könne wohl keine besondere Aufmerksamkeit verlangt werden, weil sie darauf vertrauen könnten, daß die Flugzeugpiloten den auf diesem Randstreifen zu gewärtigenden Fußgängern erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden würden. Mit Rücksicht auf das Fehlen einer Abgrenzung des Gehbereiches für die Fußgänger vom übrigen Abfertigungsfeld müsse aber auch in diesem Bereich des Abfertigungsfeldes ein Fußgänger die gewöhnliche Aufmerksamkeit anwenden und im eigenen Interesse sowie im Interesse der Sicherheit des Flugverkehres auf an- und ausrollende Flugzeuge achten. Da sich die Klägerin gerade im Grenzbereich zwischen dem mehr für die Fußgänger bestimmten Teil des Abfertigungsfeldes und der übrigen Abfertigungsfläche bewegt habe, wiege der Aufmerksamkeitsfehler der Klägerin ungefähr gleich schwer wie das Verschulden des Erstbeklagten.
Das Urteil des Berufungsgerichtes bekämpft die Klägerin insoweit, als der Berufung der Beklagten Folge gegeben wurde. Die Beklagten bekämpfen es insoweit, als nicht das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde.
Der Oberste Gerichtshof änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es zu lauten habe:
Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihrer beim Unfall vom 22. September 1957 erlittenen Schäden, soweit sie vor dem 4. April 1962 mit dem Betrag von 91.204.40 S samt Anhang geltend gemacht wurden, besteht den Beklagten gegenüber dem Gründe nach zu drei Vierteln zu Recht und zu einem Viertel nicht zu Recht, wobei die Haftung hinsichtlich der Schäden im Sinne des § 22 des LuftverkG. vom 21. August 1936, DRGBl. I S. 653 (GBl. f. d. L. Ö. Nr. 62/1938) bis zu der in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Höchstsumme von 30.000 S die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand trifft, während für den darüber hinausgehenden Schaden der Erstbeklagte allein haftet.
Im übrigen besteht der Anspruch der Klägerin dem Gründe nach nicht zu Recht.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Eine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Z. 4 ZPO. wird von den Beklagten, wie bereits im Berufungsverfahren, darin erblickt, daß das Erstgericht nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang gefällten Zwischenurteiles keine neuerliche Verhandlung durchführte. Die aus dem gleichen Gründe erhobene Nichtigkeitsberufung wurde, wie bereits erwähnt, vom Berufungsgericht verworfen. Die Verwerfung der Nichtigkeitsberufung durch die II. Instanz kann nach nunmehr ständiger Rechtsprechung nicht bekämpft werden, auch nicht mit dem Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. (JBl. 1957 S. 566, JBl. 1955 S. 550 u. a.). Die wegen Nichtigkeit erhobene Revision war daher zu verwerfen.
Im übrigen ist die Revision der Beklagten nicht begrundet. Die Revision der Klägerin ist teilweise begrundet.
Zunächst ist festzuhalten, daß die Klägerin den einzigen von ihr geltend gemachten Revisionsgrund, nämlich den nach § 503 Z. 4 ZPO., nur dahin ausführte, vom Berufungsgericht sei ihr zu Unrecht ein Mitverschulden angelastet worden. Es fehlt also insbesondere an Ausführungen gegen die Annahme der Vorinstanzen, der Klagsanspruch sei mit Ausnahme des vor dem 4. April 1962 geltend gemachten Betrages von 91.204.40 S s. A. verjährt, auch der nicht verjährte Teil des Anspruches bestehe dem Zweitbeklagten gegenüber im Hinblick auf die im maßgebenden Zeitpunkt für die Haftung des Flugzeughalters geltende Höchstgrenze nur bis 30.000 S zu Recht.
Der Meinung der Beklagten, es bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem dem Erstbeklagten angelasteten Aufmerksamkeitsfehler, weil dem Erstbeklagten, auch wenn er die Klägerin früher bemerkt hätte, ein rechtzeitiges Anhalten des zulässigerweise im Leerlauf ausrollenden und nicht mit einer Radbremse versehenen Flugzeuges nicht möglich gewesen wäre, kann nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, daß der Aufmerksamkeitsfehler des Erstbeklagten keineswegs ohne Einfluß auf den Unfallshergang war, wie der zu spät eingeleitete und daher erfolglose Ausweichversuch zeigt, könnte das Verhalten des Erstbeklagten nicht damit entschuldigt werden, daß wirksame Reaktionshandlungen nur schwer möglich gewesen wären. Da sich Fußgänger zulässigerweise auf dem Randstreifen des Abfertigungsfeldes bewegen konnten, hätte der Erstbeklagte, wenn die Ausstattung des Flugzeuges sofort wirksame Reaktionshandlungen nicht ermöglichte, das Flugzeug von vornherein nicht so nahe am Rand des Abfertigungsfeldes im Leerlauf ausrollen lassen dürfen. Daß sich die Klägerin nicht ganz parallel entlang dem Rand des Abfertigungsfeldes bewegte, sondern zuletzt etwas in Richtung gegen das Innere der Abfertigungsfläche abwich, fällt dabei nicht entscheidend ins Gewicht, weil sie, wie festgestellt wurde, den in erster Linie für die Fußgänger bestimmten Randstreifen in einer Breite von 5 m nicht überschritten hat.
Auch der Klägerin kann nicht darin gefolgt werden, daß sie überhaupt kein Verschulden treffe. Soweit sie unterstellt, sie habe sich auf einem ausschließlich den Fußgängern vorbehaltenen Teil der Abfertigungsfläche bewegt, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Bei dem nach dem Sachverständigengutachten etwa 5 m breiten Randstreifen handelt es sich nicht etwa um einen sichtbar abgegrenzten Geländestreifen nach Art eines Gehsteiges. Die Klägerin, die sich im Grenzbereich zwischen diesem mehr für die Fußgänger bestimmten Randstreifen und der übrigen Abfertigungsfläche bewegte, durfte sich daher nicht von vornherein darauf verlassen, von einem Flugzeug nicht gefährdet werden zu können. Es wurde ihr vom Berufungsgericht mit Recht als Aufmerksamkeitsfehler angelastet, daß sie die Vorgänge auf dem Abfertigungsfeld gänzlich außer acht ließ. Das unachtsame und unzweckmäßige Verhalten des Erstbeklagten, der die Klägerin erst ganz zuletzt bemerkte, obwohl er auf diesem Teil der Abfertigungsfläche mit Personen rechnen mußte, wiegt zwar nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes schwerer als der Aufmerksamkeitsfehler der Klägerin, vermag aber das Mitverschulden der Klägerin nicht ganz aufzuheben. Der Oberste Gerichtshof hält eine Haftungsaufteilung im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten der Klägerin für gerechtfertigt.
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