OGH 8Ob84/65

OGH8Ob84/656.4.1965

SZ 38/56

Normen

ABGB §7
ABGB §509
ABGB §520
ABGB §7
ABGB §509
ABGB §520

 

Spruch:

Durch Überlassen eines Unternehmens zu Versorgungszwecken wird ein einem Fruchtgenuß ähnliches Rechtsverhältnis begrundet

Entscheidung vom 6. April 1965, 8 Ob 84/65

I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien

Text

Mit Vereinbarung vom 21. November 1960 übergab Heinrich W. der Beklagten das ihm gehörige Kaffeehaus in P., mit dem dazugehörigen Objekt "zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz". Die genannte Vereinbarung enthält u. a. noch folgende ausdrückliche Vertragsbestimmungen: "Miete oder Pacht ist keine zu bezahlen. Sollte Grete Maria W. (d. i. die Beklagte) ableben, geht der ganze Besitz, wie er übernommen wurde, wieder an Heinrich W. zurück."

Die klagende Partei, die Verlassenschaft nach Heinrich W., behauptet, die Beklagte habe mehrfach dem Heinrich W. und dessen Verlassenschaft höhere Beträge herauszulocken versucht. Sie habe eine letztwillige Verfügung des Heinrich W. verfälscht und einem Kaufinteressenten unter der Vorspiegelung, daß sie zur Empfangnahme von Geldbeträgen aus einem Verkauf des Kaffeehauses berechtigt sei, einen größeren Betrag herausgelockt. Sie habe endlich das Kaffeehaus unsachgemäß und in einer Weise geführt, die den Ruf des Unternehmens auf das schwerste gefährdete. Sie komme ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Lieferanten nicht nach und werde deshalb ständig von Klagen und Exekutionen verfolgt. Es könne der klagenden Partei nicht zugemutet werden, so lange zuzuwarten, bis das Kaffeehaus infolge eines Konkurses gesperrt werde. In dem angeführten Verhalten der Beklagten sei ein wichtiger Grund für eine vorzeitige Vertragsauflösung gelegen. Die Klägerin trete von dem mit der Beklagten abgeschlossenen Vertrag zurück. Die Klägerin begehrt daher, die Beklagte schuldig zu erkennen, die Liegenschaft EZ. 38 Kat.-Gem. P. mit dem darauf befindlichen Kaffeehaus in P. zu räumen und von eigenen Fahrnissen geräumt der Klägerin zu übergeben.

Das Erstgericht beurteilte die zwischen Heinrich W. und der Beklagten abgeschlossene Vereinbarung vom 21. November 1960 dahin, daß mit diesem Vertrag der Beklagten ein Fruchtgenußrecht an einem Unternehmen eingeräumt worden sei. Die Beklagte habe dieses Recht aber nicht als ein dingliches Recht erworben. Da die Absicht der Parteien nicht auf eine bücherliche Eintragung des eingeräumten Rechtes gerichtet gewesen sei, habe nur ein einem Fruchtgenuß ähnliches obligatorisches Recht entstehen können, das seinem Wesen nach als Dauerschuldverhältnis zu qualifizieren sei. Bei bloß obligatorisch wirkenden Dauerschuldverhältnissen könne die sofortige Vertragsauflösung aus wichtigen Gründen verlangt werden § 1118 ABGB., der dem Bestandgeber die vorzeitige Vertragsauflösung gewähre, wenn der Bestandnehmer von der Sache einen erheblich nachteiligen Gebrauch mache, sei hier analog anzuwenden. Unter einem erheblich nachteiligen Gebrauch sei nicht nur eine Schädigung der Substanz zu verstehen, sondern schon jede ideelle oder wirtschaftliche Interessen des Bestandgebers erheblich schädigende Benützungsart. Die festgestellte Art der Geschäftsführung der Beklagten lasse erkennen, daß dadurch das Unternehmen in seinem Bestande ernstlich gefährdet werde. Eine Aufrechterhaltung dieses Zustandes könne der Klägerin nicht zugemutet werden. Dazu komme noch das erwiesene Faktum des betrügerischen Versuches, durch Vorlage einer fingierten Verpflichtungserklärung des Erblassers von der Verlassenschaft 60.000 S zu fordern. Diese beiden Umstände rechtfertigten die Aufhebung des Vertrages im Sinne des § 1118 ABGB. Das Erstgericht erkannte daher im Sinne des Klagebegehrens.

Das Berufungsgericht teilte die Auffassung des Erstgerichtes, daß der Beklagten mit der Vereinbarung vom 21. November 1960 ein einem Fruchtgenußrecht ähnliches Recht an einem Unternehmen, auf Lebenszeit eingeräumt worden sei. Denn mit dieser Vereinbarung sei von Heinrich W. der Beklagten die Befugnis erteilt worden, das ihm gehörende Unternehmen mit Schonung der Substanz ohne alle Einschränkung zu genießen. Da eine Einverleibung des eingeräumten Fruchtgenußrechtes auf die Betriebsliegenschaft, die einen integrierenden Bestandteil des Kaffee-Konditorei-Betriebes bilde, nicht beabsichtigt worden sei, habe durch die faktische Übergabe des Unternehmens an die Beklagte ein mit dinglicher Wirkung ausgestattetes Fruchtgenußrecht nicht begrundet werden können. Von den im § 1118 ABGB. angeführten Auflösungsfällen komme hier nur der des erheblich nachteiligen Gebrauches in Frage. Nun sei ersichtlich, daß sich dieser Fall mit dem des § 520 ABGB. nicht decke, aber doch dort überschneide, wo durch nachteiligen Gebrauch des Objektes dieses selbst gefährdet sei. Gerade das sei aber in der Klage behauptet worden. Das Berufungsgericht kommt daher zu dem Ergebnis, daß die Klägerin von der Beklagten aus dem Gründe der Gefährdung des Bestandes des Unternehmens nur den Anspruch auf Sicherstellung der Substanz im Sinne des § 520 ABGB. erheben könne, aber zu einer einseitigen vorzeitigen Auflösung des inhaltlich einem Fruchtgenußrecht gleichkommenden Rechtsverhältnisses nicht berechtigt sei.

Das Berufungsgericht änderte daher das Ersturteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision versucht darzutun, daß die analoge Anwendung des § 520 ABGB. auf obligatorische Schuldverhältnisse nicht gestattet sei, weil die Schließung von Gesetzeslücken bei obligatorischen Rechtsverhältnissen nur durch die analoge Anwendung von Gesetzesbestimmungen über obligatorische Rechte zulässig sei. Lehre und Rechtsprechung hätten daher in analoger Anwendung der Grundsätze der §§ 918, 1118, 1210 ABGB. bei Dauerschuldverhältnissen aus wichtigen Gründen ein einseitiges Rücktrittsrecht mit der Auflösungswirkung ex nunc gewährt. Da solche wichtige Gründe vorlägen, sei die Klägerin berechtigt, in analoger Anwendung der für eine Unternehmenspacht geltenden Regelung die sofortige Auflösung des Vertragsverhältnisses zu verlangen.

Der Oberste Gerichtshof kann sich der eben wiedergegebenen Meinung der Klägerin nicht anschließen.

Richtig ist, daß der Beklagten auf Grund der Vereinbarung vom 21. November 1960 nur ein obligatorisches Recht zusteht, das sich allerdings inhaltlich mit dem im Gesetz geregelten Recht der Dienstbarkeit der Fruchtgenießung deckt, denn der Beklagten steht das Recht zu, eine fremde Sache mit Schonung der Substanz ohne jede Einschränkung zu genießen (EvBl. 1962, Nr. 366, S. 461). Das der Beklagten eingeräumte Recht entbehrt nur, wie die Untergerichte mit Recht erkannt haben, des dinglichen Charakters. Es ist nicht richtig, daß die Gesetzesbestimmungen des II. Teiles des ABGB., insbesondere die des 7. Hauptstückes über die Dienstbarkeiten, von der analogen Anwendung auf obligatorische Rechtsverhältnisse in jedem Fall ausgeschlossen sind. Für diese Auffassung findet sich im Gesetz keine Grundlage. § 7 ABGB. schränkt die Analogie nicht einmal auf die Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches ein. Voraussetzung für die analoge Anwendung einer Gesetzesvorschrift ist nur die Gleichheit des Rechtsgrundes und des Schutzbedürfnisses. Dem Fruchtgenießer gegenüber ist der Eigentümer bei einer sich äußernden Gefahr nur berechtigt, die Sicherstellung der Substanz zu verlangen, nicht aber die Aufhebung des Fruchtgenußrechtes analog den Bestimmungen des § 1118 ABGB. Der Oberste Gerichtshof hat im Falle eines lebenslänglichen Anspruches des Berechtigten auf die reinen Erträgnisse eines Hauses, also in einem dem vorliegenden Fall ähnlich gelagerten Fall, betreffend den Schutz der Interessen des Eigentümers gegen deren Beeinträchtigung durch den Berechtigten, die Rechtsansicht vertreten, daß den Rechten und Interessen der Beteiligten eine sinngemäße Anwendung der Bestimmungen über das dingliche Fruchtgenußrecht am besten Rechnung trage (1 Ob 183/63). Pflichtet man dieser Rechtsansicht bei - und der Oberste Gerichtshof findet keinen Anlaß, davon abzugehen -, dann steht der Klägerin gemäß § 520 ABGB. nur das Recht auf Sicherstellung der Substanz, nicht aber auf einseitige Auflösung des Vertrages und auf Räumung der Betriebsliegenschaft bzw. auf Übergabe des Unternehmens zu. Da die Klägerin einen Anspruch aus § 520 ABGB. nicht erhoben hat, hat das Berufungsgericht mit Recht das Klagebegehren abgewiesen.

Es war daher bei Anwendung der für die Fruchtnießung getroffenen Regelung auch auf die weiteren Ausführungen der Revision, die sich damit befassen, ob auch außerhalb des Vertragsverhältnisses liegende Umstände wichtige Gründe für die sofortige Vertragsauflösung bilden können, nicht einzugehen. Vertragszweck war, wie sich aus dem Vertragsinhalt selbst ergibt, die Sicherung der Existenz der Beklagten. Daß sie diese Existenz verlieren sollte, wenn sie sich einer betrügerischen Handlung gegen den Eigentümer des Unternehmens schuldig mache, ist weder den Vertragsbestimmungen noch den Feststellungen der Untergerichte zu entnehmen. Es kann auch nicht gesagt werden, daß stillschweigende Geschäftsgrundlage bei der Überlassung des Unternehmens der Umstand gewesen sei, daß sich die Vertragspartner loyal zueinander verhalten, und eine stillschweigende Geschäftsvoraussetzung (§ 901 ABGB.) die Unterlassung von Handlungen gewesen sei, die gegen das Strafgesetz verstoßen.

Aus diesen Erwägungen war wie im Spruche zu entscheiden.

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