Normen
Entmündigungsverordnung §10
Entmündigungsverordnung §10
Spruch:
Die Vertretungsbefugnis des vorläufigen Beistandes erlischt mit der rechtskräftigen Einstellung des Entmündigungsverfahrens.
Entscheidung vom 31. Juli 1963, 1 Ob 132/63.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die am 29. Oktober 1902 geborene Klägerin belangte im vorliegenden, bereits seit 25. Oktober 1961 anhängigen Prozeß den Beklagten, ihren Bruder, auf Zahlung von insgesamt 62.700 S s. A., wobei sie verschiedene Ansprüche im Zusammenhang mit der Abwicklung der Verlassenschaften nach den am 28. November 1957 bzw. am 19. Jänner 1960 verstorbenen Eltern geltend machte. Im einzelnen handelte es sich um einen Rückstand aus einem Unterhaltsvergleich in der angeblichen Höhe vom 7800 S, um einen Anteil am Wert des väterlichen Möbelgeschäftes in der angeblichen Höhe von 25.000 S, um einen Anteil am Wert eines Hauses in der behaupteten Höhe von 10.000 S und um einen Pflichtteilsanspruch nach der Mutter in der behaupteten Höhe von 21.400 S, insgesamt also 64.200 S, auf welche die Klägerin nur 1500 S erhalten haben soll.
Der Beklagte, der in der Klagebeantwortung lediglich die sachliche Berechtigung dieser Ansprüche bestritten hatte, machte bei der ersten und bisher einzigen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 12. Februar 1962 unter Hinweis auf eine erbliche Belastung der Klägerin, auf von ihr unternommene Selbstmordversuche und auffälliges Verhalten vor anderen Behörden und Gerichten geltend, es fehle ihr die Prozeßfähigkeit. Dabei wies er auch darauf hin, daß schon 1958 beim Bezirksgericht F. ein Entmündigungsverfahren bezüglich der Klägerin eingeleitet worden sei, daß aber damals noch keine Entmündigung ausgesprochen worden sei.
Der Erstrichter leitete daraufhin Erhebungen ein, die neben der Verlesung vorgelegter Korrespondenzen und Beschlußausfertigungen und Aktenbeischaffungen eine Vernehmung des seit 1941 von der Klägerin geschiedenen Gatten derselben und die Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Primarius Dr. Heinrich G. umfaßten. Dieses lief darauf hinaus, daß bei der Klägerin eine Geisteskrankheit nicht vorliege, ihr Geisteszustand aber trotzdem wegen der vorhandenen Psychopathie mit paranoid-querulatorischen Zügen die Prozeßfähigkeit ausschließe. Daraufhin faßte der Erstrichter den Beschluß vom 18. Juni 1962 mit der er das Verfahren ab Klagszustellung als nichtig erklärte und die Klage zurückwies.
Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstrichter auf, gemäß § 6 (2) ZPO. vorzugehen. Es legte das Gutachten des Sachverständigen Primarius Dr. G. dahin aus, daß die Klägerin zwar imstande sei, ihre Angelegenheiten insoweit gehörig zu besorgen, als es sich um die Dinge des täglichen Lebens handle, im Umgang mit Behörden zeige sich sich aber vernunftmäßigen Überlegungen nicht zugänglich und reagiere paranoid-querulatorisch, weshalb es berechtigt sei, ihre Geschäftsfähigkeit bzw. Prozeßfähigkeit für den vorliegenden Rechtsstreit zu verneinen; vor einer Nichtigerklärung müsse aber ein Versuch unternommen werden, den Mangel der Prozeßfähigkeit zu beheben (§ 6 (2) ZPO.); mangels anderer Möglichkeiten müsse beim Pflegschaftsrichter wenigstens die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters nach §§ 3, 4 oder 8 EntmO. angeregt werden, wobei freilich eine Fristsetzung nicht möglich sei; auf die Frage einzugehen, was zu geschehen habe, wenn das Prozeßgericht eine Partei wegen der festgestellten Prozeßunfähigkeit nicht zulassen wolle, das Pflegschaftsgericht aber keinen gesetzlichen Vertreter bestelle, sei verfrüht.
Der Beklagte erhob dagegen Revisionsrekurs, doch wurde sein Rechtsmittel vom Obersten Gerichtshof unter Hinweis auf die Bestimmung des § 6 (3) ZPO. als unzulässig zurückgewiesen.
Der Erstrichter übermittelte daraufhin den Akt dem Bezirksgericht F., das 1962 ein neues Entmündigungsverfahren einleitete, für die Klägerin auch einen vorläufigen Beistand bestellte, der zu einer Stellungnahme zum vorliegenden Prozeß aber nicht verhalten wurde, und ein Gutachten des Sachverständigen Primarius Dr. Alfons H. einholte. Schließlich stellte es das Entmündigungsverfähren aber mit Beschluß vom 26. Februar 1963 mit der Begründung ein, nach dem Gutachten dieses Sachverständigen handle es sich bei der Klägerin um eine psychopathische Persönlichkeit mit paranoid-querulatorischen Zügen und erhöhter Kampfbereitschaft; es bestehe aber keine Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, die sie hindern würde, ihre Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen, soweit sich diese nicht auf prozessuale Belange bezögen; in dieser Richtung sei sie aber durch einen Rechtsanwalt vertreten - es handelt sich um einen bestellten Armenvertreter - und bedürfe daher keines weiteren Beistandes. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.
Der Erstrichter forderte darauf den Beklagten zur Bekanntgabe auf, ob ein Antrag auf Bestellung eines Kurators nach § 8 ZPO. gestellt werde. Da dies nicht der Fall war, erklärte er mit Beschluß vom 17. April 1963, neuerlich das Verfahren ab Klagszustellung für nichtig und wies die Klage unter Verpflichtung der Klägerin zum Kostenersatz zurück.
Das Rekursgericht hob über Rekurs der Klägerin diesen Beschluß auf und trug dem Erstrichter auf, das Verfahren - gemeint den Prozeß selbst - fortzusetzen. Es begrundete dies im wesentlichen damit, daß ein nach Durchführung der erforderlichen Erhebungen gefaßter Beschluß des Außerstreitrichters auf Einstellung des Entmündigungsverfahrens wegen festgestellter Prozeßfähigkeit für die Beurteilung der Prozeßfähigkeit im Rechtsstreit selbst bindend sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Da der Beschluß der zweiten Instanz nur dem äußeren Anschein nach eine Aufhebung (vgl. § 527 (2) ZPO.), in Wahrheit aber eine Abänderung der Entscheidung des Erstrichters darstellt, ist nach der Rechtsprechung die Zulässigkeit des Revisionsrekurses ohne weiteres zu bejahen.
Dem Akt des Bezirksgerichtes F. über das zweite Entmündigungsverfahren ist nicht zu entnehmen, daß der seinerzeit zum vorläufigen Beistand der Klägerin bestellte Rechtsanwalt Dr. Konrad K. nach Rechtskraft des das Entmündigungsverfahren einstellenden Beschlusses dieses Amtes enthoben worden wäre, obgleich dies im § 10 EntmO. ausdrücklich vorgeschrieben ist. Da die Bestellung eines vorläufigen Beistandes auf jeden Fall Prozeßunfähigkeit des schutzbedürftigen Pflegebefohlenen zur Folge hat (SZ. XIX 202, RZ. 1937, S. 300), ist zunächst auch ohne diesbezügliche Rüge zu erwägen, ob das Rekursgericht ohne weiters das ihm vorgelegene, von der Klägerin durch den im Prozeß bestellten Armenvertreter eingebrachte Rechtsmittel erledigen durfte. Es läuft dies auf die Frage hinaus, ob das Amt des vorläufigen Beistandes im Fall der rechtskräftigen Einstellung des Entmündigungsverfahrens von selbst erlischt oder nicht bzw. ob dem vorgeschriebenen Enthebungsbeschluß in einem solchen Fall in Ansehung der Wiederherstellung der Prozeßfähigkeit des vormals Schutzbedürftigen nur deklaratorische oder konstitutive Bedeutung zukommt. Die Rechtslage ist hier wohl nicht wesentlich anders als bei der Erreichung der Großjährigkeit durch einen bisher Mj. Väterliche Gewalt und Vormundschaft, insbesondere die daraus resultierende Vertretungsbefugnis, erlöschen gemäß §§ 172, 251 ABGB. ipso jure (vgl. dazu Wentzel - Plessl bzw. Wentzel - Piegler in Klang[2] zu diesen Gesetzesstellen, EvBl. 1963, Nr. 200), weshalb der Oberste Gerichtshof auch hier zur Annahme einer bloß deklaratorischen Bedeutung des Beschlusses auf Enthebung des vorläufigen Beistandes kommt. Der rechtskräftig festgestellte Wegfall der Schutzbedürftigkeit ist das entscheidende Kriterium, wie auch mit dem Wegfall der schutzbedürftigen Person durch Tod die Einschreitebefugnis des (vorläufigen) Beistandes von selbst erlischt.
Dem Beklagten ist darin beizupflichten, daß die Einstellung des Entmündigungsverfahrens durch das Bezirksgericht F. - entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Ansicht - für das Prozeßgericht nicht bindend war (vgl. dazu 6 Ob 271/60 = SZ. XXXIII 93). Bei einer paranoid-querulatorischen Einstellung sind, wie sich der weiteren zu 6 Ob 271/60 ergangenen, allerdings nicht veröffentlichten Entscheidung vom 12. Jänner 1961 entnehmen läßt, als entscheidende Kriterien anzusehen, ob die darunter leidende Prozeßpartei noch die zur Wahrung ihrer Interessen nötige Übersicht, Klarheit und vor allem Kritikfähigkeit aufbringen kann oder nicht; das gilt sowohl für Belehrungen durch den Richter als auch für das Erfassen der Prozeßlage und auch für die Beratung und Aufklärung durch den ihr beigegebenen Armenvertreter.
Schon die in der erwähnten Entscheidung vom 12. Jänner 1961, 6 Ob 271/60, aufgezeigten Kriterien lassen erkennen, daß es bei der Beurteilung der Prozeßfähigkeit einer Partei, deren Entmündigung vom Außerstreitrichter abgelehnt wurde, ganz wesentlich auf das Verhalten dieser Partei zu dem von ihr im konkreten Prozeß geltend gemachten Anspruch ankommt. Ob sie in anderen Verfahren, vor Gericht oder anderen Behörden, querulatorische Begehren gestellt hat, kann nur eine mehr oder weniger illustrative Bedeutung haben. Nun fällt am Gutachten des Sachverständigen Primarius Dr. G., auf das sich der Erstrichter und wenigstens im ersten Rechtsgang auch das Rekursgericht bei Verneinung der Prozeßfähigkeit der Klägerin stützte, auf, daß es bewußt und ausdrücklich die von ihr im vorliegenden Prozeß geltend gemachten Ansprüche aus der medizinischen Beurteilungsgrundlage ausschloß ("Ohne daß auf die gegenständliche Streitsache Bezug genommen werden muß, kann festgestellt werden, daß die Klägerin in der Vergangenheit ... Aus ihrer in der Vergangenheit bewiesenen Verhaltsweise kann der Schluß gezogen werden, daß sie auch im gegenständlichen Verfahren paranoidquerulatorisch reagiert ..." S. 55). Das im Akt 1 L .../62 des Bezirksgerichtes F. eingeholte Gutachten des Sachverständigen Primarius Dr. H. hingegen nahm wenigstens bis zu einem gewissen Grad auch auf den vorliegenden Prozeß Bezug ("Bei der diesmaligen Untersuchung war (sie) in keiner auffälligen gesteigerten Affektivität, gut kontaktfähig. Sie trug ihre Angelegenheit in ruhigem Ton vor und suchte sie entsprechend zu begrunden. Ihre Einstellung ist wohl durch einen gewissen Neidkomplex charakterisiert, der sich aus ihrer tristen materiellen Lage und aus den dürftigen Wohnverhältnissen entwickelt haben dürfte: der Bruder lebt in Wohlstand, hat ein Geschäft, Grundbesitz, immerhin ein krasser Unterschied in der Lebenslage beider Geschwister. Dabei gibt (sie) die Hauptschuld der Schwägerin, die kein Herz habe. Die Annahme, daß bei der Schätzung der Verlassenschaft zumindest nachlässig vorgegangen worden sei, findet sich häufig und entspricht keineswegs einer geistesgestörten Einstellung ...".
Nun kann es sich hier keinesfalls darum handeln, schon über die Berechtigung oder Nichtberechtigung der von der Klägerin behaupteten Ansprüche abzusprechen. Es ist dem Akt aber auch nicht zu entnehmen, daß der Erstrichter selbst Wahrnehmungen über eine Uneinsichtigkeit oder Kritiklosigkeit der Klägerin oder ihre Fähigkeit, einen Sachverhalt verständlich darzustellen, gemacht hätte. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall sehr wesentlich von dem zu 6 Ob 271/60 behandelten, in dem der Oberste Gerichtshof schließlich selbst zur Feststellung der Prozeßunfähigkeit gelangte. Der Erstrichter hat die Klägerin in keiner Weise befragt, hat sich also keinen eigenen Eindruck vom Verhalten der Klägerin zu ihren Ansprüchen verschafft, während sich der Außerstreitrichter bei Einstellung des Entmündigungsverfahrens nach der Begründung des Beschlusses unter Hinweis auf seine eigenen Wahrnehmungen ausdrücklich mit jenen des Sachverständigen Dr. H. identifizierte. Es hat auch der gerichtlich bestellte Armenvertreter nichts berichtet, was auf Schwierigkeiten bei der Beratung und Vertretung der Klägerin hinweisen würde; er hat sich auch nicht etwa zu einer Antragstellung nach Art. XXXIII EGZPO. wegen von ihm angenommener Aussichtslosigkeit einer Anspruchsverfolgung veranlaßt gesehen.
Unter diesen Umständen fehlen bei Berücksichtigung des gesamten Erhebungsmaterials, also auch der Tatsache, daß sich die Klägerin bei früheren Anlässen querulatorisch verhalten hat, - zumindest derzeit - ausreichende Grundlagen für eine Verneinung ihrer Prozeßfähigkeit in der vorliegenden Rechtssache. Dies führt im Ergebnis zu einer Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)