Spruch:
Die Prozeßfähigkeit ist ohne Rücksicht auf eine Ablehnung der Entmündigung durch den Außerstreitrichter zu prüfen.
Entscheidung vom 21. September 1960, 6 Ob 271/60.
Text
Der Kläger hat durch einen gerichtlich bestellten Armenvertreter am 3. November 1958 gegen die beiden Beklagten eine Schadenersatzklage auf Zahlung von 35.000 S s. A. eingebracht, deren unklares Vorbringen bereits bei der Tagsatzung vom 16. Jänner 1959 dem Erstrichter Anlaß gab, durch Befragung des Klägers eine Präzisierung des Vorbringens zu erreichen (§ 182 ZPO.). Der Versuch endete mit der Feststellung, daß der Kläger nicht in der Lage war, die an ihn gestellten Fragen eindeutig zu beantworten; der Armenvertreter erhielt den Auftrag zur Einbringung eines die Schadensbehauptungen präzisierenden Schriftsatzes. Nach dessen Einbringung und Beantwortung durch die Beklagten übermittelte der Erstrichter den Akt dem nach dem Aufenthaltsort des Klägers zuständigen Bezirksgericht Groß-Enzersdorf mit der Anregung, ein Entmündigungsverfahren einzuleiten.
Am 25. September 1959 langte der Akt mit der Mitteilung des Bezirksgerichtes Groß-Enzersdorf zurück, nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Alfons H. vom 3. August 1959 sei kein Grund für eine Entmündigung des Klägers vorhanden.
Daraufhin beraumte der Erstrichter für 28. Oktober 1959 eine Tagsatzung zur fortgesetzten mündlichen Streitverhandlung an, bei der zunächst ein Beschluß auf Nichtzulassung der im Schriftsatz des Klägers enthaltenen Klageänderung verkundet, dann aber neuerlich der Versuch zu einer Präzisierung des ursprünglichen Klagevorbringens durch Befragung des Klägers unternommen wurde. Die Befragung wurde aber aus Zeitmangel bald abgebrochen und am 14. November 1959 durch eine Vernehmung des Klägers außerhalb der Streitverhandlung fortgesetzt. Das darüber aufgenommene, die Antworten des Klägers zum Teil wörtlich wiedergebende Protokoll schließt mit der Feststellung, der Kläger sei in der Regel nicht in der Lage, auf eine Frage die dazugehörige Antwort zu erteilen; er antworte mit Erzählungen, wobei er weitschweifig von einem Thema zum anderen komme; bei Wiederholung einer Frage bemerke er die Identität der Frage nicht; er sei überzeugt, von den Beklagten wiederholt geschädigt worden zu sein, obgleich er meistens keine konkreten Angaben habe machen können.
Bei der am 18. Jänner 1960 abgehaltenen letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung wurde dieses Protokoll verlesen. Daraufhin fällte der Erstrichter das Urteil auf Abweisung des Klagebegehrens, das im wesentlichen mit Unschlüssigkeit des Vorbringens begrundet wurde.
Die Berufung des Klägers blieb erfolglos.
Der Oberste Gerichtshof beschloß, dem Erstgericht den Auftrag zu erteilen, durch gerichtsärztliche Untersuchung die Prozeßfähigkeit des Klägers zu überprüfen und den Akt nach Erstattung des Gutachtens wieder vorzulegen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Vor Erledigung der auf die Bestimmungen des § 503 Z. 2, 3 und 4 ZPO. gestützten Revision ist die Prozeßfähigkeit des Klägers zu prüfen; nur wenn sie gegeben ist, kann der Kläger für die Unschlüssigkeit seines Vorbringens durch Abweisung seines Klagebegehrens prozessual verantwortlich gemacht werden. Da die Unterinstanzen ungeachtet der Bestimmung des § 6 ZPO., daß der Mangel der Prozeßfähigkeit in jeder Lage des Rechtsstreites von Amts wegen zu berücksichtigen ist, zu dieser Frage nicht Stellung genommen haben, hat sie der Oberste Gerichtshof selbst aufzurollen und die erforderlichen Aufträge zu erteilen (vgl. hiezu JBl. 1957 S. 131).
Dabei ist davon auszugehen, daß die Auffassung des Bezirksgerichtes Groß-Enzersdorf, es bestehe nach dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kein Grund für eine Entmündigung des Klägers, für das Prozeßgericht nicht bindend ist; bestehen die Bedenken weiter, muß es die Prozeßfähigkeit durch eigene Erhebungen prüfen und diese Frage selbst beurteilen (vgl. dazu Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II S. 151 ff.). Hat dies der Prozeßrichter unterlassen, dann ist es im Rechtsmittelverfahren nachzuholen. Darum hat der Oberste Gerichtshof zunächst den Akt des Bezirksgerichtes Groß-Enzersdorf (L 6/59) eingesehen. Daraus ergibt sich, daß der damals zugezogene Sachverständige sein Gutachten dahin erstattete, bei dem am 29. Dezember 1885 geborenen Kläger handle es sich zunächst um eine im Beruf erworbene und durch das Alter verstärkte, beiderseitige Schwerhörigkeit, die sich wohl besonders beim Abhören komplizierter Besprechungen störend auswirke; die Neigung zu einer gewissen Querulanz und zur Verfolgung von Ideen, die sich bei ihm festgesetzt hätten und um materielle Wiedergutmachung drehten, seien Erscheinungen, die sich im vorgerückten Alter häufig zeigten, aber noch in physiologischen Grenzen lägen; eine weitergehende Herabsetzung der Urteilsfähigkeit, die als Geistesschwäche zu werten wäre und ihn außerstande setzen würde, alle seine Angelegenheiten gehörig zu besorgen, oder eine Geisteskrankheit seien beim Kläger nicht nachweisbar gewesen. Schon dies läßt erkennen, daß es sich hier um einen Grenzfall handeln könnte.
Die oben wiedergegebenen Feststellungen des Erstrichters anläßlich der eingehenden und zeitraubenden Befragung am 14. November 1959, die übrigens durch den Eindruck der protokollierten Fragebeantwortung durchaus gedeckt erscheinen, verstärken aber darüber hinaus nur noch den Zweifel an der Prozeßfähigkeit des Klägers. Der Oberste Gerichtshof erachtet es darum für erforderlich, zunächst eine gerichtsärztliche Untersuchung zu veranlassen. Nach Erstattung des Gutachtens wird der Erstrichter den Akt wiederum vorzulegen haben.
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