Spruch:
Möglichkeit des Rücktrittes von einem Kaufvertrag über eine Liegenschaft nach § 918 ABGB. bis zur grundbücherlichen Eigentumseinverleibung trotz faktischer Besitzeinräumung.
Entscheidung vom 13. Oktober 1961, 2 Ob 379/61.
I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Der Kläger behauptete in der Klage, er habe von den Beklagten die Liegenschaft EZ. 24 KG. A. um 60.000 S gekauft. Diese Liegenschaft sei ihm auch bereits übergeben worden. Die Kaufvertragsurkunde sei von den Beklagten am 19. Dezember 1960 und von ihm am 7. Februar 1961 unterfertigt worden. Am 8. Mai 1961 sei der Kaufvertrag samt Gesuch der Grundverkehrskommission übermittelt worden. Da eine Entscheidung noch nicht ergangen sei, sei bisher die Verbücherung des Kaufvertrages nicht möglich gewesen. In Anrechnung auf den Kaufpreis habe er ein, hypothekarisch sichergestellte Schuld übernommen. Den restlichen Betrag von rund 19.000 S hätte er in vier Teilbeträgen von je 5.000 S, und zwar je am 1. April und am 1. Dezember der darauffolgenden Jahre, abstatten sollen. Am 1. April 1961 habe er die fällige Kaufpreisrate nicht gezahlt. Die Beklagten hätten ihm eine Nachfrist bis 10. Juni 1961 mit der Androhung des Rücktrittes gestellt und diese Frist zufolge seiner Mitteilung, die Kaufpreisrate am 23. Juni 1961 zu zahlen, bis zu diesem Zeitpunkt verlängert. Tatsächlich habe er erst am 30. Juni 1961 gezahlt. Die Beklagten hätten ihm mitgeteilt, daß der von ihnen erklärte Rücktritt aufrecht bleibe, und hätten den Betrag rücküberwiesen. Der Kläger machte geltend, daß er aus gesundheitlichen Gründen nicht, in der Lage gewesen sei, termingerecht zu zahlen; die ihm gesetzte Nachfrist sei zu kurz gewesen; die Beklagten hätten kein Recht zum Rücktritt, weil er die auf der Liegenschaft sichergestellte Schuld an die Hypothekenbank bereits übernommen habe.
Die Beklagten vertraten demgegenüber den Standpunkt, sie seien zum Rücktritt berechtigt gewesen, weil der Kläger seine Zahlungsverpflichtungen aus dem Kaufvertrag nicht eingehalten habe.
Der Kläger beantragte zugleich mit der Klage die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagten durch das Verbot der Veräußerung oder Belastung der Liegenschaft, indem er sich zur Bescheinigung seines Anspruches auf die Kaufvertragsurkunde und auf die Korrespondenz berief. Er behauptete, daß die Beklagten die ernste Absicht hätten, die Liegenschaft weiterzuverkaufen.
Das Erstgericht wies den Antrag des Klägers ab. Es sah eine Bescheinigung des Anspruches des Klägers auf Zuhaltung des Kaufvertrages nicht als erbracht an, weil der Kläger selbst zugegeben habe, in Verzug gekommen zu sein, weshalb die Beklagten zum Rücktritt vom Vertrage berechtigt gewesen seien.
Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin, daß es die beantragte einstweilige Verfügung erließ. Es stellte sich auf den Standpunkt daß der Verkäufer, der die Ware bereits übergeben habe, vom Kaufvertrag nicht mehr zurücktreten könne. Der Kläger habe daher durch den Kaufvertrag bescheinigt, daß er bereits außerbücherlicher Erwerber der Liegenschaft sei. Durch die Ausstellung der Urkunde und durch die physische Übergabe der Liegenschaft hätten die Beklagten ihre Vertragsverpflichtungen restlos erfüllt. Es sei auch die Gefahr bescheinigt, weil dargetan worden sei, daß die Beklagten den Verkauf der Liegenschaft beabsichtigten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Parteien teilweise Folge und machte die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung vom Erlag einer Sicherheit von 5000 S abhängig.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Rechtsmittel ist nur teilweise gerechtfertigt. Die Auffassungen darüber, ob der Verkäufer einer Liegenschaft, der diese bereits in den physischen Besitz des Käufers übergeben hat, vom Kaufvertrag zurücktreten könne, sind in Lehre und Rechtsprechung geteilt. Der Oberste Gerichtshof bat seine in SZ. III 123 vertretene und durch die Lehre (Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 209) gestützte Auffassung, daß der Rücktritt nach § 918 ABGB. dem Gläubiger nicht zustehe, der durch Erfüllung der eigenen Verpflichtung gezeigt habe, daß er auf Erfüllung des gegenseitigen Vertrages bestehe, in der Folge nicht mehr aufrechterhalten. Er hat vielmehr den auch von Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 455 zu § 918 ABGB. vertretenen Standpunkt eingenommen, daß eine Liegenschaft erst durch die grundbücherliche Eintragung übergeben werde (§ 431 ABGB.) und nicht durch die faktische Besitzeinräumung, und daß daher die Verkäufer einer Liegenschaft zum Rücktritt vom Vertrag im Falle des Verzuges des Käufers berechtigt seien (3 Ob 482/55).
Da im Provisorialverfahren der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgegriffen werden darf, ist es auch nicht möglich, die Frage zu entscheiden, ob die Beklagten vom Kaufvertrag wirksam zurückgetreten sind. Der Oberste Gerichtshof sieht sich aber veranlaßt, die angefochtene Entscheidung in der Weise abzuändern, daß dem Kläger gemäß § 390 Abs. 1 EO. aufgetragen wird, die den Beklagten aus der Erlassung der einstweiligen Verfügung drohenden Nachteile durch eine Sicherheitsleistung von 5000 S auszugleichen, weil davon ausgegangen werden muß, daß der Kläger seinen Anspruch nicht ausreichend bescheinigt hat. Dabei ist auszusprechen, daß die einstweilige Verfügung erst nach Erlag dieser Sicherheitsleistung bei Gericht wirksam wird. Nur in diesem Sinne ist dem Rechtsmittel der Beklagten Folge zu geben.
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