OGH 2Ob345/60

OGH2Ob345/6028.10.1960

SZ 33/115

Normen

ABGB §1325
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §17
ABGB §1325
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §17

 

Spruch:

Der verletzte Kraftfahrzeughalter muß die eigene mitursächliche Betriebsgefahr, wenn er für sie einzustehen hat, auch seinem Schmerzengeldanspruch entgegenhalten lassen.

Entscheidung vom 28. Oktober 1960, 2 Ob 345/60.

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Am 20. Mai 1958 ereignete sich auf der Landesstraße K. - V. ein Verkehrsunfall. Der Gärtner Wesselin M. fuhr mit seinem Lieferwagen auf dieser sechs Meter breiten Straße in Richtung V. Als er den auf einer von rechts einmundenden Seitenstraße herankommenden PKW. des Klägers erblickte, hielt er seinen Wagen vor der Einmundung der Seitenstraße an, um dem Kläger den Vorrang einzuräumen, und gab ihm ein Handzeichen. Der Kläger fuhr ohne anzuhalten mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h in die Fahrbahn der Landesstraße ein und lenkte sein Fahrzeug nach links in Richtung K. Dabei stieß er mit dem aus der Richtung K. in Richtung V. mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h auf seinem Motorrad fahrenden Franz H. zusammen. H. erlitt durch den Zusammenstoß tödliche Verletzungen. Auch der Kläger wurde verletzt, sein Kraftwagen schwer beschädigt. Die gegen den Kläger wegen dieses Vorfalls erstattete Strafanzeige wurde nach Durchführung von Vorerhebungen gemäß § 90 StPO. zurückgelegt.

Der Kläger begehrt von der Verlassenschaft nach Franz H. den Ersatz der unfallskausalen, ihrer Höhe nach nicht strittigen Schäden von

22.877 S, darunter 3000 S an Schmerzengeld, ferner die Feststellung der Ersatzpflicht der beklagten Partei für künftige Schäden. Er behauptet, der getötete Franz H. habe infolge ungenügender Aufmerksamkeit, überhöhter Geschwindigkeit und durch Überholen an einer Straßeneinmundung den Unfall allein verschuldet.

Die beklagte Partei wendete dagegen ein, daß das alleinige Verschulden den Kläger selbst treffe, weil diesem an der Unfallsstelle kein Vorrang zugekommen sei.

Das Erstgericht kam zu dem Ergebnis, daß dem Kläger und dem getöteten Franz H. das Verschulden an dem Unfall je zur Hälfte anzulasten sei, erkannte in diesem Sinn über das Feststellungsbegehren, sprach dem Kläger den Betrag von 11.438 S 50 g zu und wies das Feststellungs- und Leistungsmehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab nach Wiederholung der Beweise der Berufung der beklagten Partei nicht, hingegen jener des Klägers teilweise Folge. Es stellte fest, daß die beklagte Partei dem Kläger für drei Viertel des aus dem klagsgegenständlichen Verkehrsunfall entstehenden Schadens und für den ganzen Anspruch auf Schmerzengeld hafte, sprach dem Kläger 17.907 S 75 g zu und wies das weitergehende Feststellungsbegehren sowie das Leistungsbegehren hinsichtlich restlicher 4969 S 25 g ab. Das Urteil des Berufungsgerichtes beruht im wesentlichen auf folgenden Feststellungen und Erwägungen:

Die vom Kläger bis zum Einfahren in die Landesstraße benützte Gemeindestraße sei kein unbedeutender Wiesenweg, sondern eine durchschnittlich 3.10 m, an der Einmundung 12.20 m breite, mit einer gewalzten Schotterdecke versehene Straße. Die gegenseitige Sicht sei für beide Fahrer auf mehrere 100 m frei und auch durch den Lieferwagen des Wesselin M. nur für den Bruchteil einer Sekunde behindert gewesen. Der Kläger habe sich im Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits ganz am rechten Straßenrand befunden. Zwischen seinem Wagen und dem Lieferwagen des Wesselin M. seien für die Durchfahrt des Motorradfahrers 2.80 bis 2.90 m verfügbar gewesen. H. sei noch etwa 100 m von der Einmundungsstelle entfernt gewesen, als der Kläger in die Landesstraße eingebogen sei. Hätte H. sofort gebremst, dann hätte er seine Geschwindigkeit so stark ermäßigen können, daß der Anprall wesentlich schwächer gewesen wäre. Er hätte aber in diesem Fall auch zwischen den beiden Wagen durchfahren und den Unfall vermeiden können. H. habe den Lieferwagen, der nur zu dem Zweck angehalten habe, um dem Kläger den ihm gebührenden Vorrang zu überlassen, rücksichtslos und fehlerhaft überholt und dadurch gegen § 18 Abs. 4 StPolO. verstoßen; er habe auch die Vorrangregel des § 19 Abs. 4 StPolO. sowie durch seine Geschwindigkeit die Bestimmung des § 20 Abs. 1 StPolO. verletzt. Dem Kläger könne ein schuldhaftes Verhalten nicht nachgewiesen werden. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes habe er sich den Vorrang nicht erzwungen. Er habe damit rechnen können, daß H. seinen Vorrang ebenso beachten werde wie M. Wenn der Kläger auch nicht in den fließenden Verkehr eindringen durfte, so habe er doch mit der Beachtung der Vorrangsbestimmungen rechnen dürfen. Wohl aber sei der Kläger nach § 7 Abs. 1 KraftfVerkG. ersatz- und daher nach § 17 Abs. 1 KraftfVerkG. ausgleichspflichtig, weil ihm der ihm obliegende Entlastungsbeweis im Sinne des § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. nicht gelungen sei. Da er in eine stark benützte Straße eingefahren sei, habe er immerhin mit der Möglichkeit rechnen können, daß von links kommende Verkehrsteilnehmer im Hinblick auf die Gewohnheit, beim Einfahren aus einer verkehrsärmeren in eine stärker benützte Straße dem Querverkehr den Vorrang zu überlassen, seinen Vorrang nicht beachten würden. Er hätte daher eine Verkehrslücke abwarten sollen. Er habe durch sein Verhalten zwar keine Verkehrsvorschrift verletzt, aber doch zu den Unfallsursachen beigetragen. Der Verursachungsanteil des Klägers sei geringfügig, ein Schadensausgleich im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten der beklagten Partei gerechtfertigt. Der Anspruch des Klägers auf Schmerzengeld werde von der Ausgleichungspflicht nicht berührt. Die beklagte Partei habe daher neben dem vollen Schmerzengeld von 3000 S drei Viertel des sonstigen Schadens, d.s. 14.907 S 75 g, dem Kläger zu ersetzen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge. Er stellte fest, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für drei Viertel des aus dem Verkehrsunfall entstandenen Schadens hafte, und sprach der klagenden Partei lediglich einen Betrag von 17.157 S 75 g zu.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Entgegen der Ansicht des Klägers kann nicht gesagt werden, daß das verkehrswidrige Verhalten des Motorradfahrers außerhalb jeder Lebenserfahrung lag. Es ist im Gegenteil eine allgemein bekannte Tatsache, daß auf gerade verlaufenden, in gutem Zustand befindlichen Straßen motorisierte Verkehrsteilnehmer und vor allem Motorradlenker häufig geradezu einem Geschwindigkeitsrausch verfallen. Die Sorgfaltspflicht des Klägers erschöpfte sich nun nicht in der Anwendung eines Grades von Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann (§ 1297 ABGB.). Der Kläger hatte vielmehr den Mangel jenes Maßes an Vorsicht zu vertreten, das von einem sachkundigen, erfahrenen Fachmann verlangt wird. Zwar kann dem Kläger der Umstand, daß er ein solcher schon angesichts der Tatsache nicht war, daß er erst unmittelbar vor dem Unfall die Fahrprüfung abgelegt, somit noch keine nennenswerte Fahrpraxis hatte, als solcher nicht angelastet werden. Der Kläger war jedoch im Begriff, von einer weniger benützten Seitenstraße in eine stärker benützte Durchfahrtsstraße nach links einzubiegen. Er hätte sich daher, da die Sicht auf mehrere 100 m hin frei war, ungeachtet des ihm zustehenden und ihm von einem Fahrzeug auch eingeräumten Vorranges schon vorher über die Verkehrslage auf der Landesstraße überzeugen können und müssen. Dabei hätte er aber den mit großer Geschwindigkeit herankommenden Motorradfahrer auch schon sehen können, bevor er die Fahrbahn der Landesstraße erreichte, und seine Fahrweise darauf einrichten müssen. Der Kläger hat daher nicht die äußerste, nach den Umständen des Falles gebotene, alle denkbaren Gefahrenmomente berücksichtigende Sorgfalt angewendet. Als unabwendbar wäre das Ereignis nur dann anzusehen gewesen, wenn es auch bei Anwendung des eben angeführten Maßes an Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Die Nichtbeachtung dieser Sorgfalt hat der Kläger gemäß § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. zu vertreten. Die mit dem Einbiegemanöver des Klägers, d. h. mit einer in den fließenden Verkehr eingreifenden Fahrweise, verbundene Erhöhung der Betriebsgefahr seines Fahrzeuges läßt es nicht gerechtfertigt erscheinen, bei der Abwägung im Sinne des § 17 KraftfVerkG. den, wenn auch geringfügigen, Sorgfaltsfehler des Klägers gänzlich zu vernachlässigen. Ihm ist mit der vom Berufungsgericht vorgenommenen Schadensteilung im richtigen Maße Rechnung getragen.

Die beklagte Partei wendet sich vor allem gegen die Beurteilung, die das Berufungsgericht - abweichend vom Erstgericht - der von rechts einmundenden Seitenstraße zuteil werden ließ. Ihrer Ansicht nach bleibe ungeachtet der abweichenden Feststellungen des Berufungsgerichtes über die Beschaffenheit und die Art der Straße die Feststellung des Erstgerichtes aufrecht, daß diese Seitenstraße schwach befahren, unbedeutend und für einen die Landstraße benützenden Verkehrsteilnehmer nicht deutlich als Verkehrsfläche von weitem sichtbar sei. Dem Kläger sei mit Rücksicht auf die unterschiedliche Bedeutung der beiden Verkehrsflächen in Vorrang nicht zugestanden, so daß dem Motorradfahrer auch dessen Verletzung nicht als Verschulden angelastet werden könne.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Im Verkehrsrecht wird zwischen verkehrsarmen und stark frequentierten Verkehrsflächen nicht unterschieden; im Verhältnis solcher Verkehrswege gilt daher grundsätzlich die Regel des § 19 Abs. 4 StPolO. (ZVR. 1960 Nr. 1). Daß die einmundende Straße der Landesstraße an Verkehrsbeschaffenheit und Bedeutung nachstand, war daher für den Vorrang an sich unerheblich (ZVR. 1957 Nr. 50, mit weiteren Hinweisen auf Schrifttum und Rechtsprechung). Die Geltung der erwähnten Vorschrift kann aber auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine Kreuzung oder eine Einmundung schon von weitem deutlich sichtbar ist. Daß die Einmundung im vorliegenden Fall bei Beobachtung der gebotenen Aufmerksamkeit und bei richtiger Fahrweise nicht schon auf eine den Bedürfnissen des Verkehrs genügende Entfernung wahrnehmbar gewesen wäre, hat die beklagte Partei gar nicht behauptet. Feststellungen über diese Entfernung fehlen zwar. Sie sind aber auch angesichts der Tatsache, daß die Sicht für beide Fahrer auf mehrere 100 m völlig unbehindert war, daß also der Motorradfahrer die Annäherung eines Kraftfahrzeuges von rechts schon auf größere Entfernung wahrnehmen konnte, entbehrlich. Wenn die beklagte Partei unter Zitierung einer höchstgerichtlichen Entscheidung der Vorschrift des § 19 Abs. 4 StPolO. lediglich die Bedeutung einer Höflichkeitsregel zubilligen will, so ist diese Auffassung durch die spätere Rechtsprechung überholt. Es sei hier lediglich auf die in ZVR. 1960 Nr. 154 veröffentlichte Entscheidung (mit weiteren Hinweisen auf Rechtsprechung und Lehre) verwiesen, wonach die genannte Gesetzesbestimmung zu jenen grundlegenden Vorschriften gehört, deren Befolgen einen geordneten Verkehr überhaupt erst ermöglicht.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich aber auch den Erwägungen der beklagten Partei nicht anzuschließen, denen zufolge der Kläger die allgemeine Vorschrift des § 7 Abs. 1 StPolO. schuldhaft verletzt habe. Auf das Vorbringen der beklagten Partei in diesem Belange ist zu erwidern, daß vor allem dem Kläger, der - wie festgestellt - das Einbiegemanöver mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h ausführte, das Einhalten einer überhöhten Geschwindigkeit nicht als schuldhafter Verstoß gegen Verkehrsvorschriften angelastet werden kann. Der Hinweis der beklagten Partei auf die in ZVR. 1959 Nr. 205 veröffentlichte Entscheidung geht daher schon deshalb ins Leere, weil der dieser Entscheidung zugrunde liegende Fall in bezug auf die Fahrgeschwindigkeit völlig anders lag. Im vorliegenden Fall fällt entscheidend ins Gewicht, daß Wesselin M. seinen Lieferwagen vor der Einmundung angehalten und dem Kläger durch Handzeichen bedeutet hatte, von dem ihm zustehenden Vorrang Gebrauch zu machen, ferner, daß der Wagen des Klägers im Augenblick des Zusammenstoßes das Einbiegemanöver bereits beendet hatte. Diese Umstände lassen die Annahme eines zur Schadensteilung gemäß § 1304 ABGB. führenden, schuldhaften Verhaltens des Klägers nicht gerechtfertigt erscheinen. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß allein dem getöteten Motorradfahrer ein in mehrfacher Hinsicht gegen Verkehrsvorschriften verstoßendes, schuldhaftes Verhalten anzulasten ist, ist frei von Rechtsirrtum.

Im Recht ist jedoch die beklagte Partei, wenn sie sich gegen die unterschiedliche Behandlung des Schmerzengeldes einerseits und der sonstigen Ansprüche des Klägers andererseits bei der Ausgleichung gemäß § 17 Abs. 1 KraftfVerkG. wendet. Da - wie schon dargetan - eine Haftung des Klägers im Sinne des § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. nicht ausgeschlossen werden kann, muß er die eigene mitursächliche Betriebsgefahr auch seinem Schmerzengeldanspruch entgegenhalten lassen (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 9. Aufl. S. 123). Daraus folgt aber, daß er das Schmerzengeld nicht mit dem gesamten geltend gemachten Betrag von 3000 S, sondern nur mit dem sich auf Grund der Ausgleichungspflicht im Verhältnis von 3:1 ergebenden Betrag von 2250 S beanspruchen kann.

Was den Ausspruch über das Feststellungsbegehren anlangt, so hatten die Worte "und für den ganzen Anspruch auf Schmerzengeld" unabhängig davon, daß der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, das Schmerzengeld unterliege nicht der Ausgleichungspflicht, nicht teilt, zu entfallen. Das Schmerzengeld ist grundsätzlich eine einmalige Abfindung für alles Ungemach, das der Verletzte infolge der Verletzung erdulden mußte (EvBl. 1950 Nr. 398). Daß der Kläger derartiges Ungemach auch in Zukunft noch zu gewärtigen habe, hat er selbst nicht behauptet. Es mangelt daher in diesem Belange das gemäß § 288 ZPO. erforderliche rechtliche Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung. Dieser Umstand war ungeachtet der Tatsache, daß die beklagte Partei ihn nicht geltend gemacht hat, im Rahmen der erhobenen Rechtsrüge von Amts wegen zu berücksichtigen.

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