OGH 6Ob132/60

OGH6Ob132/604.5.1960

SZ 33/49

Normen

EheG §49
EheG §50
EheG §49
EheG §50

 

Spruch:

Schuldfähigkeit eines Ehegatten nach § 49 EheG. bei zumutbarer Kontrolle über psychopathische Charakterzüge.

Entscheidung vom 4. Mai 1960, 6 Ob 132/60.

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Der 1903 geborene Kläger und die 1909 geborene Beklagte haben am 14. April 1956 miteinander die Ehe geschlossen. Für beide Teile war es nach einer geschiedenen Ehe die zweite Eheschließung. Die Ehe, die kinderlos blieb, verlief von Anfang an nicht glücklich. Die Beklagte begann schon bald nach der Eheschließung mit dem Bestreben, den Kläger in seinem Geschäft, einem Altwarenhandel, in dem sie mitarbeitete, beiseitezuschieben. Sie setzte den Kläger vor seinen Angestellten durch grobe, schwerwiegende Beschimpfungen herab und verleidete ihm auch in der Nacht stundenlang durch Vorwürfe und schwere Schmähungen das Leben. Sie warf ihm vor seinen Angestellten vor, zur Führung des Geschäftes nicht fähig zu sein, bezeichnete ihn vor seinen Angestellten als "Gauner", "Helfer von Gaunern", "Idioten", als "zu Karnern und Zuchthäuslern passenden Menschen" und bedrohte ihn mit Entmündigung. Trotz mangelnder Fachkenntnisse mengte sie sich in die Führung des Geschäftes ein und fing mit den Angestellten immer wieder Streitigkeiten an, wurde allerdings dann auch von den Angestellten und Arbeitern des Klägers auf gröbste Weise beschimpft. Der Kläger verhielt sich bei allen diesen Szenen im allgemeinen ruhig, beantwortete nur gelegentlich die Schimpfworte der Beklagten und ließ sich allerdings einmal zu einer Ohrfeige hinreißen. Trotz Ermahnungen des Klägers ließ die Beklagte von ihrem ehewidrigen Verhalten nicht ab. Nach der am 28. August 1957 erfolgten Einbringung der gegenständlichen Ehescheidungsklage verließ der Kläger im September 1957 unter schroffer Ablehnung der von der Beklagten unternommenen Versöhnungsversuche die eheliche Wohnung, obwohl die Beklagte nunmehr ihr ehewidriges Verhalten eingestellt hatte, und bezog eine andere Wohnung in demselben, ihm gehörigen Haus, in die er die Rosa C. als Lebensgefährtin aufnahm. Am 4. Juli 1958 kam der Kläger mit einem seiner Angestellten zur Beklagten in die Ehewohnung, hängte die Wohnungstür aus und entfernte die Möbel der Beklagten aus der Wohnung. Die durch dieses Vorgehen aufgebrachte Beklagte raufte damals mit dem Kläger und fügte ihm Kratzwunden zu. Sie wurde hiefür wegen Übertretung nach § 419 StG. rechtskräftig verurteilt. Ihre Herrschsucht, ihr rechthaberisches Wesen, ihr zermürbender Redefluß, ihre Überbewertung der eigenen Person und ihr Mangel, an Einfühlungsvermögen sind wohl abnorme und daher als psychopathisch zu bezeichnende Eigenschaften, die mit nervösen Beschwerden verbunden sind, aber doch kein krankhafter Zustand. Der Beklagten ist eine Beherrschung der Äußerung der erwähnten Eigenschaften möglich und daher zumutbar.

Das Erstgericht gab dem Ehescheidungsbegehren des Klägers statt, sprach aber auf Antrag der Beklagten die überwiegende Mitschuld des Klägers aus.

Das Berufungsgericht bestätigte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revision kann nicht gefolgt werden, wenn in ihr unter Berufung auf das Sachverständigengutachten der Versuch unternommen wird, ein Verschulden der Beklagten im Hinblick auf eine für die Verfehlungen der Beklagten ursächliche psychopathische Anlage und die dadurch bedingten nervösen Beschwerden, also im Hinblick auf eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, eine geistige Störung im Sinne des § 50 EheG., zu negieren. Das Berufungsgericht ist von der die Revisionsinstanz bindenden Feststellung ausgegangen, daß die Charakterfehler der Beklagten nicht weit genug vom Durchschnitt abweichen, um einen krankhaften Zustand darzustellen, und daß der Beklagten zugemutet werden kann, die Äußerungen dieser ihrer Charakterfehler unter Kontrolle zu halten. Ist aber der Beklagten eine solche Selbstbeherrschung möglich, dann ist sie von ihr auch zu fordern, und es kommt bei ihr eine mangelnde Zurechnungsfähigkeit (eine Schuldunfähigkeit) nicht in Betracht (vgl. Volkmar - Antoni, Eherecht, S. 181 f., 189;, Godin, Ehegesetz, 2. Aufl. S. 176, 183 f.). Das Revisionsgericht hatte sich noch die Frage vorzulegen, ob nicht die Zurechnungsfähigkeit auf seiten der Beklagten so weit vermindert sei, daß ihren Verfehlungen die im § 49 EheG. geforderte Schwere fehle (vgl. Volkmar - Antoni a. a. O. S. 181 f.; Godin a. a. O. S. 176). Auch das ist auf Grund der untergerichtlichen Feststellungen zu verneinen. Fast jede sehr schwere Eheverfehlung wird zu einem wesentlichen Teil durch einen Charakterfehler bedingt sein, und je schwerer der Charaktermangel ist, um so schwerer ist seine Bekämpfung (wie auch der Sachverständige Dr. S. ausgeführt hat). Um so größer muß aber, soll nicht in Verkennung des Wesens der Ehe als einer sittlichen Gemeinschaft unleidlichen Eigenschaften wie denen der Beklagten in der Ehe ein Freibrief ausgestellt werden, auch die Pflicht zur Bekämpfung solcher unleidlicher, ehezerstörenden Eigenschaften angenommen werden. Es kommt nur darauf an, ob und in welchem Maß diese Bekämpfung möglich ist. Da im vorliegenden Fall ohne irgendwelche Einschränkung festgestellt erscheint, daß der Beklagten die Kontrolle über die Äußerungen ihrer unleidlichen Charakterzüge möglich ist, besteht auch für die Annahme einer verminderten Zurechnungsfähigkeit auf ihrer Seite kein Raum. Der Sachverständige Dr. S. hat durchaus nicht, wie es die Beklagte in ihrer Revision haben möchte, bekundet, daß die Eheverfehlungen der Beklagten nicht die unmittelbaren Auswirkungen ihrer Charakterfehler seien, sondern die Folgen einer Nervosität, die durch die Bemühungen der Beklagten entstanden sei, ihre unleidlichen Charakterzüge zu bekämpfen. Der genannte Sachverständige hat vielmehr angegeben, daß die Nervosität der Beklagten erst eine Folge des Widerstandes der Umwelt gegen die Unleidlichkeit der Beklagten sei und daß diese Nervosität wegfiele, wenn sich die Umwelt die Unleidlichkeit der Beklagten ohne Widerstand gefallen ließe.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte