OGH 6Ob402/59

OGH6Ob402/5913.1.1960

SZ 33/5

Normen

ABGB §1295
ABGB §1313a
ABGB §1295
ABGB §1313a

 

Spruch:

Zur Haftung des Zirkusunternehmers für die Verletzung eines Zirkusbesuchers durch einen auftretenden Artisten.

Entscheidung vom 13. Jänner 1960, 6 Ob 402/59.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Klägerin besuchte am 10. August 1957 eine Vorstellung des damals in Salzburg gastierenden Zirkus, dessen Inhaber der Beklagte ist. Eine der Zirkusnummern, ein sogenannter "Cowboy-Akt", wurde von dem Kunstschützen Wilhelm W. bestritten. W. benützte dabei einen von ihm selbst entwickelten, gefederten Kugelfang. Am Zielobjekt waren 6 je 25 X 25 cm große Zielscheiben, jede einzelne in einem 3 cm breiten und tiefen Chromstahlrahmen und auf einer 5 mm starken Stahlplatte montiert, in horizontaler Reihe angebracht; links und rechts davon befanden sich noch vertikale Schirme aus Sperrholz. Die Aufstellung des Kugelfanges oblag dem Zirkuspersonal nach der ihm von W. bei Beginn seines Engagementes (April 1957) erteilten Anweisung. Nach den Angaben des W. führte er seine Schießnummer schon seit 17 Jahren ohne Unfall vor. Beim Schuß gegen die (vom Schützen gesehen) äußerste linke Scheibe - es handelte sich um den Schuß auf einen (offenbar vor der Scheibe) senkrecht gespannten Faden - wurde die Klägerin, die (wiederum vom Schützen aus gesehen) rechts vom Zielobjekt im Abstand von 9.15 m in der ersten Reihe einer Loge saß, durch einen "Geller-Splitter" am rechten Auge schwer verletzt. Die darüber von der Polizei erstattete Anzeige wurde gemäß § 90 StPO. zurückgelegt.

Das Erstgericht wies das Schadenersatzbegehren der Klägerin ab.

Das Berufungsgericht hob unter Rechtskraftvorbehalt auf.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rekursausführungen basieren im wesentlichen auf der auch vom Berufungsgericht gestreiften Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. XXVI 255, in welcher eine Haftung des Veranstalters eines Motorradrennens für die Verletzung eines Zuschauers anläßlich des Zusammenstoßes zweier Fahrer während des Rennens abgelehnt wurde. Dem Beklagten ist zuzugeben, daß diese Entscheidung eine Reihe von Wendungen enthielt, die sich auf Zirkuskunststücke bezogen, und daß daher eine Heranziehung dieser Entscheidung auch für den vorliegenden Fall nahelag. Dem Beklagten ist aber entgangen, daß der Oberste Gerichtshof von dieser Entscheidung, die auf ernste, vor allem durch Heranziehung deutscher Judikatur fundierte Kritik stieß (vgl. dazu Feuchter in JBl. 1954 S. 482 und die dort zitierte Judikatur und Literatur), inzwischen in der damals zu entscheidenden Frage der Haftung des Veranstalters eines den Zuschauern gegen Entgelt zugänglichen Motorradrennens abgegangen ist (ZVR. 1958 Nr. 252). Der Oberste Gerichtshof hat erkannt, daß der Veranstalter eines solchen Rennens zumindest als Mithalter der startenden Maschinen anzusehen und darum haftpflichtig ist, falls er keinen unabwendbaren Zufall nach den einschlägigen Spezialbestimmungen nachweisen kann. Damit soll nun nicht gesagt sein, daß deshalb auch die sonstigen Erwägungen, die der Oberste Gerichtshof in SZ. XXVI 255 angestellt hat, zur Gänze hinfällig wären; zumindest zu einem Teil haben aber auch sie jenes Gewicht verloren, das ihnen der Beklagte beimessen will.

Gewiß sind manche Zirkusnummern für die Zuschauer völlig gefahrlos. Bei anderen liegen die Gefahrenmomente auf der Hand (Raubtierdressurakte), bei anderen mögen sie gegeben, dem Durchschnittsbesucher aber nicht ohne weiteres erkennbar sein. Dem Berufungsgericht ist nun darin beizustimmen, daß nach Treu und Glauben zwischen dem Zirkusunternehmer und den Zuschauern als mitvereinbart gilt, es werde vom Zirkusunternehmer selbst oder doch unter seiner Verantwortlichkeit alles Zumutbare vorgekehrt werden, um einen gefahrlosen Besuch der Veranstaltung zu gewährleisten. Jede andere Auffassung wäre gerade bei einem Zirkus, zu dessen Publikum nicht zuletzt Kinder gehören, mit den Gepflogenheiten redlichen Verkehrs (§ 863 ABGB.) unvereinbar. Soweit der Beklagte demgegenüber versucht, seine Haftung für den von ihm engagierten Kunstschützen W. damit zu bestreiten, daß § 1313a ABGB. dann nicht gelte, wenn von vornherein feststehe, daß die Leistung nicht in eigener Person zu erbringen, sondern nur ihre Erbringung durch einen Dritten zu veranlassen sei, genügt es zur Widerlegung auch in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ZVR. 1958 Nr. 252 zu verweisen, in der gerade auf Zirkusverhältnisse besonders Bezug genommen erscheint. Es ist also Sache des Beklagten, nachzuweisen, daß kein Verschulden vorliegt (§ 1298 ABGB.), und zwar auch bezüglich des Wilhelm W., dessen Mitarbeiterin oder des sonstigen Zirkuspersonals (SZ. XXVIII 87).

Ganz abgesehen von der Frage, ob die Aufstellung des Kugelfanges am Unfallstag exakt erfolgt ist, muß das Verfahren in einer ganzen Reihe wichtiger Belange ergänzt werden, damit zuverlässig beurteilt werden kann, ob alle erforderlichen Schutzvorkehrungen getroffen waren. Mit dem Hinweis darauf, daß es bei den Schießkunststücken des W. in all den Jahren seines Auftretens noch nie zu einem Unfall gekommen sei und seine Nummer nie beanstandet wurde, kann sich der Beklagte nicht exkulpieren, weil es nicht darauf ankommt, ob schon andere Personen verletzt wurden oder ob sonst Behörden Anlaß zum Einschreiten gefunden haben, sondern ob mit der Möglichkeit von Gellern oder Absplitterungen zu rechnen war und alles Zumutbare vorgekehrt wurde, um den Zuschauern den gefahrlosen Besuch der Vorstellung zu sichern.

Aus diesen Erwägungen ist der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes, ungeachtet der zutreffenden Verneinung einer besonderen Gefährlichkeit des Betriebes als solchen und damit auch der Möglichkeit, die Bestimmungen über die Haftpflicht ohne Verschulden analog heranzuziehen, zu bestätigen.

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