OGH 5Ob416/59

OGH5Ob416/5923.9.1959

SZ 32/111

Normen

ABGB §19
ABGB §1440
ABGB §19
ABGB §1440

 

Spruch:

Selbsthilfe ist nur insoweit zulässig, als der Eingriff in fremde Rechte zur Wiederherstellung des dem Recht entsprechenden Zustandes notwendig ist.

Das Zurückbehaltungsrecht nach § 471 ABGB. an einer eigenmächtig entzogenen Sache steht auch dem gutgläubigen Besitznachfolger nicht zu.

Entscheidung vom 23. September 1959, 5 Ob 416/59.

I. Instanz: Kreisgericht Korneuburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger hatte bis Kriegsende 1945 in S. ein Autotransportunternehmen betrieben. Zur Zeit des Zusammenbruches verließ er S. und ließ dort, u. a. einen Langholzanhänger zurück. Er war damals Schuldner aus einem Kontokorrentkredit, den ihm die Sparkasse S. eingeräumt hatte. Die Forderung der Sparkasse aus diesem Schuldverhältnis betrug am 27. Juni 1945 1738 RM. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde S., die mit ihrem gesamten Vermögen für die Verbindlichkeiten der Sparkasse haftet, verfügte die Beschlagnahme des auf der Straße stehenden Anhängers. Der Anhänger wurde am 18. Juli 1945 um den von einem Sachverständigen ermittelten Schätzpreis von 700 RM an die Beklagten von der Stadtgemeinde B. verkauft. Hierüber wurde auch ein schriftlicher Kaufvertrag errichtet, der vom Bürgermeister der Gemeinde und von Erich H. als Vertreter der Beklagten am 21. Juli 1945 unterfertigt worden war. Die Sparkasse führte sodann auf den bei der Gemeinde verwahrten Kaufpreis zur Hereinbringung ihrer Forderung gegen den Kläger im Betrag von 1387 S 77 g zu E 3/46 des Bezirksgerichtes Stockerau Forderungsexekution, nachdem sie ein vollstreckbares Urteil vom 28. Dezember 1945, C 23/45 , bei dem gleichen Gericht erwirkt hatte. Mit Bescheid des Bundesministeriums für Finanzen vom 1. Juli 1958 wurde dem Kläger bestätigt, daß der Langholzanhänger an ihn rückübertragen wurde und daß daher keine Bedenken gegen die Geltendmachung seines Eigentumsrechtes an diesem Fahrzeug bestanden. Der Anhänger war zur Zeit der Übernahme durch die Beklagten nicht betriebsfähig; die Beklagten setzten ihn daher instand und nahmen ihn sodann in Benützung.

Der Kläger begehrt 1. die Herausgabe des Anhängers, 2. die Zahlung eines Benützungsentgeltes von 15.900 S. Die Beklagten setzten dem auf Herausgabe des Langholzanhängers gerichteten Begehren des Klägers die - in ihrem Rekurs allerdings nicht mehr aufrechterhaltene - Einwendung entgegen, daß sie den Anhänger in einer öffentlichen Versteigerung erworben hätten; sie begehrten die Abweisung des vom Kläger gestellten Urteilsantrages auch aus dem Gründe, weil die Veräußerung durch die Stadtgemeinde S. in Ausübung berechtigter Selbsthilfe (§ 19 ABGB.) erfolgt sei und sie daher Eigentümer des Anhängers geworden seien. Aber selbst für den Fall, als ein Eigentumserwerb nicht vorliege, stehe ihnen wegen des auf die Sache gemachten Aufwandes ein Zurückbehaltungsrecht zu. Sie seien daher nur verpflichtet, Zug um Zug gegen Ersatz ihrer Aufwendungen, die sie mit zirka 50.000 S bezifferten, den Anhänger herauszugeben.

Das Erstgericht schränkte die Verhandlung auf den Grund des Anspruches ein und fällte ein Zwischenurteil, in dem es aussprach, daß der Klageanspruch und die compensando eingewendete Gegenforderung dem Gründe nach zu Recht bestunden.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es vertrat gleich dem Erstgericht die Ansicht, daß von einer berechtigten Selbsthilfe keine Rede sein könne, weil nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Selbsthilfehandlung der erfolgte Verkauf als eine Überschreitung der Grenzen erlaubter Selbsthilfe gewertet werden müsse; die Verwahrung zur Sicherstellung der Forderung der Sparkasse hätte ausgereicht. Im Juli 1945 sei die Lage schon so weit geklärt gewesen, daß auch für S. mit der Wiederaufnahme eines geordneten Gerichtsbetriebes in naher Zukunft gerechnet werden konnte. Die Sache sei jedoch noch nicht spruchreif, weil nicht feststehe, ob den Beklagten insofern guter Glaube zugebilligt werden müsse, als sie nach den Verhältnissen zur Zeit der Veräußerung der Ansicht sein konnten, daß die Gemeinde zur Beschlagnahme des Fahrzeuges und zu dessen Verkauf legitimiert gewesen sei. Die Folgen des eigenmächtigen Entzuges nach § 1440 ABGB. wären nur dann auf die Beklagten übergegangen, wenn sie schon bei Übernahme des Anhängers wußten oder wissen mußten, daß die Gemeinde den Anhänger dem Kläger eigenmächtig entzogen hatte (vgl. EvBl. 1948 Nr. 832).

Der Oberste Gerichtshof gab keinem der von beiden Parteien erhobenen Rekurse Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruches durch den Erstrichter war verfehlt. Nach § 393 ZPO. kann ein Zwischenurteil nur dann gefällt werden, wenn ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist. Das trifft bei der Art des geltend gemachten Anspruches (Begehren auf Herausgabe einer beweglichen Sache) nicht zu. Ein Zwischenantrag auf Feststellung nach den §§ 236 und 259 ZPO. wurde von keiner der beiden Parteien gestellt, so daß auch ein Zwischenurteil nach § 393 Abs. 2 ZPO. nicht möglich war. In diesem Zusammenhang ist auch noch darauf hinzuweisen, daß die Beklagten nur ein ihnen angeblich zustehendes Retentionsrecht wegen des von ihnen auf die Sache gemachten Aufwandes dem Klageanspruch auf Herausgabe des Anhängers entgegengesetzt haben, nicht aber die Forderung wegen des ihnen zustehenden Aufwandersatzes aufrechnungsweise als Gegenforderung eingewendet haben. Das Erstgericht hat demnach, soweit es die "compensando eingewendete Gegenforderung" als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannte, über einen Anspruch entschieden, der von der beklagten Partei gar nicht erhoben wurde.

Nach Art. 1 des Verfassungs-Überleitungsgesetzes vom 1. Mai 1945, StGBl. Nr. 4, wurde das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 im Sinn der Regierungserklärung StGBl. Nr. 3/1945 wieder in Wirksamkeit gesetzt. Zur Zeit der Veräußerung des Anhängers durch die Gemeinde S. am 18. Juli 1945 war die Besetzung Österreichs bereits vollendet. Daß eine Verschiebung der Einflußsphären der einzelnen Besatzungsmächte erst nach diesem Zeitpunkt erfolgte, war jedenfalls für S. und die Aufnahme des Gerichtsbetriebes an diesem Ort ohne wesentlichen Einfluß. Im Juli 1945 konnte zumindest für die nächste Zeit mit der Aufnahme eines geordneten Gerichtsbetriebes gerechnet werden, da zu diesem Zeitpunkt die Kriegshandlungen bereits beendet und die Besetzung durchgeführt waren. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob nicht schon zur Zeit der Veräußerung des Anhängers die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung bei Gericht möglich gewesen wäre. Die Selbsthilfe darf nämlich, wenn sie berechtigt sein soll, nur insoweit ausgeübt werden, als der Eingriff in fremde Rechte notwendig ist, um einen dem Recht entsprechenden Zustand wiederherzustellen (Wolff in Klang 2. Aufl. I 143 zu § 19). Auch bei Funktionieren der Behördentätigkeit wäre es der Sparkasse S. nicht möglich gewesen, ohne gerichtliches Urteil den Verkauf von Sachen ihres Schuldners zu erwirken. Zur Sicherung von Geldforderungen gewährt die Exekutionsordnung nur Sicherungsmittel, zu denen die Veräußerung von Sachen des Gegners der gefährdeten Partei nicht gehört. Es liegt daher in der Veräußerung des Anhängers durch die Gemeinde S., von der gar nicht behauptet wird, daß ihr selbst eine Forderung gegen den Kläger in diesem Zeitpunkt zustand, ein ungerechtfertigter Eingriff in die Rechte des Klägers. Daraus folgt die Nichtanwendbarkeit der Bestimmung des § 19 ABGB. Der Umstand, daß eine Verwahrung von Sachen einen Geldaufwand des Gläubigers erfordert, vermag die Veräußerung der Sache als berechtigte Selbsthilfe im Sinne der bezogenen Gesetzesstelle nicht zu rechtfertigen. Auch die gefährdete Partei muß die Kosten einer Verwahrung bei einer auf ihren Antrag bewilligten einstweiligen Verfügung vorläufig tragen.

Die Beklagten haben daher durch den mit der Gemeinde S. abgeschlossenen Kaufvertrag keinen gültigen Titel für den Eigentumserwerb erhalten. Da die Besitzergreifung an der Sache durch die Gemeinde S. auf Grund einseitigen Willensentschlusses vorgenommen wurde, ist der Besitz des Anhängers dem Kläger von der Gemeinde eigenmächtig entzogen worden. Die Beklagten, denen der Besitz von der Gemeinde übertragen wurde, setzen als Rechtsnachfolger der Gemeinde deren Besitz fort (s. Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 67 ff.). Sie treten in die Stellung ihres Vormannes und erhalten der sachlichen Ausdehnung und den rechtlichen Schranken nach nicht mehr, als ihr Auktor zur Zeit der Übergabe hatte (vgl. GlU. 9274). Mit anderen Worten: es wird der fehlerhafte Besitz der Gemeinde als Besitzvorgängerin von den Beklagten als den Besitznachfolgern fortgesetzt. Gleichgültig ist, ob ihnen die Tatsache der Entziehung bekannt war oder bei gehöriger Aufmerksamkeit bekannt sein mußte. Auch wenn sich die Beklagten auf ihre Gutgläubigkeit beim Besitzerwerb berufen könnten, wäre für sie nichts gewonnen, weil sie als Besitznachfolger die Fehlerhaftigkeit des Besitzes ihres Vormannes damit nicht beseitigen könnten (vgl. §§ 372 und 373 ABGB.). Es ist daher ohne Belang, daß die Beklagten als nunmehrige Besitzer der Sache den Entziehungsakt nicht selbst gesetzt haben. Entscheidend ist allein, daß es sich um eine eigenmächtig entzogene Sache handelt. Diese kann aber gemäß § 1440 ABGB. nicht Gegenstand des Retentionsrechtes sein. Der Zweck der Bestimmung des § 1440 ABGB. ist es, denjenigen, der ein Recht auf Herausgabe der Sache hat, davor zu schützen, daß seinem Restitutionsanspruch ein Retentionsrecht entgegengesetzt wird, obwohl die Sache, bezüglich welcher dieses Recht geltend gemacht wird, dem die Herausgabe Fordernden eigenmächtig oder listig entzogen worden ist oder auf Grund eines Verwahrungs- oder Bestandvertrages aus seinem Besitz gekommen ist. Dieser Schutz würde viel von seiner Wirksamkeit einbüßen, wollte man dem auch vom Berufungsgericht eingenommenen Standpunkt beipflichten, daß dem Besitznachfolger des Entziehers, dessen gutgläubiger Besitzerwerb zu vermuten ist (§ 328 ABGB.), die Kenntnis der eigenmächtigen Entziehung nachgewiesen weiden müßte. Das war auch offenbar nicht in der Absicht der III. Teilnovelle gelegen, vor deren Inkrafttreten das Zurückbehaltungsrecht durch § 471 ABGB. (alte Fassung) überhaupt ausgeschlossen war. So wird denn auch in der Entscheidung JBl. 1935 S. 430 ausgesprochen, daß das Zurückbehaltungsrecht des § 471 ABGB. nicht Redlichkeit voraussetze, und in der Entscheidung SZ. VIII 23 auf § 53 der III. Teilnovelle (§ 1440 ABGB.) verwiesen, der nur sage, daß eigenmächtig entzogene Stücke kein Gegenstand des Zurückbehaltungsrechtes seien. Auf die Frage der Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzes werde nicht Gewicht gelegt, und zwar nach der im § 334 ABGB. gegebenen Umschreibung des Begriffes "Redlichkeit" mit Grund nicht. Der Oberste Gerichtshof vermag aus diesen Erwägungen den in der Entscheidung EvBl. 1948 Nr. 832 ausgesprochenen Rechtssatz, das Zurückbehaltungsrecht nach § 471 ABGB. setze voraus, daß die Sache vom Verpflichteten nicht eigenmächtig oder listig entzogen wurde, es stehe zwar nicht dem Diebstahlsteilnehmer, wohl aber demjenigen zu, der erst nachträglich von der unredlichen (diebischen) Herkunft der Sache Kenntnis erhalten habe, nicht aufrechtzuerhalten.

Da also nach dem Gesagten den Beklagten für den von ihnen auf die Sache gemachten Aufwand kein Zurückbehaltungsrecht nach § 471 ABGB. zusteht, wäre allerdings die Sache im Sinne der Stattgebung des auf Herausgabe gerichteten Anspruches des Klägers bereits spruchreif. Auch bezüglich des geltend gemachten Benützungsentgelts ist das Klagebegehren dem Gründe nach berechtigt, weil die Beklagten, wie vom Erstgericht unangefochten festgestellt wurde, die Sache des Klägers, also eine fremde Sache, ohne Rechtsgrund benützt haben. Der Anspruch auf Leistung eines Benützungsentgeltes findet seine Grundlage in der Anwendung der §§ 1041, 1431 ABGB., worauf der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt hingewiesen hat (s. etwa JBl. 1954 S. 120).

Eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses kommt gleichwohl nicht in Betracht, da hiedurch dem Berufungsgericht implicite die Fällung eines Teilurteiles aufgetragen würde. Ein solcher Auftrag ist aber nicht zulässig, weil die Erlassung eines Teilurteils prozeßtechnische Ermessenssache ist (vgl. SZ. XI 167, EvBl. 1956 Nr. 191 u. a.).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte