Spruch:
Schadenersatzpflicht einer Wasserkraft- und Elektrizitätsgesellschaft bei Beeinträchtigung des Fischbestandes der Kraftwerksstauräume.
Entscheidung vom 9. Juli 1958, 1 Ob 259/58.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die beklagte Wasserkraft- und Elektrizitätsgesellschaft ist unbestritten Eigentümerin der Murkraftwerke in P. und M. Die klagende Partei behauptet, daß sie auf Grund des Kaufvertrages vom 13. Juni 1955 Eigentümerin umfangreicher Fischereirechte im Murfluß von G. bei F. murabwärts auf einer Länge von 35 km sei. Feststellungen der Untergerichte über den Umfang der Fischereirechte der klagenden Partei liegen nicht vor.
Nach den Feststellungen der Untergerichte hat die beklagte Partei am 12. Mai 1956 eine sogenannte Schnellspülung der Stauräume beider Kraftwerke durchgeführt. Die Schleuse des Wehrs in M. wurde um 16 Uhr, die des Wehrs in P. um 16.45 Uhr geöffnet. Dadurch wurden sehr große Schlammassen aufgewirbelt und abgeführt. Dies hatte in der unterhalb der Stauräume gelegenen Flußstrecke der Mur ein großes Fischsterben zur Folge, weil die in konzentrierter Form aufgewirbelten Schlammassen die Riemen der Fische verlegten und durch die Gärung dieser Schlammassen den Fischen auch der zur Atmung erforderliche Sauerstoff aus dem Wasser entzogen wurde.
Die klagende Partei begehrte von der beklagten Partei den Ersatz des ihr durch das Fischsterben erwachsenen Schadens in der Höhe von 382.000 S s. A. Sie begehrte 312.000 S für die Beschaffung und Einsetzung von Fischsetzlingen und 70.000 S an entgangenen und entgehenden Einnahmen für Fischereierlaubnisscheine. Sie behauptete, daß die beklagte Partei bei Durchführung der Stauraumspülung fahrlässig vorgegangen sei und daher für die Schäden nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes im Sinne des § 27 Abs. 1 WRG. hafte; sie nahm außerdem aber auch die Erfolgshaftung nach § 27 Abs. 2 WRG. in Anspruch, weil bei der Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligungen für die beiden Kraftwerke mit dem Eintritt solcher Schäden überhaupt nicht oder nur in einem geringeren Umfang gerechnet wurde.
Das Erstgericht hat mit seinem Zwischenurteil vom 22. Oktober 1957 das Klagebegehren dem Gründe nach "zur Gänze" als zu Recht bestehend erkannt. Nach Ansicht des Erstgerichtes haftet die beklagte Partei aus dem Titel des Verschuldens nach 1295 ABGB., weil sie die Spülung nicht entsprechend zeitlich getrennt und bei hohem Wasserstand, sondern bei einem Wasserstand von nur zirka 245 m3/sec im Wege einer Schnellspülung vorgenommen und die Wassermassen beider Stauräume innerhalb von knapp dreiviertel Stunden in Bewegung gebracht habe, um einen entsprechenden Schußstrahl zu erzielen, obwohl bei der vorausgegangenen Besprechung vom 2. November 1955 die beklagte Partei auf die bei früheren Stauraumspülungen hervorgekommenen Schädigungen aufmerksam gemacht wurde. Auch die Erfolgshaftung der beklagten Partei nach § 27 Abs. 2 WRG. ist nach Ansicht des Erstgerichtes gegeben, weil die Wasserrechtsbehörde bei der wasserrechtlichen Konzessionserteilung mit dem der klagenden Partei im Zusammenhang mit der Stauraumspülung erwachsenen Schaden nicht, zumindest nicht in dem tatsächlich eingetretenen Umfang, gerechnet habe. Höhere Gewalt (§ 27 Abs. 4 WRG.) könne die beklagte Partei zu ihrer Entlastung nicht in Anspruch nehmen.
Über Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht mit seinem Beschluß vom 2. April 1958 die Nichtigkeitsberufung verworfen, im übrigen aber der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht mit dem Auftrag zurückverwiesen, das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes sei durch die Akten der Wasserrechtsbehörde "klargestellt", daß zumindest bei Erlassung des Genehmigungsbescheides für das Werk M. vom 5. September 1933 mit dem Eintritt nachteiliger Wirkungen von Schnellspülungen auf die Fischbestände der Mur und auch mit dem Umfang solcher Schäden gerechnet wurde. Dieser Bescheid sei so allgemein gefaßt, daß er sich auch auf das schon früher errichtete Werk P. bezogen habe. Die Stauraumspülung vom 12. Mai 1956 sei als einheitlicher Vorgang durchgeführt worden, so daß bei der Beurteilung der Haftung der beklagten Partei ein Unterschied zwischen den Stauräumen P. und M. nicht gemacht werden könne. Damit entfalle aber die vom Erstgericht bejahte Erfolgshaftung der beklagten Partei im Sinne des § 27 Abs. 2
WRG.
Zur Haftung der beklagten Partei aus dem Titel des Verschuldens müsse bedacht werden, daß die beklagte Partei einerseits zur Durchführung von Spülungen ihrer Stauräume verpflichtet war, ihr aber andererseits von der Wasserrechtsbehörde aufgetragen worden war, bei der Stauraumspülung auf die Fischbestände in der Mur tunlichst Rücksicht zu nehmen. Ein rechtswidriges Verhalten der beklagten Partei bei der Stauraumspülung vom 12. Mai 1956, das schadenersatzpflichtig mache, könne daher nach Ansicht des Berufungsgerichtes nicht vorliegen, wenn bloß eine Schnellspülung, wie sie damals durchgeführt wurde, den gewünschten und behördlich aufgetragenen Zweck, nämlich die Beseitigung der abgelagerten Schlamm- und Geschiebemassen, erreicht hätte, weil in diesem Falle die Rechte des Fischereiverbandes hinter den allgemeinen, der Gesamtwirtschaft dienenden Erfordernissen der Energiewirtschaft zurücktreten müßten. Andernfalls aber, wenn der gleiche Zweck auf andere Weise, zum Beispiel durch eine auf einen längeren Zeitraum erstreckte, für den Fischbestand weniger schädliche Spülung hätte erreicht werden können und wenn einederartige andere Schlammentfernung sowohl für die flußabwärts liegenden Industrieunternehmungen als auch für die beklagte Partei selbst wirtschaftlich zumutbar wäre, hätte die beklagte Partei ihre Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Fischbestände der Mur trotz Kenntnis der schädlichen Wirkungen einer Schnellspülung rechtswidrig verletzt und wäre daher der klagenden Partei dem Gründe nach für die durch die Stauraumspülung am 12. Mai 1956 eingetretenen Schäden schadenersatzpflichtig. Um diesen Widerstreit der Verpflichtungen der beklagten Partei beurteilen zu können, bedürfe es noch der Beiziehung eines technischen Sachverständigen über Wasserkraftanlagen, insbesondere über Talsperren und Wehranlagen.
Sollte das Erstgericht nach Vernehmung eines Sachverständigen zur Annahme einer Verschuldenshaftung der beklagten Partei kommen, müsse auch überprüft werden, ob für den Anspruch der klagenden Partei auf Ersatz der entgangenen Gebühren für Fischereierlaubnisscheine das im § 1331 ABGB. geforderte qualifizierte Verschulden vorliege.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Den Untergerichten ist zuzustimmen, daß eine Haftung der beklagten Partei nach § 364a ABGB. oder § 27 Abs. 3 WRG. nicht in Frage kommen kann, nach der ersten Gesetzesstelle deshalb nicht, weil diese auf Schäden, die durch den Betrieb einer Wasserbenützungsanlage durch einen Wasserberechtigten verursacht werden, nicht anwendbar ist (Hartig, Das österreichische Wasserrecht, S. 80), nach der zweiten Gesetzesstelle deshalb nicht, weil die Wasserkraftanlagen der beklagten Partei schon vor dem Inkrafttreten des Wasserrechtsgesetzes (1. November 1934) bewilligt worden waren (§ 27 Abs. 6 WRG.). Es muß daher nur untersucht werden, ob die beklagte Partei für das Fischsterben in der Mur am 12. Mai 1956, das nach den Feststellungen der Untergerichte durch die Stauraumspülungen in den Wasserkraftwerken P. und M. verursacht wurde, eine Erfolgshaftung nach § 27 Abs. 2 WRG. oder die allgemeine Verschuldenshaftung nach dem 30. Hauptstück des zweiten Teiles des ABGB. (§ 27 Abs. 1 WRG.) trifft.
1. Zur Frage der Erfolgshaftung nach § 27 Abs. 2 WRG.
Nach dieser Gesetzesstelle haftet der Wasserberechtigte, wenn "durch den ..... Betrieb einer Wasserbenutzungsanlage .... ein Fischereirecht beeinträchtigt wird, für den Ersatz des Schadens, wenn bei der Erteilung der Bewilligung mit dem Eintritt dieser nachteiligen Wirkung überhaupt nicht oder nur in einem geringeren Umfang gerechnet worden ist".
Ob mit dem Eintritt eines solchen Schadens überhaupt nicht oder nur in einem geringeren Umfange gerechnet worden ist, ist eine Tatfrage, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof entzogen ist. Das Erstgericht hat diese Tatfrage verneint, das Berufungsgericht hat sie bejaht, ist also von den Feststellungen des Erstgerichtes abgegangen. Das Erstgericht hat seine diesbezüglichen Feststellungen keineswegs allein auf Grund der Akten der Wasserrechtsbehörde getroffen, sondern sich auch auf Zeugenaussagen und das Gutachten des Sachverständigen S. gestützt. Das Berufungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, den entsprechenden Teil des Beweisverfahrens zu wiederholen, wenn es die Feststellungen des Erstgerichtes nicht übernehmen wollte. Die Unterlassung dieser Beweiswiederholung stellt einen erheblichen Verfahrensmangel dar der aber deshalb nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen kann, weil nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes auch zur Frage der Erfolgshaftung noch weitere Feststellungen notwendig sind, daher jedenfalls eine neuerliche Verhandlung vor dem Erstgericht erforderlich ist.
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ist zunächst zu überprüfen, ob der klagenden Partei Fischereirechte zustehen und wo diese gelegen sind. Erst wenn der Umfang und die örtliche Lage dieser Fischereirechte feststehen, kann untersucht werden, ob bei Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligungen für die Kraftwerke P. und M. von der Wasserrechtsbehörde (Hartig a. a. O. S. 81) mit der Beeinträchtigung dieser Fischereirechte gerechnet wurde. Nach den Behauptungen der klagenden Partei stehen ihr Fischereirechte von G. bei F. flußabwärts zu. Es ist daher, wenn sich diese Angaben der klagenden Partei als richtig erweisen sollten, zu untersuchen, ob bei der Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligungen von der Wasserrechtsbehörde damit gerechnet wurde, daß durch die Anlage und den Betrieb dieser beiden Kraftwerke Fischereirechte auch unterhalb von F. noch beeinträchtigt werden könnten. Die Untersuchung im Sinne des § 27 Abs. 2 WRG., ob und mit welchen Beeinträchtigungen der Fischereirechte die Wasserrechtsbehörde bei Erteilung der Bewilligungen gerechnet hat, ist daher nicht abstrakt, sondern konkret im Hinblick auf jene Flußstrecken zu führen, an denen der klagenden Partei Fischereirechte am 12. Mai 1956 zugestanden sind.
Daß der klagenden Partei Fischereirechte im Zeitpunkt der Konsenserteilung für die Kraftwerke noch nicht zustanden, ist rechtlich ohne Bedeutung, wie sich aus der Fassung des § 27 Abs. 2 WRG. ergibt. Während diese Gesetzesstelle den Wasserberechtigten für Schäden an Bauwerken und Schäden an Wasserbenutzungsrechten nur haften läßt, wenn diese schon vor Konsenserteilung bestanden haben, besteht eine solche Einschränkung bei Schäden an unverbauten Grundstücken oder Fischereirechten nicht (vgl. auch Hartig a. a. O. S. 81 und Haager - Vanderhaag, Kommentar zum Wasserrechtsgesetz, S. 253). Voraussetzung der Haftung nach § 27 Abs. 2 WRG. ist daher nur, daß Fischereirechte der klagenden Partei beeinträchtigt wurden und bei der Erteilung der Bewilligung für die beiden Kraftwerke von der Wasserrechtsbehörde mit der Beeinträchtigung von Fischereirechten an den Flußstrecken, an denen am 12. Mai 1956 die klagende Partei Fischereirechte hatte, nicht oder nur in einem geringeren Umfang gerechnet wurde. Hiebei wird es, um die Erfolgshaftung der beklagten Partei nach § 27 Abs. 2 WRG. auszuschließen, genügen, wenn bei der Konsenserteilung für eines der beiden Kraftwerke mit solchen Schäden gerechnet wurde, weil die Spülung vom 12. Mai 1956 beide Stauräume umfaßte.
Beweispflichtig für alle diese Umstände, also auch dafür, daß von der Wasserrechtsbehörde mit einer solchen Beeinträchtigung nicht oder nur in einem geringeren Umfang gerechnet worden ist, ist die klagende Partei, weil sie ihren Anspruch auf die Erfolgshaftung nach § 27 Abs. 2 WRG. stützt (1 Ob 369/56).
2. Zur Frage der Verschuldenshaftung nach § 1295 ABGB. (§ 27 Abs. 1 WRG.).
Hier bekämpft die klagende Partei nicht die auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes zutreffenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes, daß die beklagte Partei für die Schäden der von ihr am 12. Mai 1956 durchgeführten Schnellspülung nur dann nicht hafte, wenn die Beseitigung der angehäuften Schlamm- und Geschiebemassen auf eine andere, der beklagten Partei wirtschaftlich zumutbare und die Interessen der unterliegenden Industrieunternehmungen berücksichtigende Art nicht möglich war. Die klagende Partei vermeint nur, daß ein Verschulden der beklagten Partei schon heute feststehe, weil ein biologischer Sachverständiger den Besprechungen über die Durchführung der Stauraumspülung nicht zugezogen wurde, weil die beklagte Partei die Schlammassen vor der Schnellspülung nicht untersucht habe sowie weil sie mit dem Vorhandensein großer Schlammassen rechnen mußte und daher eine Schnellspülung nicht hätte vornehmen dürfen. Alle diese Umstände mögen bei Beurteilung der Frage von Bedeutung sein, ob die Stauraumspülung von der beklagten Partei mit der ihr zumutbaren Rücksichtnahme auf die Fischbestände in der Mur vorgenommen wurde, können aber für sich allein nicht aus dem Zusammenhang gerissen und somit erst nach Anhören eines technischen Sachverständigen abschließend beurteilt werden.
3. Zur Frage des Entganges der Gebühren für Fischereierlaubnisscheine.
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß das Begehren der klagenden Partei auf Ersatz der ihr entgehenden Gebühren für Fischereierlaubnisscheine ein Begehren auf Ersatz entgangenen Gewinnes ist, kann nicht geteilt werden. Die klagende Partei begehrt einen Betrag von 17.500 S deshalb, weil sie ihren 350 Mitgliedern die Gebühren für die Fischereierlaubnisscheine 1956 in dieser Höhe habe zurückzahlen müssen. Wenn die klagende Partei tatsächlich zur Rückzahlung dieser Gebühren verpflichtet war, dann hätte das schädigende Ereignis eine Vermehrung ihrer Passiven zur Folge und stellt sich somit als tatsächlicher Schaden der Stauraumschnellspülung und nicht als entgangener Gewinn dar. Der Betrag von 52.500 S wird deshalb begehrt, weil nach der Behauptung der klagenden Partei als Folge des Fischsterbens in der Mur durch drei Jahre nicht gefischt werden darf, wenn der frühere Zustand wiederhergestellt werden soll. Soweit durch das Fischsterben in der Mur am 12. Mai 1956 Fische zugrunde gegangen sind, die sich die klagende Partei kraft ihrer Fischereirechte aneignen durfte und die daher weder durch unmittelbares Abfischen durch die klagende Partei noch durch Abfischen durch ihre Mitglieder gewonnen werden konnten, erleidet die klagende Partei einen Nachteil im Sinne des ersten Satzes des § 1293 ABGB. Dieser Nachteil wirkt sich in der Unmöglichkeit der Verwertung der Fische durch Ausgabe von Fischereierlaubnisscheinen aus und ist somit eine Minderung der Aktiven der klagenden Partei (Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 38) und damit ein wirklicher Schaden und nicht entgangener Gewinn. Ein solcher Nachteil kann nicht anders beurteilt werden als der Nachteil, den zum Beispiel ein Landwirt erleidet, der seine Ernte nicht verkaufen kann, weil sie ihm von einem anderen schuldhaft in Brand gesteckt wurde, oder der Nachteil, den ein Kaufmann erleidet, dessen Waren durch Fahrlässigkeit eines anderen beschädigt oder zerstört wurden. Wenn in den Gebühren für die Fischereierlaubnisscheine - wirtschaftlich gesehen - eine gewisse Gewinnquote der klagenden Partei stecken sollte, würde dies bei Feststellung der Höhe des eingetretenen Schadens zu berücksichtigen sein, falls im Verhalten der beklagten Partei nicht eine auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 1331 ABGB. zu erblicken wäre.
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