OGH 2Ob140/56 (2Ob118/56)

OGH2Ob140/56 (2Ob118/56)29.2.1956

SZ 29/17

Normen

Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §79 Abs2
ZPO §237
Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §79 Abs2
ZPO §237

 

Spruch:

Spruchrepertorium Nr. 44 neu.

Unter gleichzeitigem Verzicht auf den Anspruch kann der Kläger im Eheverfahren seine Klage auch gegen den Willen des Beklagten bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen.

Entscheidung vom 29. Februar 1956, 2 Ob 118, 140/56.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 21. Jänner 1955 hat der Ehemann zu 12 Cg 28/55 des Erstgerichtes aus dem Gründe des § 55 EheG. auf Scheidung geklagt. Die Ehefrau ist ihm am 23. Juli 1955 zu 12 Cg 309/55 des Erstgerichtes mit einer auf § 49 EheG. gestützten Widerklage entgegengetreten. Die Klagen wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 12. Oktober 1955 nahm der Ehemann seine Klage mit Zustimmung der Beklagten und Widerklägerin zurück und schloß mit ihr für den Fall der Ehescheidung (auf Grund der aufrecht gebliebenen Widerklage) einen Vergleich, in dem er sich zur Unterhaltsleistung an die Frau verpflichtete. Danach verkundete der Erstrichter das Urteil auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Mannes, dem auch der Prozeßkostenersatz auferlegt wurde. Einen Rechtsmittelverzicht gaben die Parteien nicht ab. Die schriftliche Ausfertigung des Urteils wurde ihnen am 3. November 1955 zugestellt.

Noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist tat die Frau - die sich nach der ganzen Aktenlage nur sehr schwer hatte dazu bestimmen lassen, der vom Ehemann angestrebten Ehescheidung keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen - zweierlei: In einem besonderen Schriftsatz erklärte sie, nach reiflicher Überlegung ihre Scheidungsklage unter Verzicht auf den Anspruch zurückzunehmen. Außerdem erhob sie Berufung gegen das Scheidungsurteil; es sollte in eine Abweisung ihrer Klage abgeändert werden. Auf gerichtliche Aufforderung gab der Ehemann die Erklärung ab, mit der Klagsrücknahme seiner Frau nicht einverstanden zu sein. Überdies erstattete er rechtzeitig eine Berufungsmitteilung, in der er auf seine eindeutige, schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 Ehe hinwies und den Antrag stellte, die Berufung der Frau als unbegrundet abzuweisen.

Das Erstgericht sprach mit Beschluß vom 29. November 1955 aus, daß es die von der Frau erklärte Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht nicht zur Kenntnis nehme; es meinte, daß die speziell für das Eheverfahren durch den § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. geschaffene Möglichkeit, die Klage auch noch nach Schluß der mündlichen Streitverhandlung, und zwar bis zur Rechtskraft des Urteils, zurückzunehmen, jedenfalls eine Zustimmung des Beklagten voraussetze.

Die Frau bekämpfte diesen Beschluß mit Rekurs; sie wollte erreichen, daß ihre Klagsrücknahme zur Kenntnis genommen werde.

Berufung wie Rekurs wurden der zweiten Instanz vorgelegt. Diese schloß sich den Ausführungen Novaks (Die Amtswegigkeit im österreichischen Eheverfahren und ihre Grenzen, S. 45 f.) an, zog aus der Nebeneinandergeltung der Bestimmungen des § 237 ZPO. und des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. den Schluß, daß der Ehekläger seine Klage bis zur Rechtskraft des Urteils entweder mit Zustimmung des Beklagten, dann auch ohne Verzicht auf den Anspruch, oder ohne die Zustimmung des Beklagten, dafür aber unter Anspruchsverzicht, zurücknehmen dürfe, hielt nur diese Ansicht mit dem dem Eherecht innewohnenden Grundgedanken des favor matrimonii für vereinbar und verwies auch darauf, daß eine Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht die neuerliche Geltendmachung des Anspruchs verhindere, den Beklagten daher nicht beschwere. So kam es zu dem Ergebnis, daß es einerseits (in seiner Eigenschaft als Rekursgericht) den angefochtenen erstgerichtlichen Beschluß abänderte und die Zurücknahme der Klage unter Verzicht auf den Anspruch zur Kenntnis nahm, andererseits (in seiner Eigenschaft als Berufungsgericht) die Berufung der Ehefrau gegen das (ihrem erklärten Interesse zuwiderlaufende) Scheidungsurteil als gegenstandslos geworden auf die Rekursentscheidung verwies.

Der Ehemann bekämpfte die zweitinstanzliche Entscheidung mit "Revisionsrekurs" und stellte den Antrag, den erstinstanzlichen Beschluß, mit dem die Klagsrücknahme nicht zur Kenntnis genommen wurde, wiederherzustellen und dem "Rekursgericht" die Sachentscheidung über die Berufung der Ehefrau aufzutragen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rechtsmittel des Ehemannes nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Das Rechtsmittel enthält in Wahrheit sowohl einen Revisionsrekurs gegen die zweitinstanzliche Rekursentscheidung als auch einen Rekurs gegen den zweitinstanzlichen Beschluß, mit dem die Berufung als gegenstandlos geworden auf die Rekursentscheidung verwiesen, einer Sachprüfung daher nicht unterzogen wurde. Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil er sich gegen eine abändernde Rekursentscheidung richtet; die Zulässigkeit des Rekurses ergibt sich aus einer sinngemäßen Anwendung des § 519 Z. 1 ZPO. Beide Rechtsmittel sind aber unbegrundet.

Der Oberste Gerichtshof hat zu der hier umstrittenen Frage noch nicht ausdrücklich Stellung bezogen, und die Literatur zum Abs. 2 des § 79 der 1. DVzEheG. (angefügt durch den § 22 der 4. DVzEheG., DRGBl. 1941 I S. 654) ist spärlich. Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. S. 341, und Schwind, Kommentar zum österreichischen Eherecht, S. 319, begnügen sich mit einem Hinweis auf den Gesetzestext; Schwind hebt nur noch hervor, daß die Vorschrift des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. dem favor matrimonii dient und einen deutlichen Beleg für die Dispositionsmaxime darstellt. Köstler, Österreichs Eherecht, 4. Aufl. S. 26, 38, geht ohne weiteres vom Wortlaut des § 79 Abs. 2 der

1. DVzEheG. aus und läßt, ohne nähere Begründung, indirekt erkennen, daß er eher auf dem Boden der erstinstanzlichen Auffassung steht. Lediglich Novak hat in der schon vom Zweitgericht zitierten Monographie zu der sich aus dem Nebeneinandergelten des § 237 ZPO. und des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. ergebenden Problematik ausführlich Stellung genommen. Er hat darauf hingewiesen, daß der deutsche Ehegesetzgeber die Besonderheiten der österreichischen Prozeßrechtslage außer acht ließ, daß er im deutschen Prozeßrecht befangen war - das die dem österreichischen Recht (seit der 1. GerEntlNov., Art. VI Z. 12) geläufige, qualifizierte Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht überhaupt nicht kennt, sondern im § 271 DZPO. (der den § 237 ÖZPO. ersetzt) nur die einfache Klagsrücknahme behandelt und auf den Anspruchsverzicht die Fällung eines Verzichtsurteils folgen läßt (§ 306 DZPO.) -, und daß er sich deshalb auch gar nicht veranlaßt sah, die ihm nicht bekannte qualifizierte Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht bei der Normierung des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. mitzubehandeln. Novak vertritt daher die Ansicht, daß der § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG., ursprünglich den Aspekten der §§ 614a und 271 DZPO. folgend, seinen Sinn verändern mußte, sobald er als bloße Zusatzbestimmung in den Geltungsbereich des § 237 ZPO. eintrat (a. a. O. S. 61 Anm. 19), daß er also nur im Zusammenhang mit dem § 237 ZPO. verstanden werden kann - der, soweit er die Klagsrücknahme überhaupt gestattet, einen an sich zulässigen Widerstand des Beklagten durch den Anspruchsverzicht des Klägers brechen läßt -, und gelangt so zu seiner schon vom Berufungsgericht wiedergegebenen Auffassung.

Der Oberste Gerichtshof tritt dieser Meinung bei, weil er nicht einzusehen vermag, warum gerade im Eheverfahren die Grundsätze des in Geltung gebliebenen § 237 ZPO. den andersartigen Grundsätzen des § 271 DZPO. weichen sollten. Außerdem hat der Oberste Gerichtshof in wiederholten und die verschiedensten Rechtsgebiete berührenden Entscheidungen immer an der Ansicht festgehalten; daß die vom deutschen Gesetzgeber stammenden und in Österreich nach 1945 weitergeltenden Normen nur im Zusammenhang mit den österreichischen Rechtsvorschriften ausgelegt werden dürfen (vgl. etwa nur die Entscheidung JBl. 1946 S. 372 betreffend den § 39 EheG. oder auch den Spruch Nr. 35 neu, SZ. XXV 61, betreffend den § 7 KSchAusfV.). Der Oberste Gerichtshof hat keinen Anlaß, von dieser seiner grundsätzlichen Einstellung abzugehen, legt daher den § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. nur im Zusammenhalt mit dem § 237 ZPO. aus und billigt die Auffassung Novaks.

Nur am Rand sei erwähnt, daß der Rechtsmittelwerber den von ihm angestrebten Erfolg - die Frau zur Aufrechterhaltung ihres Scheidungsbegehrens zu zwingen, um auf diese Weise ein die Ehescheidung aussprechendes Urteil nicht zu verlieren - auch nach deutschem Recht nicht erreichen würde. Dort könnte nämlich die Frau zwar ihre Klage nicht mehr ohne Zustimmung des Mannes zurücknehmen (§ 271 DZPO.), sie könnte aber sogar noch in der Revisionsinstanz auf ihren Scheidungsanspruch verzichten, und dieser Verzicht hätte zur Folge, daß entweder auf Antrag des Mannes ein klagsabweisliches Verzichtsurteil gefällt oder aber, falls der Mann einen solchen Antrag nicht stellen wollte, die Hauptsache für erledigt erklärt würde (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Aufl. S. 762, Stein - Jonas - Schönke, Kommentar zur DZPO., 18. Aufl. zu § 306 und zu § 617 II 2). Der Weg des deutschen Rechts ist also vielleicht etwas umständlicher, er führt aber zum gleichen Ergebnis:

der Anspruchsverzicht des Scheidungsklägers steht der Fällung eines auf Ehescheidung lautenden Urteils entgegen.

Das dem Rechtsmittelwerber vorschwebende Recht auf eine Urteilsfällung im Sinn des ursprünglichen, aber nicht mehr aufrecht erhaltenen Urteilsantrages der Frau muß daher negiert werden.

War aber die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht, wie das Zweitgericht zutreffend erkannt hat, wirksam und trotz des Widerspruchs des beklagten Mannes zur Kenntnis zu nehmen, so erledigte sich auch die Berufung der Frau, weil das erstinstanzliche Urteil gemäß § 79 Abs. 2 2. Satz der 1. DVzEheG. seine Wirkung verloren hat. Die gegen dieses nicht mehr wirkende Urteil erhobene Berufung geht ins Leere und wurde vom Zweitgericht mit Recht als gegenstandslos behandelt.

Beiden Rechtsmitteln war der Erfolg zu versagen.

Unter einem hat der zweite Senat beschlossen, den eingangs angeführten Rechtssatz unter Nr. 44 neu in das Spruchrepertorium einzutragen.

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