OGH 2Ob284/54

OGH2Ob284/5414.4.1954

SZ 27/102

Normen

ZPO §104
ZPO §111
ZPO §115
ZPO §116
ZPO §477 Abs1 Z4
ZPO §104
ZPO §111
ZPO §115
ZPO §116
ZPO §477 Abs1 Z4

 

Spruch:

Wurde für eine Partei, obwohl die Voraussetzungen nach § 111 ZPO. vorlagen, gemäß § 116 ZPO. ein Kurator bestellt, so sind die Zustellung an den Kurator für die Partei und das gesamte mit dem Kurator durchgeführte Verfahren gemäß § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO. nichtig.

Entscheidung vom 14. April 1954, 2 Ob 284/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Ebreichsdorf; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.

Text

Der Beklagte bestritt bei der mündlichen Streitverhandlung das Klagevorbringen und beantragte Klageabweisung. Da die Ladung zur neuerlichen Streitverhandlung als "unbekannt, verzogen" zurückkam, fragte das Prozeßgericht beim Zentralmeldeamt an. Diese Anfrage beantwortete das Zentralmeldungsamt Wien am 8. Oktober 1952 damit, daß der Beklagte aus Wien, 21., D.-Straße 115, am 5. September 1952 "unbekannt wohin ab- und seither nicht neu gemeldet wurde". Diese Auskunft gab dem Erstgericht bereits Veranlassung zur amtswegigen Bestellung eines Kurators für den Beklagten wegen unbekannten Aufenthalts. Am 5. November 1952 gab der Beklagte dem Prozeßgericht als seine neue Anschrift Wien, 21. Bezirk, E. Nummer 23, bekannt, worauf mit Verfügung vom 21. November 1952 der Kurator wegen nunmehr bekannter Anschrift des Beklagten enthoben wurde. Da die Ladung des Beklagten für die Streitverhandlung vom 20. Jänner 1953 wegen Unbekanntheit des derzeitigen Aufenthaltes des Beklagten wieder als unbestellbar zurückkam, verfügte das Gericht neuerdings von Amts wegen die Bestellung des früheren Kurators für den Beklagten.

Das Erstgericht gab mit Urteil vom 29. Jänner 1953 dem Klagebegehren statt.

Infolge Berufung des für den Beklagten einschreitenden Kurators hob das Berufungsgericht das Urteil der ersten Instanz auf und verwies die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht zurück. In den Gründen des Aufhebungsbeschlusses nimmt es auch zur Frage der "Zulässigkeit der Berufung" Stellung und führt hiezu aus, daß bei Beachtung des § 111 ZPO. die vom Erstrichter amtswegig vorgenommene Bestellung eines Kurators für den Beklagten, als dieser wegen Wechsels des Wohnortes und Arbeitsplatzes für weitere Zustellungen im Verfahren unerreichbar wurde, dem Gesetz nicht entsprach. Richtigerweise wäre das Verfahren in erster Instanz nach postamtlicher Hinterlegung der unbestellbaren Sendungen ohne Beiziehung eines Kurators, entsprechenden Antrag der klagenden Partei vorausgesetzt, allenfalls nach § 399 ZPO. zu beendigen gewesen. Trotz gesetzwidriger Kuratorbestellung könne jedoch eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit, insbesondere jene nach § 477 Z. 5 ZPO. nicht gefunden werden, weil der Beschluß über die Kuratorbestellung rechtskräftig wurde, somit nach § 462 Abs. 2 ZPO. einer Behebung durch das Berufungsgericht entzogen sei, und die Interessen des Beklagten offenbar nicht beeinträchtigt werden, wenn für ihn im Verfahren ein bestellter Vertreter, obschon auch nur Pseudovertreter, einschreite.

Das Erstgericht hat nach Anzeige neuer Anschriften des Beklagten durch den Kurator diesen und den Beklagten zu der für 20. Oktober 1953 anberaumten fortgesetzten Streitverhandlung geladen. Der Beklagte hat die Ladung zu diesem Termin laut Zustellnachweis erhalten, ist jedoch zur Verhandlung nicht erschienen. Diese Streitverhandlung ist ebenso wie die spätere vom 15. Dezember 1953 mit dem Kurator durchgeführt worden. Zu der für 15. Dezember 1953 angeordneten letzten Streitverhandlung ist der Beklagte unter der Anschrift G.-Hauptstraße 68, neuerdings geladen worden, doch kam das Zustellstück mit dem Postvermerk zurück, daß der Empfänger aus G. ohne nähere Anschrift verzogen ist.

Das zweite Urteil des Erstgerichtes lautete wiederum auf Verurteilung des Beklagten im Sinne des Klagebegehrens.

Die vom Kurator des Beklagten erhobene Berufung hatte keinen Erfolg. Aus Anlaß der Revision des Kurators hob der Oberste Gerichtshof die unterinstanzlichen Entscheidungen und das vorangegangene Verfahren einschließlich der Bestellung des Kurators als nichtig auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach Auffassung des Revisionsgerichtes liegt eine von amtswegen zu beachtende Nichtigkeit vor. Die Partei, welche während des Prozesses den Wohnort oder die Wohnung ändert, hat hievon dem Gerichte Mitteilung zu machen. Wird diese Anzeige unterlassen und ist die Person infolge der Wohnungsänderung nicht mehr zu finden, so sind alle weiteren, die Streitsache betreffenden Zustellungen am bisherigen Zustellungsorte nach den Vorschriften des § 104 ZPO. mit der Maßgabe vorzunehmen, daß sich die im § 104 Abs. 1 ZPO. geforderte Verständigung auf die mündliche Mitteilung an den im selben Hause wohnenden Vermieter oder an eine von diesem bestellte, ebenda wohnhafte Aufsichtsperson zu beschränken hat (§ 111 ZPO.). Wenn glaubhaft gemacht wird, daß der Aufenthalt einer Person, an welche eine Zustellung erfolgen soll, unbekannt ist, kann die Zustellung auf Antrag, sofern nicht die Bestimmungen des § 111 ZPO. zur Anwendung zu kommen haben, durch öffentliche Bekanntmachung vollzogen werden (§ 115 ZPO.). Für Personen, an welche die Zustellung wegen Unbekanntheit des Aufenthaltes nur durch öffentliche Bekanntmachung geschehen könnte, hat das Gericht auf Antrag oder von amtswegen einen Kurator zu bestellen (§ 9 ZPO.), wenn diese Personen infolge der an sie zu bewirkenden Zustellung zur Wahrung ihrer Rechte eine Prozeßhandlung vorzunehmen hätten und insbesondere, wenn das zuzustellende Schriftstück eine Ladung derselben enthält (§ 116 ZPO.). Aus den bezogenen Bestimmungen erhellt, daß die Bestellung des Kurators durch das Prozeßgericht erster Instanz gegebenenfalls dem Gesetze widersprach. Da der Beklagte erst während des Prozesses seine Wohnung gewechselt hat, war bei allen folgenden Zustellungen das im § 111 ZPO. vorgesehene Verfahren zu beobachten. Weder eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung im Sinne des § 115 ZPO. noch die Zustellung an den Kurator im Sinne des § 116 ZPO. kamen in Frage. Wurde aber ein Kurator nach § 116 ZPO. bestellt, obwohl die Voraussetzungen hiezu nicht vorlagen, so war die Zustellung an denselben gegen die Partei, für welche er bestellt wurde, nichtig und der mit dem Kurator durchgeführte Prozeß und die etwa gefällten Entscheidungen im Sinne des § 477 Z. 4 ZPO. ebenfalls nichtig (21. Februar 1907, GlU. 3707; 7. März 1898, Z. 3550, Pravnik 1899, S. 328 ff; Neumann 1. Band, Seite 678).

Da es sich um eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit (§§ 513, 471 Z. 7 ZPO.) handelt, waren die untergerichtlichen Entscheidungen und das ihnen vorangegangene Verfahren bis zu der im Spruch angeführten Bestellung des Kurators zurück aufzuheben und die Sache an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung zurückzuverweisen (§ 510 Abs. 2 ZPO.).

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