OGH 1Ob39/54

OGH1Ob39/5424.2.1954

SZ 27/46

Normen

ABGB §276
ZPO §116
ZPO §477 Abs1 Z5
ZPO §529 Abs1 Z2
ABGB §276
ZPO §116
ZPO §477 Abs1 Z5
ZPO §529 Abs1 Z2

 

Spruch:

Kein Nichtigkeitsgrund nach § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO., wenn für eine Partei ein Kurator in einem formrichtigen Verfahren, aber auf Grund eines von der anderen Partei fahrlässig gestellten Antrages gestellt wurde.

Entscheidung vom 24. Feber 1954, 1 Ob 39/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Favoriten; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger begehrt, das Verfahren ab Zustellung der Kündigung an den Kurator Wilhelm T. als nichtig zu erklären sowie die Kündigung selbst aufzuheben. Die Bestellung des Kurators sei ungesetzlich gewesen, weil der kundigenden Partei der Aufenthalt des Klägers bekannt gewesen sei.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens, weil sie alles getan habe, um den Aufenthaltsort des Klägers auszuforschen. Ihr Bemühen sei erfolglos gewesen.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab.

Das Erstgericht bejahte die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage, verneinte aber das Vorliegen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes. Das beiderseitige Gehör sei nicht verletzt worden, weil der Kläger durch einen formell richtig bestellten Abwesenheitskurator vertreten gewesen sei. Die Frage, ob überhaupt ein Abwesenheitskurator hätte bestellt werden sollen, könne nicht im Wege der Nichtigkeitsklage geprüft werden. Im übrigen seien die Voraussetzungen für die Bestellung eines Abwesenheitskurators gegeben gewesen. Die beklagte Partei habe über den Aufenthalt des Klägers Erkündigungen eingezogen, die negativ verlaufen seien.

In ihrer Personalabteilung habe sie nicht nachforschen müssen.

Der Berufung der klagenden Partei gab das Berufungsgericht Folge, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Klage zurück. Aus der zur Auslegung dieses Spruches heranzuziehenden Begründung ergibt sich, daß das Berufungsgericht die Berufung für unbegrundet hielt, daß jedoch nach seiner Meinung die Klage, die auf keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt sei, als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung vom Erstgericht zurückzuweisen gewesen wäre. Die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage leitet das Berufungsgericht daraus ab, daß der Kläger in Wahrheit die nicht ordnungsgemäße Zustellung der Aufkündigung geltend mache, womit aber gemäß dem Spruch Nr. 29 (SZ. XXIV/100) eine Nichtigkeitsklage nicht begrundet werden könne.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zuzustimmen ist dem Rekurswerber allerdings darin, daß die Nichtigkeitsklage nicht - wie das Berufungsgericht meint - deswegen unzulässig ist, weil sie bloß darauf gegrundet wird, daß die Aufkündigung nicht ordnungsgemäß zugestellt sei (Spr. Nr. 29 = SZ. XXIV/100). Dies ist nicht der Fall. Die Klage beruht nicht auf der Unterlassung oder Gesetzwidrigkeit der Zustellung an den Nichtigkeitskläger, sondern darauf, daß ein Abwesenheitskurator nicht hätte beantragt und nicht hätte bestellt werden dürfen, weil der beklagten Partei bei ausreichender Aufmerksamkeit die Anschrift des Klägers hätte bekannt sein müssen. Hiezu hat der Erstrichter auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. III/122 verwiesen, in der die Frage, ob ein Kurator zu bestellen gewesen sei, im Verfahren über die Nichtigkeitsklage nicht nachgeprüft wurde, weil die Bestellung nach der Aktenlage in gesetzesgemäßer Form erfolgte und weil sie in dem für diese Bestellung in Betracht kommenden außerstreitigen Verfahren nicht bekämpft wurde. Im Verfahren über eine Nichtigkeitsklage kann nach der Auffassung dieser Entscheidung nicht überprüft werden, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Kurators vorhanden gewesen seien und ob die Bestellung gerechtfertigt gewesen sei.

Der Hinweis des Rekurswerbers auf die Entscheidungen GlU. 2165 und 7437 ist nicht ausschlaggebend, weil diese Entscheidungen lange vor Erlassung der ZPO. ergangen sind. Im übrigen handelt es sich in beiden Fällen um wissentliches Verschweigen, während hier bloß Fahrlässigkeit der Beklagten bei Stellung des Antrages auf Bestellung eines Abwesenheitskurators behauptet wird. Neumann behandelt an der vom Kläger ins Auge gefaßten Stelle (Zivilprozeßgesetze, 2. Aufl., S. 1408, nicht 1488) einen anderen Fall, nämlich den des Kurators nach § 116 ZPO., wobei die formellen Voraussetzungen zur Bestellung fehlen. § 563 der ungarischen ZPO., Gesetzartikel I/1911, den der Kläger rechtsvergleichend heranzieht, sieht die Wiederaufnahmsklage nur für den Fall der Verschweigung des bekannten Aufenthaltes des Beklagten, nicht aber bei fahrlässiger Antragstellung vor. In derselben Richtung geht übrigens auch die deutsche Rechtslehre zu § 580 Z. 4 ZPO., wodurch ein die Restitutionsklage begrundender Betrug durch Erschleichung der öffentlichen Zustellung begangen werden kann (Stein - Jonas - Schönke, Kommentar zur ZPO., 18. Auflage, § 580, II, 4 b). Hinzuweisen ist schließlich auch noch auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 15. 5. 1950, 4 Ob 25/50, SZ. XXIII/151, wonach der Zahlung an den Abwesenheitskurator schuldbefreiende Wirkung zukommt, es sei denn, daß der Schuldner die Kuratorbestellung wider besseres Wissen veranlaßt, also erschlichen hat. Auch hier wird also böse Absicht gefordert. Überdies ist zu beachten, daß es sich um die materiellrechtliche Wirksamkeit der Zahlung und nicht um die Frage der prozessualen Vertretungsbefugnis des Abwesenheitskurators handelte. In allen diesen Fällen ist die Erschleichung des Kurators, also eine Antragstellung wider besseres Wissen vorausgesetzt (im gleichen Sinne auch noch OHG. 5. 5. 1951, 2 Ob 802/50; 4. 2. 1953, 1 Ob 657/52). Hievon ist aber im vorliegenden Fall nicht die Rede, da nur Fahrlässigkeit der beklagten Partei bei Beantragung des Kurators behauptet wird. Ein allenfalls fahrlässiges Vorgehen der beklagten Partei bei der Beantragung des Abwesenheitskurators könnte aber - jedenfalls solange die Bestellung nicht widerrufen ist - nicht dazu führen, daß die auf einen solchen Sachverhalt gestützte Nichtigkeitsklage begrundet wäre. Hiezu fehlen gesetzliche Voraussetzungen. Der Kurator ist vom Gericht in einem formrichtigen Verfahren bestellt und nicht enthoben worden, so daß nicht gesagt werden kann, daß die Partei im Prozeß nicht vertreten gewesen wäre (§ 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO.).

Abschließend ist nur noch zu bemerken, daß den Ausführungen Sperls, Lehrbuch S. 700, die Nichtigkeitsklage sei zulässig, wenn jemand geklagt werde mit der Angabe, er sei abwesend und ein Kurator sei aufgestellt worden, er aber tatsächlich anwesend gewesen sei, in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden kann, weil dabei außer acht gelassen ist, daß eben ein in einem formrichtigen Verfahren ergangener und wirksamer Beschluß des Außerstreitrichters vorliegt. Entscheidend bleibt, daß das Verfahren mit einem formrichtig bestellten Vertreter des Klägers durchgeführt wurde, was den Nichtigkeitsklagegrund des § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. jedenfalls im vorliegenden Fall ausschließt, in dem eine Erschleichung des Kurators nicht behauptet wurde.

Dem im Ergebnis unbegrundeten Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

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