OGH 3Ob549/53

OGH3Ob549/5318.11.1953

SZ 26/283

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §905
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1419
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1420
HGB §354
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §905
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1419
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1420
HGB §354

 

Spruch:

Der rechtliche Erfüllungsort einer nicht auf Vertrag beruhenden Judikatschuld ist auch dann der Wohnsitz des Beklagten, wenn sich die Sache an einem anderen Ort befindet.

Rückstellungsverpflichtung ist Hol-, keine Bringschuld.

§ 354 HGB. ist nicht anwendbar, wenn ein Kaufmann, der von einem Dritten, mit dem er in keinem Vertragsverhältnis steht, auf Herausgabe einer Sache geklagt wird, diese Sache nach Rechtskraft der Verurteilung weiter aufbewahrt.

Entscheidung vom 18. November 1953, 3 Ob 549/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt - Wien; II. Instanz:

Handelsgericht Wien.

Text

Mit rechtskräftigem Rückstellungserkenntnis wurde die Klägerin schuldig erkannt, einen Wasserröhrenkessel an die Beklagte zurückzustellen. Da diese den Kessel trotz zweimaliger Aufforderung nicht abholte, begehrt die Klägerin mit der vorliegenden Klage die Bezahlung von Lagerzins.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, da es sich um eine Bringschuld handle und daher schon aus diesen Erwägungen das Begehren auf Zahlung eines Lagergeldes gemäß § 354 HGB. nicht berechtigt sei.

Der dagegen seitens der Klägerin erhobenen Berufung wurde Folge gegeben, das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftsvorbehalt aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht vertrat hiebei die Rechtsansicht, daß die Rückstellungsverpflichtung der Klägerin, die den Kessel weder vom Entzieher noch von dessen Nachmann erworben, sondern ihn als Bestandteil ihres Unternehmens auf Grund eines Rückstellungserkenntnisses erhalten habe, mangels Vorliegens einer Vermögensentziehung keine Bringschuld, sondern eine Holschuld darstelle. Abgesehen von der Lösung dieser Frage müsse jedoch der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Lagergeld dann bejaht werden, wenn die Beklagte eine Bekanntgabe dahingehend, wohin der Kessel zurückzustellen sei, unterlassen und zur Aufforderung der Klägerin, den Kessel abzuholen, überhaupt nicht Stellung genommen habe, da sie damit in Annahmeverzug geraten und somit verpflichtet sei, Lagerzins zu bezahlen, bis sie geeignete Dispositionen treffe. Das erstinstanzliche Verfahren erweise sich jedoch als mangelhaft, da die Erörterung der Fragen, ob und welche Stellung die Beklagte zur Aufforderung der Klägerin, den Kessel abzuholen, genommen habe, weiters über die Höhe desAnspruches sowie über die eingewendete Gegenforderung noch erforderlich sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichtshof kann sich der Auffassung des Rekurses, daß es sich gegenständlich um eine Bringschuld handle, nicht anschließen.

Das Rückstellungserkenntnis löst die Frage, ob die in Rede stehende Maschine eine Bringschuld oder eine Holschuld sei, nicht. Das Rekursgericht muß daher über diese im Vorerkenntnis offengelassene Frage selbst entscheiden.

Das Rückstellungsrecht verpflichtet den Rückstellungspflichtigen nur zurHerausgabe der entzogenen Sache. Darüber hinausgehende Verpflichtungen können ihm nur dann auferlegt werden, wenn er oder der unmittelbare Entzieher im übrigen nicht als redliche Erwerber anzusehen sind. Nach der ständigen Rückstellungspraxis können sie nur in diesem Falle zu einer über die Herausgabe hinausgehenden Verpflichtung, zu einem Tun oder zur Schadenersatzleistung verpflichtet werden. Daß der Kläger oder sein Rechtsvorgänger nicht als im übrigen "redliche Erwerber" anzusehen sind, ist im Verfahren gar nicht behauptet worden. Sie sind daher nicht verpflichtet gewesen, die Maschine dem Beklagten zuzustellen.

Eine solche Verpflichtung kann auch nicht aus § 1420 ABGB. abgeleitet werden. Da die Streitteile in keinem Vertragsverhältnis stehen und die Beklagte nur auf Grund der Entziehung, also eines quasi deliktischen Tatbestandes die Herausgabe vom Kläger als dem späteren Erwerber nach einer Entziehung, verlangt hat, kommt nur diese Gesetzesstelle und nicht etwa § 905 ABGB. in Frage. Die alte Fassung des § 1420 ABGB. bestimmte eindeutig, daß am Wohnort des Schuldners zu erfüllen ist. § 1420 neue Fassung enthält keine ausdrückliche Bestimmung des Erfüllungsortes, sondern verweist auf § 905 neue Fassung. Eine materiellrechtliche Änderung ist dadurch nicht eingetreten, weil § 905 ABGB. die früher zwischen § 905 und § 1420 ABGB. bestehende Diskrepanz dadurch beseitigt hat, daß er die Normierung des § 1420 (alt) ABGB. übernommen hat (Herrenhausbericht z. TN. S. 272). Der rechtliche Erfüllungsort einer nicht auf Vertrag beruhenden Judikatschuld ist also der Wohnsitz des Beklagten, u. zw. auch dann, wenn sich die Sache an einem anderen Ort befindet. § 1420 ABGB. hat demnach mit der Frage, ob eine Schuld als Holschuld oder Bringschuld zu qualifizieren ist, überhaupt nichts zu tun; umso weniger kann aus § 1420 ABGB. abgeleitet werden, daß eine an einem dritten Ort befindliche Sache wo anders als an dem Ort faktisch zurückzustellen ist, wo sie sich befindet. Der rechtliche Erfüllungsort ist nur für die Rechtsfolgen maßgebend, die an den Erfüllungsort geknüpft sind, wie insbesondere die Währungsfrage bei Geldschulden. Eine Überbringungspflicht kann also aus § 1420 ABGB. nichtabgeleitet werden, eher umgekehrt, daß eine Überbringungspflicht grundsätzlich nicht vorliegt, weil bei Annahme eines Zusammenfallens von Erfüllungsort und faktischem Leistungsort angenommen werden mußte, daß am Wohnsitz des Schuldners zu leisten ist und nicht an dem Ort, wo die herauszugebende Sache zur Zeit der Entziehung sich befunden hat. All das muß um so mehr dann gelten, wenn es sich um eine Platzverschiedenheit innerhalb desselben Ortes handelt, weil die Frage der Überbringungspflicht in beiden Fällen gleich entschieden werden muß. Eine Bringschuld ist demnach zu verneinen.

Bei Annahme einer Holschuld ist aber nachstehendes zu erwägen: Wenn auch der Schuldner, der zur Herausgabe auf Grund einer außervertraglichen Herausgabeverpflichtung keinen Anspruch auf Liberierung besitzt und der Gläubiger daher durch die Annahmeverweigerung keine Annahmepflicht verletzt, die nicht existiert, so muß sich doch der Gläubiger dem Schuldner gegenüber so verhalten, daß er auf die Interessenlage des Schuldners entsprechend Bedacht nimmt. Er darf nicht den Schuldner, auch wenn dieser von ihm im Klagewege keine Leistung verlangen kann, in eine Situation bringen, wodurch dieser Schaden leidet. Das folgt aus der allgemeinen Menschenpflicht, niemanden zu schädigen.

Der Gläubiger muß daher, wenn er zur Annahme aufgefordert wird, die ihm geschuldete Sache in angemessener Frist abholen lassen. Unterläßt er dies, so gerät er nicht nur in Annahmevertrag (§ 1419 ABGB.), sondern wird er auch schadenersatzpflichtig. Das wäre aber vorliegend anzunehmen, wenn die Beklagte auf die Briefe vom 23. September und 10. Dezember 1952 überhaupt nicht reagiert hat, da auch sonst keine Umstände vorgebracht wurden, welche ein passives Verhalten rechtfertigen würden. Sie durfte den Schuldner, der bereit war, die ersiegte Sache herauszugeben, und ein Interesse daran hatte, sie nicht weiter der Beklagten zur Verfügung halten zu müssen, nicht im Ungewissen lassen, ob und wann sie die ersiegte Sache abholen wird. Durch dieses Verhalten hat sie die unter zivilisierten Menschen bestehenden Verpflichtungen verletzt und haftet daher für den der Klägerin entstandenen Schaden.

Die Schadenersatzpflicht der Beklagten wäre daher unter der erwähnten Voraussetzung grundsätzlich zu bejahen, doch ist die Sache auch bezüglich der Höhe des der Klägerin zustehenden Anspruches und bezüglich des Gegenanspruches der Beklagten nicht spruchreif. Zunächst ist es zweifelhaft, ob Handelsrecht oder bürgerliches Recht zur Anwendung gelangt. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß § 354 HGB. zur Anwendung gelangt. Der Oberste Gerichtshof kann sich dieser Auffassung nicht anschließen.

§ 354 HGB. setzt wohl nicht voraus, daß die Geschäftsbesorgung in die charakteristische Tätigkeit des Handelszweiges des Leistenden fällt, dieGeschäftsbesorgung darf aber nicht aus dem Rahmen der gewerblichen Tätigkeit des Leistenden herausfallen. Das ist aber der Fall, wenn ein Kaufmann, der von einem Dritten, mit dem er in keinem Vertragsverhältnis steht, auf Herausgabe einer Sache geklagt wird, diese Sache nach Rechtskraft der Verurteilung weiter aufbewahrt. Eine solche Aufbewahrung hat mit der gewerblichen Tätigkeit des Leistenden nichts zu tun, weil der Umstand, daß der Herausgabepflichtige Kaufmann ist, für den Herausgabeanspruch völlig bedeutungslos ist, daher auch die Aufbewahrung mit dem Geschäftsbetrieb in keinem Zusammenhang steht. Wie der Kläger in den Besitz des Kessels gelangt ist, ob durch handelsrechtlichen Vertrag oder auf andere Weise, ist gleichfalls irrelevant, weil außerhalb der Beziehungen der beiden Parteien liegend. Es kommen infolgedessen nicht die Bestimmungen des Handelsrechtes, sondern die des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches zur Anwendung.

Nach bürgerlichem Recht kann aber ein Lagergeld schlechthin nicht verlangt werden. Da die Grundsätze der Geschäftsbesorgung ohne Auftrag auf das Verhältnis zwischen dem im reinen Annahmeverzug befindlichen Gläubiger und seinem Schuldner keine Anwendung finden (SZ. V/188), so kann er den Anspruch auf Lagergeld nur auf die Grundsätze des Schadenersatzrechtes schützen. Daß eine Schadenersatzpflicht gegeben ist, wurde aber dargelegt. Es wird daher noch zu erörtern sein, ob der Beklagten nach den Umständen des Falles, wenn sie es trotz wiederholter Aufforderung unterlassen hat, die ersiegte Sache abzuholen, eine grobe Fahrlässigkeit zur Last liegt und die Klägerin Lagergeld somit nicht nur aus dem Titel des tatsächlich erlittenen Schadens, sondern auch des entgangenen Gewinnes begehren kann. Das Verfahren erscheint demnach auch in dieser Richtung ergänzungsbedürftig.

Dem Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß konnte aus diesen Erwägungen nicht Folge gegeben werden.

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