Normen
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §865
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1020
Zivilprozeßordnung §35
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §865
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1020
Zivilprozeßordnung §35
Spruch:
Durch die nachträgliche Handlungsunfähigkeit des Machtgebers erlischt nicht die erteilte Vollmacht.
Entscheidung vom 20. Mai 1953, 3 Ob 327/53.
I. Instanz: Bezirksgericht Radkersburg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Das Erstgericht gab der Interessenklage der im Lauf des Prozesses (4. Juni 1952) verstorbenen Klägerin zum größten Teil Folge.
Auf die Berufung der beklagten Partei hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil sowie das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Die Klage sei am 27. Mai 1952 von der Klägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Erich S., eingebracht worden. Zur Zeit der Klagseinbringung sei die Klägerin bereits rechtskräftig voll entmundigt gewesen (Beschluß des Bezirksgerichtes R. vom 25. April 1952). Die von der Klägerin dem Rechtsanwalt Dr. Erich S. (am 12. Dezember 1951) erteilte Prozeßvollmacht reiche zu dieser Prozeßführung nicht hin. Die zur Führung eines Prozesses erteilte Vollmacht erlösche, wenn der Machtgeber vor Einbringung der Klage handlungsunfähig geworden sei (SZ. VII/290). § 35 ZPO. sei nur auf bereits anhängige Verfahren beschränkt. Das gegenständliche Verfahren sei als ein selbständiges durch die Einbringung der Klage neu beginnendes Verfahren anzusehen, wenn es auch durch ein erfolglos geführtes Exekutionsverfahren veranlaßt worden sei. Der Mangel der gesetzlichen Vertretung könne auch nicht mehr beseitigt werden, weil für die bereits verstorbene Klägerin nachträglich kein Kurator mehr bestellt werden könne, der die bisherige Prozeßführung allenfalls hätte genehmigen können. Das angefochtene Urteil und das ihm vorangegangene Verfahren seien daher gemäß § 477 Z. 5 ZPO. nichtig.
Der Oberste Gerichtshof hob infolge Rekurses der Klägerin den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und wies dieses an, über die Berufung der Beklagten neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof bekennt sich in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung (SZ. XIII/71, in der die gegenteilige, insbesondere in der Entscheidung SZ. VII/290 vertretene Auffassung abgelehnt wird) zur Ansicht, daß durch die nachfolgende Handlungsunfähigkeit des Machtgebers die erteilte Vollmacht nicht erlischt. Der gegenteilige Schluß läßt sich aus § 35 ZPO. nicht ableiten, denn diese Vorschrift will nur den Fortgang des Verfahrens gegen Hemmungen schützen, die sich aus dem Tode oder der Veränderung der Prozeßfähigkeit einer Partei während des Verfahrens ergeben. Die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Fortdauer des Vollmachtsverhältnisses bis zum Beginn der Einleitung eines Rechtsstreites sollten durch die verfahrensrechtliche und in ihrer Wirksamkeit auf das Verfahren beschränkte Bestimmung des § 35 ZPO. nicht berührt werden. Zur Lösung der Frage müssen somit die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über den Bevollmächtigungsvertrag herangezogen werden.
Das ABGB. führt als Auflösungsgrunde des Bevollmächtigungsvertrages (§§ 1020 ff.). "Widerruf, Aufkündigung, Tod und Konkurs" an, nirgends aber spricht das ABGB., das sonst überall den Schutz der Rasenden, Wahnsinnigen, Blödsinnigen usw. im Auge hat, davon, daß der Eintritt der Handlungsunfähigkeit ein gültig zustande gekommenes Vollmachtsverhältnis zum Erlöschen bringe. Die für den Fall des Konkurses geltende Bestimmung des § 1024 ABGB. läßt sich nicht auf Fälle der Handlungsunfähigkeit anwenden. Der Grund des Erlöschens liegt hier darin, daß das Vermögen des Gemeinschuldners überhaupt seiner Verfügung entzogen ist. Da das ABGB. also den Eintritt der Handlungsunfähigkeit nicht als Erlöschensgrund aufzählt, ist der Schluß gerechtfertigt, daß der nachfolgende Eintritt der Handlungsunfähigkeit den Fortbestand von Auftrag und Vollmacht nicht berührt.
Nach § 1 ZPO. ist die Prozeßfähigkeit die Fähigkeit einer Person, selbständig vor Gericht als Partei zu handeln. Ihr Vorhandensein und ihr Umfang sind nach den bestehenden gesetzlichen Anordnungen, also insbesondere nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, zu beurteilen (2. Satz). Ebenso wie die Handlungsunfähigkeit nur die selbständige Eingehung gültiger Verpflichtungen ausschließt, so schließt sie nur das selbständige Handeln der Partei vor Gericht aus. § 35 ZPO. will die Fortdauer der Prozeßvollmacht über das im bürgerlichen Recht statuierte Ausmaß hinaus erweitern und nicht einschränken. Es kann daher nicht angenommen werden, daß eine vor dem Prozeß erteilte Prozeßvollmacht erlischt, wenn die die Vollmacht erteilende Partei vor Prozeßbeginn handlungsunfähig wird, obwohl bei einer bürgerlich-rechtlichen Vollmacht der Eintritt der Handlungsunfähigkeit den Fortbestand der Vollmacht nicht berührt. Die Unfähigkeit der Partei, selbständig vor Gericht zu handeln, hindert daher nicht, daß sie durch einen gesetzlichen Vertreter oder durch einen vor Verlust der Handlungsunfähigkeit gültig bestellten Vertreter vor Gericht als Partei handle. Nur die Erteilung der Vollmacht setzt auf Seite der Partei die Prozeßfähigkeit voraus. Die gültig erteilte Vollmacht berechtigt dagegen den Prozeßbevollmächtigten, für die Partei zu handeln, auch wenn diese infolge später eingetretener Handlungsunfähigkeit nicht mehr fähig ist, selbst als Partei zu handeln. Für die Anwendung der §§ 6, 7 ZPO. fehlen also die Voraussetzungen, wenn die prozeßunfähig gewordene Partei nicht selbst, sondern durch ihren gültig bestellten Vertreter handelt, dessen Vollmacht bei Prozeßbeginn nach den anzuwendenden Bestimmungen des bürgerlichen Rechts noch gültig ist.
Es ist somit belanglos, daß die Klägerin schon vor Einleitung des gegenständlichen Rechtsstreites die Handlungsfähigkeit verloren hat. Die von ihr dem Klageanwalt vor Verlust der Handlungsfähigkeit erteilte Vollmacht berechtigt diesen, da es sich um eine Prozeßvollmacht im Sinne des § 31 ZPO. handelt, zur Durchführung des Prozesses im Namen der Klägerin. Daß die Klägerin im Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht an Dr. S. nicht mehr handlungsfähig gewesen sei, wurde nicht behauptet. Die Klägerin bedarf daher, weil sie in diesem Verfahren rechtsgültig vertreten ist, eines gesetzlichen Vertreters nicht.
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