OGH 4Ob4/53

OGH4Ob4/5324.4.1953

SZ 26/109

Normen

Arbeitsgerichtsgesetz §1
Arbeitsgerichtsgesetz §1

 

Spruch:

Tatsächliches Bestehen der behaupteten Arbeitnehmereigenschaft keine Zuständigkeitsvoraussetzung; anders, wenn die Arbeitnehmereigenschaft nur ein Element für die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit bildet.

Entscheidung vom 24. April 1953, 4 Ob 4/53.

I. Instanz: Arbeitsgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Das Erstgericht hat das auf Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung rückständiger Reisegebühren und rückständigen Urlaubsgeldes gerichtete Klagebegehren abgewiesen, weil zwischen den Streitteilen ein Arbeitsverhältnis nicht bestunde.

Aus Anlaß der vom Kläger erhobenen Berufung hat das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz wegen Nichtigkeit (nach § 477 Abs. 1 Z. 9) aufgehoben und hat die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurückgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug ihm die sachliche Erledigung der Berufung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekurs der beklagten Partei gegen den Aufhebungsbeschluß ist begrundet:

Der vorliegende Rechtsfall berührt ein grundsätzliches Problem, nämlich die Frage, ob die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers, wenn sie bestritten wird, in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren im Rahmen der vom Gesetze vorgeschriebenen Zuständigkeitsprüfung zu untersuchen ist oder ob das Arbeitsgericht der Beurteilung der Zuständigkeit allein das Vorbringen des Klägers zugrunde zu legen und lediglich zu prüfen hat, ob dieses Vorbringen, seine Richtigkeit unterstellt, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes rechtfertigt. Damit im Zusammenhang taucht die weitere Frage auf, ob der Mangel der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers die Zurückweisung der Klage wegen Unzuständigkeit oder deren sachliche Abweisung zur Folge hat.

Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu diesen Fragen ist nicht einheitlich. Während in der vom Berufungsgericht angeführten Entscheidung SZ. XXI/136 der Oberste Gerichtshof - allerdings nur bei "untrennbarem Zusammenhang der Entscheidung über die Zuständigkeit und der in der Sache selbst" sich für die erste Alternative ausgesprochen hat, hat er mit verschiedenen späteren Entscheidungen, so 4 Ob 49/49, 4 Ob 12 und 13/50 (ArbSlg. Nr. 5195) und 4 Ob 14 und 15/50, die gegenteilige Meinung vertreten, daß es nämlich nicht darauf ankomme, ob der Kläger tatsächlich in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, sondern nur darauf, ob er dies behauptet.

Auch die Judikatur des deutschen Reichsarbeitsgerichtes läßt eine einheitliche Linie vermissen, wie ein Vergleich der Entscheidungen vom 2. Juli 1928, Bensheimer, Slg., Band 3, S. 88 und vom 27. April 1929, Bensheimer, Slg., Band 6, S. 43, erkennen läßt. Die überwiegende Rechtsprechung des Reichsgerichtes und des Reichsarbeitsgerichtes - die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Hamburg vom 6. Feber 1950, AP 50 Nr. 194, spricht sogar von einer ständigen Judikatur - vertritt allerdings die Ansicht, daß dann, wen die behaupteten, die Zuständigkeit begrundenden Tatsachen mit den behaupteten und klagebegrundenden Tatsachen zusammenfallen, zur Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes die bloße unbewiesene Behauptung dieser Tatsachen genüge; so insbesondere die Entscheidung des Reichsgerichtes RGZ. 29, S. 371 ff. und RGZ. 61, S. 70 ff. Das Kriterium dafür, ob die kompetenzbegrundenden mit den klagebegrundenden Tatsachen zusammenfallen, ist nach der Entscheidung RGZ. 29, S. 374, darin zu finden, ob die kompetenzbegrundende Tatsache zur Individualisierung des Klagsanspruches gehört, sodaß ihre Änderung im Laufe des Prozesses die Einrede der Klagsänderung begrundet, dagegen ihre Änderung in einem neuen Prozeß bei dem im übrigen unveränderten Tatbestand die Einrede der Rechtskraft ausschließt. "Dann steht und fällt die Zuständigkeit mit dem Anspruch selbst; ein selbständiger Nachweis derselben ist nicht erforderlich." Das ist auch der Standpunkt des neuesten deutschen Schrifttums (vgl. Rosenberg, 4. Aufl., S. 135, Schönke, 7. Aufl., S. 154 und Volkmar - Glosse zu AP 50 Nr. 194 - Arb. Praxis 1950, S. 79/80 -; dagegen Bötticher - Glosse zu Arb. Praxis 1951, Nr. 175 - Arb. Praxis 1951, S. 92 - 94).

Unter der Geltung des Gewerbegerichtsgesetzes haben die Gewerbegerichte und die gewerbegerichtlichen Berufungssenate in Fällen der Bestreitung der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers folgenden Weg eingeschlagen: Bestritt die beklagte Partei den Bestand eines Dienstverhältnisses, so prüfte das Gewerbegericht, um nicht seine Zuständigkeit zu überschreiten, vorerst das dem Anspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis. Gelangte es zur Überzeugung, daß ein Dienstverhältnis vorliegt, daß aber der Anspruch materiell nicht begrundet sei, so wies es den Anspruch überhaupt ab. Im anderen Fall wurde das Urteil nur auf Abweisung des "auf ein Dienstverhältnis gegrundeten Anspruches" abgestellt (vgl. ArbSlg. 4827 u. a. m.). Besonders deutlich kommt in der Entscheidung 4783 der Gedanke zum Ausdruck, daß ein solches Urteil auf Abweisung des "Anspruches aus einem Dienstverhältnis" gar keine andere Bedeutung hat, als ein wegen Unzuständigkeit ergangener Zurückweisungsbeschluß. "Die Judikatur hat", wie es in der Entscheidung 4783 wörtlich heißt, "an einem solchen dem System der österreichischen Zivilprozeßordnung widersprechenden "Urteil" offenbar in der Erwägung festgehalten, daß die Frage, ob ein Dienstverhältnis vorliegt, vielfach schwierig zu lösen und dabei eine Reihe von tatsächlichen und rechtlichen Umständen zu erörtern ist, in solchen Fällen daher gewiß dieMöglichkeit einer mündlichen Berufungsverhandlung umso mehr als zweckmäßig und wünschenswert erscheint, als im Gewerbegerichtsgesetz das Prinzip der vollen Berufung verwirklicht ist."

Es besteht daher im Gründe wohl in der Form, nicht aber in der Sache, keine wesentliche Divergenz zwischen der Auffassung, die in der Entscheidung SZ. XXI/136 vertreten wird, und der früheren gewerberechtlichen Praxis.

Der Oberste Gerichtshof vermag zu der, wie erwähnt, bereits in späteren Entscheidungen aufgegebenen Auffassung der SZ. XXI/136, daß die Klagebehauptungen bei der Beurteilung der Zuständigkeit angerufenen Arbeitsgerichte nicht ohneweiters zugrunde gelegt werden können, nicht wieder zurückzukehren. Das Arbeitsgerichtsgesetz bezweckte, wie aus den Erläuternden Bemerkungen (146 der Beilagen des Nationalrates, 5. Gesetzgebungsperiode) hervorgeht, nichts anderes als die Wiederherstellung des Gewerbegerichtsgesetzes 1922. Es können daher zur Auslegung des Arbeitsgerichtsgesetzes auch die Erläuternden Bemerkungen zum Regierungsentwurf des Gewerbegerichtsgesetzes herangezogen werden. Dort ist aber gesagt, daß durch die Fassung des § 1 "aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis" auch Rechtsstreitigkeiten umfaßt sein sollen, in denen erst festgestellt werden soll, ob ein solches Arbeits- und Dienstverhältnis zustande gekommen ist; es genüge, daß eine Streitpartei vom Bestande eines Arbeits- und Dienstverhältnisses ausgehe; ebenso der Bericht des Justizausschusses (vgl. ArbSlg. Nr. 3242).

Die Ansicht, daß die Arbeitnehmereigenschaft nicht als Zuständigkeitsvoraussetzung, sondern nur als Klagsvoraussetzung zu behandeln sei, entspricht daher der Absicht des Gesetzgebers. Die Besorgnis des Berufungsgerichtes, daß eine solche Praxis wegen der materiellen Rechtskraft einer abweisenden arbeitsgerichtlichen Entscheidung zu Schwierigkeiten führen könnte, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu teilen. Auch wenn - entsprechend der früheren gewerbegerichtlichen Praxis - die Abweisung auf den Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis beschränkt wird, vermag die aus den Gründen zu entnehmende Abweisung wegen mangelnder Arbeitnehmereigenschaft die Einrede der entschiedenen Streitsache nicht zu begrunden, wenn nunmehr der Kläger seinen Anspruch aus einem Gesellschaftsvertrag aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aus irgend einem anderen Rechtsgrund vor dem ordentlichen Gerichte geltend macht.

Die vorstehenden Ausführungen haben allerdings nur den Fall im Auge, daß die Arbeitnehmereigenschaft zur Klagebegründung gehört und die Behauptung, die den erhobenen Anspruch sachlich begrunden soll, mit den Darlegungen, die die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit rechtfertigen (Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus einem Arbeitsverhältnis), zusammenfallen.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ist die Rechtslage aber wesentlich anders, wenn die Arbeitnehmereigenschaft nicht eine Voraussetzung des Klagsanspruches ist, also nicht zur Rechtsnatur des erhobenen Anspruches gehört, sondern nur ein Element für die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit bildet. Das läge, um nur einen Fall zu nennen, bei einem im Gründe des § 1 Abs. 1 Z. 2 Arbeitsgerichtsgesetz erhobenen Anspruch gegen einen Arbeitskameraden aus unerlaubter Handlung, beispielsweise Körperverletzung, vor. Hier ist der Zusammenhang der Körperverletzung mit dem Arbeitsverhältnis kein Element des Schadenersatzanspruches. Der Anspruch würde kein anderer, es läge keine Klagsänderung vor, wenn die Behauptung des Zusammenhanges der Körperverletzung mit dem Arbeitsverhältnis wegbliebe. In einem solchen Fall stunde daher im Falle der Abweisung des Schadenersatzanspruches wegen Fehlens eines solchen Zusammenhanges der neuen Geltendmachung des Anspruches die materielle Rechtskraft der Entscheidung des Arbeitsgerichtes entgegen. In einem solchen Falle müßte daher, wenn der Zusammenhang zwischen der Körperverletzung und dem Arbeitsverhältnis bestritten würde, die Frage unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit geprüft und es müßte bei Verneinung eines solchen Zusammenhanges die Klage zurückgewiesen und nicht abgewiesen werden.

Im vorliegenden Fall wird aber ein Anspruch aus einem behaupteten Arbeitsvertrag erhoben, hier ist daher die Arbeitnehmereigenschaft nicht eine Zuständigkeits-, sondern eine Klagsvoraussetzung. Es kann daher der Oberste Gerichtshof der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht folgen, daß dem Urteil des Arbeitsgerichtes eine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs. 1 Z. 9 ZPO. anhaftet.

Wenn auch aus dem Beschluß des Berufungsgerichtes hervorgeht, daß es die Sache noch nicht spruchreif und daher das Verfahren erster Instanz für ergänzungsbedürftig hält, konnte der Oberste Gerichtshof den Beschluß auf Zurückverweisung an die erste Instanz nicht bestätigen, weil das Berufungsgericht noch nicht über die Berufung entschieden hat.

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