Spruch:
Klagen gegen die Republik oder einen anderen im § 2 Abs. 1 ProkuraturG. angeführten Rechtsträger sind an die Finanzprokuratur zuzustellen.
Entscheidung vom 15. Oktober 1952, 2 Ob 728/52.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Ein gegen die Republik Österreich auf Grund einer Aufkündigung für den 31. August 1952 ergangener Räumungsauftrag ist nach dem Antrag der kundigenden Partei am 28. August 1951 (die Kündigungsfrist beträgt ein Jahr) der mit dem Bestandobjekt befaßten Abteilung im Bundesministerium zugestellt und von diesem an die Finanzprokuratur weitergeleitet worden, bei der er am 4. September 1951 eingelangt ist. Die Republik Österreich hat u. a. eingewendet, daß die Aufkündigung verspätet erfolgt sei.
Das Prozeßgericht hat die Aufkündigung aus diesem Gründe für unwirksam erkannt.
Das Berufungsgericht hat das Urteil des Prozeßgerichtes aufgehoben und - mit Rechtskraftvorbehalt - die Sache an dieses zur Erledigung der Kündigungsgrunde zurückverwiesen.
Der Oberste Gerichtshof hat den Beschluß des Berufungsgerichtes aufgehoben und ihm eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Vorgerichte sind mit Recht von der Bestimmung des § 1 Abs. 2 ProkuraturG. ausgegangen, nach der die Finanzprokuratur zur Vertretung der Republik Österreich vor den ordentlichen Gerichten ausschließlich befugt ist. Dem Berufungsgericht ist auch beizupflichten, daß in der Empfangnahme einer Klage oder Aufkündigung noch nicht eine Vertretung vor Gericht gelegen ist. Hingegen kann der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes nicht gefolgt werden, daß sich mangels eines Hinweises auf die Bestimmung des § 31 Abs. 1 Z. 1 ZPO. im Prokuraturgesetz und in der Prokuraturverordnung die Vollmacht der Finanzprokuratur nicht auch auf die Empfangnahme von Klagen erstreckt. Nach § 4 Abs. 1 ProkuraturG. bedarf die Prokuratur zu ihrem Einschreiten vor den ordentlichen Gerichten keines Nachweises ihrer Vollmacht; nach § 2 Abs. 6 ProkuraturV. sind die der Finanzprokuratur aus ihrer Bevollmächtigung erwachsenen Befugnisse im Verhältnis nach außen keinen Beschränkungen unterworfen. Daraus folgt jedoch, daß zwischen der der Finanzprokuratur durch das Gesetz übertragenen Vollmacht und der einem Rechtsanwalt durch Vertrag erteilten Prozeßvollmacht kein Unterschied besteht und daß die Finanzprokuratur zu all den Vertretungsverhandlungen ermächtigt ist, die nach § 31 Abs. 1 ZPO. dem bevollmächtigten Rechtsanwalt möglich sind. Da aber die Bevollmächtigung der Finanzprokuratur durch die Republik Österreich auf einem Gesetz beruht und eine besondere Vollmachtserteilung überhaupt nicht erforderlich ist, um sie im einzelnen Fall zur Vertretung zu legitimieren, hat das Gericht, bei dem eine Klage gegen die Republik Österreich oder einen anderen in § 2 Abs. 1 ProkuraturG. angeführten Rechtsträger überreicht worden ist, ebenso vorzugehen, als wenn einer Klage die Vollmacht der beklagten Partei angeschlossen ist. Gemäß § 93 Abs. 1 ZPO. haben im letzteren Falle alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen und ist eine statt an den Prozeßbevollmächtigten an die Partei selbst vorgenommene Zustellung wirkungslos (GlU. 5495); es dürfen daher auch die Klagen gegen die Republik Österreich nicht dieser selbst oder der für die Sache zuständigen Dienststelle, sondern nur ihrem durch das Gesetz bevollmächtigten Vertreter, nämlich der Finanzprokuratur, zugestellt werden. Daraus, daß für Klagen gegen die Rechtssubjekte, für die die Finanzprokuratur einzuschreiten hat, in dem erst durch das Gesetz vom 3. Oktober 1945, StGBl. Nr. 188, geschaffenen § 86a JN. Zuständigkeitsvorschriften getroffen worden sind, kann nicht mit dem Berufungsgerichte geschlossen werden, daß es auch einer ausdrücklichen Vorschrift bedurft hätte, daß die Klagen an diese Rechtssubjekte nur der Finanzprokuratur wirksam zugestellt werden konnten. Aber auch der Hinweis der beklagten Partei in ihrem Rekurs auf die Dienstinstruktion der Finanzprokuratur vom 9. März 1898, RGBl. Nr. 41, und im Zusammenhang damit auf eine Reihe von Ministerialverordnungen, die, soweit sie nach der Dienstinstruktion erlassen worden sind, die Verpflichtung der Gerichte zur Zustellung von Klagen gegen den Staat und gleichgereihte Rechtsträger aus dieser Instruktion ableiten, ist verfehlt, da gemäß § 13 Z. 1 ProkuraturG. die erwähnte Dienstinstruktion außer Kraft getreten ist.
Da sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, daß die Zustellung der Aufkündigung rechtswirksam nur an die Finanzprokuratur erfolgen konnte, und da diese erst nach Ablauf der Kündigungsfrist die Aufkündigung übernommen hat, war die Aufkündigung verspätet und ist das vom Berufungsgericht dem Prozeßgericht aufgetragene Eingehen auf die Kündigungsfrist selbst entbehrlich.
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