OGH 1Ob536/52

OGH1Ob536/5216.7.1952

SZ 25/200

 

 

Spruch:

Der geschäftsführende Gesellschafter einer Ges. m. b. H. darf bei der Feststellung der Bilanz und des Geschäftsberichtes, auch wenn ihn selbst betreffende Bemängelungen erhoben sind, mitstimmen. Dagegen kein Stimmrecht bei der Beschlußfassung über die Entlastung und über die Prozeßführung wegen Ansprüche aus seiner Geschäftsführung sowie bei Beschlüssen, die eine solche Prozeßführung vorbereiten sollen.

§ 118 Abs. 2 AktienG. ist analog anzuwenden.

Entscheidung vom 16. Juli 1952, 1 Ob 536, 541/52.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

 

Begründung:

Gesellschafter der beklagten Partei sind die klagende Partei mit 20% der Geschäftsanteile und Johann M. mit 80%; letzterer ist Geschäftsführer.

Das Erstgericht erklärte unter Punkt I) seines Urteiles 1. den Beschluß der Generalversammlung vom 30. August 1950, mit welchem Geschäftsbericht und Rechnungsabschluß für das Jahr 1949 genehmigt und dem Gesellschafter Johann M. für seine Geschäftsführung die Entlastung erteilt wurde, 2. die Beschlüsse der außerordentlichen Generalversammlung vom 18. September 1950, mit denen die Anträge des Gesellschafters Ing. Richard G. zu beschließen:

a) "Der Anspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer Johann M. auf Rückersatz der von ihm zum Schaden der Firma G. & Co. entzogenen Beträge von insgesamt 294.292.50 S, zuzüglich weiterer 2004 S, zusammen 296.333.50 S, samt 5% Zinsen seit dem 1. Jänner 1949 ist unverzüglich gerichtlich geltend zu machen; der Rechtsanwalt Dr. Willibald M. wird gemäß § 35 Abs. 6 als Vertreter zur Prozeßführung bestellt und ihm zu diesem Zwecke Prozeßvollmacht erteilt. Die zivilrechtliche Geltendmachung dieser Ansprüche hat unbeschadet der strafgerichtlichen Verfolgung des Herrn Johann M. wegen §§ 171 ff., 183 ff., 205c StG. zu erfolgen" und weiters

b) "Herrn Johann M. als Geschäftsführer zur Abrechnung eines Geschäftes mit Nägeln aufzufordern", abgelehnt wurden, für nichtig.

Dagegen wurden unter Punkt II) des Ersturteiles die weiteren Begehren des Inhaltes, die Beschlüsse der außerordentlichen Generalversammlung vom 18. September 1950, mit welchen

a) Johann M. die Ermächtigung zur Übertragung seines Geschäftsanteiles oder eines Teiles desselben an seine Gattin Blanche M. erteilt und

b) Blanche M. als vorerst kollektivzeichnungsberechtigte Prokuristin und später als Geschäftsführerin mit Kollektivvertretung und kollektiven Zeichnungsrecht zu bestellen, für nichtig zu erklären, abgewiesen.

Dieses Urteil blieb in seinem Punkte II) unbekämpft.

Die gegen Punkt I) gerichtete Berufung der beklagten Partei hatte nur insoferne Erfolg, als der Anspruch zu Punkt I/1 auf Nichtigerklärung des Generalversammlungsbeschlusses vom 30. August 1950, betreffend Genehmigung des Rechnungsabschlusses, und der Kostenausspruch (Punkt III) aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen wurde. Im übrigen wurde das Ersturteil bestätigt. Dabei sprach das Berufungsgericht aus, daß das Verfahren erster Instanz erst nach Rechtskraft des in seiner Entscheidung enthaltenen Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei, und daß der Streitwert im Rahmen der Bestätigung 10.000 S übersteige. Die Aufhebung begrundet das Berufungsgericht damit, daß die Bestimmung des § 59 Abs. 4 GesmbHG. nicht dahin verstanden werden könne, der geschäftsführende Gesellschafter sei von der Ausübung seines Stimmrechtes bei der Beschlußfassung über die Genehmigung des Rechnungsabschlusses schlechthin ausgeschlossen. Der Beschluß könnte nur dann nichtig sein, wenn der Kläger in der Lage wäre, gegen den Rechnungsabschluß stichhältige Einwendungen vorzubringen. In dieser Richtung habe der Kläger in der Klage 11 Cg 1089/50 auch Behauptungen tatsächlicher Art aufgestellt, die überprüft werden müssen. Dagegen sei der Beschluß über die Genehmigung des Geschäftsberichtes und die Entlastung nichtig. Sei der Geschäftsführer zugleich auch Gesellschafter, dann dürfe er bei der Beschlußfassung über die Genehmigung des von ihm selbst erstatteten Geschäftsberichtes und über die ihm zu erteilende Entlastung nicht mitstimmen, weil für ihn darin der Vorteil liege, daß seine Geschäftsführung als ordnungsgemäß anerkannt werde. Hinsichtlich des Anspruches zu I/2 a des Ersturteiles ergebe sich aus der klaren Bestimmung des § 39 Abs. 4 GesmbHG., daß Johann M. bei der Beschlußfassung kein Stimmrecht hatte, weil ihr Gegenstand die Einleitung eines Rechtsstreites zwischen der Gesellschaft und ihm gewesen sei. Für den Beschluß zu I/2 b gelte Analoges.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision, richtig Rekurs, der beklagten Partei gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes, soweit das erstgerichtliche Urteil in seinem Ausspruche über die Nichtigerklärung des bei der Generalversammlung vom 30. August 1950 gefaßten Beschlusses auf Genehmigung des Rechnungsabschlusses und im Kostenpunkt aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfange an die erste Instanz zurückgewiesen wurde, Folge, hob die Entscheidung der zweiten Instanz insoweit auf und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung auf, gab dem Rekurs der beklagten Partei teilweise Folge und änderte die Urteile der Unterinstanzen in ihrem Ausspruch auf Nichtigerklärung der bei der Generalversammlung vom 30. August 1950 gefaßten Beschlüssen auf Genehmigung des Geschäftsberichtes dahin ab, daß dieses Begehren abgewiesen wird und gab schließlich der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 39 Abs. 4 GesmbHG. hat derjenige, der durch die Beschlußfassung von seiner Verpflichtung befreit oder wenn ihm ein Vorteil zugewendet werden soll, hiebei weder im eigenen noch im fremden Namen das Stimmrecht. Das gleiche gilt von der Beschlußfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit einem Gesellschafter oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft. Diese Bestimmung ist dem § 47 Abs. 4 des deutschen GesmbHG. nachgebildet. Nach dieser Vorschrift hat ein Gesellschafter, der durch die Beschlußfassung entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll, hiebei kein Stimmrecht und darf ein solches auch nicht für andere ausüben. Dasselbe gilt von einer Beschlußfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäftes oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites gegenüber einem Gesellschafter betrifft. Zum österreichischen Gesetz ist in der Begründung zur Regierungsvorlage ausgesprochen, daß die Abweichungen von dem Wortlaut des § 47 des deutschen Gesetzes nicht einen meritorisch verschiedenen Inhalt bezwecken, sondern nur die schärfere Auszeichnung der Fälle, in denen das Stimmrecht versagt wird (Milan Skerlj, Das Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Wien 1906, S. 47; vgl. auch Carl Quandt, Formularienbuch zum Gesetz über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 3. Auflage, Wien 1918; S. 139). Auch für die Auslegung des österreichischen Gesetzes sind daher die Ergebnisse der deutschen Lehre und Rechtsprechung bedeutsam.

Nach deren Auffassung (Staub-Hachenburg, Kommentar zum Gesetz, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 5. Auflage, Berlin und Leipzig 1927, II. Band, § 47 Anmerkung 17; RGZ. 49, Nr. 35) besteht die Stimmenthaltungspflicht nur hinsichtlich des Entlastungsbeschlusses, dagegen nicht auch für den Bilanzgenehmigungsbeschluß. Die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung SZ. XIV/81 will allerdings dem geschäftsführenden Gesellschafter kein Stimmrecht bei der Feststellung des Rechnungsabschlusses zuerkennen, wenn gegen ihn der substantiierte Vorwurf der Bilanzverschleierung erhoben wird. Daß aus der Genehmigung selbst einer solchen Bilanz ein Vorteil für den geschäftsführenden Gesellschafter entstunde, ist nicht zu erkennen. Insbesondere werden die durch § 25 GesmbHG. der Gesellschaft gegebene und nach § 48 GesmbHG. auch durch eine Minderheit verfolgbaren Ersatzansprüche nicht berührt. Daß die Beweislast durch die Genehmigung des Rechnungsabschlusses verschoben wird, trifft ebenfalls nicht zu, dies umsoweniger, als § 25 GesmbHG. ohnedies keine Umkehrung der Beweislast enthält und daher jedenfalls die Gesellschaft beweispflichtig ist. Es muß daher auch bei der Behauptung konkreter Bilanzunrichtigkeiten dabei bleiben, daß der geschäftsführende Gesellschafter über den Rechnungsabschluß mitstimmen darf und zwar deswegen, weil nicht gesagt werden kann, daß ihm durch die Beschlußfassung ein Vorteil zugewendet werden soll. Die notwendige Korrektur ergibt sich daraus, daß der geschäftsführende Gesellschafter, wie noch auszuführen sein wird, beim Entlastungsbeschluß nicht stimmberechtigt ist. Der Oberste Gerichtshof hat denn auch bereits neuerdings in der Entscheidung SZ. XXI/62 darauf hingewiesen, daß die Feststellung der Bilanz allein den Geschäftsführer nicht belastet und von keiner Verbindlichkeit befreit und er daher mitstimmen darf.

Die Abstimmung über den Geschäftsbericht, der übrigens bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung gesetzlich nicht vorgesehen ist, muß als eine Erläuterung des Jahresabschlusses dessen Schicksal teilen.

Anders liegt die Sache hinsichtlich der Entlastung. Hier ist der geschäftsführende Gesellschafter durch den ausdrücklichen Buchstaben des § 47 deutsches GesmbHG., dessen Inhalt nach dem oben wiedergegebenen Zeugnis der Regierungsvorlage in das österreichische Recht übernommen werden sollte, vom Stimmrecht ausgeschlossen. Die Meinung, daß der Geschäftsführer, der entlastet ist, nicht mitstimmen dürfe, vertreten auch C. S. Grünhut, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Wien und Leipzig 1913, S. 34, und Julius Ofner-Berthold-Thorsch, Das österreichische Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Wien 1911, S. 51. Diese Auffassung ist auch mit dem Gesetzestext, wie er in Österreich gilt, durchaus vereinbar, wobei die Rechtsnatur der Entlastung, ob sie ein Anerkenntnis des Nichtbestehens von Ersatzansprüchen bedeute (Hachenburg, § 46, Anmerkung 27) oder eine bloße Vertrauenskundgabe für das neue Geschäftsjahr (Julius von Gierke, Handelsrecht und Schiffahrtsrecht, 6. Aufl., Berlin 1949, S. 262; Alfred Hueck, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. München - Berlin 1948, S. 138) auf sich beruhen kann. Selbst wenn man ihr nur die letztgenannte schwache Wirkung zuerkennt, bedeutet ihre Erteilung doch einen - wenn auch vielleicht rechtlich nicht sehr erheblichen - Vorteil des Geschäftsführers, an dessen Herbeiführung er nicht mitwirken darf.

Die Frage, ob bei der Beschlußfassung über die Einleitung eines Rechtsstreites gegen den geschäftsführenden Gesellschafter dieser mitstimmen dürfe, scheinen bereits Staub - Hachenburg, § 47 Anm. 18, dahin zu lösen, daß das Stimmrecht des geschäftsführenden Gesellschafters in allen solchen Fällen ausgeschlossen ist (a. M. anscheinend Erich Feine, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Leipzig 1929, S. 528). Sie ist aber nunmehr durch § 118 AktienG. beantwortet, wonach bei Beschlußfassung über eine Sonderprüfung Aktionäre, die zugleich Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates sind, weder für sich oder für einen anderen mitstimmen dürfen, wenn die Prüfung sich auf Vorgänge erstrecken soll, die mit der Entlastung des Vorstandes oder des Aufsichtsrates oder der Einleitung eines Rechtsstreites zwischen Gesellschaft und den Mitgliedern des Vorstandes oder des Aufsichtsrates zusammenhängen. Wenn auch eine Sonderprüfung im technischen Sinne bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht vorgesehen ist, so muß doch die eben wiedergegebene Vorschrift des Aktienrechtes insoweit analog angewendet werden, als auch die geschäftsführenden Organe der Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht mitstimmen dürfen, wenn darüber entschieden wird, ob gegen sie ein Prozeß geführt werden soll. Der offenbar zugrundeliegende Gedanke, daß niemand in eigener Sache richten soll, gilt für die Aktiengesellschaft wie für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gegen die analoge Anwendung der Vorschrift des § 118 AktienG. auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann auch nicht eingewendet werden, daß ohnedies ein Minderheitsrecht auf Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführer besteht (§ 48 GesmbHG.), weil § 122 AktienG. auch ein paralleles Minderheitsrecht bei der Aktiengesellschaft vorsieht.

Wenn für den Beschluß, ob ein Prozeß gegen ihn geführt werden soll, das Stimmrecht des geschäftsführenden Gesellschafters ausgeschlossen ist, kann es auch für den Beschluß, durch den er zu einer bestimmten Rechnungslegung aufgefordert werden soll, nicht zuerkannt werden, da es sich dabei letzten Endes um die Vorbereitung einer Anspruchserhebung handelt. Damit ist allerdings der Frage nicht vorgegriffen, ob und welche Rechtsfolgen ein solcher Beschluß auslöst.

Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß der geschäftsführende Gesellschafter bei der Feststellung der Bilanz und des Geschäftsberichtes, auch wenn ihn selbst betreffende Bemängelungen erhoben sind, mitstimmen darf, daß dagegen ein Stimmrecht beim Entlastungsbeschluß sowie bei der Beschlußfassung über die Prozeßführung wegen Ansprüche aus seiner Geschäftsführung und bei Beschlüssen, die eine solche Prozeßführung vorbereiten sollen, nicht besteht. Der in der berufungsgerichtlichen Entscheidung enthaltene Aufhebungsbeschluß hinsichtlich des Generalversammlungsbeschlusses über die Rechnungslegung und des Kostenspruches war daher zu beheben und dem Berufungsgericht in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung aufzutragen, wobei es an die Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes gebunden sein wird (arg. §§ 499 Abs. 2, 511 Abs. 1 ZPO.). Eine Sachentscheidung war dem Obersten Gerichtshof verwehrt, weil eine solche des Berufungsgerichtes noch nicht vorliegt. Hinsichtlich des Generalversammlungsbeschlusses über den Geschäftsbericht waren die Urteile der Untergerichte dahin abzuändern, daß das Nichtigkeitsbegehren abgewiesen wurde. Dagegen hatte es bei der Nichtigerklärung des Entlastungsbeschlusses sowie der Beschlüsse über die Prozeßführung und die Rechnungslegung, betreffend das Mängelgeschäft, zu verbleiben.

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