OGH 3Ob167/52

OGH3Ob167/5226.3.1952

SZ 25/76

Normen

ABGB §312
ABGB §366
ABGB §851
ABGB §§1460 ff
AußStrG §1
JN §1
ABGB §312
ABGB §366
ABGB §851
ABGB §§1460 ff
AußStrG §1
JN §1

 

Spruch:

Ist die Unsicherheit des Grenzverlaufes Ursache eines Streites über das Gründeigentum, so ist zunächst der Außerstreitrichter anzurufen.

Die Nutzung eines Grundstückes durch Einsammeln von Streu und Bruchästen kann nicht zur Ersitzung des Eigentumsrechtes führen.

Entscheidung vom 26. März 1952, 3 Ob 167/52.

I. Instanz: Bezirksgericht Fürstenfeld; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Die Kläger begehrten, die Beklagten schuldig zu erkennen, das Fahren mit Wirtschaftsfuhren über das Grundstück 1165 (1163/1) der DZ. X Kat. Gem. K., beginnend bei E 3 über den 20.90 m in südwestlicher Richtung festgestellten Punkt E 4 zu dem von E 3 27.17 m entfernten Punkt E 5 laut Lageskizze zu unterlassen, wobei sie anführten, daß sie und ihre Vorbesitzer durch mehr als 30 Jahre das gegenständliche Grundstück in dem laut obiger Skizze bezeichneten Ausmaß bis zum Spätherbst 1949 unbeanstandet benützt haben.

Das Erstgericht hat das am 3. Jänner 1950 neu gefaßte Klagebegehren abgewiesen.

Infolge Berufung der Kläger änderte das Berufungsgericht nach Wiederholung der Beweisaufnahmen das erstrichterliche Urteil dahin ab, daß es dem Klagebegehren stattgab.

Das Berufungsgericht nahm hiebei den Rechtsstandpunkt ein, daß hinsichtlich der Behauptung des klägerischen Eigentumes an dem strittigen Grenzstreifen, welches eine Vorfrage des gegenständlichen Unterlassungsbegehrens darstellt, insoweit die Behauptung des Eigentumsrechtes nicht auf einen außerbücherlichen Erwerb der Kläger durch Ersitzung gestützt wird, ein Streit über den Verlauf der unkennbar gewordenen Grenze vorliege, der nicht im streitigen, sondern lediglich im außerstreitigen Verfahren entschieden werden könne. Nur insoweit außerbücherliche Eigentumsersitzung behauptet werde, erachte das Berufungsgericht dieses Vorbringen für beachtlich und im streitigen Verfahren für überprüfbar. Auf Grund der durchgeführten Beweiswiederholung gelangte das Berufungsgericht nun in Überprüfung des letzteren Klagsgrundes zur Feststellung, daß die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger zumindest ab 1. Jänner 1908 bis zum streitgegenständlichen Eingriff durch die Beklagten im Jahre 1949 den vorerwähnten Grenzstreifen durch Einsammeln von Streu und Bruchästen unbeanständet genutzt haben, wobei die Kläger zur Erhaltung ihres Besitzes an den Grundstreifen die in der Skizze ersichtlichen Gräben quer über die Lichtung zogen, nachdem der Vorbesitzer der Parzelle seit dem Jahre 1936, Franz S., über die Lichtung gefahren war, wogegen Franz S. keinen Einwand erhob und nicht mehr über die Lichtung fuhr. Aus diesen Feststellungen zieht das Berufungsgericht die rechtliche Schlußfolgerung, daß die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger durch die Nutzung des Grundstreifens auch den Besitz daran durch über 30 Jahre unbeanständet ausgeübt und daher Eigentum durch Ersitzung außerbücherlich erworben haben. Da die Beklagten sohin zu den unbestrittenen Eingriffshandlungen (Rechen der Streu und Befahren mit Wirtschaftsfuhren) an der den Klägern gehörigen Grundfläche nicht berechtigt gewesen seien, sei das Unterlassungsbegehren begrundet.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof ist von folgenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen:

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch erfließt aus dem behaupteten klägerischen Eigentum an dem vorbezeichneten Grenzstreifen, mit welchem auch das Recht verbunden ist, jeden andern von irgendwelchen Eingriffen in den klägerischen Besitz auszuschließen (§ 366 ABGB.). Die Frage des Eigentums an dem Grenzstreifen stellt daher, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nur eine Vorfrage zur Entscheidung über das geltend gemachte Unterlassungsbegehren dar. Insoweit nun das klägerische Eigentum an dem vorerwähnten Grenzstreifen schlechthin darauf abgeleitet wird, daß dieser ein Bestandteil der den Kläger eigentümlich gehörigen Parzelle 1163/1 sei, da die Beklagten lediglich die an der Grenze stehenden Grenzpflöcke entfernt hätten, wird unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen der §§ 850 bis 853 ABGB. in der Fassung der zweiten Teilnovelle vorerst zu erwägen sein, ob die Prüfung der Eigentumsfrage im ordentlichen Rechtsweg überhaupt stattfinden kann, falls der Streit um das Eigentum lediglich eine Folge des bestrittenen Grenzverlaufes ist. Der Wortlaut des Gesetzes gibt allerdings ebensowenig einen sicheren Anhaltspunkt für die Abgrenzung zwischen dem außerstreitigen und dem streitigen Verfahren, wie die ausführende Ministerialverordnung zur II. Teilnovelle (Justizministerialverordnungsblatt 1915, S. 261 ff.). Entscheidend wird daher sein, ob die Unsicherheit des Grenzverlaufes bzw. die Tatsache, daß die Grenze bereits unkennbar geworden ist, Ursache eines Streites über das Gründeigentum ist oder ob der Streit über den Erwerb eines bestimmten Stückes Grund auf den Grenzverlauf Einfluß nimmt. Im ersterwähnten Fall der notwendigen Grenzerneuerung wäre die damit verbundene Lösung der Frage des strittigen Gründeigentums vorerst dem ordentlichen Rechtsweg entzogen. Erst nach Festsetzung der Grenze im außerstreitigen Verfahren könnte der ordentliche Rechtsweg beschritten werden (§ 851 ABGB.). Da das zur Begründung des Unterlassungsbegehrens behauptete Eigentum der Kläger im vorliegenden Fall hilfsweise auch auf die Ersitzung des strittigen Grenzstreifens, also auf einen Eigentumserwerbsgrund gestützt wird, liegt jedenfalls in gleicher Weise die letzterwähnte Voraussetzung des Streites über den Erwerb eines bestimmten Grundstückes vor, der naturgemäß auch auf den Grenzverlauf Einfluß nimmt.

Der Umstand, daß die Streitteile sich gegenseitig der Entfernung von Grenzsteinen, der Überschreitung der von jedem der Streitteile angenommenen Grenze z. B. durch Herüberrechen der Streu beschuldigen, und daß sogar der erfolglose Versuch unternommen wurde, durch eine Gemeindekommission die Grenze feststellen zu lassen, weist eindeutig darauf hin, daß es sich insoweit um den typischen Streit über den Verlauf der unkennbar gewordenen richtigen Grenze handelt, als das behauptete Eigentum schlechthin auf die Zugehörigkeit des gegenständlichen Grenzstreifens zu der den Klägern gehörigen Parzelle Nr. 1163/1 gestützt wird. Diese Streitfrage, die sich lediglich aus der Verschiedenheit der Anschauung der Parteien über den Verlauf der Grenze ergibt, kann daher vorerst im ordentlichen Rechtsweg überhaupt nicht gelöst werden. Hätten die Kläger ihr Unterlassungsbegehren lediglich auf die Zugehörigkeit des strittigen Grenzstreifens zu der in ihrem Eigentum stehenden Parzelle 1163/1 schlechthin gestützt mit der Behauptung, daß die Beklagten die ehemaligen Grenzpflöcke entfernt hätten, so wäre gemäß §§ 240 Abs. 3, 477 Z. 6 ZPO. das Verfahren in jeder Lage als nichtig aufzuheben und die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen gewesen. Eine Erörterung des die Frage des strittigen Grenzverlaufes betreffenden beiderseitigen Parteivorbringens sowie der hierüber gewonnenen Beweisergebnisse wurde daher vom Berufungsgericht mit Recht als für die gegenständliche Entscheidung unbeachtlich unterlassen (vgl. SZ. VII/377, SZ. XVI/18). Der vorliegende Fall liegt allerdings deswegen anders, weil, wie bereits ausgeführt, die Behauptung des Eigentums der Kläger auch auf einen Ersitzungstitel gestützt wird.

Zutreffend hat daher das Berufungsgericht lediglich den hilfsweise geltend gemachten Klagsgrund des behaupteten außerbücherlichen Erwerbes des gegenständlichen Grundstreifens durch Ersitzung einer Prüfung unterzogen. Den behaupteten außerbücherlichen Erwerb durch Ersitzung stützen die Kläger darauf, daß sie und ihre Besitzvorgänger durch mehr als 30 Jahre den Grenzstreifen (Lichtung) bis zum Spätherbst 1949 unbeanständet genutzt hätten. Auf Grund der Beweiswiederholung gelangte das Berufungsgericht zur Feststellung, daß die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger mindestens ab 1. Jänner 1908 bis zu dem streitgegenständlichen Eingriff durch die Beklagten im Jahre 1949 den strittigen Grundstreifen durch Einsammeln von Streu und Bruchästen unbeanständet genutzt haben, daß etwa im Jahre 1911 die Rechtsvorgänger der Kläger, das Ehepaar P., dem Vorbesitzer der Beklagten hinsichtlich der Parzelle 595/1, Franz F. einmal trotz seines Ersuchens die Erlaubnis, über die Lichtung zu fahren, nicht erteilt hätten, weiters, daß die Kläger, nachdem der Vorbesitzer der Parzelle 595/1 seit dem Jahre 1936 - Franz S. - über den Grenzstreifen gefahren war, zur Erhaltung ihres Besitzes an dem Grundstreifen die in der Skizze ersichtlichen Gräben quer über die Lichtung gezogen haben, daß Franz S. dagegen keinen Einwand erhoben habe und nicht mehr über die Lichtung gefahren sei.

Auf Grund dieser Feststellungen gelangte das Berufungsgericht zur rechtlichen Schlußfolgerung, daß die Kläger durch die vorerwähnte Nutzung des Grundstreifens während einer Zeit von über 30 Jahren auch Besitz daran ausgeübt hätten. Da die Rechtmäßigkeit, Redlichkeit und Echtheit des mehr als 30 Jahre hindurch von den Klägern und ihren Rechtsvorgängern an dem gegenständlichen Grundstreifen ausgeübten Besitzes nicht bestritten sei, ergebe sich, daß die Kläger an dem vorbezeichneten Grenzstreifen Eigentum durch Ersitzung außerbücherlich erworben haben.

Diese vom Berufungsgericht gezogene Schlußfolgerung ist jedoch rechtsirrig und es erscheint daher die Rechtsrüge, wenn auch in einem anderen als dem ausgeführten Sinne, begrundet.

§ 312 ABGB. zählt beispielsweise die typischen Arten der Ausübung des Sachbesitzes an unbeweglichen Sachen auf und zwar Betretung, Verrainung, Einzäunung, Bezeichnung oder Bearbeitung. Gemeinsam ist diesen Arten der Besitzausübung, daß sie das Wesen voller Zugehörigkeit der Sache zu dem Ausübenden sichtbar zum Ausdruck bringen. Die aufgezählten Arten der Besitzausübung sind sämtlich so beschaffen, daß sie die Besitzausübung dritter Personen für - jedermann erkennbar nicht zulassen. Dadurch aber, daß die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger durch mehr als 30 Jahre den gegenständlichen Grenzstreifen durch Einsammeln von Streu und Bruchästen genutzt haben, wurden keineswegs solche Besitzhandlungen gesetzt, welche die Besitzausübung anderer Personen ausschlossen. Nur jene Besitzausübung ist aber imstande, zur Ersitzung zu führen, welche jeden anderen Besitz für jedermann erkennbar ausschließt. Infolgedessen erscheint es auch bedeutungslos, daß die Rechtsvorgänger der Kläger im Jahre 1911 dem Rechtsvorgänger der Beklagten trotz seines Ersuchens die Erlaubnis, über die Lichtung zu fahren, nicht erteilt haben, weil darin mangels einer faktischen Verhinderung des Überfahrens der Lichtung nicht einmal eine Abwehrhandlung gegen den Besitzeingriff dritter Personen erblickt werden könnte, abgesehen davon, daß selbst ein derartiger, einmalig gesetzter Abwehrakt keineswegs hinreichend wäre, den zur Ersitzung erforderlichen Sachbesitz nach außenhin erkennbar zu erweisen. Aber auch die vom Berufungsgericht festgestellte Tatsache, daß die Kläger zur Verhinderung des Überfahrens des Grundstreifens mehrfach quer über die Lichtung Gräben zogen, nachdem der Vorbesitzer der Parzelle 595/1 seit dem Jahre 1936 - Franz S. - über die Lichtung gefahren war, wäre, selbst wenn darin eine Besitzausübungshandlung mit dem für jeden Dritten sichtbaren Merkmal des ausschließlichen Besitzwillens im Sinne des § 312 ABGB. erblickt werden müßte, schon mangels der erforderlichen Ersitzungszeit (§ 1468 ABGB.) nicht geeignet, die außerbücherliche Eigentumsersitzung herbeizuführen. Keineswegs vermag aber das festgestellte Einsammeln von Streu und Bruchästen durch die Kläger irgendwelche Besitzhandlungen anderer Personen auszuschließen. Es ist daher nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes ein außerbücherliches Erwerb des fraglichen Grenzstreifens durch Ersitzung seitens der Kläger nicht eingetreten. Sind aber die rechtlichen Voraussetzungen für den allein im streitigen Verfahren überprüfbaren Klagsgrund des außerbücherlichen Eigentumserwerbes durch Ersitzung nicht vorliegend, erscheint auch da8 gestellte Unterlassungsbegehren nicht gerechtfertigt (vgl. E. v. 31. Mai 1900, GlUNF. 2156; 14. Dezember 1865, GlU. 2118; 10. September 1875, GlU. 5849).

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