OGH 2Ob530/51

OGH2Ob530/5110.9.1951

SZ 24/211

Normen

Reichsversicherungsordnung §537
Reichsversicherungsordnung §898
Reichsversicherungsordnung §899
Reichsversicherungsordnung §537
Reichsversicherungsordnung §898
Reichsversicherungsordnung §899

 

Spruch:

Ein Verschubmeister der österreichischen Bundesbahn ist Betriebsaufseher im Sinne des § 899 RVO.

Eine zwischen der österreichischen Bundesbahn und dem Schleppbahninhaber getroffene Abmachung, daß die bei den Verschubarbeiten im Eigenbetrieb des Schleppbahninhabers mitwirkenden Bahnbediensteten als Beauftragte des Schleppbahninhabers gelten sollen, ist für die Ansprüche unbeteiligter Dritter ohne Bedeutung.

Entscheidung vom 10. September 1951, 2 Ob 530/51.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger, der bei den X-Werken angestellt war, wurde bei Umladearbeiten, die er in einem auf dem Schleppgeleise seiner Dienstgeberin stehenden Waggon leistete, dadurch körperlich schwer beschädigt, daß eine Verschublokomotive der Österreichischen Bundesbahn an den Waggon ohne vorherige Warnung anfuhr. Der Unfall war durch den Beklagten, einen Angestellten der Österreichischen Bundesbahn, der den Verschubdienst zu leiten hatte, verschuldet worden. Der Beklagte ist deshalb auch rechtskräftig des Vergehens gegen die körperliche Sicherheit schuldig erkannt worden. Der Kläger begehrte vom Beklagten Schadenersatz.

Das Prozeßgericht wies das Klagebegehren ab. Es erblickte im Beklagten einen Betriebsaufseher im Sinne des § 899 RVO., weil er als Verschubmeister eine gewisse Selbständigkeit der Beaufsichtigung besaß und mit Verrichtungen betraut war, die den Gang des Betriebes und seine Sicherheit gewährleisten. Kläger sei gegen den Betriebsunfall, der hier vorliege, gemäß §§ 537 ff. RVO. zwangsversichert gewesen und habe von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Graz auch für diesen Unfall Entschädigungen ausbezahlt erhalten. Daß er und Beklagter nicht im Dienste desselben Dienstgebers standen, vielmehr Kläger bei Firma X. in Arbeit stand, Beklagter dagegen Bundesbahnbediensteter war, hielt das Erstgericht für die Anwendung der §§ 899, 903 RVO. für rechtlich unerheblich. Infolgedessen sei Beklagter, da nicht einmal vom Kläger die Behauptung aufgestellt wurde, daß Beklagter den Betriebsunfall vorsätzlich herbeigeführt habe und eine bezügliche strafgerichtliche Feststellung auch fehle, gemäß § 899 RVO. von einer persönlichen Haftung losgezählt und der Beklagte ausschließlich auf die Leistungen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt verwiesen.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. Es billigte die Rechtsansicht des unteren Richters nicht, daß der Beklagte im vorliegenden Fall und bei dieser Beschäftigung Funktionen versah, die ihn in die Gruppe der Aufseher einreihen, ohne daß es darauf ankomme, ob er diese Funktionen dauernd oder nur vorübergehend ausübte. Wesentlich sei vielmehr nur, daß er bei der konkreten Beschäftigung, welche Anlaß zur Beurteilung gibt, Aufseherfunktionen ausübte. Im übrigen qualifizierte auch das Strafgericht im Spruche seiner Entscheidung, und darum bindend für den Zivilrichter, den Beklagten als Verschubaufseher. Aus §§ 899, 903 RVO. ergebe sich, daß Betriebsaufseher des Unternehmens, wie dieser selbst, nur bei vorsätzlicher Schadenszufügung dem Beschädigten, aber auch schon bei Fahrlässigkeit dem Versicherungsträger haften und daß der Gesetzgeber offenbar den Haftungsgrund der Fahrlässigkeit nicht für hinreichend gewichtig ansah, um darüber hinaus noch dem Beschädigten Ansprüche, die vom Versicherungsträger nicht entgolten werden, gegenüber dem Betriebsaufseher einzuräumen, anders als im Fall des bösen Vorsatzes. Wesentlich sei dagegen, ob der Beschädiger Angestellter desselben Unternehmens sei, dem der Beschädigte als Beschäftigter angehört. Das Gesetz lasse nicht erkennen, daß die in §§ 899, 903 RVO. ausgesprochene Haftungsbeschränkung auch für betriebsfremde Aufseher gelten solle. Vielmehr müsse auch hier ein Zusammenhang mit dem Unternehmen bestehen, weil die Haftung für beide gleichmäßig bestimmt werde und die Notwendigkeit der Unternehmenszugehörigkeit für den Beschädigten eindeutig festgelegt sei, da erst dadurch jene Beziehung entsteht, in der solche Fragen auftauchen können. Betrieb und Aufseher bilden für das den Unfall herbeiführende Geschehen eine organische Einheit. Diese liege aber nicht vor, weil Beklagter eine betriebsfremde Person sei. Daran ändere auch nichts der Vertrag zwischen den Österreichischen Bundesbahnen und den X-Werken, wonach die bei den Schleppbahnen im Verschubdienst beschäftigten Bundesbahnangestellten als Organe des Industriebetriebes zu gelten haben. Dies möge im Verhältnis zwischen den Österreichischen Bundesbahnen und der Firma X. gelten, doch könne dieser Vertrag dem Kläger, der an ihm nicht teilgenommen hat, nicht zum Nachteil gereichen. Gesetzlich verankerte Haftungen könnten nicht dadurch geändert werden, daß man ohne Beteiligung der Betroffenen Verträge abschließt, welche diese Haftung mildern oder aufheben.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit Recht erklärt das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der §§ 898, 899 RVO. von der Voraussetzung der Beschäftigung sowohl der Beschädigten wie auch des Beschädigers beim gleichen Unternehmen abhängig. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzes ist zu erkennen, daß es bewußt Schadenersatzansprüche nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen und nur gegenüber einem eng begrenzten Personenkreis einräumen will. Grundsätzlich muß sich der unfallversicherte Arbeitnehmer und dergleichen mit den Leistungen des Sozialversicherungsträgers begnügen. Der Unternehmer, d. h. im Sinn des § 633 RVO. derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb oder die Tätigkeit geht, haftet nur, wenn strafgerichtlich festgestellt ist, daß er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Der Grund für diese Haftungsbeschränkung liegt, wie der Oberste Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen ausgesprochen hat, nicht vielleicht in einem antisozialen Unternehmerprivileg (so Wolff bei Klang 2. Aufl. VI., S. 144) - eine analoge Bestimmung enthielten ja schon §§ 45 ff. ArbUnfVersG. -, sondern darin, daß der Unternehmer die Kosten der Unfallversicherung zu tragen hat und der Versicherte für einen auf Betriebsunfall zurückzuführenden Schaden in jedem Fall eine sichere Entschädigung erhält, selbst wenn der Unfall nicht auf Drittverschulden zurückführt oder wenn er selbst den Unfall verschuldet hat. Als weitere Erwägung wurde auch die Vermeidung unerquicklicher Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern geltend gemacht (2 Ob 779/50, 385/51, 116/50, 197/50, 357/50, RGZ. 136/67, Bülow DJ. 1944 S. 25).

Die gleiche Begünstigung gewährt das Gesetz den Bevollmächtigten oder Repräsentanten des Unternehmens und den Betriebs- und Arbeiteraufsehern, also jenen Personen, die hinsichtlich der Verantwortung für den Betrieb des Unternehmens entweder im vollen Umfang oder hinsichtlich eines ihnen zugewiesenen Teilgebietes dem Unternehmer gleichgestellt sind. Bei ihnen, die ja nicht die Kosten der Versicherung tragen, ist der entscheidende Gesichtspunkt der, daß sie leitende Organe und Gehilfen des Unternehmers in der Betriebsführung und darum rechtlich in diesem Punkte so zu behandeln sind, wie dieser selbst. Daß es sich dabei nur um Aufsichtsorgane des Unternehmens handeln kann, in dessen Betrieb der Versicherte einen Betriebsunfall erlitten hat, ergibt sich schon aus dem Gebrauch des bestimmten Artikels (arg. verb. "des"), der zwar ausdrücklich nur im Zusammenhang mit den Bevollmächtigten und Repräsentanten gebraucht wird, aber nach dem Zusammenhang auch auf die untergeordneten Aufsichtsorgane, die Betriebs- und Arbeitsaufseher, zu beziehen ist. Freilich ist die Revisionsbeantwortung im Unrecht, wenn sie dem Beklagten die Eigenschaft eines Betriebsaufsehers deswegen bestreiten will, weil er als Bundesbahnverschubmeister dem Kläger gegenüber kein Aufseher gewesen sei. Darauf kommt es nicht an, da der Beklagte im Rahmen seines eigenen Betriebes, der Österreichischen Bundesbahnen, zweifellos eine verantwortliche, wenn auch untergeordnete Stellung im Verschubdienst bekleidete und, wie das Erstgericht formulierte, eine gewisse Selbständigkeit der Beaufsichtigung besaß und mit Verrichtungen betraut war, die den Gang des Betriebes und seine Sicherheit gewährleisten sollen. Er war also "Betriebsaufseher", aber nicht im Betrieb, dem der Kläger als Arbeiter der X-Werke angehörte, sondern in einem anderen Betrieb, der vorliegend wirtschaftlich mit den X-Werken kooperierte und für diese Transportleistungen besorgte.

Maßgebend ist aber, daß Beklagter, weil er nicht im gleichen Betrieb beschäftigt war wie der Kläger, und der Unfall nur durch das Ineinandergreifen zweier selbständiger Betriebe entstand, Schadenersatzansprüche nach § 899 RVO. nur gegen die Betriebs- und Arbeitsaufseher seines eigenen Betriebes geltend machen kann. Für Ansprüche gegen andere als die dort angeführten Betriebsangehörigen oder gegen Betriebsfremde gelten die allgemeinen materiellrechtlichen Vorschriften, demnach die Bestimmungen des ABGB., KFG., RHG. usw. (vgl. 2 Ob 197/50).

Aus der Norm des § 903 RVO., auf die sich die Revision zur Stütze ihrer Ansicht beruft, lassen sich nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes keine Konsequenzen dieser Art ableiten, abgesehen davon, daß auch das gegen Unternehmer und Gleichgestellte zugelassene Regreßrecht der Genossenschaften, Krankenkassen usw., falls sie den Betriebsunfall vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben, sich nach dem Zusammenhang dieser Gesetzesstellen mit den §§ 898, 899 RVO. offenbar nur auf Unternehmer und Aufsichtspersonen jenes Betriebes bezieht, in welchem sich der Unfall ereignete und denen der beschädigte Versicherte angehörte.

Diese rechtlichen Folgerungen treten aber auch nicht dadurch außer Kraft, daß nach den zwischen den Bundesbahnen und den X-Werken getroffenen Abmachungen die bei den Verschubarbeiten mitwirkenden österreichischen Bundesbahnbediensteten als Beauftragte der Firma X. gelten und daß nach den "Allgemeinen Bedingungen für Schleppbahnanschlüsse P 112 (ebenda)" Bahnbedienstete, die als Beauftragte des Schleppbahninhabers Arbeiten im Eigenbetrieb der Schleppbahn vornehmen, als Bedienstete der Schleppbahn gelten. Der Sinn des Abkommens geht aus dem weiteren Zusatz hervor, daß die X-Werke "daher" den Österreichischen Bundesbahnen "für alle Schäden und Unfälle haften, die sich im Zusammenhang mit diesen Verschubarbeiten ereignen sollten". Die X-Werke verpflichten sich damit, die Österreichischen Bundesbahnen für den Fall, als diese nach dem Reichshaftpflichtgesetz oder Sachschadenhaftpflichtgesetz wegen eines beim Schleppbahnbetrieb von einem Bundesbahnangestellten verursachten Schadens haftbar gemacht werden sollten, klag- und schadlos zu halten. Eine Verschiebung der Haftpflicht derjenigen Personen, die nach den Bestimmungen des materiellen Rechtes einem unfallversicherten Beschäftigten des Unternehmens haftbar sind, tritt durch dieses Abkommen ebensowenig ein als durch die "Allgemeinen Bedingungen für Schleppbahnanschlüsse" BH-401. Mit Recht verweist das Berufungsgericht darauf, daß ein solches Abkommen den Ansprüchen daran unbeteiligter Dritter nicht nachteilig sein könnte und bezieht sich auf die Rechtsprechung (SZ. XXII/172). Durch das Abkommen, bzw. die "Allgemeinen Bedingungen" wird der Beklagte demnach nicht zum Betriebsaufseher der X-Werke im Sinn des § 899 RVO., sondern bleibt nach wie vor ein betriebsfremder Dritter, mag auch aus diesen Bestimmungen ein Regreßanspruch der Österreichischen Bundesbahnen gegen die X-Werke für den Fall sich ergeben, als sie etwa selbst vom Kläger nach Maßgabe der materiellrechtlichen Bestimmungen zum Schadenersatz herangezogen werden sollten.

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