OGH 2Ob353/51

OGH2Ob353/5131.5.1951

SZ 24/156

Normen

ABGB §300
ABGB §365
ABGB §1448
ABGB §1497
HGB §131
ABGB §300
ABGB §365
ABGB §1448
ABGB §1497
HGB §131

 

Spruch:

Die entschädigungslose Konfiskation des Vermögens einer offenen Handelsgesellschaft in ihrem Heimatstaat hat ihr Erlöschen ohne Liquidation zur Folge. Für das im Inland befindliche Vermögen bleibt die Konfiskation wirkungslos, insbesondere auch dann, wenn es sich um Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Personengruppe wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen oder religiösen Minderheit handelt. Das im Inland befindliche Vermögen fällt mit dem Erlöschen der Gesellschaft den ehemaligen Gesellschaftern zu.

Entscheidung vom 31. Mai 1951, 2 Ob 353/51.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht gab dem auf Zahlung eines Betrages von 50.131.64 S gerichteten Klagebegehren vollinhaltlich Folge, indem es die von der Beklagten geltend gemachte Einwendung der mangelnden Aktivlegitimation verwarf, weil die klagsgegenständliche Forderung eine im Eigentum des Klägers stehende, im Inland befindliche bewegliche Sache darstelle, welche durch die Enteignungsmaßnahmen des tschechoslowakischen Staates nicht ergriffen werden konnte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nur hinsichtlich eines Teilbetrages von 5000 S Folge, indem es die Streitsache unter Rechtskraftvorbehalt in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwies. Im übrigen bestätigte es das erstrichterliche Urteil. Es stellte fest, daß die Aktivlegitimation unter der Voraussetzung gegeben sei, daß das Vermögen der Firma L. & Co. in M. vom tschechoslowakischen Staat entschädigungslos enteignet wurde. Die Forderung habe wohl ursprünglich der prot. Firma Josef L. & Co. (öffentliche Gesellschafter Kläger, Fritz L. und Dr. Ernst L.) zugestanden. Es sei aber richtig, daß diese Gesellschafter im Jahre 1945 infolge der politischen Ereignisse die tschechoslowakische Republik verließen und das Unternehmen in M. aber nicht weiterführen konnten, so daß diese offene Handelsgesellschaft infolge Wegfalles des Gegenstandes des Unternehmens aufgelöst worden sei. Die vom Beklagten nicht bestrittene Zession durch die beiden Mitgesellschafter an den Kläger im März 1949 bedeute eine teilweise Auseinandersetzung hinsichtlich des Gesellschaftsvermögens. Auch das Berufungsgericht erblickte in der Klagsforderung mit Rücksicht auf den Wohnsitz des Schuldners und den nunmehrigen Wohnsitz des Klägers (Wien) eine im Inland gelegene bewegliche Sache, auf die nur inländisches Recht angewendet werden könne, wenn auch die Firma unter dem gleichen Wortlaut noch in B. weiterbestehe, auch dann nicht, wenn es richtig sein sollte, daß sie noch nicht "nationalisiert", sondern nur unter öffentliche Verwaltung gestellt worden ist. Denn auch diese könne nur das auf dem Gebiet des tschechoslowakischen Staates verbliebene Vermögen umfassen, ebenso wie eine Nationalisierung, das heißt entschädigungslose Enteignung zugunsten des tschechoslowakischen Staates. Die offene Handelsgesellschaft sei aufgelöst, weil die öffentlichen Gesellschafter die tschechoslowakische Republik verlassen mußten und dort den ursprünglichen Gesellschaftszweck nicht mehr erreichen konnten, nämlich den Betrieb des unternommenen Handelsgewerbes. Der Einwand der Beklagten, es sei unmöglich, die Klagsforderung als Aktivum der offenen Handelsgesellschaft L. & Co. aus dem sonstigen Vermögen dieser Firma abzulösen und ihr ein besonderes rechtliches Schicksal zuzuerkennen, könnte vielleicht für Kapitalgesellschaften, die eine selbständige Rechtspersönlichkeit darstellen, in Betracht kommen, nicht aber bei einer offenen Handelsgesellschaft, die nur eine Personengemeinschaft darstelle. Bei der Einigung der Gesellschafter über die Klagsforderung handle es sich um die Liquidierung des (in Österreich befindlichen) Gesellschaftsvermögens. Auch die Versehung der Fakturen mit dem Vermerk "nur an uns, unsere Postsparkassen- oder Bankkonto oder gegen unsere Anweisung geleistete Zahlungen werden anerkannt", sei rechtlich bedeutungslos, weil die Beklagte den geänderten Verhältnissen Rechnung tragen und bei Zweifel über die Person ihres Gläubigers eben gemäß § 1425 ABGB. bei Gericht hinterlegen mußte. Den Hinweis auf die Potsdamer Beschlüsse und das Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 ließ das Berufungsgericht nicht gelten, weil es sich gar nicht um deutsches Eigentum, sondern um das in der tschechoslowakischen Republik gelegene Vermögen von Ausländern handle. Handle es sich um eine "Nationalisierung" im Sinn einer entschädigungslosen Enteignung, so sei nach herrschender Lehre und überwiegender Rechtsprechung diese Maßnahme nur für das in der tschechoslowakischen Republik gelegene Vermögen, nicht aber auch für das in Österreich befindliche rechtswirksam. Dies gelte auch für den Fall, als den Gesellschaftern auf andere Weise durch politische Maßnahmen die freie Verfügung über ihr Vermögen genommen wurde, z. B. durch Verhängung der öffentlichen Verwaltung.

Aber auch dann, wenn man die klagsgegenständliche Forderung als "deutsches Eigentum" im Sinn des Art. 1 lit. b, Art. 5, Abs. IV des Kontrollabkommens vom 28. Juni 1946 ansehen wollte, sei für die Beklagte damit nichts gewonnen, weil nach übereinstimmender Lehre und Rechtssprechung das Erkenntnisverfahren und ein in diesem Sinn ergehendes Leistungsurteil nicht als eine "Maßnahme" angesehen werden könne, die einer Verfügung über deutsches Eigentum gleichkomme. Es sei daher die Mängelrüge, soweit sie die Feststellung des Erstgerichtes über eine entschädigungslose Konfiskation des Unternehmens Firma Josef L. & Co. durch die tschechoslowakische Republik bekämpfe, zum Mißerfolg verurteilt. Diese ergebe sich aber, trotzdem der Handelsregisterauszug nur von einer öffentlichen Verwaltung spreche, aus dem unbestritten gebliebenen Vorbringen der Nebenintervenientin, daß das Unternehmen "verstaatlicht" wurde, worunter im Sinn der in der Tschechoslowakei bestehenden Gesetze eben die Nationalisierung zu verstehen sei. Darum sei auch die beantragte Einholung von Auskünften im Wege des Bundesministeriums für Justiz über diese Frage entbehrlich gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine im Ausland über ein ausländisches Unternehmen verhängte öffentliche Verwaltung für die österreichische Rechtssphäre bedeutungslos und unbeachtlich ist, da die Untergerichte auf Grund der Zeugenaussagen Fritz und Dr. Ernst L., des unwidersprochen gebliebenen Vorbringens der der Beklagten beigetretenen Nebenintervenientin und des tschechoslowakischen Gesetzes vom 25. Oktober 1945, GSlg. 1945, Folge 48, Nr. 108, als erwiesen angesehen haben, daß die Firma Josef L. mindestens im Zeitpunkt des Beitrittes der Nebenintervenientin bereits entschädigungslos enteignet war.

Die darin gelegene Tatsachenfeststellung ist aber sowohl für den Revisionswerber wie für das Revisionsgericht bindend und unanfechtbar.

Wenn die Unterinstanzen aus diesen Tatsachen die an sich, da es sich um Rechtsbegriffe handelt, revisible Schlußfolgerung gezogen haben, daß die "Nationalisierung" des Unternehmens der bestandenen Firma Josef L. & Co. somit nicht als Verstaatlichung gegen Entschädigung, sondern als Konfiskation zu betrachten sei, so ist dieser rechtlichen Folgerung zuzustimmen. Hiefür spricht auch das erwähnte Dekret des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 25. Oktober 1945, Nr. 108, welches in seinem § 1 Punkt 1 Ziffer 2 ausdrücklich verfügt, daß das unbewegliche und bewegliche Vermögen, das am Tage der Beendigung der deutschen Okkupation im Eigentum von physischen Personen deutscher Nationalität gestanden ist, ohne Entschädigung konfisziert wird, sofern nicht einer der in Ziffer 2 genannten Ausnahmsfälle vorliegt, die aber keineswegs behauptet wurden. Es steht aber fest, daß Kläger und seine Mitgesellschafter Personen deutscher Nationalität waren und die Firma in M., also im Gebiet der Tschechoslowakei ihren Sitz hatte. Die Bestimmung des Punktes 2 über juristische Personen ist unanwendbar, da das Dekret vom 25. Oktober 1945 unter den in Punkt 2 angeführten juristischen Personen die offenen Handelsgesellschafter nicht mitumfaßt. Es liegt also kein Nationalisierungsfall gegen Entschädigung im Sinn des Dekretes vom 24. Oktober 1945 Slg. Nr. 100 - 103, vor.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 167/49 ausgeführt hat, werden entschädigungslose Konfiskationen als Kriegsmaßnahme im Inland nicht anerkannt. Dieser Rechtssatz muß aber auch in allen anderen Fällen analog angewendet werden, in denen gegen eine bestimmte Gruppe von Personen, sei es wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen oder religiösen Minderheit, Verfolgungshandlungen unternommen wurden. Ist somit festgestellt, daß die bestandene Firma Josef L. & Co. "nationalisiert" wurde, wobei dieser mehrdeutige Ausdruck für den Bereich der tschechoslowakischen Gesetzgebung im Sinn einer entschädigungslosen Konfiskation zu verstehen ist, so ergibt sich daraus, daß die "Nationalisierung" der Firma L. & Co. im österreichischen Rechtsbereich keine Rechtswirkung zu äußern vermag.

Die ehemalige offene Handelsgesellschaft Josef L. & Co. ist aufgelöst, ihr Vermögen (soweit es sich im Geltungsbereich der tschechoslowakischen Gesetzgebung befindet) eingezogen und dem neuerrichteten Nationalunternehmen Fa. F. in B. und Fa. C. in P. übertragen worden. Daß diese Veränderung noch nicht im Handelsregister durchgeführt erscheint, ist ohne rechtliche Bedeutung. Durch die Konfiskation der Vermögen in der Tschechoslowakei, im Heimatstaat der offenen Handelsgesellschaft, ist diese erloschen, ohne daß eine Liquidation stattgefunden hat. Da der Übergang des in Österreich gelegenen Firmenvermögens auf das tschechoslowakische Nationalunternehmen hierlands nicht anerkannt wird, so fällt dieses Vermögen, wie die Oberste Rückstellungskommission im Erkenntnis vom 2. September 1950, Rkv 330/50, dargelegt hat, ipso iure mit dem Erlöschen der offenen Handelsgesellschaft den ehemaligen Gesellschaftern zu. Da die Mitgesellschafter ihre Quoten der gegenständlichen Forderung dem Kläger abgetreten haben, so erscheint dieser nunmehr auf Grund des in tatsächlicher Beziehung nicht bestrittenen Abtretungsaktes als Alleinberechtigter. Die Aktivlegitimation des Klägers ist darum von den Untergerichten mit Recht bejaht worden.

Es muß aber auch der vom Berufungsgericht in seiner Entscheidung ausgesprochenen, mit der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes (vgl. Rkv 27/48, 1 Ob 162/48, 2 Ob 620/50, Rkv 74/48, 4 Ob 10/47, 1 Ob 804/47 u. a. m.) übereinstimmenden Rechtsansicht beigetreten werden, daß die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung noch nicht die Ergreifung einer Maßnahme im Sinn des Kontrollabkommens darstellt, weil ein Leistungsurteil nicht wie ein rechtsgestaltendes Urteil unmittelbar mit Eintritt der Rechtskraft eine Änderung des bestehenden Zustandes herbeiführt, sondern nur die rechtliche Grundlage für eine solche schafft. Um den dem Urteilsspruch entsprechenden Zustand herbeizuführen, bedarf es noch einer Handlung des Verurteilten oder der Zwangsvollstreckung. Erst durch letztere "ergreift" das österreichische Gericht eine "Maßnahme" gegen den Verpflichteten. Das Kontrollabkommen hindert darum die Verurteilung des Schuldners zu der geschuldeten Leistung nicht. Erst die Zwangsvollstreckung wird davon abhängig sein, daß die Alliierte Kommission vorher ihre schriftliche Zustimmung erteilt (1 Ob 162/48). Wird diese nicht erteilt, so wird die Durchsetzung des Erkenntnisses sich als unzulässig erweisen und die Exekution nicht vollzogen werden können (§ 39 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 EO.), ohne daß dadurch freilich die Wirksamkeit des Exekutionstitels berührt würde. Dieser Rechtsansicht hat sich im übrigen auch das französische Besatzungselement angeschlossen, in dessen Zone der Sitz der beklagten Firma sich befindet und gegebenenfalls die Vollstreckung des Urteils zu erfolgen haben wird.

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