OGH 3Ob665/50

OGH3Ob665/5013.12.1950

SZ 23/383

Normen

ABGB §366
ABGB §425
ABGB §428
ABGB §431
ABGB §938
ABGB §943
ABGB §944
Notariatszwangsgesetz §1 litd
ABGB §366
ABGB §425
ABGB §428
ABGB §431
ABGB §938
ABGB §943
ABGB §944
Notariatszwangsgesetz §1 litd

 

Spruch:

Unter wirklicher Übergabe im Sinne des § 943 ABGB. ist bei Liegenschaften auch die außerbücherliche Übergabe zu verstehen, mag es sich hiebei auch nicht um einen ganzen Grundbuchskörper, sondern nur um ein Trennstück handeln.

Entscheidung vom 13. Dezember 1950, 3 Ob 665/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin stellte im eigenen Namen und als Kuratorin der Verlassenschaft nach ihrem verstorbenen Gatten Karl F. das Begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, das Eigentum der klagenden Parteien an dem auf der Weingartenparzelle des Beklagten, Grundstück Nr. 541, stehenden Häuschen Konskr. Nr. 983 samt Hof und Vorfläche anzuerkennen und einzuwilligen, daß dieser Teil der Weingartenparzelle durch eine entsprechende Parzellenteilung verselbständigt werde, schließlich einzuwilligen, daß die neue Parzelle von der Weingartenparzelle 541 abgeschrieben und das Eigentumsrecht an der abgeschriebenen Teilparzelle für die Kläger je zur Hälfte grundbücherlich einverleibt werde, mit der Begründung, der Beklagte, der Schwiegervater der Erstklägerin und Vater des Erblassers Karl F. habe das Grundstück den Klägern zum Zwecke der Erbauung eines Hauses geschenkt und übergeben, wobei nur die grundbücherliche Übertragung aufgeschoben wurde; die Kläger hätten dann mit Zustimmung des Beklagten das Haus auf dem Grundstück erbaut, doch verweigere nunmehr der Beklagte die Zustimmung zur grundbücherlichen Übertragung.

Das Prozeßgericht erkannte nach dem Klagebegehren. Es stellte fest, daß der Beklagte vor der Eheschließung seines Sohnes Karl F. mit der Erstklägerin den Genannten erklärte, sie sollten in Gottes Namen in den Weingarten hineinbauen, damit Karl F. einmal ein Haus habe, da er (Beklagter) in seinem eigenen Hause keinen Platz für das Ehepaar habe, er schenke ihnen den Grund zum Bau des Hauses, wobei er genau den Grund und die Weinstockreihen bezeichnete, die das Grundstück begrenzen. Gleichzeitig erteilte er den Klägern die Erlaubnis, 300 Weinstöcke aus dem Grundstück auszubauen. Das Haus wurde dann tatsächlich gebaut, und zwar unter Mitarbeit der Verwandten der Erstklägerin und der Kläger, wobei diese zum größten Teil die Baukosten trugen und einen Teil des Materials beistellten, während der Beklagte gleichfalls Beträge für den Hausbau und Material beistellte. Das Haus wurde nach der Fertigstellung von Karl F. und der Erstklägerin allein bewohnt, nachdem sie am 31. Jänner 1938 die Ehe geschlossen hatten. Der Beklagte erklärte in der Folge wiederholt, letztmals im Jahr 1943, daß das Haus selbstverständlich den Klägern gehöre, daß sie keine Angst wegen der grundbücherlichen Übertragung haben brauchten, die Umschreibung des Grundstückes werde nur aus Kostenersparungsgrunden derzeit noch nicht vorgenommen, zumal die Kläger ohnedies einmal den ganzen Weingarten erhalten würden. Nach Ansicht des Prozeßgerichtes liege ein Schenkungsvertrag nach § 938 ABGB. vor. Dadurch, daß der Beklagte den Klägern die tatsächliche Verfügung über den Grund überlassen habe, liege auch eine wirkliche Übergabe im Sinne des § 943 ABGB. vor, weshalb der Vertrag auch ohne Notariatsform gültig und verbindlich sei. Den Zeitpunkt der grundbücherlichen Übertragung habe der Beklagte seiner Willkür vorbehalten, es sei daher die Erfüllungszeit vom Richter nach Billigkeitsgrunden festzusetzen; die Erfüllungszeit sei nun gegeben. Wenn auch bis zum Tode der Gattin des Beklagten Anna F. am 3. Juni 1941 der Beklagte nur zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes gewesen sei, so habe doch die Anna F. den Beklagten zum Alleinerben in ihrem Testament eingesetzt, weshalb der Beklagte bereits im Zeitpunkte des Todes das Anwartschaftsrecht auf die andere Hälfte der Liegenschaft erworben habe; der Beklagte habe mit Einantwortungsurkunde vom 23. August 1948 das Recht der Einverleibung seines Eigentums an der anderen Hälfte seines Grundstückes erhalten und sei daher bereits im Zeitpunkte der Klagseinbringung über das Grundstück verfügungsberechtigt gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Es übernahm die Beweiswürdigung und die tatsächlichen Feststellungen des Prozeßgerichtes und trat auch der Rechtsansicht des Prozeßgerichtes bei, daß zur Übergabe im Sinne des § 943 ABGB. und des Notariatszwangsgesetzes bei Liegenschaften auch die bloß körperliche Übergabe hinreiche, da durch diese bereits der ernstliche Wille, die Schenkung zu verwirklichen, zum Ausdruck gebracht werde.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision ist nicht begrundet, wenn sie die Meinung vertritt, daß eine wirkliche Übergabe von Liegenschaften im Sinne des § 943 ABGB. nur durch grundbücherliche Übertragung erfolgen könne. Ein Großteil der österreichischen Rechtslehre (so Ehrenzweig, II/1, § 356, I/2;

Klang, II/2, S. 626 f; Last in Grünhuts Zeitschrift 40, S. 467;

Strohal, Eigentum an Immobilien, S. 78 f.) und der überwiegende Teil der Rechtsprechung (so GlUNF. 1484, 2353, ZBl. 1924, Nr. 175, SZ. V/305, RZ. 1936, S. 280), stehen auf dem Standpunkt, daß lediglich das Besitzkonstitut als Erwerbsart bei der Schenkung abzulehnen ist, daß aber unter wirklicher Übergabe im Sinne des § 943 ABGB. auch die traditio brevi manu zu verstehen ist und daß auch bei Liegenschaften zur wirklichen Übergabe im Sinne des § 943 ABGB. und des § 1 lit. d NotZwG. die tatsächliche Einräumung und Ausübung des Eigentumsbesitzes hinreichend ist. Bereits im Judikat 142 alt wurde der Grundsatz ausgesprochen, daß sich aus der Aufstellung des Erfordernisses einer wirklichen Übergabe die Absicht des Gesetzes offenbare, von dem Zwang der Formvorschriften solche Fälle auszunehmen, in welchen zum Schenkungsvertrag noch ein anderer, von demselben verschiedener, als Übergabe erkennbarer Akt hinzukommt, welcher Akt ein sinnfälliger, nach außenhin wahrnehmbarer und so beschaffen sein muß, daß aus ihm der Wille des Geschenkgebers hervorgeht, das Objekt der Schenkung sofort aus seiner Gewahrsame in den Besitz des Beschenkten zu übertragen. Daraus ergibt sich aber, daß der Ausdruck "wirkliche Übergabe" nichts anderes bedeutet, als das Gegenteil der bloßen Zusicherung oder des bloßen Schenkungsvertrages; es kommt daher im Sinne des § 943 ABGB. sowohl der physischen Übergabe als auch der Übergabe durch Erklärung (§§ 425, 428 ABGB.) die gleiche rechtliche Wirkung zu. Da weder § 943 ABGB. noch § 1 lit. d NotZwG. hinsichtlich der Schenkung von Liegenschaften eine Ausnahme machen, genügt auch bei derartigen Schenkungen die Einräumung des physischen Besitzes und die Gestattung der Verwaltung. Die Ansicht der Untergerichte, daß wegen der tatsächlich erfolgten Besitzeinräumung eine wirkliche Übergabe vorliege und der Vertrag daher auch ohne Notariatsform gültig sei, ist daher frei von Rechtsirrtum.

Wenn die Revision schließlich darauf verweist, daß im Zeitpunkte der Errichtung des Schenkungsvertrages der Beklagte nur zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes gewesen sei und daher § 944 ABGB. zur Anwendung zu kommen habe, so übersieht sie, daß nach den Feststellungen der Vorinstanzen der Beklagte seine Erklärung noch im Jahre 1943 wiederholt hat, in welchem Zeitpunkte die Kläger bereits im Besitze des ganzen geschenkten Grundstückes und des darauf erbauten Hauses waren und dem Beklagten infolge des Todes und auf Grund des letzten Willens seiner Gattin auch die andere Liegenschaftshälfte zugefallen war und er sich daher in analoger Anwendung des letzten Satzes des § 366 ABGB. nicht darauf berufen kann, daß ihm im Zeitpunkte der ersten (später wiederholten) Erklärung das Eigentum an der ganzen Liegenschaft noch nicht zugestanden sei.

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