OGH 1Ob469/50

OGH1Ob469/5029.11.1950

SZ 23/349

Normen

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §6
AHG §8
JN §1
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §6
AHG §8
JN §1

 

Spruch:

Wird die Aufforderung an die Finanzprokuratur nach § 8 Amtshaftungsgesetz unterlassen, ist der Rechtsweg unzulässig. Die Klage ersetzt nicht die Aufforderung.

Entscheidung vom 29. November 1950, 1 Ob 469/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht hat die auf Grund des Amtshaftungsgesetzes erhobene Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen, da eine vom Kläger an das Bundesministerium für Justiz und nicht an die Finanzprokuratur gerichtete Aufforderung vom 19. August 1949 zur Anerkennung des Schadenersatzanspruches nicht als Aufforderung im Sinne des § 8 Amtshaftungsgesetz, bzw. § 1 der Verordnung BGBl. 1949, Nr. 45 angesehen werden könne.

Das Rekursgericht hat diesen Beschluß dahin abgeändert, daß die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wurde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der beklagten Partei Folge und stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wenn § 8 AHG. dem gerichtlichen Verfahren ein Verwaltungsverfahren voranstellen würde, für das die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten, wie das Rekursgericht in Übereinstimmung mit dem Revisionsrekurs annimmt, dann hätte die genannte Verordnung eine ausschließliche Zuständigkeit für dieses Verfahren begrundet. Der § 6 AVG. hätte vielleicht das Bundesministerium für Justiz verpflichtet, die Eingabe des Klägers "auf seine Gefahr" an die Finanzprokuratur weiterzuleiten. Die Einbringung im Bundesministerium für Justiz hätte aber niemals das Einlangen bei der Finanzprokuratur ersetzt. Bestunde ein Zweifel darüber, ob die angeführte Verordnung eine verfassungs- oder gesetzmäßige Zuständigkeit abändert, dann müßte deren Überprüfung beim Verfassungsgerichtshof beantragt werden.

Der Oberste Gerichtshof sieht jedoch in der Vorschrift des § 8 eine Anordnung, die ein Vorstadium des Prozesses betrifft, in welchen sich die beiden zukünftigen Streitteile zunächst außergerichtlich, jedoch als gleichberechtigte Rechtssubjekte zivilen Rechtes gegenüberstehen. Der Geschädigte hat nicht eine Eingabe an eine Behörde zu richten, er hat den schadenersatzpflichtigen Rechtsträger schriftlich zur Anerkennung des Ersatzanspruches aufzufordern. Der Rechtsträger hat nicht bescheidmäßig über den geltend gemachten Anspruch zu erkennen, er hat vielmehr als juristische Person des bürgerlichen Rechtes die Anerkennung zu verweigern oder auszusprechen. In Übereinstimmung damit bestimmt die genannte Verordnung, daß die Aufforderung statt an staatliche Verwaltungsstellen an die Finanzprokuratur zu richten ist. Die Finanzprokuratur hat nicht selbst obrigkeitliche Befugnisse, sie hat nur den Staat bei Gerichts- und Verwaltungsbehörden zu vertreten, ihn in Rechtsangelegenheiten zu beraten und beim Abschluß von Rechtsgeschäften mitzuwirken, ihn also vorwiegend in seiner Rechtsstellung als juristische Person des bürgerlichen Rechtes zu vertreten. Die Verordnung ändert also nichts an einer Zuständigkeit für ein behördliches Verfahren, sie macht in der Finanzprokuratur nur den Vertreter des Staates namhaft, demgegenüber die zivilrechtlichen Erklärungen im Sinne des § 8 abgegeben werden sollen. Die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit der Verordnung erscheint also nicht zweifelhaft.

Die Aufforderung an die Finanzprokuratur im Sinne des § 8 stellt einen Formalakt dar, ohne dessen Einhaltung die Klage nicht zulässig erscheint. Es ist wohl richtig, daß das Bundesministerium für Justiz sich in die Behandlung der nach § 8 erhobenen Aufforderung nicht durch eine vom Kläger allerdings nicht beachtete Vorerledigung hätte einlassen sollen, daß dieses die Eingabe vielmehr entweder an die Finanzprokuratur weitergeben oder den Kläger hätte anweisen sollen, seine Aufforderung an die Finanzprokuratur zu richten. Die Unterlassung des Bundesministeriums für Justiz und selbst seine aus der Vorerledigung vielleicht hervorleuchtende Absicht, sich in die materielle Erledigung der Aufforderung einzulassen, können jedoch nichts daran ändern, daß das Bundesministerium für Justiz eben nicht die richtige Stelle gewesen ist, an welche der Kläger sich zu wenden hatte, und daß der vom Gesetz geforderte Formalakt nicht gesetzt wurde.

Es geht auch nicht an, etwa anzunehmen, daß § 8 nicht eine prozessuale Voraussetzung für die Klage, sondern eine materielle Voraussetzung des Anspruches ist, so daß die Nichtbeachtung der Vorschrift des § 8 nicht zur Zurückweisung, sondern nur zur Abweisung der Klage führen könnte. Nach dieser abgelehnten Auffassung könnte man ja wohl weiter in der der Finanzprokuratur am 9. März 1950 zugestellten Klage die nach § 8 erforderliche Aufforderung mitenthalten sehen und zu dem Ergebnis kommen, daß am 10. Juni 1950, am Tage, an dem das Erstgericht über die Klage entschieden hat, gemäß § 406 ZPO. hätte berücksichtigt werden müssen, daß der Anspruch nun nach Ablauf von drei Monaten nach der Klage existent geworden ist. Diese Auffassung, die von Kaniak, JBl. 1949, S. 171, und von der Entscheidung 2 Ob 166/50 nicht geteilt wurde, würde die Bestimmung des Gesetzes von vornherein durchlöchern und es von der rascheren oder langsameren Erledigung der Sache abhängig machen, ob § 8 überhaupt zur Auswirkung kommen kann.

Es mußte also der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt werden, wenn auch zugegeben werden muß, daß die Nichtbeachtung der eingangs genannten Verordnung durch das Bundesministerium für Justiz danach angetan war, den Kläger in seinem Irrtum über die zuständige Stelle zu bestärken.

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