Spruch:
Die zur Abwendung des Vollzuges einer einstweiligen Verfügung erlegte Sicherheit haftet für alle Nachteile, die die gefährdete Partei bei Vollzug der einstweiligen Verfügung nicht erlitten hätte.
Entscheidung vom 8. November 1950, 1 Ob 549/50.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Zur Sicherung des Anspruches auf Ausfolgung eines Lastkraftwagens, den die Klägerin auf Grund ihres Eigentumsrechtes den Beklagten gegenüber geltend machte, wurde mit einstweiliger Verfügung vom 24. Jänner 1948 die Verwahrung des Lastkraftwagens angeordnet. Die Verwahrung wurde nicht vollzogen, weil der Zweitbeklagte am 3. Februar 1948 die gemäß § 391 Abs. 1 EO. festgesetzte Sicherungssumme von 22.000 S erlegte. Am 21. Mai 1948 einigten sich die Streitteile dahin, daß der Betrag von 22.000 S ausgefolgt werden könne, wenn die Erstbeklagte Schmuckstücke im Werte von zirka 20.000 S bei der Sparkasse Bruck a. d. Leitha hinterlege. Die Ausfolgung der Geldkaution erfolgte, nachdem der Erlag der Schmuckstücke durch den Zweitbeklagten ausgewiesen worden war.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur Ausfolgung des Lastkraftwagens. Das Urteil ist gegen den Zweitbeklagten in Rechtskraft erwachsen, während die Erstbeklagte Rechtsmittel ergriffen hat. Am 20. Februar 1950 wurde der Lastkraftwagen dem Zweitbeklagten exekutiv abgenommen und der Klägerin ausgefolgt. Die Erstbeklagte stellte nun den Antrag, ihr die Schmuckstücke auszufolgen. Die Klägerin widersetzte sich mit der Begründung, es sei ihr zwar der Wagen ausgefolgt worden, durch seine Weiterbenützung seit Jänner 1948 seien die Reifen und die Batterien jedoch so gut wie unbrauchbar geworden, auch sonst seien Schäden an dem Wagen eingetreten, zu deren Behebung ein Betrag von insgesamt 7870 S erforderlich sei. Wenn ihr bekannt wäre, welche Schmuckstücke hinterlegt worden seien, würde sie der Ausfolgung eines entsprechenden Teiles des Schmuckes zustimmen. Der Zweitbeklagte hat sich der Ausfolgung mit der Erklärung widersetzt, daß ihm Regreßansprüche gegen die erstbeklagte Partei zustunden.
Das Erstgericht hat nun die einstweilige Verfügung wohl gemäß § 399 Z. 1, 2 und 4 EO. aufgehoben, den Antrag der Erstbeklagten auf Ausfolgung des Schmuckes aber abgewiesen, wobei es die Frage, ob der Schmuck für den über das Ausfolgungsbegehren hinausgehenden Schadenersatzanspruch der Klägerin hafte, dahingestellt ließ, aber erklärte, daß die Legitimation zur Antragstellung nicht der Erstbeklagten, sondern dem Zweitbeklagten zukomme.
Das Rekursgericht hat den Beschluß dahin abgeändert, daß die Verpflichtung der Erstbeklagten zum Erlag von Schmuckstücken aufgehoben und die Sparkasse zur Ausfolgung der Schmuckstücke beauftragt wurde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei Folge, hob den angefochtenen Beschluß und die erstgerichtliche Entscheidung in Ansehung der erstbeklagten Partei und Gegner der gefährdeten Partei auf und trug dem Erstgerichte die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im Revisionsrekurse wird zunächst geltend gemacht, daß nicht der Erstbeklagte, sondern der Zweitbeklagte zur Antragstellung legitimiert sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erwägungen des Rekursgerichtes in dieser Richtung stichhältig waren. Der Zweitbeklagte hat den Beschluß des Rekursgerichtes in Rechtskraft erwachsen lassen. Die Klägerin ist nicht berufen, seine Interessen zu wahren. Die Situation ist hier vollkommen verschieden von der, die sich ergibt, wenn ein Schuldner die Aktivlegitimation desjenigen bestreitet, der von ihm eine Zahlung begehrt. Denn bei dem Ausfolgungsverfahren ist die Klägerin nicht Schuldnerin; bei Ausfolgung an eine falsche Person könnte sie für die unrichtige Ausfolgung nicht in Anspruch genommen werden; im übrigen war die Person, für welche sie die Aktivlegitimation in Anspruch nimmt, am Verfahren selbst beteiligt. Die Frage der Aktivlegitimation für den Ausfolgungsantrag kann also von der Klägerin zur Bekämpfung des rekursgerichtlichen Beschlusses nicht herangezogen werden.
Es kann jedoch der weiteren Meinung des Rekursgerichtes nicht gefolgt werden, daß die Sicherheit nur für den Ausfolgungsanspruch an sich haftet, nicht auch für den Anspruch auf Schadenersatz wegen der Entwertung, die der Wagen durch den Gebrauch in der Zeit vom Jänner 1948 bis zur Ausfolgung erlitten hat. Die erlegte Sicherstellung ist ein Surrogat für die bewilligte einstweilige Verfügung. Die gefährdete Partei muß in ihr Ersatz für alle Nachteile finden, die sie dadurch erleidet, daß die Erfüllung ihres Anspruches nicht so gesichert war, wie dies bei Durchführung der einstweiligen Verfügung der Fall gewesen wäre. Die Sicherheit haftet also nicht nur für den Schaden, den die gefährdete Partei dadurch erleidet, daß der Schuldner den auszufolgenden Gegenstand durch eine schuldhafte Handlung ganz der Exekution entzieht, oder daß die Ausfolgung durch einen Zufall, der den Gegenstand beim Schuldner trifft, unmöglich wird, sondern auch für schuldhafte oder zufällige Entwertungen, die der geschuldete Gegenstand beim Schuldner durch Beschädigung oder den Gebrauch erfährt und die ihn nicht getroffen hätten, wenn die Verwahrung durchgeführt worden wäre (ähnlich Neumann - Lichtblau, EO., S. 235, hinsichtlich der nach § 42 Abs. 2 EO. zu erlegenden Sicherheit unter Berufung auf RGZ. 25, 376; vgl. auch RGZ. 141, 194 und ZBl. 1933, Nr. 170).
Es ergibt sich also die Notwendigkeit, die Beschlüsse beider Instanzen der Erstbeklagten gegenüber aufzuheben. Das Erstgericht wird, da die Legitimation der Erstbeklagten nunmehr dadurch, daß der Zweitbeklagte den Beschluß des Rekursgerichtes nicht angefochten hat, außer Zweifel gestellt ist, neuerlich über den Antrag der Erstbeklagten auf Übergabe des Schmuckes in gerichtliche Verwahrung und über ihren Antrag auf Ausfolgung zu entscheiden haben.
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