Spruch:
Wenn das Rekursgericht einen Rekurs zu Unrecht formell zurückgewiesen hat, statt ihn sachlich abzuweisen, so kann der Oberste Gerichtshof seine mit der Rekursentscheidung inhaltlich übereinstimmende Sachentscheidung an die Stelle der rekursgerichtlichen Formalentscheidung setzen.
Wer in erster Instanz das Recht zu Prozeßhandlungen im eigenen Namen in Anspruch genommen hat, ist gegen die Verneinung dieses Rechtes durch das Prozeßgericht rekursberechtigt.
Keine Legitimation des offenen Handelsgesellschafters zu Prozeßhandlungen im eigenen Namen im Prozesse gegen die offene Handelsgesellschaft.
Entscheidung vom 5. April 1950, 1 Ob 175/50.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Klage gegen die Firma Johann F. & Co. wurde Johann F., einem der offenen Gesellschafter dieser offenen Handelsgesellschaft, unter seiner Privatadresse zugestellt; bei der ersten Tagsatzung erschien ein Vertreter für Johann F., nicht aber für die offene Handelsgesellschaft. In der Klagebeantwortung hat Johann F. ausgeführt, daß seine passive Klagslegitimation nicht gegeben sei, weil die Klage nicht ihm persönlich, sondern der beklagten Firma zuzustellen gewesen wäre, wobei weiters unter Hinweis auf den Umstand, daß Franz Xaver R. weiterer Gesellschafter der obgenannten Firma ist, gemäß § 21 ZPO. letzterem der Streit verkundet wurde.
Bei der Streitverhandlung am 12. Dezember 1949 ist Franz Xaver R. als Nebenintervenient auf der Seite des Johann F. in den Prozeß eingetreten, wobei vorgebracht wurde, daß die Gesellschafter der beklagten Firma Franz Xaver R. und Johann F. seien, denen aber die Vertretungsbefugnis nur kollektiv zustehe. Eine Klage selbst sei der beklagten Firma nie zugestellt worden.
Das Erstgericht hat mit Beschluß vom 27. Dezember 1949 1. das bisherige Verfahren ab Erteilung des Auftrages zur Erstattung der Klagebeantwortung einschließlich der Streitverhandlung vom 1. Dezember 1949 als nichtig aufgehoben, 2. dem Johann F. persönlich und der beklagten Firma gemäß § 51 Abs. 1 ZPO. den Ersatz der Kosten des nichtigen Verfahrens auferlegt, 3. für den Fall der Rechtskraft der obigen Beschlüsse ausgesprochen, daß, nachdem bei der ersten Tagsatzung am 7. Juli 1949 Ruhen des Verfahrens eingetreten ist, die neuerliche erste Tagsatzung anberaumt werden wird.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß zwar durch die Zustellung der Ladung zur ersten Tagsatzung an einen vertretungsbefugten Gesellschafter die Klagszustellung an die beklagte Partei erfolgt sei. Da aber nach dem Vorbringen des Nebenintervenienten diesem und Johann F. die Vertretungsbefugnis nur kollektiv zukomme, sei die beklagte Firma an dem bisherigen Verfahren überhaupt nicht beteiligt gewesen.
Die mit Johann F. durchgeführte erste Tagsatzung, die Erteilung des Auftrages zur Erstattung der Klagebeantwortung einschließlich der Streitverkündigung und der Streitverhandlung sei daher nichtig. Da Johann F. sich in den Prozeß eingelassen habe, ohne den Mangel seiner Vertretungsbefugnis geltend zu machen, und die beklagte Partei auch nach der Streitverkündigung erst bei der Streitverhandlung am 1. Dezember 1949 den Mangel der Vertretungsbefungnis geltend gemacht habe, seien die Kosten des nichtigen Verfahrens gemäß § 51 ZPO. sowohl dem Johann F. wie auch der beklagten Partei aufzuerlegen gewesen.
Dagegen hat sowohl Johann F. als auch die beklagte Partei Rekurs erhoben.
Dem Rekurs der beklagten Partei wurde vom Rekursgericht Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß das Verfahren vom Beginn der ersten Tagsatzung bis einschließlich zur mündlichen Streitverhandlung vom 1. Dezember 1949 für nichtig erklärt und der Antrag der klagenden Partei, die Tragung der Kosten des nichtigen Verfahrens der beklagten Firma aufzutragen, abgewiesen wurde.
Der Rekurs des Johann F. richtete sich 1. dagegen, daß das Verfahren nicht einschließlich der ersten Tagsatzung vom 7. Juli 1949 für nichtig erklärt und dem Antrag der klagenden Partei auf Fortsetzung des ruhenden Verfahrens stattgegeben wurde, 2. gegen die gemäß § 51 ZPO. ausgesprochene Kostenauferlegung.
Das Rekursgericht hat dem Rekurs hinsichtlich der Kostenauferlegung gemäß § 51 ZPO. keine Folge gegeben und im übrigen ihn verworfen.
Bezüglich der Verwerfung des Rekurses führte das Rekursgericht aus, daß Johann F. nur kollektiv mit Franz Xaver R. zur Vertretung der beklagten Firma befugt sei. Aus diesen Gründen sei aber Johann F. nicht berechtigt, die Entscheidungen, die den Rechtsstreit gegen die beklagte Firma und nicht ihn persönlich betreffen, anzufechten, da dem Johann F. nur hinsichtlich der Kostenfrage eine Parteienstellung zukomme.
Johann F. hat gegen die Verwerfung seines Rekurses Rekurs an den Obersten Gerichtshof erhoben. Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß dem Rekurse des Johann F. keine Folge gegeben wurde, und daß Johann F. die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen habe.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Vor Eingehung in das Meritum des Rekurses war die Vorfrage zu erörtern, ob dem Rekurswerber ein Rechtsmittel zusteht. Diese Frage ist zu bejahen.
Es handelt sich um die Frage, ob Johann F. berechtigt ist, im eigenen Namen oder namens der Beklagten Prozeßhandlungen vorzunehmen. Da das Rekursgericht ihm diese Legitimation abgesprochen und daher seinen Rekurs als unzulässig zurückgewiesen hat, so muß ihm die Berechtigung zuerkannt werden, diese Frage der höchsten Instanz zur Entscheidung vorzulegen (1 Ob 7/50 (Siehe Nr. 7)).
Das Rekursgericht hat die Legitimation des Johann F. zur Anfechtung des erstinstanzlichen Beschlusses aus zwei Gründen verneint, 1. weil er nur kollektivvertretungsbefugter Gesellschafter sei und daher nur gemeinsam mit Franz Xaver R. die beklagte Firma vertreten könne und
2. weil er im eigenen Namen nicht Prozeßhandlungen vorzunehmen berechtigt sei. Das Rekursgericht hat deshalb den Rekurs des Johann
F. verworfen.
Das war aber insofern verfehlt, als Johann F. in erster Instanz bereits die Legitimation zur Vertretung der Gesellschaft und zu Prozeßhandlungen im eigenen Namen in Anspruch genommen hat, daher im Sinne der Entscheidung 1 Ob 7/50 zur Anfechtung des erstinstanzlichen Beschlusses legitimiert war, wenn das Erstgericht die von ihm behauptete Prozeßführungsberechtigung verneint hat. Das Rekursgericht hätte daher richtigerweise seine Rekursberechtigung nicht verneinen dürfen.
Das bedeutet aber keineswegs, daß der Oberste Gerichtshof dem Rekurse des Johann F. schlechthin Folge geben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung auftragen mußte. Der Oberste Gerichtshof hat bereits hinsichtlich des Revisionsrekursverfahrens in der Entscheidung SZ. XV/176 (am Ende) ausgeführt, daß der Oberste Gerichtshof berechtigt ist, wenn eine aufhebende Entscheidung des Rekursgerichtes bekämpft wird und diese Entscheidung dem Obersten Gerichtshof nicht zutreffend erscheint, selbst die richtige Entscheidung zu fällen, und nicht gehalten ist, dem Rekursgericht die Fassung einer neuen Entscheidung auf Grund einer bindend ausgesprochenen Rechtsauffassung aufzutragen. Das muß aber auch dann gelten, wenn das Rekursgericht zu Unrecht einen Rekurs zurückgewiesen hat, nach dem vorliegenden Sachverhalt aber der Rekurs sachlich hätte abgewiesen werden sollen. Auch hier verlangen es die Grundsätze richtig verstandener Prozeßökonomie, daß der Oberste Gerichtshof sofort seine mit der Rekursentscheidung inhaltlich übereinstimmende Sachentscheidung an Stelle der aufzuhebenden rekursgerichtlichen Formalentscheidung setzt.
Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man in Betracht zieht, daß die Zivilprozeßordnung die Zurückweisung eines Rekurses wegen mangelnder Prozeßlegitimation gar nicht kennt, sondern daß dieses Gebilde nur von der Praxis und der Theorie geschaffen worden ist. Dem Wortlaut der Zivilprozeßordnung würde auch eine "Abweisung" des Rekurses wegen mangelnder Prozeßlegitimation entsprechen. Faßt man die Zurückweisung des Rekurses mangels Legitimation als eine Abweisung aus diesem Gründe auf, so müßte der Oberste Gerichtshof den Rekurs als unzulässig verwerfen, wobei er sich eventuell darauf beschränken könnte, das Wort "zurückweisen" in das korrektere "abweisen" richtigzustellen. Diese Konstruktionsfrage kann aber zu keinem inhaltlich abweichenden Ergebnis führen; es muß daher der Oberste Gerichtshof, auch wenn er sich der herrschenden Konstruktion anschließt, berechtigt sein, eine "Zurückweisung" eines Rekurses wegen mangelnder Legitimation des Rekurswerbers in eine Abweisung umzuwandeln, ohne den völlig überflüssigen Umweg der Aufhebung zu wählen, wenn es klar ist, daß dann das Rekursgericht auch nichts anderes tun könnte, als seine aufgehobene Entscheidung mit der Abweichung zu wiederholen, daß es das Wort "zurückweisen" durch "abweisen" ersetzt.
Das ist aber vorliegend der Fall.
Da Johann F. nur gemeinsam mit Franz Xaver R. die beklagte Firma vertreten darf, so hat das Erstgericht mit Recht dem Johann F. das Recht abgesprochen, die Beklagte allein zu vertreten.
Das Erstgericht und ihm folgend das Rekursgericht hat aber auch das Recht des Johann F. bestritten, in einem Prozeß gegen die beklagte Firma im eigenen Namen Prozeßhandlungen vorzunehmen. Dies würde voraussetzen, daß er entweder selbst Partei im Prozeß ist, als Nebenintervenient einer der Prozeßparteien beigetreten ist oder durch die getroffene Entscheidung unmittelbar in seinen Rechten verletzt worden ist. Johann F. ist aber weder Partei - Partei ist die offene Handelsgesellschaft, der er als Gesellschafter angehört, denn nur diese wurde geklagt - noch Nebenintervenient, da nur Franz Xaver R., aber nicht Johann F. als Nebenintervenient beigetreten ist. Er ist aber durch die im Prozeß gegen die Gesellschafter gefällte Entscheidung nicht unmittelbar in seinen Rechten betroffen, sondern nur wirtschaftlich und mittelbar an der vom Erstgericht gefällten Entscheidung interessiert - vom Kostenpunkt abgesehen, insofern ihm vom Erstgericht ein Kostenersatz auferlegt worden ist. Das Rekursgericht hat daher zutreffend seine Rekursberechtigung im Kostenpunkt bejaht. In der Sache selbst hat sie dagegen die Rekursberechtigung verneint; das war insofern verfehlt, als sie die Rekurslegitimation hätte bejahen, den Rekurs aber sachlich abweisen sollen.
Nach dem oben Ausgeführten list der Oberste Gerichtshof berechtigt, diese Richtigstellung vorzunehmen. Das steht keineswegs mit den Entscheidungen SZ. XIII/278 und SZ. XVIII/54 in Widerspruch, die dem Obersten Gerichtshof das Recht absprechen, eine Sachentscheidung zu fällen, wenn das Rekursgericht einen Rekurs zurückgewiesen hat, weil der Oberste Gerichtshof im vorliegenden Falle sich darauf beschränkt, an Stelle der formal verfehlten Entscheidung des Rekursgerichtes die formal richtige Entscheidung zu setzen und der Sache nach an der Entscheidung des Rekursgerichtes nichts geändert wird.
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