Spruch:
Für die Beurteilung, ob ein Scheidungsbegehren sittlich gerechtfertigt ist, ist der Zeitpunkt der Klagseinbringung maßgebend.
Entscheidung vom 31. August 1949, 2 Ob 385/48.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Der Kläger hat nach dreijähriger Dauer der Ehe die häusliche Gemeinschaft mit der Beklagten aufgehoben und zwei Monate später (im September 1947) die Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG. begehrt. Die Beklagte hat lediglich die Abweisung des Klagebegehrens beantragt und eingewendet, daß der Kläger zu einer anderen Frau Beziehungen unterhalte.
Das Prozeßgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.
Der Oberste Gerichtshof hob beide Urteile auf und verwies die Rechtssache an die erste Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe:
Das Prozeßgericht hat zwar über das beiderseitige Vorbringen eine Reihe von Zeugen und auch den Kläger als Partei vernommen, in seinem Urteile jedoch klare Feststellungen über die vom Kläger der Beklagten angelasteten Eheverfehlungen unterlassen; es hat lediglich die Aussagen einer Zeugin und des Klägers wiedergegeben und die übrigen Beweisergebnisse, soweit überhaupt, nur ganz flüchtig gestreift; eine Würdigung der Beweise ist vollständig unterblieben. Das Urteil enthält lediglich über das Vorbringen der Beklagten die Feststellung, daß der Kläger in einem nicht näher angegebenen Zeitpunkt ("in der Folge") zu T. H. in zumindest ehewidrige Beziehungen getreten ist. Das Prozeßgericht hat die Abweisung des Klagebegehrens damit begrundet, daß die Fehler und Mängel der Beklagten nur in untergeordnetem Maß zur Zerrüttung der Ehe beigetragen haben und nicht als schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG. zu werten seien, während ein schwer schuldhaftes Verhalten des Klägers vorliege. Das Berufungsgericht hat den Kläger ergänzend als Partei vernommen und auch die Parteienvernehmung der Beklagten durchgeführt, im übrigen die Ausführungen des erstgerichtlichen Urteiles über die Verfehlungen der Beklagten als Feststellungen übernommen und ihre Eheverfehlungen als schwer beurteilt, trotzdem aber der Berufung einen Erfolg versagt, da mit Rücksicht auf die Beziehungen des Klägers zu T. H., mit der er, wie er nunmehr zugegeben hat, die Ehe gebrochen hat, das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt sei. Auch das Berufungsgericht hat nicht genau festgestellt, wann das ehewidrige Verhalten des Klägers begonnen hat, und sich mit der Feststellung begnügt, daß der Kläger, nachdem er eigenmächtig den ehelichen Haushalt aufgegeben hatte, zu T. H. in Beziehungen getreten ist und daß es nicht lange gedauert hat, bis daraus ein ehebrecherisches Verhältnis entstanden ist.
Die Revision erblickt mit Recht eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht darin, daß dieses bei der Würdigung des Scheidungsbegehrens von den Tatsachen ausgegangen sei, die zur Zeit der Urteilsfällung bestanden haben. Nach § 49 2. Satz EheG. kann der Eheteil, der selbst eine Verfehlung begangen hat, die Scheidung nicht begehren, wenn nach der Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Teiles mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist. Aus dieser Bestimmung folgt, daß eine solche Würdigung nur dann zu erfolgen hat, wenn der klagende Teil bereits in dem Zeitpunkt, in dem er die Scheidung begehrt hat, also zur Zeit der Klagseinbringung, gegen die ihm durch das Eheband auferlegten Verpflichtungen schwer gefehlt hat. Abgesehen davon, daß in dieser Richtung eine Feststellung fehlt, mangeln dem berufungs- und auch dem erstgerichtlichen Urteile noch andere wesentliche Feststellungen, die eine Entscheidung über das Klagebegehren bei dem amtswegigen Charakter des Scheidungsverfahrens derzeit ausschließen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß überhaupt nicht feststeht, was der Beklagten zur Last liegt. Das Revisionsgericht vermag daher der durch das Berufungsgericht erfolgten und in der Revisionsbeantwortung gerügten Beurteilung ihres Verhaltens als grob ehewidrig nicht beizupflichten. Es genügt aber auch nicht, daß Eheverfehlungen feststehen, es ist vielmehr überdies erforderlich, daß der klagende Teil die Verfehlungen als ehezerstörend empfunden hat (§ 56 EheG.). Daraus, daß der Kläger zumindestens bis Jänner oder Februar 1947 mit der Beklagten die Ehe vollzogen hat, ist zu schließen, daß er bis dahin allfällig vorgelegene Verfehlungen verziehen oder überhaupt nicht als ehezerstörend empfunden hat. Es muß daher auch erhoben sein, seit wann die Ehe zwischen den Streitteilen nicht mehr fortgesetzt worden ist, ob und in welcher Weise sich die Beklagte in der Folge ehewidrig verhalten hat und welche Umstände den Kläger veranlaßt haben, die häusliche Gemeinschaft im Juli 1947 aufzuheben. Nur wenn in diese Zeit schwere Eheverfehlungen der Beklagten fallen, kann nach § 59 EheG. auf frühere Eheverfehlungen zur Unterstützung der Scheidungsklage zurückgegriffen werden. Stehen einerseits schwere Eheverfehlungen der Beklagten nach der Einstellung der ehelichen Beziehungen fest und fallen anderseits die Eheverfehlungen des Klägers erst in die Zeit nach der Einbringung der Klage, dann wird auf die Prüfung des Grades seines Verschuldens nur eingegangen werden können, wenn die Beklagte einen Verschuldensantrag im Sinne des § 60 Abs. 3 EheG. gestellt hat.
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