Normen
BAO §98 Abs2
FOnV 2006 §5b Abs1
VwRallg
ZustG §13 Abs3
ZustG §2 Z1
ZustG §5
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023130048.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss und das angefochtene Erkenntnis werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Schreiben vom 1. Juli 2021 forderte das Finanzamt die revisionswerbende Partei (eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung), zu Handen ihres Geschäftsführers, auf, die zu erstattende Meldung nach dem Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz (WiEReG) bis längstens 23. August 2021 nachzuholen. Falls die Revisionswerberin der Aufforderung nicht Folge leiste, werde gemäß § 111 BAO eine Zwangsstrafe in Höhe von 1.000 € festgesetzt werden.
2 Mit Bescheid vom 24. August 2021 setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin, zu Handen ihres Geschäftsführers, die Zwangsstrafe mit 1.000 € fest. Gleichzeitig wurde die Revisionswerberin aufgefordert, bis 15. Oktober 2021 die bisher unterlassene Handlung nachzuholen. Falls dieser Aufforderung nicht Folge geleistet werde, werde eine weitere Zwangsstrafe in Höhe von 4.000 € festgesetzt werden.
3 Mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin, zu Handen ihres Geschäftsführers, die weitere Zwangsstrafe mit 4.000 € fest.
4 Die Revisionswerberin erhob gegen die Bescheide vom 24. August 2021 und vom 18. Oktober 2021 mit Eingaben vom 12. November 2021 Beschwerden. Sie machte jeweils geltend, aufgrund eines Irrtumes des Finanzamtes sei der FinanzOnline Zugangscode auf einen nicht berechtigten Online‑Teilnehmer eingerichtet worden. Sohin sei keine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt; die Zustellung sei nicht in den Verfügungsbereich des Empfängers erfolgt.
5 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 7. Dezember 2021 wies das Finanzamt die Beschwerde gegen den Bescheid vom 24. August 2021 als verspätet zurück und die Beschwerde gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2021 als unbegründet ab.
6 Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerden zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht. Darin wurde insbesondere geltend gemacht, das Schreiben vom 1. Juli 2021 sowie die Bescheide vom 24. August 2021 und vom 18. Oktober 2021 seien in eine fremde elektronische Databox zugestellt worden, obwohl bekannt gewesen sei, dass der Geschäftsführer der Revisionswerberin keinen Zugang zu dieser Databox gehabt habe. Die Zugangscodes zu der Databox seien von der ehemaligen Geschäftsführerin auf ihren Namen eingerichtet worden und seien nach ihrem Ausscheiden aus der Geschäftsführung verloren gegangen. Der aktuelle Geschäftsführer habe einen Antrag auf Ausstellung eines Zugangscodes gestellt; dieser Zugang sei jedoch neuerlich auf die bereits ausgeschiedene Geschäftsführerin ausgestellt und dieser eigenhändig zugestellt worden. Erst mit Schreiben vom 19. November 2021 sei dies richtiggestellt worden.
7 Mit dem erstangefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 24. August 2021 als nicht fristgerecht eingebracht zurück.
8 Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2021 als unbegründet ab.
9 Das Bundesfinanzgericht sprach jeweils aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
10 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei eine im Jahr 2014 errichtete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sie habe ihren Sitz in Österreich. Bis zum Abtretungsvertrag vom 14. Juni 2018 sei eine natürliche Person alleiniger Gesellschafter der Revisionswerberin gewesen; mit diesem Vertrag habe die M Ltd. mit Sitz in Irland die Geschäftsanteile übernommen. Mit Abtretungsvertrag vom 13. Jänner 2020 habe die M Ltd. einen Teil ihrer Anteile an eine natürliche Person abgetreten.
11 Die Revisionswerberin habe bisher keine Meldung nach dem WiEReG abgegeben.
12 Das Erinnerungsschreiben vom 1. Juli 2021 sei der Revisionswerberin am 1. Juli 2021, der Bescheid vom 24. August 2021 sei der Revisionswerberin am 24. August 2021 zugestellt worden (durch Einlangen in der Databox).
13 Die Revisionswerberin sei seit 1. September 2015 ohne Unterbrechung Teilnehmerin von FinanzOnline und nehme an der elektronischen Form der Zustellung über FinanzOnline teil. Die der Revisionswerberin zur Verfügung gestellten Zugangscodes seien nicht gesperrt gewesen.
14 Es sei auszuschließen, dass der Bescheid vom 24. August 2021 einem anderen Teilnehmer (etwa der ehemaligen Geschäftsführerin der Revisionswerberin) übermittelt worden sei. Es stehe vielmehr fest, dass der Bescheid in die Databox der Revisionswerberin eingelangt sei.
15 Zum Vorbringen der Revisionswerberin, nach dem Ausscheiden der ehemaligen Geschäftsführerin aus der Geschäftsführung sei der Zugangscode verloren gegangen, sei festzuhalten, dass es (im Hinblick auf die Bestimmung des § 1 Abs. 3 FinanzOnline‑Verordnung 2006, wonach die Parteien, die an FinanzOnline teilnähmen, die Zugangskennungen sorgfältig zu verwahren hätten) für die Wirksamkeit der Zustellung nicht maßgebend sei, ob beim Wechsel der Geschäftsführung die Zugangskennungen verloren gegangen seien.
16 Das Vorbringen der Revisionswerberin, dem neuen Geschäftsführer seien die Zugangsdaten (zur Databox) erst mit Schreiben vom 19. November 2021 übermittelt worden, die der früheren Geschäftsführerin (der Ehefrau des nunmehrigen Geschäftsführers) übermittelten Zugangsdaten seien ihm nicht bekannt gewesen, sei nicht schlüssig. Die Revisionswerberin habe die ihr in die Databox zugestellten Dokumente bereits am 3. November 2021 gelesen; die Beschwerden gegen die Bescheide vom 24. August 2021 und 18. Oktober 2021 datierten mit 12. November 2021.
17 Der Bescheid vom 24. August 2021 sei an diesem Tag der Revisionswerberin wirksam zugestellt worden. Die Beschwerde vom 12. November sei somit nach Ablauf der Beschwerdefrist eingebracht worden.
18 Die Revisionswerberin (als Rechtsträger iSd WiEReG) hätte jährlich eine Überprüfung gemäß § 3 Abs. 3 WiEReG durchzuführen und eine Meldung gemäß § 5 Abs. 1 letzter Satz WiEReG abzugeben gehabt. Dies sei nicht erfolgt. Insbesondere sei mit der in nicht gehöriger Form an eine nicht zuständige Stelle erfolgten Mitteilung, die M Ltd. sei die wirtschaftliche Eigentümerin, keine wirksame Bekanntgabe erfolgt; der wirtschaftliche Eigentümer müsse eine natürliche Person sein.
19 Gegen diesen Beschluss und gegen dieses Erkenntnis wenden sich die vorliegenden Revisionen. Zur Zulässigkeit wird jeweils geltend gemacht, eine Zustellung elektronischer Dokumente setze nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 31.7.2013, 2009/13/0105) das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers voraus. Elektronischer Verfügungsbereich sei ein Speicherbereich, auf den der Empfänger einen Zugang habe. Dies treffe aber im vorliegenden Fall nicht zu. Zustellungen könnten wirksam nur an die ausgewiesene steuerliche Vertretung oder an das vertretungsbefugte Organ erfolgen.
20 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt jeweils eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ nach Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung ‑ erwogen:
22 Die Revisionen sind zulässig und begründet.
23 Gemäß § 111 Abs. 1 BAO sind die Abgabenbehörden berechtigt, die Befolgung ihrer auf Grund gesetzlicher Befugnisse getroffenen Anordnungen zur Erbringung von Leistungen, die sich wegen ihrer besonderen Beschaffenheit durch einen Dritten nicht bewerkstelligen lassen, durch Verhängung einer Zwangsstrafe zu erzwingen.
24 Bevor eine Zwangsstrafe festgesetzt wird, muss nach § 111 Abs. 2 BAO der Verpflichtete unter Androhung der Zwangsstrafe mit Setzung einer angemessenen Frist zur Erbringung der von ihm verlangten Leistung aufgefordert werden.
25 Wird die Meldung gemäß § 5 Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz (WiEReG) nicht erstattet, kann das Finanzamt deren Vornahme gemäß § 16 Abs. 1 WiEReG durch Verhängung einer Zwangsstrafe gemäß § 111 BAO erzwingen. Die Androhung der Zwangsstrafe ist mit Setzung einer Frist von sechs Wochen vorzunehmen.
26 Gemäß § 98 Abs. 2 BAO gelten elektronisch zugestellte Dokumente als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Zustellung ist, dass der Empfänger Zugang zu diesem Speicherbereich hat (vgl. ‑ mit näheren Hinweisen ‑ VwGH 31.7.2013, 2009/13/0105).
27 Ein Zustellungsvollmacht iSd § 9 ZustG (vgl. zu dieser im Zusammenhang mit Aufforderungen nach dem WiEReG VwGH 28.6.2023, Ro 2023/13/0011; vgl. nunmehr auch § 16 Abs. 3 WiEReG idF BGBl. I Nr. 97/2023) lag im hier zu beurteilenden Fall nicht vor.
28 Als Empfänger ist im Zustellrecht im Allgemeinen der „formelle“ Empfänger gemeint; dieser ist von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5 ZustG) zu bestimmen. Es handelt sich hiebei zwar im Regelfall um die Person, für die der Inhalt des zuzustellenden Dokuments bestimmt ist („materieller Empfänger“); dies muss aber nicht der Fall sein (z.B. gesetzlicher Vertreter, Zustellungsbevollmächtigter; vgl. VwGH 15.12.2022, Ra 2022/13/0023, mwN).
29 Ist der Empfänger ‑ wie hier ‑ keine natürliche Person, so ist das Dokument nach § 13 Abs. 3 ZustG einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine vom Zusteller zu beachtende Regelung (vgl. VwGH 19.12.2000, 2000/14/0161). Sie schließt nicht aus, dass bereits die Behörde in der Zustellverfügung ein Organ der juristischen Person als „Empfänger“ bestimmt (vgl. VwGH 31.10.2000, 95/15/0198; 28.5.2010, 2004/10/0082; 30.3.2016, Ro 2016/09/0002). Diesfalls ist nicht die juristische Person, sondern das betreffende Organ „Empfänger“ im formellen Sinn (vgl. VwGH 23.4.1992, 90/16/0187; 21.4.2010, 2007/03/0173, je mwN).
30 In der Revisionsbeantwortung wird geltend gemacht, mit dem in der Adressierung befindlichen Zusatz „z.H. [Geschäftsführer]“ sei lediglich zum Ausdruck gebracht worden, dass es sich beim Geschäftsführer um einen Vertreter iSd § 80 Abs. 1 BAO der Revisionswerberin handle. Bei objektiver Interpretation des Schreibens und der Bescheide kann aber nicht angenommen werden, dass lediglich eine derartige, völlig überflüssige Mitteilung erfolgen sollte; niemand bestritt (oder bestreitet), dass der genannte Geschäftsführer der Revisionswerberin deren Vertreter iSd § 80 Abs. 1 BAO ist. Dieser Zusatz kann ‑ wie auch sonst (vgl. VwGH 21.4.2010, 2007/03/0173; 23.1.2020, Ra 2019/15/0115, mwN) ‑ nur dahin verstanden werden, dass damit der Empfänger iSd § 5 ZustG genannt wurde.
31 Nach dieser ‑ wie oben dargelegt von der Behörde wählbaren (zur Frage der Zweckmäßigkeit vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 13 ZustG Rz 11) ‑ Bezeichnung des Empfängers war es aber für die Wirksamkeit der Zustellung erforderlich, dass die Erledigungen in den Verfügungsbereich des in der Zustellverfügung genannten Vertreters (bei Zustellung im Wege von FinanzOnline also in dessen „Databox“) gelangten (vgl. auch VwGH 15.12.2022, Ra 2022/13/0023). Die Zustellung der Dokumente erfolgte aber unbestritten in die „Databox“ der Gesellschaft.
32 Damit liegt eine wirksame Zustellung erst in dem Zeitpunkt vor, in dem das Dokument dem in der Zustellverfügung genannten Empfänger (Geschäftsführer) tatsächlich zugekommen ist (§ 7 ZustG). Ausgehend von den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts, wonach die Dokumente am 3. November 2021 gelesen wurden, erweist sich die Beschwerde vom 12. November 2021 ‑ entgegen dem erstangefochtenen Beschluss ‑ auch betreffend den Bescheid vom 24. August 2021 als rechtzeitig. Ebenfalls ausgehend von diesen Feststellungen wurde die mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 festgesetzte Zwangsstrafe ‑ entgegen dem zweitangefochtenen Erkenntnis ‑ vor ihrer Festsetzung nicht wirksam angedroht.
33 Die angefochtenen Entscheidungen waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
34 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. November 2023
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