Normen
B-VG Art133 Abs4
EpidemieG 1950 §40 Abs1 litb
EpidemieG 1950 §7
MRKZP 07te Art4
StGB §178
VStG §22 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs3
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023090073.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte war vom 9. bis 19. März 2022 infolge Infektion mit SARS‑CoV-2 gemäß § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz 1950 (EpiG) an seiner Wohnanschrift behördlich abgesondert. Am 10. März 2022 um 16:45 Uhr gab der Mitbeteiligte am Gemeindeamt seiner Wohnsitzgemeinde einen Antrag für den Gemeinderat ab; am 15. März 2022 ging er um 15:45 Uhr mit seinem Hund etwa 400 Meter vom Absonderungsort entfernt spazieren.
2 Mit Strafverfügung der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 24. März 2022 wurde über den Mitbeteiligten wegen des Verstoßes gegen den Absonderungsbescheid am 15. März 2022 gemäß § 40 EpiG eine Geldstrafe (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
3 Gegen diese Strafverfügung erhob der Mitbeteiligte Einspruch.
4 Mit Schreiben vom 9. April 2022 erstattete die belangte Behörde hinsichtlich der Vorfälle vom 10. und 15. März 2022 bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen des Verdachts der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten (§ 178 StGB). In der Folge wurde der Mitbeteiligte im Auftrag der Staatsanwaltschaft von Beamten einer Polizeiinspektion zu den Vorfällen vom 10. und vom 15. März 2022 als Beschuldigter vernommen, wobei er zu dem hier gegenständlichen Vorfall vom 15. März 2022 zu Protokoll gab (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):
„Am 15. März 2022 ab ca. 15.15 Uhr verließ ich mein Wohnhaus und meinen Garten und ging auf einer Gemeindestraße (Güterweg ...) mit meinem Hund spazieren, obwohl ein Absonderungsbescheid der [belangten Behörde] vorlag. Ich machte dies deshalb, weil
1. meine Stieftochter einen schweren Corona Verlauf hatte und im Bett lag
2. meine Lebenspartnerin am 15. März 2022 um 09:00 Uhr von der Arbeit nach Hause kam und eine Birkenallergie hatte und sich wegen starken allergischen Reaktionen ins Bett legen musste
3. mein Stiefsohn in der Schule war
und ich deshalb niemanden hatte, der mit dem Hund ‚Gassi‘ ging. Anmerken möchte ich, dass unser Hund (Border Collie) durch eine Erkrankung ‚Myositis‘ ca. 2 Stunden am Tag gehen muss. Aufgrund des gesundheitlichen Zustandes des Hundes ist es unerlässlich und ich musste deshalb mit ihm gehen.“
5 Mit Schreiben vom 11. Mai 2022 benachrichtigte die Staatsanwaltschaft die belangte Behörde über die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Mitbeteiligten wegen § 178 StGB hinsichtlich „Spazierengehen mit dem Hund am 15.3.2022“. Die Einstellung erfolgte gemäß § 190 Z 2 StPO, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestehe. Hinsichtlich des Besuches am Gemeindeamt wurde Strafantrag erhoben.
6 In der Folge verurteilte das Landesgericht Linz den Mitbeteiligten mit Urteil vom 13. Juni 2022 hinsichtlich des Vorfalls vom 10. März 2022 wegen des Vergehens nach § 178 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
7 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 21. Juni 2022 wurde der Mitbeteiligte einer Übertretung nach § 40 in Verbindung mit §§ 7 und 17 EpiG schuldig erkannt, weil er am 15. März 2022 um 15:45 Uhr trotz der mit näher bezeichnetem Bescheid der belangten Behörde angeordneten Absonderung mit seinem Hund auf dem Güterweg (400 m von seinem Haus entfernt) spazieren gewesen sei, und über ihn hiefür gemäß § 40 EpiG eine Geldstrafe (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
8 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge, es behob das behördliche Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.
Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
9 Ausgehend von dem (eingangs zusammengefasst wiedergegebenen) festgestellten Sachverhalt führte das Verwaltungsgericht rechtlich fallbezogen begründend im Wesentlichen (unter Hinweis auf VwGH 29.5.2015, 2012/02/0238) aus, dass sich diese zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch auf das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren übertragen lasse. Aus dem Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft Linz zu 16 St 71/22v ergebe sich, dass der Mitbeteiligte im Ermittlungsverfahren zum Faktum „Spazierengehen mit dem Hund am 15.03.2022“ als Beschuldigter (§ 193 Abs. 2 Z 1 StPO) vernommen worden sei und keine Anordnung der Fortführung des Verfahrens erfolgt sei. Es habe sich daher herausgestellt, dass das Faktum inhaltlich geprüft worden sei, weshalb von einem Anklageverbrauch ausgegangen werde.
10 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit der durch die angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärten Rechtslage und der einzelfallbezogenen Beurteilung der Bindungswirkung der Einstellung nach § 190 StPO.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Amtsrevision des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht sowie der Mitbeteiligte erstatteten in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren Revisionsbeantwortungen.
12 Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frage, ob die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 B‑VG - also eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung - vorliegt, im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auch nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, liegt daher keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme (VwGH 18.11.2021, Ro 2021/09/0031, mwN).
15 Die Zulässigkeit der Revision wird im vorliegenden Fall damit begründet, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 13.12.2019, Ra 2019/02/0020) abgewichen sei, weil es sich nicht ausreichend mit den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 VStG auseinandergesetzt habe, indem es lediglich aufgrund der Anzeige der Tat bei der Staatsanwaltschaft annehme, dass dem Strafverfahren und dem Verwaltungsstrafverfahren derselbe Sachverhalt zugrunde gelegen sei.
16 Ferner habe es sich nicht ausreichend mit den Unterschieden zwischen der von der Verwaltungsstrafbehörde zur Last gelegten Tat und dem in Frage stehenden strafrechtlichen Tatbestand des § 178 bzw. § 179 StGB auseinandergesetzt. Es habe es unterlassen, bei der Prüfung der Übereinstimmung der Sachverhalte zu beurteilen, ob diese jeweils das wesentliche Element der (in beiden Verfahren tatsächlich vorgenommenen) Subsumtion bildeten.
17 Das Landesverwaltungsgericht sei durch die irrige Annahme eines Entfalls der Strafbarkeit gemäß § 22 Abs. 1 VStG (in Folge der fehlenden Prüfung dahingehend, ob sich die vorgeworfene Tathandlung im gerichtlichen Straftatbestand des § 178 bzw. § 179 StGB erschöpfe bzw. die beiden in ihren wesentlichen Merkmalen gleich seien [EGMR 10.2.2009, Sergey Zolotukhin gg. Russland, 14939/03]), von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0095; 26.4.2019, Ra 2018/02/0344; 13.12.2019, Ra 2019/02/0020) abgewichen.
18 Schließlich fehle zur Frage der Subsidiarität zwischen dem Zuwiderhandeln gegen eine gemäß § 7 Abs. 1a EpiG verfügte Absonderung und den gerichtlichen Tatbeständen der vorsätzlichen bzw. fahrlässigen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten gemäß §§ 178 bzw. 179 StGB bei Revisionserhebung Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
19 Zum geltend gemachten Fehlen von Judikatur zur Frage der Subsidiarität zwischen einem Verstoß gegen § 40 Abs. 1 lit b in Verbindung mit § 7 Abs. 1a EpiG und § 178 StGB kann auf die hiezu inzwischen bereits ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen werden (siehe VwGH 5.5.2023, Ra 2022/03/0280; 28.6.2023, Ra 2023/03/0025; 21.8.2023, Ra 2023/03/0017). Dass es über die dort erfolgten Klarstellungen im vorliegenden Fall weiterer Leitlinien durch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedürfte, ist nicht zu ersehen.
20 Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies zu einem vergleichbaren Revisionsvorbringen in seinem Beschluss vom 21. August 2023, Ra 2023/03/0017, bereits ausgeführt:
„11 Die Amtsrevision weist zutreffend darauf hin, dass sich die objektiven Tatbestände des § 40 Abs. 1 lit. b EpiG einerseits und des § 178 StGB andererseits voneinander unterscheiden. So hat der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis Ra 2022/03/0280 darauf hingewiesen, dass der objektive Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 40 Abs. 1 lit. b EpiG bereits dann erfüllt ist, wenn der Täter einem nach § 7 EpiG behördlich verfügten Ge‑ oder Verbot ‑ sohin einer behördlich verfügten Absonderungsmaßnahme oder Verkehrsbeschränkung ‑ zuwiderhandelt. Auf das Herbeiführen einer Gefahrensituation, etwa der Gefahr der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit, kommt es nicht an. Hingegen ist nach § 178 StGB strafbar, wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört. Der Tatbestand des § 178 StGB verlangt also das Herbeiführen einer ‑ im Gesetz näher umschriebenen ‑ Gefahrensituation.
12 Das allein lässt aber im vorliegenden Fall den Schluss, es könne keine Tatidentität vorliegen, mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung des EGMR zum Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK nicht zu.
13 Zur Beurteilung der Frage, ob dieselbe strafbare Handlung im Sinn dieser Bestimmung vorliegt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner grundlegenden Entscheidung vom 10. Februar 2009, Nr. 14939/03 (Sergey Zolotukhin gg. Russland) und seiner Folgejudikatur (vgl. etwa EGMR 15.11.2016, Nr. 24130/11 und Nr. 29758/11, A. und B. gg. Norwegen, insbes. Rn. 108; EGMR 25.6.2009, Nr. 55759/07, Maresti gg. Kroatien; EGMR 14.1.2010, Nr. 2376/03, Tsonyo Tsonev gg. Bulgarien [Nr. 2]) die Ansicht vertreten, dass allein auf die Fakten abzustellen sei und die rechtliche Qualifikation derselben außer Betracht zu bleiben habe sowie eine neuerliche Strafverfolgung dann unzulässig sei, wenn sie sich auf denselben oder zumindest im Wesentlichen denselben Sachverhalt beziehe (Zolotukhin, Rn. 82: ‚identical facts or facts which are substantially the same‘). In der Rechtssache Tsonyo Tsonev hat er darauf abgestellt, ob dieselben Fakten das zentrale Element der Anschuldigungen und der beiden angewendeten Strafbestimmungen gebildet haben, und betont, dass die strafrechtliche Anklage die Fakten der Verwaltungsstraftat in ihrer Gesamtheit umfasste und umgekehrt die Verwaltungsstraftat keine Elemente enthielt, die nicht bereits in der gerichtlich strafbaren Handlung gegeben waren, wegen welcher der Beschwerdeführer verurteilt worden war (Tsonyo Tsonev, Rn. 52). In der Rechtssache Maresti erblickte der EGMR eine Doppelbestrafung auch dann, wenn der Tatbestand eines der beiden in Rede stehenden Delikte im Unterschied zum anderen keine körperliche Verletzung des Beschuldigten erforderte, in concreto aber in beiden Fällen eine solche ein Element der Prüfung gewesen sei, die zu einem Schuldspruch geführt habe (vgl. Maresti, Rn. 63).“
21 Auch im vorliegenden Fall zeigt die Revision im Lichte dieser in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übernommenen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. abermals VwGH 13.12.2019, Ra 2019/02/0020; 29.5.2015, 2012/02/0238, VwSlg. 19136 A) kein Abweichen von der Leitlinie dieser Rechtsprechung auf. So stellte das Landesverwaltungsgericht entgegen dem Revisionsvorbringen nicht bloß auf den Umstand der Erstattung einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ab. Vielmehr ging es im Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte auch zum Vorwurf vom 15. März 2022 im strafgerichtlichen Verfahren als Beschuldigter einvernommen wurde (weshalb eine formlose Fortführung des insoweit beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 193 Abs. 2 Z 1 StPO nicht mehr möglich war) und die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft sich ausdrücklich auf das „Spazierengehen mit dem Hund am 15.3.2022“ bezog, was auch Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens war, davon aus, dass im konkreten Fall die Staatsanwaltschaft einerseits und die Verwaltungsbehörde andererseits dieselbe Tat beurteilt haben.
22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb diese mit einem gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens ohne weiteres Verfahren zu fassenden Beschluss zurückzuweisen war.
Wien, am 12. Oktober 2023
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