VwGH Ra 2022/03/0280

VwGHRa 2022/03/02805.5.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 19. Oktober 2022, Zl. LVwG‑S‑1399/001‑2022, betreffend Übertretung des EpiG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mödling; mitbeteiligte Partei: B L in G), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38
EpidemieG 1950 §40
EpidemieG 1950 §40 litb
EpidemieG 1950 §7
StGB §178
VStG §22 Abs1
VStG §22 Abs1 idF 2013/I/033
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022030280.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 21. Oktober 2020 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Mödling (belangte Behörde) die Absonderung des Mitbeteiligten aufgrund seiner Erkrankung an der Lungenkrankheit COVID‑19 beginnend mit diesem Tag bis zur behördlichen Aufhebung der Absonderung an seiner (näher bezeichneten) Wohnadresse in G an. Mit einem weiteren Bescheid vom 12. November 2020 hob die belangte Behörde die Absonderung des Mitbeteiligten mit Ablauf des 8. November 2020 auf. Beide Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.

2 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 21. April 2022 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe dem Absonderungsbescheid vom 21. Oktober 2020 zuwidergehandelt, indem er am 28. Oktober 2020 um 10.40 Uhr seine Wohnung in G verlassen habe.

Der Mitbeteiligte habe dadurch § 40 lit. b Epidemiegesetz 1950 (EpiG) in Verbindung mit § 7 EpiG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 15/2020 und der Verordnung RGBl. Nr. 39/1915 verletzt, weshalb über ihn gemäß § 40 EpiG eine Geldstrafe in Höhe von € 100,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 45 Stunden) verhängt und gemäß § 64 VStG ein Kostenbeitrag vorgeschrieben wurde.

3 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) gab mit dem angefochtenen Erkenntnis der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Unter einem sprach es aus, dass der Mitbeteiligte gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe und erklärte eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

4 Begründend stellte das Verwaltungsgericht zusammengefasst (über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus) Folgendes fest: Am 28. Oktober 2020 um 10.40 Uhr sei der Mitbeteiligte im Zuge einer Überprüfung durch Polizisten der Polizeiinspektion G nicht an seiner Absonderungsadresse angetroffen worden und habe weder telefonisch unter der von ihm angegebenen Telefonnummer erreicht werden können, noch sei ein Rückruf erfolgt. Vor diesem Hintergrund habe die Polizeiinspektion G am 30. Oktober 2020 gegen den Mitbeteiligten sowohl bei der belangten Behörde als auch bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (wegen des Verdachtes nach § 178 StGB) Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt habe das Ermittlungsverfahren gegen den Mitbeteiligten wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten (§ 178 StGB) am 14. Dezember 2020 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt.

5 Rechtlich erwog das Verwaltungsgericht, die nach den Feststellungen verwirklichte Tat des Mitbeteiligten, das Verlassen des im Absonderungsbescheid angeordneten Ortes trotz aufrechter behördlicher Absonderung aufgrund einer Erkrankung an COVID‑19, sei nur dann als Verwaltungsübertretung strafbar, wenn sie nicht gleichzeitig einem gerichtlichen Straftatbestand unterfalle (Verweis auf § 22 Abs. 1 VStG und § 40 EpiG). Dieser Vorrang des Kriminalstrafrechts bestehe immer schon dann, wenn der in Rede stehende Sachverhalt einem gerichtlichen Straftatbestand subsumierbar sei und sachlich Beschuldigtenidentität bestehe, unabhängig davon, ob die Tat konkret strafbar sei.

Bereits aus der festgestellten Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Mitbeteiligten wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten eingeleitet, dieses aber gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt habe, ergebe sich, dass die dem Mitbeteiligten im vorliegenden Fall zur Last gelegte Tat vom 28. Oktober 2020 das Tatbild der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten gemäß § 178 StGB, somit einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung, erfülle. Aus diesem Grund sei das Verhalten des Mitbeteiligten gemäß § 22 Abs. 1 VStG bzw. § 40 EpiG nicht verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden, weshalb das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Diese bringt zur Zulässigkeit und in der Sache vor, das Verwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 22 Abs. 1 VStG abgewichen, wonach diese Bestimmung nur darauf abstelle, dass die Tat auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, ohne dass es auf die tatsächliche Einleitung (oder gar den Abschluss) eines Strafverfahrens ankomme. In diesem Zusammenhang habe das Verwaltungsgericht die gebotene Auseinandersetzung mit den Unterschieden zwischen der von der belangten Behörde zur Last gelegten Tat und dem in Frage stehenden strafrechtlichen Tatbestand des § 178 StGB nicht ausreichend vorgenommen und unzutreffend Sachverhaltsidentität angenommen.

7 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist im Sinne des Zulässigkeitsvorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.

9 § 22 Abs. 1 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

Zusammentreffen von strafbaren Handlungen

§ 22. (1) Soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, ist eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

...“

10 Die zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Bestimmungen des EpiG, BGBl. Nr. 186/1950 in der Fassung BGBl. I Nr. 98/2001 (§ 40) bzw. BGBl. I Nr. 104/2020 (§ 7), lauten auszugsweise:

Absonderung Kranker.

§ 7. ...

(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.

...

Sonstige Übertretungen.

§ 40. Wer durch Handlungen oder Unterlassungen

...

b) den auf Grund der in den §§ 7, ... angeführten Bestimmungen erlassenen behördlichen Geboten oder Verboten ... zuwiderhandelt ...

macht sich, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 1 450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen.“

11 § 178 StGB, BGBl. Nr. 60/1974 in der Fassung BGBl. I Nr. 112/2015, lautet:

Vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten

§ 178. Wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige‑ oder meldepflichtigen Krankheiten gehört.“

12 Gemäß § 22 Abs. 1 VStG ist eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. § 22 Abs. 1 VStG stellt dabei ‑ ebenso wie die entsprechende Regelung in § 40 EpiG ‑ ausschließlich auf die „Tat“ ab. Dass die Verwaltungsstrafnorm gegebenenfalls eine andere Schutzrichtung aufweist als die gerichtliche Strafnorm, ändert an der Subsidiarität nichts. Entscheidend ist, dass die Tat auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet; auf die tatsächliche Einleitung (oder gar den Abschluss) eines Strafverfahrens kommt es daher ebensowenig an wie auf den Umstand, dass die strafgerichtliche Verfolgung nur auf Verlangen zu erfolgen hat. Auch die Frage, ob der Beschuldigte die Tat verschuldet hat oder ein Entschuldigungsgrund in Betracht zu ziehen ist, ist für die Subsidiarität der Verwaltungsstrafdrohung nicht entscheidend.

Ob die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, ist dabei von der Verwaltungsstrafbehörde ‑ im Falle einer Beschwerde vom Verwaltungsgericht ‑ als Vorfrage zu beurteilen (vgl. zu all dem VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0095).

13 Im vorliegenden Fall wurde dem Mitbeteiligten im Straferkenntnis der belangten Behörde zur Last gelegt, er habe einer gemäß § 7 EpiG verfügten Absonderungsmaßnahme zuwidergehandelt, indem er während aufrechter Absonderung den behördlich verfügten Absonderungsort (seine Wohnung in G) verlassen habe.

14 Das Verwaltungsgericht vertrat demgegenüber (auf das Wesentliche zusammengefasst) die Auffassung, bereits aufgrund des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Mitbeteiligten nach § 178 StGB eingeleitet, dieses aber gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt habe, ergebe sich, dass die zur Last gelegte Tat das Tatbild des § 178 StGB erfülle, weshalb sie gemäß § 22 Abs. 1 VStG bzw. § 40 EpiG nicht verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden sei.

15 Der objektive Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 40 lit. b EpiG in Verbindung mit § 7 EpiG ist bereits dann erfüllt, wenn der Täter einem nach § 7 EpiG behördlich verfügten Ge‑ oder Verbot ‑ sohin einer behördlich verfügten Absonderungsmaßnahme oder Verkehrsbeschränkung ‑ zuwiderhandelt. Eben dies wurde dem Mitbeteiligten mit dem behördlichen Straferkenntnis angelastet.

Auf das Herbeiführen einer Gefahrensituation, etwa der Gefahr der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit, kommt es aber nicht an.

16 Hingegen ist nach § 178 StGB strafbar, wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige‑ oder meldepflichtigen Krankheiten gehört. Der Tatbestand des § 178 StGB verlangt also das Herbeiführen einer ‑ im Gesetz näher umschriebenen ‑ Gefahrensituation (vgl. dazu im Einzelnen etwa OGH 16.2.2022, 13 Os 130/21y, und OGH 24.8.2022, 14 Os 62/22g).

17 Das Verwaltungsgericht hat sich im vorliegenden Fall darauf beschränkt, aus der Einstellung des gegen den Mitbeteiligten geführten Strafverfahrens auf die Tatidentität zu schließen, ohne Feststellungen zu treffen, welcher Sachverhalt (welche „Tat“) dem Mitbeteiligten im gerichtlichen Strafverfahren angelastet wurde. Es hat damit nach dem oben Gesagten ‑ wegen der Unterschiede in den Tatbeständen nach § 40 EpiG einerseits und § 178 StGB andererseits ‑ die Rechtslage verkannt. Die getroffenen Feststellungen vermögen die rechtliche Beurteilung, die Tat erfülle (auch) das Tatbild des § 178 StGB, weshalb sie nicht verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden sei, nicht zu tragen.

18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 5. Mai 2023

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